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Mein erster Computer: Alles begann mit einem Brotkasten

Mein erster Computer Alles begann mit einem Brotkasten

Es gab eine Zeit, als 170 Kilobyte eine gigantische Speicherkapazität waren und Software-Codes von Hand abgetippt werden mussten. Matthias Kremp erinnert sich an die Anfänge des Computers und an seinen ersten selbstgekauften "Brotkasten", den er in einer Plastiktüte nach Hause schleppte: den legendären C64.

Eigentlich habe ich mich damals nicht für Computer interessiert. Schon gar nicht, wenn ich mich an die ersten Computer erinnere, die ich live erlebte. Das waren damals programmierbare Taschenrechner von Texas Instruments, mit denen die Mathe-Cracks in meiner Klasse herumliefen. Auch der erste echte Computer, ein Sinclair ZX81 (3,25 MHz Taktfrequenz, ein Kilobyte Speicher), den sich einer meiner Freunde anschaffte, konnte mich nicht packen. Das war alles zu technisch, zu mathematisch.

Angefixt wurde ich erst, als ich bei einem anderen Freund einen C64 sah, auf dem Sublogics Flight Simulator lief. Sofort war mir klar: Ich will auch so einen Kasten haben, den seine Besitzer wegen seiner Keilform und der beige-braunen Farbgebung liebevoll "Brotkasten" nannten.

Meinen kaufte ich gebraucht. Da es eBay damals noch nicht gab, reagierte ich auf eine Anzeige im lokalen Wochenblatt und radelte zum Anbieter. Nach Hause brachte ich meinen ersten Computer in einer schlichten Plastiktüte, die während der Heimfahrt gefährlich am Lenker meines Fahrrads baumelte. Sorgen musste man sich deswegen nicht machen. Schließlich war der C64 äußerst robust und enthielt keine beweglichen Teile. Meiner war von seinem Vorbesitzer allerdings bereits "aufgebohrt" und unter anderem um eine spezielle Reset-Taste erweitert worden. Damit konnte man den kleinen Rechenknecht per Tastendruck wieder zum Leben erwecken, wenn er mal wieder abgestürzt war.

Ein Kassettenrekorder für Computer

Ganz besonders stolz war ich aber auf mein Diskettenlaufwerk von Typ "1541". Die meisten meiner Freunde luden und speicherten Daten noch mit der Datasette, einer Art Kassettenrekorder für Computer. Das war ausgesprochen nervig, weil man sich zu jedem Datensatz und jedem Programm auf der Kassette die exakte Zählerposition notieren musste. Wollte man die Software laden, waren Fingerspitzengefühl und Geduld nötig, um das Band wieder zur entsprechenden Position vorzuspulen. Manchmal dauerte es dann eine halbe Stunde, bis ein Programm vollständig in den Arbeitsspeicher geladen war. Stürzte währenddessen der Computer ab, konnte man schnell den Spaß an der ganzen Computerei verlieren.

Dagegen war mein Diskettenlaufwerk ein wahrer Luxus. Auf seinen biegsamen Fünfeinviertel-Zoll-Scheiben brachte es für damalige Zeiten gigantische 170 Kilobyte unter. Aber weil man ja nie genug kriegen kann, machte ich mir bald einen Trick zueigen, den ich aufgeschnappt hatte: Man musste nur an der richtigen Stelle ein Loch in die Hülle der Floppy schneiden, dann konnte man sie beidseitig benutzen - und hatte die doppelte Kapazität.

Das Beste an meinem Gebrauchtkauf war aber, dass ich einen passenden Farbfernseher gleich dazu bekam. Richtige Computermonitore benutzte damals kaum jemand. Musste man auch nicht, weil der Grafikchip des C64 selbst im hochauflösenden Modus gerade mal 320 mal 200 Bildpunkte schaffte - heute hat selbst mein Handy eine höhere Auflösung. Damals aber war das Luxus, zumal einige C64-Spiele sogar nur mit 160 mal 200 Pixel liefen. Im sogenannten Textmodus wurden gar nur 40 mal 25 Zeichen benutzt.

Software zum Abtippen

Obwohl ich mit meinem Kauf hoch zufrieden war, glaube ich, zuviel für meinen C64 bezahlt zu haben. Denn nur wenige Tage, nachdem ich den Kasten gekauft hatte, eröffneten die beiden übergewichtigen Verkäufer in einer nahe gelegenen Einkaufstraße einen Computerladen. Das Angebot an Hardware war überschaubar, doch es gab Software im Überfluss. Als besonderen Dienst boten die Inhaber eine Art "Duplizier-Service" an: Aus einer meterlangen, weil auf dem damals üblichen Endlospapier gedruckten Liste konnte man sich nach Herzenslust Software aussuchen. Die wurde dann jeweils von einem der beiden auf Floppys kopiert, die man vor Ort kaufen müsste. Die Kopiergebühr war pauschal mit fünf Mark angesetzt, unabhängig davon, wie viel man kopieren ließ.

Offenbar erfreute sich dieses Angebot großer Nachfrage, denn in dem Laden schwirrten eigentlich immer zahlreiche meist jugendliche Kunden herum und verließen das Geschäft nach einiger Zeit wieder, scheinbar ohne etwas gekauft zu haben.

