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Mekkas der Moderne - Freuds Couch: Liege der Lust

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Mekkas der Moderne - Freuds Couch Liege der Lust

Wer an Sigmund Freud denkt, denkt an seine Couch. Das Liegesofa des Psychoanalytikers wurde zum Sinnbild für seine Theorien über Träume, Sex und zweideutige Fantasien. Heute ist das Möbelstück ein Kultgegenstand - den die meisten Menschen am falschen Platz suchen.
Von Lydia Marinelli

Katholiken haben den Vatikan, Juden die Klagemauer, Moslems Mekka. Aber wo sehen all jene ihren Mittelpunkt, die sich einem anderen Weltbild verpflichtet fühlen: weniger von einem Gott geprägt, sondern eher von Darwin, Newton und Einstein? Gibt es Orte, an denen sich wissenschaftlich orientierte Weltanschauungen manifestieren? Wo sind die Mekkas der Moderne? einestages stellt in Zusammenarbeit mit der Jungen Akademie mehrere dieser Orte vor.

Wer diesen Ort betritt, zahlt einen Preis, dessen Höhe nicht in Geldwert ausgedrückt werden kann: Die Pilger, die eine Wohnung in einem unscheinbaren Haus aus dem späten 19. Jahrhundert im 9. Wiener Gemeindebezirk aufsuchen, kommen meist deshalb, weil sie das Symbol für eine zentrale Denkrichtung der letzten 100 Jahre aufsuchen möchten. Angesichts einer labyrinthisch anmutenden Gründerzeitwohnung, die sie betreten, stellen sie die immergleiche Frage: "Wo ist die Couch?" Das diensthabende Personal des Sigmund-Freud-Museums antwortet knapp, um die Besucherschlange nicht ins Stocken geraten zu lassen: "Nicht hier, in London." Mit dem Eintrittsbillett erkauft sich der Pilger eine herbe Enttäuschung - er ist in der falschen Stadt angelangt.

Diese enttäuschende Wirkung lässt sich auf die Gewalt zurückführen, die Freuds Wiener Domizil erschütterte. Auf seiner Flucht vor dem Nazi-Regime nahm Freud die Couch, die er mehrere Jahrzehnte benutzt hatte und die er selbst schon als Monument begriff, mit ins Londoner Exil. Die heutige Wiener Wohnung nährt damit einen Kult, den sie als Erinnerungsraum gleichzeitig aushöhlt.

Neben der zeithistorischen Begründung gibt es jedoch eine weitere Dimension der Enttäuschung, die der Ort schon in Zeiten, als die Couch noch in Freuds Praxis stand, den Besuchern vermittelte und die auf eine grundlegende Eigenheit des psychoanalytischen Projekts verweist. Einer der Psychoanalytiker, die Freuds Adresse Anfang der siebziger Jahre in ein Museum verwandelten, verdeutlichte diesen Umstand in plakativ launiger Form. In seinem Wartezimmer hing der eingerahmte Satz: "Erkenne Dich selbst, und Du wirst enttäuscht sein".

Wachwelt und Traum

Als der französische Schriftsteller André Breton nach dem ersten Weltkrieg die Gelegenheit erhielt, den von ihm verehrten Arzt in Wien aufzusuchen, behielt er ein Erlebnis in Erinnerung, das zu dieser Grundstimmung passte. Anstelle eines Revolutionärs, der in Distanz zu den Ritualen der bürgerlichen Welt lebte, deren krankmachende Anteile er aufgedeckt hatte, stieß er auf jemanden, dessen Arbeitsräume diese verabscheute Welt geradezu versinnbildlichen. Von seinem Besuch nahm Breton den Eindruck mit nach Hause, nichts weiter als einen altmodischen Menschen umgeben von Plunder und verstaubten Möbeln gesehen zu haben. Abgespeist mit ein paar Höflichkeiten verließ er Wien. Der Besucher verortete Freud zwischen utopischer Hoffnung und Konventionalität, zwischen Befreiung und Anpassung, zwischen der Überwindung von Kontrollmechanismen und einer Rumpelkammer aus alten Reglements. Die Spannung drohte in Enttäuschung aufgelöst zu werden.

Die Couch möblierte diese Vorstellungswelt nicht nur sinnbildlich, mit ihren materiellen und kulturellen Eigenheiten bot sie sich als idealer Ausstattungsgegenstand für einen zwiespältig aufgeladenen Erfahrungsraum geradezu an. Auf ihren Polstern trafen sich bürgerliche Wohnwelt und ärztliches Behandlungszimmer, westliche und östliche Traditionen, Wachwelt und Traum. Als Möbel entstammte sie den bürgerlichen Salons, wo sie entweder aristokratische oder orientalische Vorbilder erweckte. Die halb sitzende, halb liegende Haltung, in der noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Aristokraten auf einer Chaiselongue standesgemäß Gäste empfangen konnten, war zu dem Zeitpunkt, als Freud sie für seine ärztlichen Zwecke adaptierte, nur noch der exzentrischen Künstlerpose vorbehalten.

