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Rechtsextremismus in der DDR Real existierende Neonazis

Die DDR inszenierte sich gern als antifaschistischer Staat, Neonazis gab es nicht. Als Videoaufnahmen 1988 die Existenz einer rechten Szene belegten, duckten sich die Genossen weg und mieden die Auseinandersetzung. einestages zeigt die erschreckend aktuellen Bilder.

"Wir sind sehr auf Gewalt aus". Im Video treten rechtsextreme DDR-Jugendliche dafür ein, dass "die Scheißkanaken raus sind". Einer von ihnen bekennt sich vor der Kamera klar als Faschist, dessen Aufgabe es sei, "Nationalgefühl" und "faschistisches Gedankengut" zu verbreiten. Etwas später offenbart er über die ostdeutsche Fascho-Szene: "Es gibt viele, die sich zu irgendwelchen Anschlägen bereit erklären, auch bewaffneter Natur." Das Video wurde heimlich aufgenommen vor 27 Jahren, im Juli 1988, mit der VHS-Kamera eines Oppositionellen in Ost-Berlin und in Sachsen nahe Dresden.

Das war vor dem Mauerfall, Erich Honecker regierte noch. Kaum zwei Jahre später brannte es in Rostock-Lichtenhagen, in Hoyerswerda und anderswo. In Eberswalde kam 1990 Amadeu Antonio Kiowa ums Leben, das erste Mordopfer durch rassistisch motivierte Gewalt. In Thüringen, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern entstanden "national befreite" Zonen, in denen Rechtsextreme den Ton angaben und es für Ausländer gefährlich wurde.

Nicht vom Westen angestiftet

"Dort", warnte die Journalistin Andrea Röpke, "übernehmen Rechtsextremisten die Räume, aus denen sich die Zivilgesellschaft zurückzieht." Das spätere NSU-Trio mit seinen zahlreichen Helfern in der rechtsextremen Ost-Szene, fand sich bereits in den Neunzigerjahren in Thüringen zusammen und mordete dann von Sachsen aus. Heute marschieren Hooligans und Neonazis einträchtig zusammen mit den Frustbürgern der Pegida, um endlich in der Mitte der Gesellschaft anzukommen.

Wahrscheinlich zeigt das Video die einzigen Aufnahmen dieser Art, auf denen Mitglieder der gewaltbereiten rechten Szene noch zu DDR-Zeiten zu sehen und zu hören sind. Es sind Aufnahmen, die klar machen, dass Neonazis und Rechtsextreme auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht nach dem Mauerfall urplötzlich vom Himmel gefallen sind. Einer in Bomberjacke spricht es schon 1988 aus: "Es wird immer viel erzählt, wir werden angestiftet vom Westen und so was", und seine "Kameraden" pflichten ihm bei: "Nee, ist garantiert nicht vom Westen gesteuert. Es gibt eben Leute, die wirklich Neonazi sind, die wirklich den Staat, den einzigen Staat wiederhaben wollen, so wie er früher war." Springerstiefel und Bomberjacken allerdings, brachten ihnen Oma und Opa von Westbesuchen mit.

Fotostrecke

Neonazis in der DDR: Nicht vom Himmel gefallen

Foto: Schefke/Wensierski

Vom Westen gesteuert, so einfach wollte es sich die DDR machen. Denn der größte Mythos, der sich noch bis heute bei vielen rückblickend hält, ist der vom antifaschistischen Staat. ("Die DDR war wenigstens gegen die Nazis, anders als der Westen.") Diese Legende war den antifaschistischen Kämpfern der alten KPD um Staatschef Erich Honecker und Stasi-Chef Erich Mielke besonders wichtig.

Doch so wenig die Mauer ein "antifaschistischer Schutzwall" war (wie ihn die DDR-Regierung offiziell nannte), so wenig wahrhaftig war der Antifaschismus der DDR. Dass es in den Achtzigerjahren ein zunehmendes Neonazi-Problem gab, dessen Nährboden der autoritäre sozialistische Staat war, wollte die SED nicht wahrhaben. Auch für die Partei Die Linke als SED-Nachfolgeorganisation hatte Rechtsextremismus wenig mit DDR-Sozialisation und ostdeutschen Befindlichkeiten zu tun. Die DDR-Bürger hätten angesichts der Vertragsarbeiter aus Vietnam und Afrika den Umgang mit Ausländern gut geübt.

"Lügenpresse" lautete auch sofort der Vorwurf der FDJ-Zeitung "Junge Welt", ein Blatt mit Millionenauflage, an mich, als ich aus den über die Grenze geschmuggelten VHS-Kassetten einen Film geschnitten hatte, den das ARD-Fernsehen Anfang Juli 1988 ausstrahlte.

