
Miss-Wahlen damals: Fleischbeschau beim Fräuleinwunder
Miss-Wahlen damals Fleischbeschau beim Fräuleinwunder
Blond, brünett, schwarz. Kosmetikerin, Speditionskauffrau, Moderatorin. Aus dem hohen Norden die eine, aus Hessen die andere, aus Ostdeutschland die nächste. Drei Lebensläufe, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten - und die nur zweierlei verbindet. Erstens: Zwölf Monate ihres Lebens standen sie als "Miss Germany" im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Und zweitens: Die Mädels beim aktuellen Beauty-Contest der Heidi Klum sind ihnen viel zu klapprig. Mitmachen würden sie trotzdem - mit Ausnahme der Miss Germany von 1957.
Um nichts in der Welt würde sie sich den Demütigungen im Privat-Fernsehen aussetzen. "Diese dünnen Frauen, da achtet man ja gar nicht mehr auf die Mode!" Gerti Hollmann Daub ist nicht begeistert, wenn sie sich "Germany's next Topmodel" anschaut. Dem in der Modewelt grassierenden Schlankheitswahn kann die heute 70-jährige Dame nichts abgewinnen; dem selbstbewussten Gehabe der Möchte-Gern-Models auf ProSieben noch viel weniger. Damals, als alle Augen noch auf ihr ruhten, da war sie noch ein kleines Mädchen: "ein bisschen pummelig und sehr brav", sagt sie und lacht.
Die gelernte Kosmetikerin aus Hamburg, die sich als junge Frau ihren Schönheitssalon an der Alster durch Modeln finanzierte, denkt gern zurück an die Zeit, als sie selbst zur Schönsten im ganzen Land gekürt worden war. Noch nicht vor laufender Kamera, sondern "viel, viel prunkvoller": im festlich geschmückten Kursaal von Baden-Baden.
"Grace Kelly wurde Miss Germany", rief der Boulevard verzückt, als die hanseatische Schönheit im Juni 1957 den Titel holte, ein Jahr, nachdem die Schauspielerin aus Übersee den Fürsten vom Zwergstaat ehelichte und Hollywood abschwor. "Damals waren alle wohl gerundet", beschreibt die Blondine mit den damaligen Traummaßen 85 - 54 - 95 das Schönheitsideal der Nachkriegszeit. Magersucht gab es damals noch nicht, ausgezehrte Frauenkörper galten gemeinhin als Armutszeugnis. "Wenn, dann waren die Mädchen von den Entbehrungen des Krieges gezeichnet", sagt die noch immer attraktive Dame.
Lange Beine, schmale Taille, großer Busen: Wer die Formen von Marilyn Monroe vorweisen konnte, hatte die besten Chancen, sich auf den Laufstegen der Welt zu behaupten. Zumindest bis in die späten sechziger Jahre hinein, als Twiggy auf den Plan trat, um mit ihren 42 Kilogramm bei 170 Zentimetern das gängige Schönheitsideal auf den Kopf zu stellen.
"Ein Kühlschrank wird Miss Germany"
Damals, in Baden-Baden jedoch, hätten solche dürren Frauen keine Chance gehabt - spätestens bei der Badeanzug-Nummer wären sie rausgeflogen. Der Bikini galt noch als verpönt - nur in der Anfangszeit der Miss-Wahlen, in den Jahren 1948 bis 1951, war es den Mädels vergönnt, sich freizügig im just zuvor erfundenen Zweiteiler zu präsentieren. Danach mussten die potenziellen Missen alle im schwarzen Einteiler antreten - noch heute erinnert sich Hollmann Daub mit Grausen an das schmerzende Zwicken, mit dem der Gummisaum des Badeanzugs sich in ihren Oberschenkel verbiss. Wer schön sein will, musste eben leiden.

Miss-Wahlen damals: Fleischbeschau beim Fräuleinwunder
Wobei es eine klare Grenze für die norddeutsche Grace gab: Unanständigkeiten kamen bei ihr nicht in die Tüte. "Wenn, dann musst Du mit Anstand weitermachen", befahl der Vater und warnte die schöne Erstgeborene vor aufdringlichen Männern im damals als zwielichtig verschrienen Missen-Business. Zurecht: "Unmittelbar nach der Wahl wollte mich der Bürgermeister von Baden-Baden auf den Mund küssen", erinnert sich Gerti Hollmann Daub. Dass sie den Übergriff brüsk abwehrte, brachte ihr am anderen Tag die Schlagzeile ein: "Ein Kühlschrank wurde Miss Germany". Auch die anderen Zudringlichkeiten - noch in der Wahlnacht wollte ein Fotograf ihr Zimmer stürmen - ließ sie stoisch an sich abprallen.
