
Korruption bei Wohnungsbaukonzern Der Skandal um die Neue Heimat


Kaum ein größerer westdeutscher Ort war ohne "Neue Heimat": Mehr als 400.000 Wohnungen und Bürogebäude, Schwimmbäder und Einkaufszentren - die Neue Heimat baute kräftig mit am Wirtschaftswundergefühl im Nachkriegsdeutschland. Namhafte Architekten prägen mit ihren Bauten bis heute das Gesicht zahlreicher Städte.
Als Keimzelle der Unternehmensgruppe Neue Heimat gilt die gewerkschaftseigene Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Gross-Hamburg, gegründet 1926. Die Nationalsozialisten enteigneten gewerkschaftliche Wohnungsbauunternehmen, unterstellten sie der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und benannten sie in "Neue Heimat" um. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die Neue-Heimat-Unternehmen zunächst in Alliierten-Hand, bis sie Anfang der Fünfzigerjahre an den Deutschen Gewerkschaftsbund übergingen.
Der Kasseler Finanzmanager Heinrich Plett wurde Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der Neuen Heimat Hamburg. In kürzester Zeit formte er aus den regionalen Neue Heimat-Gesellschaften einen schlagkräftigen bundesweit agierenden Wohnungsbaukonzern. 1982 war damit Schluss: Das gemeinnützige und gewerkschaftseigene Unternehmen wurde zum Schauplatz eines der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik - und ging daran zugrunde.
Die Dokumentation "Der Skandal um die Neue Heimat" läuft am Sonntag, 23. Juni 2019, als Serie auf dem Pay-TV-Sender SPIEGEL Geschichte, der über Sky zu empfangen ist. Um 20.15, Teil 1: Der Aufstieg. 21 Uhr, Teil 2: Der Schock. 21.45, Teil 3: Die Folgen.
Doch mehr als 30 Jahre später scheint das alte Modell angesichts der angespannten Lage am Wohnungsmarkt erneut verlockend.
Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen
Nach dem Krieg galt der Wohnungsbau als eine der drängendsten Aufgabe überhaupt, auch als wichtiger stabilisierender Faktor der jungen Demokratie: In den Städten fehlten rund fünf Millionen Wohnungen - und die Neue Heimat baute. "Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen", so lautete ihr Mantra. Bereits 1959 vermeldete der Gewerkschaftskonzern die Fertigstellung der Hunderttausendsten Wohnung.
Nach dem Tod von Plett übernahm 1963 sein Stellvertreter und langjähriger Weggefährte Albert Vietor den Chefposten und baute die Aktivitäten massiv aus. Als die ersten auf dem Reißbrett geplanten Stadtteile wie Bremen Neue Vahr, München Neuperlach oder Frankfurt Nordwest entstanden, kamen die Kommunen mit der nötigen Infrastruktur nicht hinterher. Die Neue Heimat sprang ein und übernahm den Bau von Verwaltungsgebäuden, Schulen, Freizeitzentren.
Mit der Gemeinnützigkeit, die gegen Steuerentlastungen eine geringe Rendite von nur vier Prozent vorschrieb, war das nicht mehr vereinbar. 1964 entstand daher ein kommerzieller Zweig, die "Neue Heimat Kommunal", ab 1969 Teil der "Neue Heimat Städtebau". Dort bündelte das Unternehmen alle kommerziellen Töchter.
Von der Öffentlichkeit beinah unbemerkt gab es seit 1962 bereits einen Firmen-Ableger für Auslandsgeschäfte, die "Neue Heimat International". Das Sahnehäubchen im Portfolio des Gewerkschaftskonzerns war das eigene Forschungsinstitut GEWOS, das sich in den wissenschaftsgläubigen Endsechzigern als unschätzbarer Wettbewerbsvorteil erwies.
Zwischen 1966 und 1973 erreichte die Neue Heimat den Höhepunkt ihres Erfolges. Ihr Einfluss in Bonn stieg mit der Regierungsbeteiligung der SPD. Unter der griffigen Formel der Gemeinwirtschaft diente die Neue Heimat als Instrument gewerkschaftlicher Strukturpolitik, expandierte ins Ausland und trug maßgeblich dazu bei, den Sanierungsbedarf der maroden Innenstädte auf die Agenda der Bundesregierung zu bringen.
"Bei uns können Sie eine ganze Stadt bestellen"
Der Gewerkschaftskonzern wurde zu Europas größtem Wohnungsbauunternehmen - Umsatz: 6,4 Milliarden DM, fast 6000 Beschäftigte, mehr als 100 Tochterunternehmen im In- und Ausland.
Von ganz oben führte der Weg nur noch abwärts: Mit der Ölkrise Anfang der Siebzigerjahre kam auch die Wirtschaft ins Rutschen. Baukosten explodierten, der Wohnungsmarkt war ausgeglichen, die öffentliche Förderung wurde zurückgefahren. Großsiedlungen an Standrändern, einst Experimentierfeld für die Idee von der Planbarkeit sozialer Strukturen, gerieten in Verruf. Es drohte Leerstand.