In der Ausgabe vom 23./24. Juli 1988 ereiferte sich deren Chefredakteur Hans-Dieter Schütt zwei Seiten lang über "die angebliche sozialistische Wirklichkeit", die ich mit "gutbezahlten Kleindarstellern" inszeniert hätte. Neonazis durfte es für ihn nur beim Klassenfeind im Westen geben, die beschrieb er gern in seinem Blatt. "Sergej Eisenstein, der sowjetische Meisterregisseur", erregte sich Schütt, "nannte einmal die Montage das 'Kernstück zur filmischen Erzeugung von Wahrheit'. Im ARD-Bericht wurde die Montage zum Kernstück zur filmischen Erzeugung von Lügen."

Die Existenz von Neonazis in der DDR - eine Lüge, eine Erfindung der Westmedien? Die verdrängten Fakten im Osten Deutschlands sahen anders aus. Schon am 17. Oktober 1987 hatte es einen brutalen Überfall kahlgeschorener, rechter Jugendlicher auf ein Rockkonzert der DDR-Opposition in der Ost-Berliner Zionskirche nahe der "Umweltbibliothek" gegeben. Etwa 1000 Jugendliche hörten an diesem Abend neben der Ost-Punk-Band "Firma" auch dem illegalen Auftritt der West-Berliner Gruppe "Element of Crime" mit ihrem Sänger Sven Regener zu.

Heimliche Aufnahmen riskiert

Der Musiker hatte gerade seinen Auftritt beendet, als im hinteren Teil der Kirche Gedränge und Geschrei einsetzte. Regener und seine Band erlebten den ersten massiven öffentlichen Ausbruch kahlgeschorener rechter Jugendlicher in der DDR. Mehrere Dutzend mit Knüppeln bewaffnete Neonazis drangen wild um sich schlagend vor und brüllten: "Juden raus aus deutschen Kirchen!" und "Sieg heil!". Hart, brutal und organisiert war der Angriff, so erlebte ihn auch Sigbert Schefke, Kameramann der Ost-Berliner Opposition, der in diesem Video erzählt, warum er nach diesem Erlebnis die heimlichen Aufnahmen von DDR-Neonazis riskierte. Volkspolizisten, die vor der Kirche standen, griffen nicht ein.

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Die DDR-Presse begann aber nun keineswegs eine Auseinandersetzung mit dem Problem, sondern schrieb vage von der Verurteilung von "Rowdys", dann schwieg sie wieder. Nur Kirchenzeitungen und Untergrundblätter versuchten über die dauernden Übergriffe und antisemitischen Vorkommnisse zu berichten - was die Pressezensur der DDR mehrfach verhinderte.

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So verbot das Presseamt den Abdruck der wohl besten Analyse über Neonazis noch zu DDR-Zeiten. Geschrieben hatte sie der Filmregisseur Konrad Weiß. Im März 1989 konnte er sie in der Untergrund-Zeitschrift "Kontext" unter dem Titel "Die neue alte Gefahr" veröffentlichen.

Weiß begann mit der Aufzählung rechter Gewalttaten in der DDR: Von einer Gruppe mit faschistischen Abzeichen und Hakenkreuzfahne, die bei Oranienburg in Zügen und Straßen Menschen terrorisierten; von Jugendlichen, die jüdische Friedhöfen in Ost-Berlin schändeten; von fünf Männern, die im April 1988 junge Schwarze in Halle zusammenschlugen ("Nigger aufklatschen nannten sie es"); von jungen Arbeitern und ihren rassistischen Pöbeleien im öffentlichen Nahverkehr, die im Mai 1988 damit endeten, dass sie einen Afrikaner nahe Dresden aus dem fahrenden Zug stießen. ("Die anderen Fahrgäste schweigen, keiner hat eingegriffen.") Der Mann wurde schwer verletzt. Vom Fußballalltag in der DDR, der von "Gewalttaten mit rassistischen und antisemitischen Beschimpfungen" geprägt ist.

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Konrad Weiß
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Bereits Weiß beklagte sich über die fehlende Auseinandersetzung mit den immer stärker werdenden neonazistischen und rassistischen Umtrieben in der DDR: "Der sozialistische deutsche Staat ist auf dem rechten Auge blind. Nach dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die neuen faschistischen Gruppierungen entstehen und gedeihen konnten, wurde nicht gefragt und sollte nicht gefragt werden."