Sich auf diese Weise mit Software zu versorgen war zwar einfach, aber irgendwie unsportlich. Wer wie ich versuchte, den klobigen Kasten mit anspruchsvoller und dennoch kostenloser Software zu füttern, musste einiges auf sich nehmen.

So veröffentlichte die Zeitschrift "64er", Pflichtlektüre der Gemeinde, seinerzeit Software in gedruckter Form. "Listings" nannte man das. Wollte ich eines der im Heft angepriesenen Programme ausprobieren, musste ich tapfer sein. Zeile für Zeile war der Programmcode abzutippen. Leider bestand der meist zu großen Teilen aus kryptischem Hexadezimalcode. Eine typische Programmzeile sah etwa so aus:

320 DATA A0,02,A9,00,85,02,B1,5F

Das Wichtigste dabei war die dreistellige Zahlenkombination am Zeilenende. Diese sogenannte Checksumme konnte man per Software überprüfen lassen. So erfuhr man sofort, ob die jeweilige Zeile korrekt eingegeben worden war.

Eines der ambitioniertesten Projekte dieser Zeit war das Programm Giga-CAD. Über ein ganzes Sonderheft erstreckten sich damals, im Sommer 1986, die Listings und Anleitungen zu der ersten 3D-Software für den Heimgebrauch. Für einen allein wäre das nicht zu schaffen gewesen. So teilte ich mir die Arbeit damals mit einem Freund, und am Ende stückelten wir aus den jeweils abgetippten Fragmenten das komplette Programm zusammen. Als Lohn winkte nach tagelanger Arbeit ein grobes 3D-Modell des Space Shuttle.

Programmierbasis Basic

Derart angefixt fing ich natürlich bald an, selber kleine Programme zu schreiben. Das ging relativ einfach, weil der C64 die Programmiersprache Basic bereits eingebaut hatte. Mein erstes Programm lautete wie folgt:

10 Print "Hallo Welt"

20 Goto 10

Damit schrieb der kleine Kasten so lange den Text "Hallo Welt" auf seinen blauen Bildschirm, bis man ihm den Strom abdrehte - oder auf die Reset-Taste drückte, die mein Vorbesitzer installiert hatte.

In diesem Stil programmierte ich mit einem guten Freund eifrig um die Wette. Das erste Projekt, eine Software, mit der man Hüllen für selbst zusammengestellte Musikkassetten drucken konnte, leistete mir noch Jahre später treue Dienste. Sein Highlight: Um das Falten der Kassettenhülle zu vereinfachen, ließ ich den Nadeldrucker die entsprechenden Linien mindestens viermal überdrucken. Auf diese Weise wurde das Papier regelrecht perforiert. Diese Möglichkeit ist wohl der einzige Grund, weshalb man einen solchen lärmenden Nadeldrucker vermissen könnte.

Das Ende des Jukebox-Hero

Während allerdings mein damaliger Programmier-Kumpan heute sein Geld als Programmierer verdient, verabschiedete ich mich nach dem Studium endgültig vom selbstgeschriebenen Programmcode. Stattdessen erforschte ich mit dem C64 die Möglichkeiten, einen Computer als Musikinstrument zu nutzen. Software dazu gab es reichlich, weil der C64-Soundchip für damalige Verhältnisse überaus vielfältige Möglichkeiten bot.

Fast schon Hightech war jedoch das Drum-Modul, das ich mir gönnte. Hinten auf den Computer aufgesteckt, wurde der Rechner damit zu einem für damalige Verhältnisse überaus passablen elektronischen Trommler. Sein knarziges "Bumm-Tschak" würde jedem Techno-Produzenten Freudentränen in die Augen steigen lassen. Aber das war nur ein Intermezzo. Mitte der achtziger Jahre brachten Commodore mit dem "Amiga" und Atari mit dem "ST" ungleich leistungsfähigere Computer auf den Markt. Damit wurde es auch für mich Zeit, langsam Abschied zu nehmen. Damit allerdings ließ ich mir einige Jahre Zeit. Erst Ende der Achtziger nahm ich von meinem geliebten Brotkasten Abschied. Bis heute ärgert mich, dass ich den langjährigen Gefährten verkaufen musste, um mir einen neuen Rechner leisten zu können.

1994 schließlich verschwand Commodore ganz von der Bildfläche, meldete Insolvenz an. Heute kann man die alten Rechenknechte nur noch im Museum bewundern, etwa im Heinz Nixdorf Museums Forum in Paderborn. Die Marke aber lebt bis heute weiter. Vergeblich versuchten unterschiedliche Firmen, aus dem legendären Commodore-Ruf Profit zu schlagen. Sogar Telefone mit dem Commodore-Emblem wurden zeitweise verkauft. Zuletzt war die Firma mehrmals auf der Computermesse CeBIT mit Media-Playern und Set-Top-Boxen zu sehen. Immerhin, dort konnte ich mir Schweißbänder mit Commodore-Logo sichern. Seit kurzem gibt es sogar wieder Computer von Commodore. Aber das sind bloß für Spieler aufgemotzte Standard-Windows-PCs. Mit dem Charme der C64-Ära haben die nicht viel gemeinsam.

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