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Modeschöpfer Ernst Dryden: Der unbekannte Zweite

Foto: Fred Bergmann/MARKENSCHAETZE.DE

Modeschöpfer Ernst Dryden Der unbekannte Zweite

Grace Moore, Jane Wyatt und Marlene Dietrich trugen seine Modelle - über die wahre Identität ihres Kostümbildners Ernst Dryden wussten sie wahrscheinlich nichts. Sowohl dessen Vorleben als auch sein Nachlass unter dem Namen Deutsch blieben lange unentdeckt - bis 1976 seine frühere Geliebte starb.
Von Fred Bergmann

Nochmal anfangen. Ganz von vorn. So als hätte es das alte Leben nicht gegeben. Wer träumt nicht davon. Besonders dann, wenn die Schmach des Scheiterns über das Leben hereingebrochen ist?

Ernst Dryden hat aus einem Scheitern eine Tugend gemacht. Und er hat neu angefangen. Mit einem neuen Namen und einer neuen Passion. Die Welt erfuhr davon es erst viele Jahre nach seinem Tod. Geboren 1887 in Wien, wuchs der spätere Dryden unter dem Namen Ernst Deutsch mit zwei Geschwistern bei seinen ungarischstämmigen Eltern auf. Er besuchte die Kunstgewerbeschule und trainierte sein zeichnerisches Talent bei Gustav Klimt. Mit Anfang Zwanzig zog er nach Berlin. Noch vor dem Ersten Weltkrieg gehörte er zur Elite der Berliner Plakat- und Reklamekünstlerszene.

Als Deutsch 1910 nach Berlin kam, verschaffte sich die deutsche Plakatkunst gerade vehement Geltung. Die blühende Industrie in Berlin ließ das Plakatgewerbe boomen. Deutschs Berliner Aufstieg war kometenhaft. Er gründete ein eigenes Atelier und entwarf in den ersten drei Jahren unzählige Plakate und Werbeanzeigen quer durch alle Branchen. Er gestaltete Theater-, Kino- und Kunstausstellungsplakate, Werbung für Schreibmaschinen, Schuhe, Sekt, Zigaretten, und er arbeitete als Illustrator für die Modezeitschrift "Elegante Welt".

Deutschs Zeichnungen hatten bald den Ruf, durch stilvolle Eleganz die beworbenen Marken maßgeblich aufzuwerten. Als Deutsch als Soldat im Ersten Weltkrieg war, erschien 1916 das Buch "Die Schwarze Liste" von Hans Reimann. Darin versuchte der Satiriker die Plagiatoren des grafischen Gewerbes zu entlarven. Ganz oben auf seiner Frevlerliste stand auch der prominente Deutsch. Fünf Beispiele für Plagiate des Zeichners stellte Reimann vor. Sein Urteil war scharf: "Schade, dass die Unterschrift des Berliner Künstlers das einzige ist, was er selbständig geleistet hat." Ein Großteil von Deutschs künstlerischem Nachlass wurde erst Jahrzehnte nach seinem Tod entdeckt. Ein glücklicher Umstand, der nicht nur einem glücklichen Umstand der Geschichte, sondern auch einer großen Liebe geschuldet war.

Durchbruch mit Coco Chanel

Die Kritik an Deutschs Arbeit, die jegliche Eigenleistung zu erwähnen vernachlässigte, hatte verheerende Folgen: Als Deutsch nach seiner Militärzeit nach Berlin zurückkehrte, lag nicht nur die Berliner Wirtschaft und das Plakatgewerbe am Boden. Deutschs Reputation als Künstler war vollends zerstört. Deutsch ging zurück nach Wien. Unter seinem neuen Namen Ernst Dryden schuf er sich eine neue, von der Vergangenheit unberührte künstlerische Identität. Schlug er sich 1919 noch mit Pressekarikaturen und Plakataufträgen durch, begann er schon 1920 damit, sein zeichnerisches Talent mit seiner Leidenschaft für Mode zu kombinieren. Er gründete das "Atelier für Modeentwürfe" in Wien. Talentierte Schüler halfen ihm dabei, auch größere Aufträge anzunehmen.

1921 war der gut gekleidete Dryden durch Zufall am richtigen Ort. Auf der Straße in Wien fragt ihn eine Dame, wo es so elegante Anzüge gebe, wie er einen trage. Es handelte sich um Helene Wolff, die Senior-Chefin des renommierten Herrenausstatters Knize.

Drydens Begegnung mit ihr war ein Meilenstein auf dem Weg zum großen Erfolg - von Knize und von Dryden. Bald entwarf Dryden die Kollektion für das Modehaus, sorgte für ein modernes Markenzeichen und kreierte gemeinsam mit dem Junior-Chef Fritz Wolff eine Herrenpflegeserie unter dem Markennamen "Knize Ten". "Ten" - die höchste Punktzahl im eleganten Polo-Sport - stand für ein sportliches Image auf Upper-Class-Niveau. Druch Drydens revolutionäres Konzept bekam der Begriff "Herrenausstatter" eine gänzlich neue Bedeutung. Die Firma expandierte und wurde zum Vorbild für ähnliche Geschäftskonzepte von Hugo Boss, Ralph Lauren und Gucci.

