
Die First Lady mit den lila Haaren
Margot Honeckers Chauffeur "In ihrer Handtasche steckte immer eine Pistole"
Zum ersten Mal fuhr ich die Chefin am 27. August 1974. Sie war gerade in Polen gewesen, wo sie einen Ehrendoktor erhalten hatte. Als einstige Telefonistin legte sie großen Wert auf solche Würden. Ich holte sie am Ostbahnhof ab, verstaute das Gepäck und fuhr los. Ich war sehr aufgeregt und nervös. Als Margot das bemerkte, legte sie ihre linke Hand auf meinen Arm und sagte: "Schorsch, ganz ruhig, fahr einfach wie immer."
Ich war damals 26 Jahre alt, hatte vorher drei Jahre als Grenzer in Berlin gedient und als Fahrer im Volksbildungsministerium gearbeitet. Im Sommer 1974 traf ich Margot Honecker das erste Mal. "Ich bin die Margot", sagte sie, "und du bist also der Schorsch. Wir wollen es dabei belassen, aber in der Öffentlichkeit..." Ich wusste natürlich, dass ich sie vor anderen "Genossin Minister" nennen musste.
Montags, mittwochs und freitags holte ich Margot um 7.30 Uhr in der Waldsiedlung bei Wandlitz vor dem zweigeschossigen Honecker-Haus mit der Nummer 11 ab. Dienstags und donnerstags um 8 Uhr. An den Tagen, an denen ich um 7.30 kam, war Erich Honecker noch im Haus. Dann stand das Fahrrad der Masseurin Erika vor der Tür. Wenn Margot weg war, massierte sie den Generalsekretär und frühstückte danach mit ihm.
Die Chefin begrüßte mich immer mit Handschlag. Gegen alle Empfehlungen setzte sie sich dann neben mich nach vorn, erklärte mir, was tagsüber anlag oder wann ich bei ihrer Tochter Sonja zu sein hatte, um etwas zu erledigen. Im Wagen hörte sie den Berliner Rundfunk, überschlug gelangweilt die Politikseiten im "Neuen Deutschland" und vertiefte sich dann in den Kulturteil. Da kam es schon mal vor, dass sie aufgebracht sagte: "Was schreibt der wieder für eine Scheiße zusammen. Der muss doch blöd sein."
"Schorsch, vergiss die Ampel nicht"
Margots Kleidungsstil war sehr konservativ. Sie bevorzugte Kostüme von hell- bis dunkelgrau, zuweilen auch blau, der Lieblingsfarbe ihres Mannes. Dazu trug sie elegante Blusen. Ihre Röcke gingen immer bis kurz unter die Knie. Wenn ich an einer Kreuzung einem Minirock nachschaute, sagte sie spitz: "Schorsch, vergiss die Ampel nicht."

Die First Lady mit den lila Haaren
Margots bevorzugter Einkleider war ein Mann namens Arthur von der hochpreisigen "Exquisit"-Handelskette. Sie besuchte ihn oft in seinem Büro in der Leipziger Straße, wo er sie stets mit Küsschen empfing. Dann hat er bis zu zwei Stunden Maß genommen oder ihr seine neuen Entwürfe gezeigt. Beim Abholen der Kleidung bezahlte ich immer zwischen 500 und 3000 Mark. Ansonsten gönnte sie sich kaum modische Extravaganzen. Sie trug nur eine dünne Halskette, keine Ohrclips oder Broschen, keine Ringe - nicht einmal einen Ehering. Allerdings leistete sie sich den unergründlichen Luxus lila schimmernder Haare. Ihre Friseurin Martina hielt diese Farbe nur für sie bereit.
Zweimal im Monat besuchte Margot ihren Vater Gotthard Feist in seinem kleinen Häuschen in Berlin-Mahlsdorf. Zwischendurch wurde ich mit größeren Paketen zu ihm geschickt, brachte ihm Westprodukte aus der Verkaufsstelle in der Waldsiedlung, darunter Bier in Büchsen und frische Südfrüchte.
Vor dem Untersuchungsausschuss gegen Korruption und Amtsmissbrauch nach der Wende hat Margot behauptet, sie habe ihre Einkäufe im Wesentlichen in Berlin erledigt. Dazu kann ich nur sagen: Ich habe sie nie zu einem Geschäft, einer Kaufhalle zum Einkaufen gefahren. Dagegen wurde ich viele Male nach Wandlitz geschickt, um für Tochter Sonja Speisen aus der Waldsiedlung zu besorgen.