Die bürgerliche Familienwelt, die Freud zum Gegenstand seiner seelischen Erkundungen machte, versammelte sich auf der Couch zunächst nur zögerlich und mit Vorbehalten. Die Doppelfunktion der Couch, nämlich sowohl als Sitz- als auch als Liegemöbel benutzbar zu sein, setzte die Körper der Gefahr des Schwankens aus. Zeitgenossen Freuds warnten vor dieser Gefahr, die als moralische Verunsicherung zu bewerten ist. Das Sofa wurde pauschal "den Frauen" zugewiesen, den Schlafzimmern oder den intimen Familienrunden, da es bei Unachtsamkeit leicht zu peinlichen Unfällen kommen könne. Körper könnten sich dort durch ein unerwartetes Nachgeben der Polster für einen Moment berühren, Rocksäume zu hoch rücken - das Risiko für Berührungen und Entblößungen war hoch. Zur Geschlechtertrennung auf dem Polstermöbel riet deshalb die Literatur, die sich auf den guten Geschmack und die Verwendung der Einrichtungsgegenstände spezialisierte.

Widerstreit seelischer Kräfte

Die zweite Ableitung, die Freuds Liege zulässt, führt in den Orient, der auch die Entstehung der psychoanalytischen Traumtheorie begleitet. Freud bezeichnete seine Couch niemals als solche, sondern als Diwan, als Sofa oder, für die Ärzteschaft, als Ruhebett. Die orientalische Herkunft der Namen des Polstermöbels war in Wien besonders deutlich, da hier lange Zeit der besondere Typus, dem Freuds Diwan entspricht, Ottomane genannt wurde. Der Orient war für den Juden Freud eine Weltgegend, in die ihn seine psychische Genealogien mit fortschreitendem Alter immer tiefer führte. Als er als junger Arzt seinen Diwan 1886 in seiner Praxis aufstellte, war diese Welt vorerst nur in den Falten dieses Polstermöbels gegenwärtig.

Der Diwan, auf dem er als Ersatz für sein Bett den Nachmittagsschlaf halten konnte, entwickelte sich zu einem Erkenntnisvehikel, das ihn ins Reich des Traums und damit auf die Spuren der orientalischen Traumbücher brachte. Am Traumverständnis der Moderne, die den Traum zu einem Ort des Konflikts widerstreitender seelischer Kräfte macht, hat dieser Einrichtungsgegenstand damit seinen Anteil.

Je mehr Freud mit den herrschenden therapeutischen Methoden haderte, desto zentraler wurde dieser Einrichtungsgegenstand für sein Verfahren, zunächst für die Hypnose und dann für das sich langsam herausbildende "psychoanalytische Setting". Die schlafähnliche Haltung, die von körperlicher Kontrolle weitgehend entkoppelte Lage, ihre Nähe zur Träumerei, aber auch zur Sexualität begünstigte Freuds Theorie zufolge die Auseinandersetzung mit Dingen, die dem kontrollierten, wachen Denken, das auf ein konkretes Vis-à-Vis im Sessel gerichtet ist, unzugänglich bleiben. Die bequeme Ruhelage leistete peinlich-quälenden Vorstellungen Vorschub, körperliche Entspannung bildete hier die Grundlage psychischer Anspannung, die ins seelische Abseits führt.

Die enge Verbindung, die die Psychoanalyse als Verfahren mit einem geläufigen Möbel einging, hat ihren Eingang in die populäre Bildkultur befördert. Das Möbel erhielt die verbindliche Bezeichnung Couch erst im angelsächsischen Exil, wo die Psychoanalyse auf großes Interesse stieß und die "Couch" schließlich zum Terminus Technicus wurde. Ihre kulturellen Aufladungen, die sie in den Zimmern der Wohnungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und den therapeutischen Debatten des 20. Jahrhunderts erfahren hat und die sich in ihre Polster eingenistet haben, erklären, warum die Besucher von Freuds Domizil gerade dieses eine Möbel suchen. Die Einsicht, dass dieses Möbel bei ihnen zu Hause, nicht aber in der Berggasse steht, wirft die Besucher in einer fast Freudschen Wendung auf sie selbst zurück.

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Hilmar Schmundt (Hrsg.):
Mekkas der Moderne

Pilgerstätten der Wissensgesellschaft.

Böhlau-Verlag; 424 Seiten; 24,90 Euro.

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Mekkas der Moderne im Internet 

Lydia Marinelli arbeitet im Freud-Museum in Wien
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