Anpassung statt Kritik

Es gab einen eigenen Nährboden für rechte, rechtsradikale und neofaschistische Ideologien in der DDR. Die SED förderte nicht die Entwicklung demokratischer Tugenden, sondern ein autoritäres System von Untertanengeist, Militanz und Parteidisziplin. Die politische Kultur der DDR kam in weiten Teilen rechten Ideologien entgegen, schrieb Bürgerrechtler Weiß 1988: "Nicht Originalität und Innovation haben den höchsten Stellenwert, sondern Unterordnung und Konvention. Nicht Widerspruch und Kritik sind wirklich geschätzt, sondern Anpassung und Duckmäusertum."

Besonders an den DDR-Berufsschulen hatten die Rechtsradikalen Zulauf, drei Neonazis pro Klasse sind zum Ende der DDR keine Seltenheit. "Unter den neuen Faschisten finden sich sowohl Arbeiterkinder wie Söhne und Töchter aus intellektuellen und bürgerlichen Familien." Die Ausrottung von Antisemitismus in der DDR war reines Wunschdenken der SED-Funktionäre.

Was bis heute viele nicht wissen: Die DDR, die gerne mit den Fingern auf die alten und neuen Nazis im Westen zeigte, hatte selbst keine weiße Weste. Auch in ihrem Staats- und Parteiapparat gab es viele ehemalige Nazis (siehe PDF "Ehrliche Zusammenarbeit). Nach dem Fall der Mauer entdeckte ich bei Recherchen, dass selbst ertappte ehemalige KZ-Wächter nicht verurteilt, sondern lieber von der Stasi angeworben wurden.

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Über die Präsenz von NS-Kadern führte die SED penibel Buch. Danach waren ehemalige Nationalsozialisten an den Unis, in den volkseigenen Konzernen, in den Betriebskampfgruppen und sogar in der Nationalen Volksarmee bestens vertreten.

Bis zum Ende der DDR blieb die Auseinandersetzung mit dem Faschismus, ob an Schulen oder in der Öffentlichkeit, formelhaft, blutleer und fixiert auf die Schicksale kommunistischer Widerstandskämpfer. Auch das ein Faktor, der eine aktive rechte Szene im Osten Deutschlands mit provoziert hat.

Keine Aufklärung

Nach dem Mauerfall lernte ich Bernd Wagner kennen, einen ehemaligen Oberstleutnant der DDR-Kriminalpolizei. Er war Ende der Achtzigerjahre Leiter einer "Arbeitsgruppe Skinheads" im Zentralen Kriminalamt der DDR und kannte die wahre Lage. Er wusste von Sprengstoffanschlägen durch Neonazis auf Magdeburger Betriebe, von brutaler Fremdenfeindlichkeit und Überfällen auf einst von der DDR ins Land geholten Vertragsarbeiter, Mordanschläge auf "Fidschis" und Schwarzafrikaner in der ganzen Republik, zählte die Hakenkreuzschmierereien und versuchte eine Forschungsarbeit anzuschieben.

Ab Anfang der Achtzigerjahre gründeten sich klandestine Neonazi-Zirkel wie die "Lichtenberger Front" in Ost-Berlin, die "Wotansbrüder" in Halberstadt, die "SS-Division Wolgast", die "Weimarer Front" oder die "NS-Kradstaffel Friedrichshain". Die Täter hatten wachsende Unterstützung in der DDR-Bevölkerung. Der Faschismus existierte real im antifaschistischen Staat. Wagners Arbeitsgruppe der Volkspolizei bezifferte das Problem Neonazis in der DDR im Jahre 1988 mit der Zahl 15.000, darunter 1000 "Gewaltbereite". Doch nichts davon drang an die Öffentlichkeit, so lange die DDR bestand. Die Erkenntnisse wanderten in den Giftschrank, die "AG Skinhead" wurde aufgelöst.

Und dann erlebte Wagner nach der Wiedervereinigung etwas Bemerkenswertes. Er dachte, nun könne er wirklich etwas gegen den braunen Sumpf im Osten unternehmen. Doch als er bei seiner ersten Sitzung im Bundeskriminalamt Meckenheim die bedrohlich angewachsene rechtsradikale Szene im "Beitrittsgebiet" schilderte, wollte niemand es so recht wahrhaben. "Man wollte ein milderes Bild der Realität zeichnen", sagt Wagner Er stand alleine da. "Ostdeutschland brauchte Investoren, da störten Berichte über militante Nazis sehr."

Hier liegen seiner Ansicht nach auch bis heute die Wurzeln der Ignoranz der Behörden gegenüber den Neonazis. Das Bindeglied der Rechtsextremen im Video von 1988 und ihren Nachfolgern heute ist der Hass auf das gesamte "Schweinesystem", die Fremdenfeindlichkeit, die Ablehnung von Demokratie und der "Politikerelite da oben". Die Unterdrückung des Problems durch die DDR und dann im vereinten Deutschland hat es nicht gelöst, sondern verstärkt.

MITARBEIT: Nicola Kuhrt

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