39 Jahre hat es gedauert, bis die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus das südwestfälische Kreuztal erreicht hat. Seit 39 Jahren trägt das dortige Gymnasium den Namen Friedrich Flicks, der in der Stadt geboren ist. Flick hatte sich durch eine Millionenspende Ende der sechziger Jahre das Namensrecht an der Schule gesichert. Das wurde zwar immer wieder kritisiert. Der in den Nürnberger Folgeprozessen als Kriegsverbrecher verurteilte Industrielle tauge kaum als Vorbild, so der vorsichtige Vorwurf.
Doch an der Mehrheit der Kreuztaler prallte dieser Vorwurf ab. Die Kritiker galten als Nestbeschmutzer. Diskutieren wollte man im Siegerland nicht. Und so ist es bis heute. Zwei ehemalige Schüler des Gymnasiums haben vor kurzem die Internetseite "Flick-ist-kein-Vorbild" gestartet und wollen eine Umbenennung der Schule erreichen. In Kreuztal werden sie wie Aussätzige behandelt. Doch ihre Aktion hat Flicks Geburtsort ins Blickfeld gerückt. Keine Stadtratssitzung vergeht mehr ohne das Thema, im Juni war sogar das ukrainische Fernsehen vor Ort. Auch in der Ukraine hatte Flick sich ab 1941 als "Pate" Betriebe gegriffen und Zwangsarbeiter beschäftigt.
Vor zwei Wochen stützte der Historiker Harald Wixforth bei einer Diskussion in Kreuztal die Bedenken der Kritiker. Wixforth ist Co-Autor einer gerade erschienenen Studie über den Flick-Konzern im "Dritten Reich" (SPIEGEL Nr. 23/2008), die von Flicks Enkel Friedrich Christian finanziert wurde. Das Buch beschreibt einen Unternehmer, der nach außen der "Eisenmann" war und - egal wie schlecht es lief - immer wieder nach oben kam. Der es schaffte, sich nach dem Krieg als Regimegegner zu gerieren, obwohl er NSDAP-Mitglied und Wehrwirtschaftsführer war.
Kein Interesse an Aufarbeitung bei der CDU
Kein Konzern, zeigt die Studie, hat mehr vom Nationalsozialismus profitiert als Flicks Konglomerat aus über 100 Betrieben. Zusammen mit den Nazis arisierte er jüdische Betriebe, die er übernahm. Über 60.000 Zwangsarbeiter mussten unter erbärmlichen Umständen für Flick arbeiten, etliche starben.
Doch Flick solle nicht nur daran gemessen werden, findet die den Stadtrat dominierende CDU-Fraktion. Sie lehnt eine Umbenennung ab und wittert eine "Riesenkampagne" gegen Kreuztal. Offiziell wird mitunter die juristisch unklare Situation vorgeschoben - bei einer Umbenennung könnten Flicks Erben womöglich Regressforderungen stellen.
Bei der Diskussion vor zwei Wochen argumentierte CDU-Bürgermeister Rudolf Biermann allerdings noch verquaster: Ähnlich wie Flick damals nähmen auch heute Unternehmen gern staatliche Unterstützung in Anspruch, relativierte er.
In einem Leserbrief an die "Westfälische Rundschau" forderte der CDU-Fraktionsvorsitzende Werner Müller, es müsse "endlich Schluss mit der sog. Aufarbeitung" sein. Und Müllers Parteikollege Werner Irle behauptete erst vor einigen Tagen in einem Leserbrief, die Zwangsarbeiter bei Flick seien "ordentlich behandelt" worden. Die Quellen der Historiker um Wixforth zweifelte Irle an. Sie stammten teilweise aus Archiven des ehemaligen Ostblocks und dienten möglicherweise der Desinformation. Es sei erstaunlich, so Wixforth, wie man sich in Kreuztal an Standpunkte klammere, die selbst die Enkelgeneration der damaligen Unternehmer nicht mehr teilten.
Mit einer kleinen Anfrage wollen die Grünen nun die NRW-Landesregierung zur Umbenennung drängen.
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Friedrich Flick: Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich der Unternehmer vor dem 5. US-Militärtribunal in Nürnberg verantworten. Der Flick-Prozess dauerte vom 18. April bis 22. Dezember 1947, dann stand das Urteil fest: Sieben Jahre Haft für einen Kriegsverbrecher. Die Aufnahme entstand bei der Urteilsverkündung.
Friedrich Flick angeklagt: In den Nürnberger Folgeprozessen wurde der Unternehmer wegen Beschäftigung von Zwangsarbeitern und Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. 1950 kam Friedrich Flick frei.
Flick-Prozess: Im Nürnberger Prozess, der vom 18. April bis zur Urteilsverkündung am 22. Dezember 1947 dauerte, sagte unter anderen der Tscheche Mojmir Kratochuir als Belastungszeuge aus. Kratochuir war Zwangsarbeiter in einem Betrieb des Unternehmers Friedrich Flick.
Ein Kriegsverbrecher als Big Spender: Portrait von Friedrich Flick im Lehrerzimmer des Friedrich Flick-Gymnasiums in Kreuztal. Flick war wegen intensiver Beziehungen zum NS-Regime im Rahmen der Nürnberger Prozesse als Kriegsverbrecher verurteilt worden. Zusammen mit den Nazis hatte er jüdische Betriebe, die er übernahm, arisiert. Über 60.000 Zwangsarbeiter mussten unter erbärmlichen Umständen für Flick arbeiten, etliche starben. Diese Tatsachen schienen in Kreuztal, den Geburtsort Flicks, lange Zeit niemanden zu interessieren. Dort wurde er als Gönner gefeiert und vereehrt. Noch heute will in Kreuztal kaum jemand etwas von der schmutzigen Vergangenheit Flicks wissen.
Bild zur Verfügung gestellt von Thilo Schmidt.
Das Friedrich-Flick-Gymnasium: Ende der sechziger Jahre spendete Flick eine Million D-Mark an das Gymnasium seiner Heimatstadt Kreuztal. Die Bedingung: Die Schule musste fortan seinen Namen tragen. Obwohl Flick damals schon als Kriegsverbrecher wegen seiner Beziehungen zum NS-Regime verurteilt worden war, störte sich niemand an diesem Deal - und selbst heute will die Geburtsstadt Flicks nichts von der schmutzigen Vergangenheit ihres prominentesten Bürgers wissen.
Bild zur Verfügung gestellt von Thilo Schmidt.
Eingang zum Friedrich-Flick-Gymnasium: Wie lange das Gymnasium Kreuztal noch diesen Namen trägt, bleibt abzuwarten. Seitdem zwei ehemalige Schüler mit ihrer Website www.flick-ist-kein-vorbild.de aufbegehren, wächst der Druck auf die Stadtverwaltung. Die hatte sich bislang blind und taub gestellt ob der Vergangenheit von Flick.
Bild zur Verfügung gestellt von Thilo Schmidt.
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