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Motorsport-Geschichte: Die Erfindung der Boxenluder

Foto: Rainer Schlegelmilch

Motorsport-Geschichte Die Erfindung der Boxenluder

Mädchen, Macker und Motoren: Seit es die Formel 1 gibt, qualmen in der Boxengasse nicht nur die Reifen vor Reibungshitze - schon immer paarten sich dort auch ungezügelter Machismo und überbordende Weiblichkeit.
Von Hartmut Lehbrink

Wie er da so im Ferrari-Truck stand, die breite, schwarzbehaarte Brust der Sonne dargeboten, den Oberteil des Overalls lässig um die Hüften geschlungen, verströmte jeder Zoll von ihm männliche Verlockung. Der schnauzbärtige Tessiner Clay Regazzoni war der Vorzeige-Macho unter den Grand-Prix-Piloten der siebziger Jahre, ein ziemlich wilder Fahrer und unermüdlicher Womanizer.

Die Botschaft kam an. Eine vorübereilende Angehörige der weiblichen Paddock-Population, zusätzlich animiert von einer einladenden Bewegung mit dem Zeigefinger, stieg spontan zu. Man schloss die Heckklappe mit dumpfem Knall. Was dahinter geschah, widerlegte eindeutig das weit verbreitete Vorurteil, im Vorfeld eines Großen Preises sei Enthaltsamkeit angesagt. Ganz im Gegenteil: Eine starke Fraktion unter den Rennfahrern verfocht und lebte damals die Auffassung, ein gut ausgewuchtetes bis ausschweifendes Geschlechtsleben sei dem schnellen Dienstgeschäft durchaus zuträglich.

Und man konnte sich auf prominente Vorgänger berufen. Da war zum Beispiel der spanische Edelmann Alfonso de Portago, dessen tödlicher Unfall 1957 nahe dem Örtchen Guidizzolo der Mille Miglia, dem berühmtem Tausend-Meilen-Rennen von Brescia, den Garaus machte. Stets schwarz gekleidet, eine geknickte Zigarette im Mundwinkel, in gewollt liderlichem Look und einer Wirtshauskeilerei von Mann gegen Mann durchaus nicht abgeneigt, hatte der Marquis beim Zwischenhalt in Rom zu Halbzeit der Riesenrunde durch Italien mit seiner aktuellen Freundin Linda Christian aus dem Cockpit seines Ferrari heraus wilde Küsse getauscht - seine letzten.

Trinkgeld vom Happy Hooker

De Portago war einer der klassischen Playboys, wie sie die Vollgaszunft in den fünfziger Jahren hervorbrachte. Auch der in Paris geborene Amerikaner Harry Schell gehörte dazu, zwischen 1950 und 1960 in der Formel 1 tätig, gewissermaßen Gründungsmitglied - wie die ebenfalls dem schnellen Auto verpflichteten Lebemänner Gianni Agnelli, Porfirio Rubirosa oder auch Brigitte-Bardot-Gatte Gunter Sachs.

Auf seine Weise führte Stirling Moss, heute 80 und eine Zeit lang prominenter Werbeträger für die Potenzpille Levitra, diese Tradition fort. Halbwegs sichtbar lugte hinter einem Bild in seinem Londoner Büro lange eine scheinbar achtlos zerknüllte und vergilbte Fünf-Dollar-Note hervor. Auf Nachfrage hin gab Moss mit Gusto die Story dahinter zum Besten: Den Schein hatte dem kahlköpfigen Lenkradakrobaten, in Umkehrung der üblichen geschäftlichen Gepflogenheiten, die renommierte New Yorker Edelprostituierte Xaviera Hollander, bekannt unter dem Kriegernamen "The Happy Hooker", zugesteckt - als Liebeslohn für außerordentliche Leistungen.

Unter Regazzonis sinnenfrohen Zeitgenossen ist unbedingt James Hunt zu nennen, Champion von 1976 und langhaariges Popidol seiner Ära. Es war er ein gewohnter Anblick, wenn er mit Begleiterinnen in beliebiger Zahl völlig unbehelligt von den Hütern der Paddock-Ordnung ins Fahrerlager einzog. Es ist belegt, dass Hunt die schönste Hauptsache der Welt mindestens einmal im McLaren-Transporter verrichtete - nicht ohne die lebhafte Anteilnahme seiner Mechaniker. Und das im säuerlich-züchtigen Monaco.

Die Vorzüge geräumiger Jumbo-Toiletten

Selbst die Langeweile ewiger Interkontinentalflüge zu den Grand-Prix-Läufen in Übersee ließ sich durch dergleichen Zeitvertreib in vergnüglicher Weise aufbrechen. Besonders beliebt als Séparée, berichtet die Fama, sei die geräumige Toilette Nummer 10 im Jumbo-Jet gewesen. Den Punkt "Sex", mit dem auf den Bordkarten der damaligen Zeit nach dem Geschlecht der Flugreisenden gefragt wurde, beantwortete Motorrad-Champion Mike Hailwood, der nach einem Intermezzo in den Sechzigern 1971 zum zweiten Mal in den Grand-Prix-Wagen umstieg, grundsätzlich mit einem herzhaften "Yes". Für ein paar Monate schuf "Mike the Bike" mit dem Aufnäher "Sex - breakfast for men" schöne Klarheit über seine Frühstücksgewohnheiten.

Die rundliche Italienerin Lella Lombardi ("Bella Lella"), die es zwischen 1974 und 1976 als Fahrerin bis in die Formel 1 geschafft hatte, tat es manchen ihrer rasenden Kollegen selbst darin gleich, dass sie alle 14 Tage mit einer anderen Freundin auftauchte. Sie war und ist da nicht die Einzige.

Die Dinge haben sich erheblich gewandelt, seitdem Bernie Ecclestone die Grand-Prix-Roadshow zu einem straff geführten Premium-Unternehmen mit geradezu klinischen Zügen umgeformt hat. Das Groupie alter Art, das allzeit bereit im Windschatten der fahrenden Gesellen mitflatterte wie die Marketenderinnen im Dreißigjährigen Krieg, würde heute spätestens an den robusten Drehkreuzen scheitern, die den Zugang zu Bernies Allerheiligstem eröffnen oder verwehren.

Warnung von der Schwester

Bald nachdem Lotus-Chef Colin Chapman 1968 das Tabak-Label Gold Leaf als Mäzen gewonnen und damit als Erster die Ressourcen branchenfremder Geldgeber zum Wohle des Sports angezapft hatte, hielt dafür das leicht geschürzte Sponsor-Girl Einzug in Paddock und Pit Lane. Die moderne Formel 1 duldet gleichwohl keine anderen Göttinnen neben sich, und so zeigt sich der Grand-Prix-Pilot von heute vorzugsweise im trauten Familienverbund, Beispiel: Felipe Massa.

Dabei ist die Sache selbst natürlich nicht aus der Mode gekommen. Nur: Die Methoden haben sich geändert. Hailwoods geistige Enkel sprechen ihr Begehren noch unverblümter aus, wie zum Beispiel Eddie Irvine, bei Ferrari zwischen 1996 und 1999 die Nummer zwei hinter Schumi. Der freche Ire ließ überhaupt keinen Zweifel darüber aufkommen, mit welcher Erwartung er an die Begegnung mit einem attraktiven Mädel heranging - da fruchteten nicht einmal Warnungen von Irvines Schwester Sonja, selbst kein Kind von Traurigkeit, vor den Ambitionen ihres Bruders.

Oder Vitantonio Liuzzi, ein flotter Szenetyp, von 2005 bis 2007 im Aufgebot von Toro Rosso und Red Bull unterwegs. Im Vierzehntage- oder gar Wochen-Rhythmus der Großen Preise deckte sich dessen Tisch in wundersamer Weise. Da liefen nämlich, vom Red-Bull-Management per Inserat gesucht und sorgsam ausgewählt, die Formula Unas auf, zehn der schönsten Töchter des jeweiligen Gastlandes. Die lokalen Beautys erwartete ein aufwendig inszeniertes schmissiges Unterhaltungsprogramm, journalistisch ausgiebig begleitet von der Paddock-Postille "Red Bulletin", Pflicht-Lektüre für die Grand-Prix-Schaffenden. Highlight war die persönliche Begegnung der Formula Unas mit den Fahrerriegen der beiden Teams, mit all ihren Unwägbarkeiten.

Saftige Skandale im Vollgas-Kosmos

Im Allgemeinen jedoch trägt die Versuchung Uniform, die der Grid Girls zum Beispiel, der Nummernmädchen in der Startaufstellung, deren lange Beine die Piloten in der Konzentrationsphase vor dem Rennen zu schaffen machen. Und da sind spektakuläre Einzelerscheinungen wie Petra und Tamara, die beiden Töchter von Bernie himself, die jugendliche Elisabetta Gregoraci, seit kurzem Gemahlin des Renault-Granden und Senior-Verführers Flavio Briatore, oder Lewis Hamiltons aufregende Pussycat Nicole Scherzinger, deren Auftritte in Ecclestones mobilem Manhattan stets von Dutzenden rückwärts huschender Fotografen begleitet werden.

Dass die Lust an der Lust selbst bei zunehmendem Alter nicht unbedingt abnimmt, belegen zwei saftige Skandale aus dem Vollgas-Kosmos, die Anfang 2008 mit ein paar Wochen Abstand nicht nur die englischen tabloids erschütterten wie seismische Beben. FIA-Boss Max Rufus Mosley, 68, wurde in London beim quälenden Liebesspiel mit fünf Partnerinnen ertappt. Und Baron Irvine Laidlaw, schottischer Milliardär vom Jahrgang 1943, Angehöriger des englischen Oberhauses und erfolgreicher Pilot historischer Sportwagen, ließ sich beim munteren Treiben mit vier Damen sowie einem Gigolo namens Ben als amourösem Trittbrettfahrer im monegassischen Hotel Hermitage erwischen. Laidlaw (genannt "the lewd Lord", der lüsterne Lord) beichtete, sein Verlangen sei schon seit jeher ungestüm gewesen, stiftete erschrocken eine Million britische Pfund für einen guten Zweck und unterzog sich in Südafrika einer sechswöchigen Sex-Entziehungskur.

Die Wirkung bleibt abzuwarten.

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