Pikant ist Drydens Biografie in puncto Helene Wolff, die auf den aparten Spitznamen "Hello" hörte und seit 1920 mit Fritz Wolff verheiratet war. Als Dryden 1921 die ersten Aufträge des Unternehmens Knize angenommen hatte, ging die Ehe der Wolffs in die Brüche: Helene Wolff und Dryden hatten eine Liebesaffäre. Gemeinsam verwirklichte das Paar seinen Traum von einem eigenen Modegeschäft unter dem Namen "Hello" in der Wiener Gusshausstraße. Zum Sortiment gehören auch freche Entwürfe für Bademode sowie Designer-Skibekleidung. Zwar handelte es sich um Modelle aus der Maßschneiderei. Aber mit ihrem Konzept für modische Sportbekleidung prägten Gisela Wolff und Dryden die noch im Entstehen begriffene Sportbekleidungsindustrie. Dryden erhielt weiterhin Aufträge von Knize und 1926 kam der endgültige Durchbruch in die Welt der großen Mode: Dryden entwarf eine Kollektion für das führende Pariser Modehaus Coco Chanel.

Maßarbeit für Huckleberry Finn

Als ausgewiesener Modeexperte, herausragender Zeichner und durch seine Kontakte zur Pariser Haute Couture, wurde Ernst Dryden für den Berliner Ullstein-Verlag interessant. Das Verlagshaus hielt ihn für die Idealbesetzung in Sachen Mode. Mit einer lukrativen Anstellung bei der Ullstein-Zeitschrift "Die Dame" im Gepäck verlegte Ernst Dryden 1926 seinen Wohnsitz und Arbeitsplatz nach Neuilly, einem noblen Vorort von Paris.

Die Rechnung ging für beide Seiten auf: Ernst Dryden führte "Die Dame" nicht nur mit aktuellen Modereportagen aus der Haute Couture, sondern mit unzähligen Illustrationen und wunderschön gestalteten Titelseiten durch das Art Déco der Goldenen Zwanziger. Seine Zeichnungen zeigten die emanzipierte Frau dieser Zeit und den mondänen Lebensstil der feinen Gesellschaft. Das lukrative Schnittmustergeschäft des Ullstein-Verlages boomte. Parallel wandte sich Dryden wieder seinem alten künstlerischen Metier zu und entwarf spektakuläre Werbegrafiken für Bugatti, Jane Regny, Waldorf-Astoria, Haus Neuerburg und viele Marken mehr.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beendete Dryden seine Mitarbeit bei Ullstein mit einer letzten Titelseite für "Die Dame" im September 1933. Zwei Monate später emigrierte er in die USA. Ohne konkrete berufliche Pläne begann er ein neues Leben in New York. Einmal mehr hatte er Glück. Während die Ullstein-Familie in Deutschland ihren Verlag an die Nazis verlor, gelang Dryden bereits im März 1934 der Durchbruch in der New Yorker Modeszene. Nicht wie bisher mit Modellen für die Maßschneiderei und das Schnittmustergeschäft, sondern mit modernen Entwürfen für die großen Kaufhäuser, in denen sich die modebewusste Amerikanerin einkleidete.

Dryden schrieb an Helene Wolff, dass ihm seine beste Kollektion gelungen sei. Noch im Jahr 1934 ging Dryden als Kostümbildner nach Hollywood und stieg damit in die Königsklasse der amerikanischen Modeschöpfer auf. Er kreierte Modelle für Schauspielergrößen wie Grace Moore, Jane Wyatt und Marlene Dietrich. Parallel vermarktete der Modeschöpfer seine populären Filmkostüme als Konfektionsware an die großen Modehäuser der USA. Kreative Glanzpunkte waren aber nicht ausschließlich elegante oder erotische Kleider für die Filmdiven. Auch für Mark Twains Figuren Tom Sawyer und Huck Finn lieferte er 1938 für den Film "Toms Abenteuer" die passende Maßarbeit. Dryden hatte bekommen, wonach sich viele Emigranten in den Dreißigern sehnen: Ansehen und Wohlstand. Niemand wusste von seinem ersten Leben als Ernst Deutsch. Er hatte es abgestreift wie eine alte Haut.

Anruf mit Folgen

Als am 16. März, wenige Tage nach der Annexion Österreichs durch Nazideutschland, der Drehbuchautor Billy Wilder vergeblich seinen Freund Dryden anzurufen versuchte, war die Leitung ständig belegt. Wilder schickte jemanden, um nach Dryden zu sehen. Der war unterdessen an einem Herzinfarkt gestorben. Mit wem hatte Dryden telefoniert? Wahrscheinlich mit der jüdisch-stämmigen Helene Wolff. Die Annexion Österreichs durch die Nationalsozialsten gab mehr als Anlass genug, sich um sie zu sorgen.

In den Turbulenzen des Zweiten Weltkrieges ging der Name Ernst Dryden unter. Erst im Sommer 1976, als die Großtante von Drydens späterem Biografen Anthony Lipmann in Südostengland verstirbt, taucht sein künstlerischer Nachlass zufällig auf. Lipmanns Großtante war Drydens Freundin "Hello". Sie konnte rechtzeitig vor den Nationalsozialisten fliehen und Deutschs Frühwerk retten. Unter dem Nachlass befanden sich über 4000 Originalentwürfe aus Drydens Lebenswerk. Über ein Londoner Auktionshaus wurden sie in alle Winde verstreut.

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