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Die neuen Postleitzahlen: High Five - Abklatsch mit Rolf

Foto: Ully Arndt

Einführung der neuen Postleitzahlen Die knallgelbe Nervensäge

Den Start ihrer fünfstelligen Postleitzahlen betrommelte die Post 1993 mit Rudi-Carrell-Shows und Werbespots. "Rolf", eine gelbe Hand, machte das Land kirre. Der Erfinder weiß: "Viele haben die Figur gehasst."

Pssssst. Es ging zwar nur um Zahlen, aber diese Operation war so geheim, dass sie den verschwörerischen Codenamen "Handy" trug. Sie sollte Deutschland revolutionieren und die veränderungsmuffeligen Deutschen umerziehen. An der Spitze dieser Revolution: der Hamburger Comic-Zeichner Ully Arndt.

Er brauchte nur Zettel, Stift und eine gute Idee. In ein paar Stunden entwarf Arndt 1992 eine knallgelbe, sprechende, rotzfreche Hand - anatomisch unmöglich: fünf Finger auf zwei Beinen. Der Zeigefinger ein zähnebleckendes Gesicht. Die Augen hinter einer fetten Sonnenbrille versteckt.

Fertig war "Rolf", der damals noch nicht Rolf hieß und von dem sein Schöpfer bis heute nicht weiß, warum gerade Rolf. Vier Buchstaben für eine Figur mit fünf Fingern, die immerzu "Fünf ist Trümpf" krakeelte und den Deutschen die neuen fünfstelligen Postleitzahlen beibringen sollte, die am 1. Juli 1993 eingeführt wurden.

Foto: Ully Arndt

"Diese Sonnenbrille, das war doch voll Neunziger", sagt Arndt 25 Jahre später in seinem Hamburger Studio und lacht. Hinter ihm grinst breit ein Rolf-Aufkleber auf einer Glastür. Ein "renitenter Rotzlöffel" sollte Rolf sein, sagt Arndt wie ein stolzer Vater. "Einer, der immer auf die Schnauze bekommt, trotzdem wieder aufsteht und das letzte Wort hat." In den Comic-Clips wurde Rolf ständig von einem schweren Buch mit den neuen Postleitzahlen erschlagen. Arndt glaubte damals, dass sich viele Bürger genauso fühlten: erschlagen von einer Reform, "auf die keiner Bock hatte".

Diese undeutsche Unordnung!

Für die Bundespost waren die neuen Postleitzahlen tatsächlich ein Albtraum, der am 9. November 1989 begann: Klar war es toll, dass die Mauer plötzlich weg war und sich Ost- und Westdeutsche heulend in den Armen lagen. Doch die Post litt danach unter einem speziellen Einheitskater: Was war das plötzlich für eine undeutsche Unordnung! Die Postleitzahlen, nicht mehr zu gebrauchen, weil das Land jetzt zu groß war und zwei PLZ-Systeme hatte. Die 5300 etwa: Gültig für Bonn im Westen, für Weimar im Osten. Nur eine von etwa 800 Dubletten.

So ging es nicht. Die Post startete die Umstellung mitsamt einer gigantischen Begleitkampagne. Denn zusätzlich zum riesigen Verwaltungsaufwand lösten neue Postleitzahlen fast Verlustängste aus: Wer trennt sich schon gern von den vier Zahlen, die einst auf dem ersten Liebesbrief prangten? Wer wollte eine Postleitzahl mit "0" am Anfang? Die Sachsen beschwerten sich darüber bitter, als die regionale Zuordnung der neuen Zahlen im Januar 1993 bekannt wurde: Warum sollten sie "die Nullen der Nation" sein?

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Die neuen Postleitzahlen: High Five - Abklatsch mit Rolf

Foto: Ully Arndt

Gegen solche Befindlichkeiten leistete sich die Post einen riesigen Werbefeldzug und plante dafür 80 Millionen Mark ein. Man heuerte beliebte Regisseure für PLZ-Werbespots: Loriot, Wolfgang Petersen, Helmut Dietl, Michael Verhoeven, Doris Dörrie, Hark Bohm, Carl Schenkel.