Mehr Pein bereiteten Hollmann Daub die Neiderinnen von einst. "Als mir die Konkurrentinnen bei der Vorauswahl in Bad Godesberg das Kleid zerschnitten, musste ich mit verweintem Gesicht antreten", erinnert sie sich - abgeräumt hat die Kosmetikerin trotzdem. Nicht nur wegen ihrer, wie sie sagt, "natürlichen Schönheit", sondern auch wegen ihrer Schlagfertigkeit.
Denn genau wie heute gehörte zum Missen-Contest damals neben der Fleischbeschau - erster Durchgang: Abendrobe, zweiter Durchgang: Badeanzug - auch ein Interview, um die Schöne auf Intelligenz zu prüfen. Kein Problem für die Hamburger Deern, die Zuschauer im badischen Kursaal tobten vor Wonne - und schon zog die zwölfmonatige Ära des Ruhmes herauf.
Nierentisch für das Fräuleinwunder
Miss Germany, Miss Photogenic Europe, Bronze bei der Miss Europa, fünfter Platz bei der Miss Universe - Hollmann Daub heimste einen Titel nach dem anderen ein. Als werbewirksames Fräuleinwunder repräsentierte die Hamburgerin das Wirtschaftswunderland in aller Welt. In ihrer offiziellen Mission als "Botschafterin der Schönheit" flog sie im Auftrag von Bundeskanzler Adenauer und Hamburgs Erstem Bürgermeister Max Brauer mit dem Lufthansa-Eröffnungsflug nach Südamerika, wo sie gefeiert wurde wie eine Königin; Partys bei Gary Cooper in New York folgten. "Eine berauschende Zeit", erinnert sie sich - aber auch eine sehr anstrengende. "Immer nur lächeln, das geht an die Substanz", so Hollmann Daub, die aus ihrer atemberaubenden Schönheit kein Kapital schlug - obwohl sie eine einmalige Chance dazu gehabt hätte.
Ein US-Filmproduzent von MGM bot der deutschen Grace Kelly einen Siebenjahresvertrag zu je 250.000 Dollar an - die Anmutige lehnte ab, obwohl Hollywood-Stars wie Yul Brynner und Sammy Davis sie auf Knien darum baten. "Ich wollte keine Kelly-Imitatorin sein", sagt Hollmann Daub heute - ihr genügte der einjährige Ruhm, den eine siebenminütige Privataudienz bei Papst Pius XII. in Rom krönte.
Finanziell begnügte sich die Hamburgerin mit dem monatlichen Missen-Salär von 800 D-Mark, ausgezahlt von den Opal-Strumpfwerken, die seit 1954/54 den Schönheitswettbewerb durchführten. Eine Stange Geld in einer Zeit, zu der eine weibliche Angestellte im Schnitt 350 Mark pro Monat verdiente. Außerdem gab es ja auch noch die Sachpreise beim Baden-Badener Beauty-Contest. Hollmann Daub erhielt einen grauweißen Ford Taunus 12 M, einen gigantischen Blaupunkt-Fernseher und Floralia-Modeschmuck. "Ach ja, und den Nierentisch natürlich", ergänzt die Blondine und kichert.
Mit geliehenem Abendkleid nach Baden-Baden
Der gute Nierentisch - zwanzig Jahre später hätten die Schönheitsköniginnen das kurvenreiche Möbel voll Verachtung auf dem Laufsteg stehen lassen. Andere Zeiten, andere Traummaße, andere Sachpreise. Monika Schneeweis, 1976 mit Kleidergröße 36 und den Koordinaten 90-60-90 ausgestattet, erinnert sich an jede Menge Sekt, Schmuck vom Frankfurter Juwelier Friedrich und Klamotten von Betty Barclay. "Monika ist die Schönste", lautete die Zeile 1976, als die brünette Jura-Studentin mit den grünen Augen den Titel holte.
Und das ohne Vorauswahl, ohne Protektoren, ohne Affinität zum Schönheits-Business. "Die Fotomappe hat es rausgerissen", sagt Monika Schneeweis, die heute Luy heißt und ihrer eigenen Spedition tätig ist. Damals finanzierte sie sich ihr Studium mit Modeln, nach Baden-Baden reiste sie mit einem geliehenen Abendkleid sowie einer guten Freundin und Mitbewerberin im Schlepptau. Über die Miss-Wahl ist die Freundschaft zerbrochen - die hellblau-silberfarbene Robe blieb ihr.