Spätestens jetzt hätte sich die Neue Heimat reformieren müssen. Ein gemeinwirtschaftliches Unternehmen mit einem Konzept aus den Sechzigerjahren war unter den Marktbedingungen der Achtziger nicht mehr lebensfähig, sagt Historiker Peter Kramper, der über die Unternehmenspolitik und -entwicklung der Neuen Heimat promovierte.
Vietor und Genossen traten die Flucht nach vorn an. Sie verstärkten das Auslandsgeschäft und das Engagement im Städtebau. Auf der Agenda standen jetzt auch Krankenhäuser, Hochschulen und Hotels. "Bei uns können Sie eine ganze Stadt bestellen", lautete der großspurige Slogan.
Selbstbereicherung und Schuldenberge
Hinter der schillernden Fassade aber bröckelte es längst. Der Ruf in der Öffentlichkeit war angeschlagen, Gerüchte über unlautere Machenschaften des Vorstands machten die Runde. Dem SPIEGEL wurden schließlich handfeste Beweise dafür zugespielt: "Neue Heimat - Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen" lautet der SPIEGEL-Titel, der am 8. Februar 1982 ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Beben auslöste. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar.
Über Jahre hatten die Neue-Heimat-Bosse bei ihren Mietern skrupellos abkassiert und sich über Tarnfirmen bereichert. Über Strohmänner waren sie an Privatfirmen beteiligt, die millionenschwere Aufträge von der "Neuen Heimat" erhielten.
Und nicht nur das - der Konzern war bankrott. Der Vorstand hatte einen Schuldenberg von mehreren Hundert Millionen Mark angehäuft, den größten Teil durch Missmanagement im Auslandsgeschäft.
Mit hektischen Entlassungen und Wohnungsverkäufen versuchten die Gewerkschaften, den Schaden an Image und Geldbeutel zu begrenzen. Tragischer Höhepunkt des Niedergangs war 1986 der Verkauf der Neuen Heimat für den symbolischen Preis von einer Mark an den Berliner Bäcker Horst Schiesser. Nach Einspruch der Banken wurde der Kauf rückabgewickelt.
Abschied von der Idee der Gemeinwirtschaft
Schließlich zog der DGB die Reißleine und trennte sich vom Unternehmen. Der gesamte Wohnungsbestand wurde verkauft. Die Neue Heimat, sie war Geschichte.
1990 nahm die Bundesregierung den Skandal um den einstigen Vorzeigekonzern zum Anlass, den Status der Gemeinnützigkeit abzuschaffen und sich Stück für Stück aus der aktiven Sozialbau-Politik herauszuziehen. Zurück blieb die Frage: Wie konnte es so weit kommen?
Hunderte von Beiräten, Gutachtern, Bankiers und Politikern müssen davon gewusst haben. Und die vielen Aufsichtsräte - waren sie alle ahnungslos? Dubios blieb auch die Rolle der Gewerkschaften. Selbst zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse konnten nicht alles klären.
Gut 30 Jahre später ist das Thema Wohnungsnot wieder zentral. Bezahlbarer Wohnraum gilt als die soziale Frage unserer Zeit. Auf der Suche nach neuen Instrumenten, um die aktuelle Krise zu lösen, fällt der Blick auch auf die alten Werkzeuge, mit denen einst die Neue Heimat Jahr für Jahr Tausende von Sozialwohnungen errichten konnte.
Es gab vor allem ein gemeinsames Ziel, das Politik, Gesellschaft und Unternehmer verband: die Schaffung von preisgünstigem Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung. Noch bis in die Achtzigerjahre war dieser Gedanke ein gesetzlich festgeschriebenes, gesamtgesellschaftliches Vorhaben. Die gemeinnützige Neue Heimat hat viel dazu beigetragen - bis sie im Strudel von Korruption und Missmanagement unterging.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Keimzelle der Neuen Heimat war die gewerkschaftseigene Genossenschaftliche Kleinwohnungsbaugesellschaft Gross-Hamburg, gegründet 1926. Daraus erwuchs in der Nachkriegszeit
Neuer Name: Nach der Enteignung der Gewerkschaften wurden ihre Wohnungsbaugesellschaften gleichgeschaltet, der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstellt und 1939 in "Neue Heimat" umbenannt.
Neuanfang: Beseitigung der Trümmer und der Kriegsschäden waren die dringlichsten Aufgaben der Nachkriegszeit. Die Neue Heimat Hamburg hatte ihren Sitz damals in einer Baracke in Hamburg-Barmbek.
Nissenhütten und Baracken: In den kriegszerstörten Städten fehlten insgesamt rund fünf Millionen Wohnungen. Bis die letzten Notunterkünfte abgerissen wurden, vergingen Jahrzehnte.