Zu ihrer Sicherheit hatte sie immer eine Pistole dabei
Tochter Sonja hatte beim Studium in Dresden den Chilenen Leo Yanez kennengelernt und ihn trotz anfänglichem Sträuben der Eltern geheiratet. Ihr Sohn Roberto war ein Ausbund an Temperament. Aus dem Ausland ließen die Großeltern für ihn regelmäßig erlesenes Spielzeug einfliegen. Als Robby in den Kindergarten kam, rief er: "Da hängt ja mein Opa."
Mit zwölf Jahren bekam Robby einen Cockerspaniel, der im Haus der Honeckers lebte. Das war der falscheste Hund, den ich je erlebt habe. Margot bekam sich mit Erich in die Haare: "Der macht mir auf den Teppich, dieses Vieh." Deswegen nannte sie ihn "Klecksi". Einmal hat der Köter ihr ins Bein gebissen. Doch das war nicht sein einziges Vergehen: Der Haushälterin Irmchen schnappte er in die Hand und Eberhard vom Personenschutz mussten die Honeckers eine Hose ersetzen. Das Vieh war heimtückisch. Klecksi schlich sich von hinten an und schnappte plötzlich zu. Erich führte ihn oft an der Leine spazieren. Ich glaube, er war der Einzige, der sich mit dem Hund verstand.
Margot Honecker wurden verschiedene Verhältnisse mit Prominenten nachgesagt. Ich kann keines davon bestätigen. Ich weiß aber, wo ich sie häufig absetzen musste, ohne dass es nach dienstlichen Obliegenheiten aussah: Am alten Bahnhof in Wandlitz stieg sie über Jahre mehrmals im Monat aus, schickte mich weg und ging zu Fuß weiter. In Eichwalde, wo einige DDR-Künstler wohnten, hatte ich sie stets am Wasserturm abzusetzen, um sie erst nach Stunden wieder abzuholen. Mitunter fuhr sie mit ihrem weißen Wartburg allein aus der Waldsiedlung. Dabei versteckte sie sich unter einem bunten Kopftuch und einer großen Sonnenbrille. Zu ihrer Sicherheit steckte in ihrer Handtasche immer eine kleine verchromte Pistole, Marke Browning.
"Schorsch, leb wohl, alles Gute für dich."
Zu den anderen Frauen von Staatsoberhäuptern hatte sie ein eher gespaltenes Verhältnis. Unbeschreiblich war ihre Wut auf Raissa Gorbatschowa. Bei ihrem Besuch beim SED-Parteitag 1986 "hatte die nichts Eiligeres zu tun, als in West-Berlin einzukaufen", fauchte Margot. Ich dachte an den Laden in ihrer Waldsiedlung, der mit Westwaren bestückt und für mich als Kraftfahrer tabu war. Generell war sie wütend auf Politiker-Ehefrauen, die ihre Männer auf Reisen begleiteten: "Die liegen zu Hause auf der faulen Haut, sind nicht berufstätig, haben nichts zu tun und kosten den Staat viel Geld mit diesen Reisen." Während des Gipfels Gorbatschow-Reagan 1986 in Reykjavik schimpfte sie: "Was haben die Weiber da zu suchen, wo über Weltpolitik entschieden wird?"
Im Sommer 1989 dann war die Welle der Flüchtenden nicht mehr zu stoppen. Über die Ungarn schimpfte Margot: "Ich verstehe das nicht. Sind die Leute so blöd? Die haben doch in der Schule gelernt, was Kapitalismus bedeutet."
In sich gekehrt und schweigsam erlebte ich sie nach dem Sturz ihres Mannes. Einen Tag, bevor sie selbst nach harten Vorwürfen über ihre verfehlte Bildungspolitik, über die Erziehung ganzer Generationen zum Lügen und Anpassen zurücktrat, gab sie mir den Rat, mich nach einem neuen Job umzusehen.
Meine letzte Fahrt mit ihr Anfang November 1989 ging nach Wandlitz. Schweigend saß sie neben mir. Über 40 Jahre, die meiste Zeit ihres Lebens, hatte sie das Bildungssystem der DDR maßgeblich geprägt. Sie konnte das Scheitern ihres Lebenswerks nicht begreifen. Ich setzte sie vor dem Haus Nummer 11 ab. Sie gab mir die Hand: "Schorsch, leb wohl, alles Gute für dich." Dann verschwand sie. Ich fuhr zurück, gab den Wagen ab, kündigte und begann, Taxi zu fahren.
Generation Fußnote: Bekenntnisse eines Opportunisten
Margot Honecker, geborene Feist, war von 1963 bis 1989 Volksbildungsministerin der DDR. Sie lebte bis zu ihrem Tod im Mai 2016 in Santiago de Chile.
Georg Melzer, der Ende der neunziger Jahre starb, gewährte dem Autoren Klaus Taubert nach der Wende einen Einblick in seine Arbeit. Der bei einestages veröffentlichte Text ist ein Auszug aus Melzers Erinnerungen.