Fünf Nummern für Sex

Jede Zielgruppe wurde angesprochen. So triefte Petersens Film vor Pathos; unterlegt von Fanfarenmusik zeigte er deutsche Traumkulissen zu den neuen Zahlen. Dietl ließ einen jungen Mann von einer verführerischen Blondine (Veronica Ferres) träumen, die ihm ihre Postleitzahl zwecks erotischer Kontaktaufnahme zuhauchte. Am besten traf Michael Verhoeven die Gefühlslage: In seinem Spot tauchten die Zahlen auf wie Monster in einem Horrorstreifen - plötzlich und furchterregend (hier  die Videos).

"Ein Wahnsinn, was da alles gemacht wurde", sagt Stefan Transfeld, damals Briefträger in Köln. Die Postleitzahlen wirbelten auch sein Leben mächtig durcheinander. "Das war wie im Rausch", erinnert er sich im einestages-Gespräch. "Plötzlich bestellten die Leute extra Pakete, nur um mich zu treffen und ein Foto zu machen." Viele wollten Autogramme, auf der Straße drehten sich die Menschen nach Transfeld um. Einer sei dabei vor einen Laternenpfosten gerannt.

Warum? Weil Millionen TV-Zuschauer den Briefträger als Assistenten in Rudi Carrells Spielshow "Die Post geht ab" kannten. Dieser RTL-Zehnteiler, ein Aufguss von Carrells Erfolgsshow "Am laufenden Band", sollte die Deutschen im Frühling 1993 endlich für die neuen Postleitzahlen begeistern. Gedreht wurde in einer Kulissen-Fußgängerzone bei Hamburg. Natürlich stand die Postfiliale im Mittelpunkt. Und damit der fast klischeehaft gut gelaunte rheinische Postbote.

Kleine TV-Karriere als Carrells Witzbold

Carrell hatte ihn Jahre zuvor als Kandidaten seiner Kuppelshow "Herzblatt" kennengelernt. Da erzählte der Kölner, wie er mal angeranzt wurde, als ihm eine Sackkarre mit Paketen umfiel: "Seid ihr bei der Post alle so blöd?" Transfeld konterte: "Nee, ich bin bloß der Letzte, die anderen sind alle zur Polizei gegangen." Solchen Humor mochte Rudi Carrell und lobte "den Stefan" als "Naturtalent". Also bekam Transfeld zehn Wochen frei vom Briefeaustragen, auf Wunsch von Postchef Klaus Zumwinkel.

Arbeit hatte er dennoch genug: "Carrell war Perfektionist", sagt er. "Die Gags mussten sitzen, sonst ist er ausgetickt." So etwa bei einer Probe, als ein Komparse ein rohes Ei ins Gesicht geworfen bekam und loslachte, statt wie vorgesehen wütend wegzurennen.

Carrell, Transfeld

Carrell, Transfeld

Foto: Peter Bischoff/ Getty Images

Transfelds Schicksal war härter als zerschlagene Eier im Gesicht. Er musste alle neuen Postleitzahlen büffeln. Denn als Trostpreis bekamen die Verlierer der Sendung eine Reise in ein Postleitzahlen-Gebiet, das Carrell zufällig in dem neuen dicken Buch auswählte. Transfeld musste dann sofort wissen, zu welcher Region die Postleitzahl etwa gehört, und sie auf einer Deutschlandkarte zeigen.

Da passierte ihm sein größter Lapsus, der ihm immer noch etwas peinlich ist: Das PLZ-Gebiet liege "zwischen Jera und Gena", sagte Transfeld. Statt Jena und Gera. "Lampenfieber", erklärt er. "Natürlich kamen gleich Unmengen an Zuschriften: 'Wenn er das nicht mal weiß, soll der lieber den Beruf wechseln'."

Rolf als letzter Joker

Zunächst aber genoss er einen kurzen Ruhm. Transfeld war in die Fußstapfen des Hamburger Glückspostboten Walter Spahrbier getreten. Der hatte einst in den Sechzigern für die Einführung der vierstelligen Postleitzahlen geworben, in der Sendung "Vergißmeinnicht" mit Moderator Peter Frankenfeld. Mit seinen historischen Postuniformen wurde er später als Assistent von Wim Thoelke zum Publikumsliebling in "Der große Preis".

Trotz guter Quoten von "Ab geht die Post" und den Filmen von Loriot und Co. bangte die Post, viele Bürger könnten die Dringlichkeit der Reform noch immer nicht recht verstanden haben. Massenhaft falsch adressierte Briefe würden jährlich bis zu 50 Millionen Mark an Nachbearbeitung kosten, rechnete man aus. Als letzter Joker blieb: Rolf.

"Die Post wünschte sich einen Erkläronkel, der hinter einem dicken Schreibtisch saß und erzählte, wie das nun laufen würde mit den Zahlen", erinnert sich Zeichner Ully Arndt. "Das wäre furchtbar langweilig geworden." Also habe er einen "leicht anarchischen, ich-bezogenen Charakter" gezeichnet, passend zur verbreiteten Spaßmentalität der Zeit. Zumwinkel sei bei der Präsentation zwar "leicht irritiert" gewesen, "wie frech" die Figur war, gab aber grünes Licht.

Und so eroberte Rolf Deutschland. Rolf schmückte in den Wochen vor der Umstellung 29.000 Postautos und 140.000 Briefkästen. Es gab Rolf-Schlüsselanhänger, Krawatten, Drachen, Wasserbälle, Frisbees. Er hopste als Rapper, Zauberer und Inselurlauber über die TV-Bildschirme und fragte, ob auch "das stille Örtchen" eine neue PLZ brauche. Mit Schauspieler Rolf Zacher hatte die Post nicht nur einen Synchronsprecher mit dem passenden Vornamen gefunden. "Zacher war ja auch im wirklichen Leben so ein unangepasster Typ wie Rolf", so Arndt.

"Sehr auf die Zwölf und wenig feinsinnig"

Die Kampagne zündete. Rolf war einer Umfrage zufolge bald bekannter als der Bundeskanzler. Aufdringlich, omnipräsent, eine Heimsuchung - er polarisierte. Und brannte sich so in die Erinnerung der Deutschen.

"Viele haben ihn gehasst", sagt Arndt. "Das war natürlich alles sehr auf die Zwölf und wenig feinsinnig." Bei der Post wiederum gingen angeblich 20.000 Rolf-Fanbriefe ein. Bis heute bekommt auch Arndt Autogramm-Wünsche, die er mit einem kleinen Rolf unterzeichnet. Das Ausmaß des Hypes spürte er selbst damals erst, als er über den Hamburger Dom, einen Jahrmarkt, schlenderte: "Jede Bude vollgestopft mit Plüsch-Rolfs."

Auch Stefan Transfeld hatte lange einen riesigen Plüsch-Rolf in seinem Wohnzimmer, den seine Kinder kaputtritten. Doch vier Jahre nach der erfolgreichen PLZ-Umstellung hörte er bei der Post auf. Dem einstigen Vorzeigebriefträger war ein Kölner Problemviertel mit vielen Hochhäusern ohne Fahrstühle zugewiesen worden. Sein Rücken schmerzte, er kam mit der Lieferung oft nicht hinterher und wurde Omnibusfahrer.

Seinen Humor hat er behalten. "Früher musste ich Pakete schleppen, heute steigen die Pakete selber aus." Carrell hätte das gefallen. Dauergrinser Rolf sowieso.

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