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Forschungsexpedition zu den Indianern: Das Ende des Wilden Westens

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Naturforscher im Wilden Westen Ein deutscher Prinz bei den Indianern

Die Amerikaner mokierten sich über seinen preußischen Akzent: Vor knapp 200 Jahren erforschte Prinz Maximilian zu Wied die indigenen Völker des Kontinents. Er wurde zum Chronisten einer untergehenden Welt.

Gewehrschüsse prasseln auf das Indianerlager nieder, Krieger stürmen den Zeltplatz, und während die überraschten Verteidiger erst zu den Waffen greifen, liegen zwischen zerfetzten Tipis bereits blutüberströmte Frauen- und Kinderleichen. So hatte sich der deutsche Prinz Maximilian zu Wied seine Forschungsexpedition in den "Wilden Westen" nicht vorgestellt.

Mühsam war er Tausende Kilometer in Nordamerika vorgestoßen, bis nach Fort McKenzie im heutigen Montana. Dort erlebte er in den frühen Morgenstunden des 28. August 1833, wie 600 Assiniboine- über Blackfeet-Indianer herfielen und einen Posten der Weißen in den Konflikt hineinzogen. Es war der Endpunkt einer Reise in das Land der Indianer, als sie noch frei waren. In der Prärie wurden Wied und seine beiden Begleiter Chronisten einer untergehenden Welt, gemeinsam schufen sie die bedeutendste Dokumentation über nordamerikanische Indianer.

Forscher Maximilian zu Wied

Forscher Maximilian zu Wied

Foto: Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte

Als Wied die Expedition organisierte, stand er im Ruf eines erprobten Naturforschers - kein Gelehrter, sondern Autodidakt mit unstillbarem Wissensdurst. 1782 als Grafensohn in Neuwied am Rhein geboren, trat er zunächst in die Armee ein und kämpfte für Preußen gegen Napoleon. Er beobachtete aber auch Vögel im Westerwald, studierte ein Semester an der Uni Göttingen, dem Zentrum für Naturwissenschaften, und lernte Alexander von Humboldt kennen.

Humboldt, der neugierigste und abenteuerlustigste unter den Naturforschern, hatte bereits den amerikanischen Doppelkontinent bereist - Wieds Vorbild. Als erster Nichtportugiese brach der Prinz 1815 zu einer Brasilienexpedition auf, schlug sich zwei Jahre durch den Dschungel, sammelte unzählige Pflanzen und Tiere für die Heimat, lernte Indianerkulturen kennen.

Nach Südamerika nahm er sich den Norden vor. Neben seinem Hofjäger David Dreidoppel begleitete ihn diesmal auch Karl Bodmer, 23. Zuvor hatte der Schweizer Maler vor allem Landschaftspostkarten gezeichnet. Nun sollte er originalgetreu festhalten, was sie erlebten - und machte das so eindrucksvoll, dass seine Werke bis heute gefragt sind.

Mit preußischem Akzent durch Amerika

In Rotterdam bestieg das Trio am 17. Mai 1832 ein Dampfschiff nach Boston, der 50-jährige Wied schon vom Alter gezeichnet. "Amerikanische Zeugen berichteten, daß er bereits seine Vorderzähne eingebüßt hatte, was sein mit starkem preußischem Akzent gesprochenes Englisch nicht verständlicher machte", wusste sein Ururgroßneffe Prinz Karl Viktor zu Wied zu erzählen. Bekannte Wieds hoben seine "ungeheure Zähigkeit und Willenskraft" hervor, und die "erstaunliche Tatsache, daß er die Strapazen, die ihn im Westen erwarteten, überlebte". Zudem attestierten sie dem Forscher "spartanische Härte gegen sich selbst, aber auch seine Begleiter".

Ein lockerer Expeditionsleiter war der Prinz also mitnichten. Dafür umso akribischer. Unterwegs notierte er penibel so ziemlich alles, was ihm auffiel. Die Städte, Tiere und Landschaften, das Klima, die Sitten und Gebräuche in Amerika - seine Ausführungen summieren sich im später veröffentlichten Reisetagebuch auf 1200 Seiten. Viel Raum widmete Wied den Indianern. In den ersten Monaten jedoch bekam er keinen einzigen zu Gesicht.

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Zunächst habe er, schrieb Wied, "alle Buchläden und Kupferstichhandlungen durchsucht, um gute Abbildungen jenes interessanten Menschenstammes zu finden; allein wie erstaunte ich, in allen großen Städten dieses Landes auch nicht eine einzige brauchbare" auftreiben zu können. Es sei "unglaublich, wie der Urstamm des amerikanischen Menschen bei den jetzigen fremden Usurpatoren verhasst und vernachlässigt ist". Überhaupt war Wied von den weißen Amerikanern wenig angetan: "Fremde werden von diesen gewöhnlich ebenso eingebildeten wie ungebildeten Menschen öfters mit Geringschätzung behandelt."

Beginn der Vertreibung und Ausrottung

Über New York, Philadelphia und Pittsburgh gelangten Wied und seine Begleiter nach St. Louis, wo die Reise ins freie Indianerland begann, entlang der Handelsposten der Amerikanischen Pelzhandelskompanie den Missouri hinauf. Dort tauschten Indianervölker ihre Pelze ein - ein weltweit boomender Handelszweig.

Indigene Völker wurden bereits drangsaliert: 1830 trat der Indian Removal Act in Kraft, rechtliche Grundlage für Umsiedlungen östlich des Mississippi. So konstatierte Wied, dass die "Vertreibung und Ausrottung der Urbewohner fortschreitet".

Maler Karl Bodmer

Maler Karl Bodmer

Foto: Geoffrey Clements/ Corbis/VCG via Getty Images

Per Raddampfer ging es beschwerlich den Missouri aufwärts. Das Schiff lief auf Sandbänke auf, Treibholz beschädigte das Schaufelrad. An Land sammelte Wied Pflanzenproben, beschrieb die Tierwelt und präparierte einige Exemplare in Branntweinfässern, um sie nach Europa zu schaffen. Unterwegs trafen sie Ureinwohner. Bodmer porträtierte Dutzende und gewann ihr Vertrauen offenbar auch mit einer Spieldose, deren Musik sie faszinierte.

Mit einem kleineren Kielboot, das die Besatzung teils mit Seilen flussaufwärts ziehen musste, erreichten die Reisenden aus Deutschland im August 1833 Fort McKenzie tief im Westen. Der Handelsstützpunkt bestand nur aus zwei einfachen Blockhäusern und einigen einstöckigen Hütten, mit Fußböden aus festgestampfter Erde, die Fenster mit Pergament bespannt. Hier lebten 27 Weiße - und in der Umgebung viele Indianer.

Präriezwiebeln retteten Wieds Leben

Spannungen gab es zwischen den indigenen Gruppen, ebenso mit den weißen Händlern. Nach der Schlacht zwischen Assiniboine und Blackfeet im August 1833 wurde Wied die Lage zu unberechenbar; zudem fehlten Übersetzer und Pferde. Statt weiter zu den Rocky Mountains reiste er per Schiff zurück, samt der wissenschaftlichen Mitbringsel, darunter zwei lebende Bären.

Den Winter über harrte die Gruppe im Fort Clark aus, in der Nähe lebten mehrere Stämme, darunter die Mandan. Wied und Bodmer freundeten sich mit Häuptling Mato-tope an. Er lud den Forscher in sein Dorf ein und erklärte ihm die Sitten, Sozialstruktur und Lebensweise seines Volkes.

Ureinwohner waren es auch, die Wieds Leben retteten: Im strengen Winter stiegen die Temperaturen in der zugigen Hütte nicht über 20 Grad minus, die Vorräte gingen zur Neige, für die Expeditionsgruppe gab es fast nur noch Flusswasser und Mais. Von der Mangelernährung geschwächt, erkrankte Wied schwer. "Ein heftiges Fieber stellte sich ein, dabei große Mattigkeit, und ohne Arzt und zweckmäßige Medizin wurde meine Lage täglich hilfloser", notierte er. Eine "Lebensfrist von drei bis vier Tagen" prophezeiten Besucher ihm.

Als aber Indianer ihn mit Präriezwiebeln versorgten, erholte der Prinz sich zu seiner eigenen Überraschung. Bodmer wäre am liebsten in Amerika geblieben, doch im April 1834 trat die Gruppe die Rückreise an und erreichte im August die Heimat.

Der Untergang der freien Indianer

Im Gepäck: 400 Skizzen, Aquarelle, Hunderte Seiten Notizen. Sie übertrafen an Ausführlichkeit und Authentizität alle vorherigen Dokumentationen aus Amerika. So exakt waren Kleidung, Schmuck und Waffen nirgendwo zu sehen. Die Zeichnungen prägten das europäische Bild von Indianern nachhaltig. Wieds Berichte inspirierten wohl auch Karl May, der ja nie selbst in Amerika war und auch sonst tüchtig flunkerte, zu seinen Geschichten um Winnetou und Old Shatterhand.

Gerade noch rechtzeitig hatten Wied und Bodmer Traditionen von Urvölkern festhalten können, kurz bevor sie untergingen: 1837 rafften Pocken die Mandan dahin; Häuptling Mato-tope hungerte sich aus Trauer zu Tode. In den folgenden Jahrzehnten beschlagnahmte die US-Regierung das Land nach und nach und zwang die indigene Bevölkerung in Reservate.

Bald nachdem Maximilian zu Wied 1867 in Neuwied starb, gab es schon keine freien Indianer in der Prärie mehr. Das Massaker am Wounded Knee 1890, als Soldaten Hunderte Sioux niedermetzelten, markierte das endgültige Ende des indianischen Freiheitskampfes. Wieds Befürchtung - sie wurde Wirklichkeit.

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