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Nazi-Arzt Aribert Heim Jagd durch die Jahrzehnte
Die Jagd nach dem meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher könnte sich ihrem Ende zuneigen: Fahnder des Simon-Wiesenthal-Zentrums sind Aribert Heim, einem der schlimmsten Nazi-Täter, nach eigenen Angaben dicht auf den Fersen. Mehrere Augenzeugen hätten den mittlerweile 94-jährigen Heim in den vergangenen sechs Wochen gesehen, erklärte Efraim Zuroff, Chefermittler des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Die Chance, den früheren NS-Arzt dingfest zu machen, seien so groß wie noch nie. "Wir stehen jetzt besser da als vorher", sagte Zuroff gestern auf einer Pressekonferenz. "Das garantiert nicht, dass wir Heim fassen, aber ich habe Hoffnung."
Nach den Erkenntnissen der Nazi-Jäger soll sich Heim derzeit entweder in Chile oder dem argentinischen San Carlos de Bariloche versteckt halten. Zuroff geht fest davon aus, dass Heim noch lebt. Dafür spreche, dass seine Kinder bisher keinen Anspruch auf sein in Deutschland liegendes Vermögen in Höhe von rund zwei Millionen Euro gestellt hätten.
Heim diente zwischen Juli und November 1941 im Konzentrationslager Mauthausen, wo er Häftlinge mit brutalsten Methoden quälte. Berüchtigt war er unter anderem dafür, seinen Opfern Giftspritzen direkt ins Herz zu injizieren. Außerdem führte er Operationen an Häftlingen ohne Betäubung durch. Zeitzeugen erinnern sich an ihn als "Schlächter von Mauthausen" oder "Dr. Tod". Oft wird Heim in einem Atemzug mit Josef Mengele genannt, der in Auschwitz medizinische Experimente von unvorstellbarer Grausamkeit an KZ-Insassen vornahm.
Ein ganz normales, bürgerliches Leben
Obwohl sowohl sein Vorgesetzter im KZ als auch der Lagerapotheker im Mauthausen-Prozess 1947 verurteilt und hingerichtet wurden, kam Heim ungeschoren davon - ungeachtet zahlreicher Zeugenaussagen und Protokolle über seine Folter-Operationen. Immer wieder wurde deshalb spekuliert, Heim habe seine Dienste - in welcher Form auch immer - den Amerikanern angeboten. Infolgedessen, so die These, seien seine Akten manipuliert worden. In Heims Unterlagen im Berliner Document Center, das NS-Personalakten bewahrt, taucht sein Einsatz in Mauthausen jedenfalls nicht auf, wie Recherchen des SPIEGEL im Jahr 2005 ergaben.
Bis 1962 lebte Heim vollkommen unbehelligt in der Bundesrepublik. Nach der Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft 1947 arbeitete er zunächst in einer Saline bei Heilbronn und kehrte 1949 endgültig in sein bürgerliches Leben zurück. Nach einem Zwischenspiel als Assistenzarzt am Bürgerhospital im hessischen Friedberg eröffnete Heim Anfang der fünfziger Jahre eine Frauenarztpraxis in Baden-Baden.
Erst 1957 wurde das erste Verfahren gegen ihn eingeleitet - und zwar vom Landgericht im österreichischen Linz. Kurze Zeit später nahm auch die Staatsanwaltschaft in Baden-Baden Ermittlungen gegen Heim auf und erließ am 13. September 1962 einen Haftbefehl. Am gleichen Tag tauchte der KZ-Arzt unter; den zur Festnahme ausgerückten Polizisten entwischte er dabei buchstäblich in letzter Sekunde. Seine Frau und die beiden Söhne ließ Heim in Baden-Baden zurück. Doch erst 1967 reichte Heims Ehefrau die Scheidung ein und distanzierte sich auch öffentlich von ihrem Mann.
45 Jahre Katz-und-Maus-Spiel
Seit nun mehr als 45 Jahren treibt Heim ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ermittlern. 1963 tauchte er angeblich noch einmal in Berlin auf, um seine Schwester mit der Verwaltung seines Vermögens zu betrauen. Später wollten Zeugen ihn in Uruguay, Spanien, der Schweiz, in Chile und Brasilien gesehen haben. Anderen Hinweisen zufolge soll Heim zwischen 1963 und 1967 als Polizeiarzt in Kairo in Ägypten gearbeitet haben. Trotz der vielen Hinweise und intensiver Fahndung ging "Dr. Tod" der Justiz bisher nicht ins Netz.
Wiesenthal-Chefermittler Zuroff ist nun zuversichtlich, dass es diesmal anders ist. Er beruft sich auf vermeintliche Hinweise aus dem Umfeld einer Verwandten von Heim, die in einer chilenischen Hafenstadt lebt. Zuroff glaubt, dass sich Heim in ihrer Nähe aufhält - ein Mann in Heims Alter könne eigentlich nicht mehr alleine leben, sondern brauche Unterstützung. Deshalb will er den Druck auf Heims Angehörige erhöhen: "Menschen unter Druck machen Fehler", so Zuroff. Dass Heim längst tot sei, glaubt Zuroff nicht. Die Familie des Flüchtigen hatte zwar bereits 1993 mitgeteilt, Heim sei in Argentinien verstorben. Da aber keine Sterbeurkunde vorgelegt wurde, hielten die meisten Ermittler die Meldung vom Ableben Heims für eine Finte, die den Fahndungsdruck verringern sollte. Das allerdings ist 15 Jahre her.
Die Aktion in Südamerika ist Teil der "Operation letzte Chance", die das Simon-Wiesenthal-Zentrum gemeinsam mit der Targum-Shlishi-Foundation vor sechs Jahren ins Leben rief, um die letzten noch lebenden NS-Täter vor Gericht zu bringen, bevor sie sterben. Dafür setzten die Privatfahnder auch auf umstrittene Mittel: 315.000 Euro Belohnung sind für denjenigen ausgelobt, der den entscheidenden Hinweis für die Ergreifung Aribert Heims liefert.
Wenn er noch lebt.