Während Hollmann Daub noch heute von dem Glamour in Baden-Baden schwärmt, sieht Luy die Sache im Rückblick deutlich nüchterner. Kein Wunder, in den siebziger und achziger Jahren hatte der Missen-Contest an Bedeutung, Flair und Ausstrahlungskraft stark verloren; Frauenbewegung, Rechtsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Veranstaltern und Gerüchte um Wahlschiebung taten das Übrige, um den Wettbewerb in Verruf zu bringen.
Anders als Hollmann Daub reiste Luy auch nicht mehr als Schönheitsbotschafterin um die Welt - ihr tollster Trip ging nach Wien zum Opernball, der spannendste Promi, den sie als Miss Germany kennenlernte, heißt Curd Jürgens, "ein Wahnsinnstyp und Grand Charmeur", schwärmt die heute 52-Jährige. Auch ihr gefallen die Möchtegern-Models bei Heidi Klum nicht sonderlich, abgeneigt wäre sie dem Contest dennoch nicht - zu wenig habe sie damals "die Chance genutzt", sagt sie heute mit leisem Bedauern. Nachdem sie 1976 bei der Miss-World-Wahl in London gescheitert war, zog sie sich komplett aus der Mode-Welt zurück, blondierte sich in den achziger Jahren die Haare und kehrte an die Uni zurück.
"Revolution im Missen-Business"
Ganz im Gegensatz zu Ines Kuba, deutsche Schönheitskönigin von 1992, die dem Beauty-Business und ihrer Haarfarbe treu geblieben ist. Die 36-Jährige arbeitet heute als "Mama für alles" bei der Miss Germany Corporation und moderiert regelmäßig die Endauswahl des Fräuleinwunder-Contests, der seit 1979 live im Fernsehen ausgestrahlt wird. Eine burschikose Miss Germany mit pechschwarzem, kurzen Haar, das gab es noch nie - weder zuvor noch danach: "Revolution im Missen-Business", titelte die "Bild" damals.
Auch weil zum zweiten Mal in Folge eine Frau aus der ehemaligen DDR den Titel holte. Bis kurz vor der Maueröffnung taten sich die Ostdeutschen traditionell schwer mit Schönheitswettbewerben, galt die Misswahl als kapitalistische Erniedrigung des weiblichen Geschlechts - anders als in liberaleren Ostblockländern wie Ungarn, aber auch im Perestroika-Reich, wo die "Miss KGB" zeitweise das Image des ramponierten Geheimdienstes aufzupolieren versuchte.
Klar sei der Titel eine "enorme Genugtuung" gewesen, sagt die gelernte Kindergärtnerin und Aerobiclehrerin aus Halle an der Saale, die nach der Wahl extra ihre Führerscheinprüfung absolvierte, um mit dem geschenkten Auto - einem schwarzen Rover GTI - von Autogrammstunde zu Talkshow zu düsen. Rund 200 Termine nahm sie in ihrem Miss-Jahr wahr, "eine Knochenarbeit", stöhnt sie im Rückblick und ärgert sich über den Kuschel-Kurs, der heutzutage gegenüber den jungen Schönheiten oft gefahren wird. Auch wenn sie die Mini-Hintern und hervorstehenden Knochen bei der Klum-Show ganz fürchterlich findet, würde sie sich dem Model-Contest im Privat-TV stellen.
Mit Helmut Kohl auf Stimmenfang
Weltberühmt ist auch die Miss Germany 1992 nicht geworden - trotz ihrer Wahl zur "Queen of the World" im Dezember 1992 und der 108 "Fit mit Ines Kuba"-Sendungen im DSF. Dafür entdeckte die Politik sie als Frontfrau, 1998 zog sie an der Seite Helmut Kohls in den Wahlkampf um die neuen Bundesländer. Außer dem Rover GTI ergatterte Ines Kuba bei der Miss-Wahl noch ein Kofferset von MCM, Schmuck vom Juwelier Christ und diverse Reisegutscheine. Wieder kein Geld also, dafür aber eine Moderatorinnen-Karriere, die bis heute währt.
Was raten die drei Schönheitsköniginnen den jungen Models von heute? "Natürlich bleiben", ruft Gerti Hollmann Daub; "nicht abheben" Monika Luy, "arbeiten, arbeiten, arbeiten" Ines Kuba. Und: Gut die Augen aufhalten! Schließlich haben nicht nur Miss Germany 1957, sondern auch ihre Kollegin von 1992 unmittelbar nach der Wahl zur Schönsten der Schönen ihren Mann fürs Leben kennen gelernt. Was zählen da noch Ruhm und Mammon?