Gewerkschafts-Baulöwe: Schon 1959 war die Neue Heimat dem SPIEGEL eine Titelgeschichte wert. Neue-Heimat-Chef Heinrich Plett galt als Finanzgenie, der dem Unternehmen geschickt privates Kapital verschaffte.
Richtfest in Hamburg-Ochsenzoll: Von Anfang an zelebrierte die Neue Heimat ihre Bauerfolge und feierte jedes Richtfest als Meilenstein des Wiederaufbaus.
"Plett-Brett": So nannte der Volksmund die Hamburger Konzernzentrale. Von dort aus leitete der Neue-Heimat-Chef Heinrich Plett sein wachsendes Imperium. Architekt war der renommierte Frankfurter Ernst May.
King Albert: Albert Vietor wurde 1963 Nachfolger des verstorbenen Neue-Heimat-Vorstands Heinrich Plett. Vietor führte den Konzern erst zu ungeahnter Größe, dann durch Misswirtschaft und Korruption in den Ruin.
Urbanität durch Dichte: So lautete das städtebauliche Leitbild der Sechzigerjahre. München-Hasenbergl ist eine der ersten Großsiedlungen, die nach dieser Maxime errichtet wurden.
Die Stadt der Zukunft: In Hamburg stellte Albert Vietor 1967 sein Modell eines "Alsterzentrums" vor, ein futuristischer Entwurf auf der Fläche des Stadtteils St. Georg.
Provokation: Das futuristische Modell des Hamburger Alsterzentrums war umstritten. Einige Jahre wurde ernsthaft über eine Umsetzung nachgedacht, bis sich Anfang der Siebzigerjahre die städtebaulichen Leitbilder wieder wandelten.
Freitzeitkapitän: So sah sich der Konzernlenker Vietor offenbar selbst gern - als Kapitän, der sein stolzes Schiff durch schweres Fahrwasser lenkt.
Entlastungsstadt München-Neuperlach: Die ersten Mieter zogen auf eine Großbaustelle. Jahrelang kamen die Kommunen nicht mit dem Bau der Infrastruktur hinterher. Wie später herauskam, verdiente der NH-Vorstand bereits kräftig an der Erschließung des Baulandes mit.
Modernes Wohnen: Die Neue Heimat bot vielen Mietern Hoffnung auf ein besseres Leben. Noch Anfang der Siebzigerjahre verließen Mieter gern die maroden Innenstädte, um in eine moderne Neubauwohnung der Neuen Heimat zu ziehen.
Genossen unter sich: Albert Vietor und DGB-Chef Heinz Oskar Vetter in glücklicheren Tagen. Wie tief die Gewerkschaften in die dunklen Machenschaften ihrer Konzernbosse verwickelt waren, konnte nie restlos geklärt werden.
Oval Office: Zog man die schweren Vorhänge auf, bot sich vom Sitzungsaal auf dem Dach der Hamburger Konzernzentrale ein atemberaubender Blick über die Stadt.
Verzweigtes Imperium: Allein zur gemeinnützigen Neue-Heimat-Gruppe gehörten 29 Tochterfirmen. Die Gleichschaltung in der Zeit des Nationalsozialismus erleichterte Konzernchef Plett später den Zusammenschluss der regionalen Gesellschaften.
Spekulationsrisiko: Die kommerzielle Gruppe des Neue-Heimat-Konzerns besaß Tochterfirmen auf der ganzen Welt. Devisenschwankungen sorgte für horrende Verluste.
Meinungsmacher: In Sachen Öffentlichkeitsarbeit war die Neue Heimat von Anfang an auf der Höhe der Zeit. Ihre Monatshefte genossen unter Architekten und Stadtplanern einen guten Ruf.
Luxus für Gemeinwirtschaftler: Ein Casino in Monte Carlo, Appartements in Paris - nachdem das Wachstum auf dem heimischen Markt abnahm, versuchte die Neue Heimat in profitable Auslandsprojekte zu investieren.
Zeitgeist: Beton galt lange als der Stoff, aus dem Architektenträume sind.
Auslöser: Am 8. Februar 1982 enthüllte DER SPIEGEL, wie sich der Neue-Heimat-Chef Vietor und seine Vorstandskollegen auf Kosten der Mieter und der Steuerzahler bereicherten. Der Titel löste einen Skandal aus.
Trauriger Höhepunkt: Für eine symbolische D-Mark versuchte der DGB sein marodes Wohnungsbauunternehmen an einen Berliner Bäcker zu verscherbeln. Öffentlichkeit und Gläubiger waren entsetzt, der Deal musste rückgängig gemacht werden.
Widerstand: Mitarbeiter der Neuen Heimat protestierten in Düsseldorf gegen die Pläne des DGB, erst den Wohnungsbestand und dann das gesamte Unternehmen zu verkaufen.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden