Sein härtester Kritiker Niklas Frank über Niklas Frank

Wut auf den Massenmörder: Niklas Frank mit dem Foto des Leichnams seines Vaters Hans Frank, 1946 hingerichtet
Foto: mirrorpix / ullstein bildDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Wenn man nicht alles selbst macht... Exklusiv für den SPIEGEL bespricht Niklas Frank, Jahrgang 1939, im folgenden Beitrag sein eigenes Buch »Meine Familie und ihr Henker«. Nachdem der Autor und Journalist sich über Jahrzehnte mit obsessivem Furor an seinem Vater Hans Frank, NS-Generalgouverneur für Polen, abgearbeitet hat, knöpft Niklas Frank sich jetzt Niklas Frank vor: Im Zwiegespräch mit sich selbst beleuchtet der 82-Jährige die eigenen Schwächen. Und gelangt zugleich zu einem höchst ernüchternden Fazit, was die Beschaffenheit unserer Demokratie heute betrifft.
Den Autor von »Meine Familie und ihr Henker« kenne ich schon seit 82 Jahren. Höchst selten war ich mit dem zufrieden, was er in seinem Leben so getrieben hat. Wenn er nicht durch den Plan Gottes oder den Zufall des Nichts als Sohn des Massenmörders Hans Frank zur Welt gekommen wäre, hätte er nur seine zahllosen Feigheiten gelebt. So aber konnte er sich auf dem Ticket von Hitlers Generalgouverneur in Polen ausmären.
Dass er zum Beispiel ein hinreißendes Buch über Raubritter geschrieben hat oder »Dreizehn Liebesbriefe«, in dem ein bockiger Opa zusammen mit seiner plietschen 18-jährigen Enkelin noch einmal die zwölf großen Lieben seines Lebens besucht – es hat ihm nichts gebracht. Verbiestert hat er deshalb nach Jean Pauls überaus witzigem Buch »Katzenbergers Badereise« den jährlich mit 2000 Euro bestückten »Katzenberger Preis für das humorvollste Reisebuch« eintragen lassen. Überraschend war er der erste Preisträger! Mit dem Geld machte er sich und seiner Frau eine fröhliche Sause. Gekauft hat das Büchlein kaum einer, weswegen er Verwandte und Freunde dazu zwingen musste, um die Druckkosten zu begleichen.

Naziverbrecher Hans Frank: Der »Schlächter von Polen« und seine Familie
Privatarchiv Niklas Frank
»Wo ist nur der deutsche Humor hin?«, fragte er mich verzweifelt.
Ich musste ihm die Wahrheit sagen: »Schau dich doch an! Du bist längst aus der Zeit gefallen. Dein Vater nicht. Der lebt prallhodig gerade in der AfD!«
Allüberall diese verdruckste Ablehnung
Dieser Schreiberling wird nur durch den Tabubruch gegen seinen Vater wahrgenommen. Ringsum auf der Erde predigen die Gesellschaften, Eltern zu ehren, selbst wenn der Vater Öfen voller Leichen hinterlassen und die Mutter sich eiskalt an Raubgut bereichert hat.
Nur die Inuit, das will er mal gelesen haben, hätten bei Stammeskämpfen ihre Alten zwangsweise auf Schlitten gebunden und sie als lebende Schilde gegen den Feind vor sich hergeschoben. Das hätte er sich natürlich schwer verbeten!
»Obwohl«, kauzt er plötzlich, »auf einem Schlitten, geschoben von der einen Million Demokraten, die ich in Deutschland vermute, Gauland, Weidel, Meuthen, Chrupalla, Storch und Höcke vor mir her nach Afghanistan zu treiben, damit sie mal Flüchtling lernen, das hätte was!«
Seit seinem ersten Buch »Der Vater – eine Abrechnung« spürt er schon über 30 Jahre lang allüberall diese verdruckste Ablehnung. »Klar«, setzt er tückisch hinzu, »wer will schon gern an die eigene Familie erinnert werden, deren vergiftendes Schweigen zur Nazizeit sie selbst nie durchbrochen haben!«
Andererseits traf er viele wunderbare Menschen in vielen Ländern, die den Mut hatten, ihn einzuladen. Völlig verdrehter Höhepunkt war sicher das Erlebnis, in Toronto vor mehr als 4000 Juden zu sprechen. Als ihn sein Betreuer einen Tag später wieder zum Flughafen brachte, sagte er: »Niklas, wir Juden sind alle so abgefüllt mit Geschichten von unseren Auschwitz-Überlebenden, dass es wirklich eine Erholung war, endlich mal ein Täterkind bei uns gehabt zu haben.«
»Das Leben ist stärker!« murmelt er dazu und nickt kräftig mit dem Kahlkopf.
Was für ein krauses Hirn!
Jetzt beschreibt der Erholungsspender im »Henker«-Buch auf 282 Seiten die private Seite des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher: Wie ging denn die Familie Frank mit ihrem Oberhaupt um, das ab Ende 1945 beinahe ein Jahr lang auf der Anklagebank saß, dann zum Tode verurteilt und gehenkt wurde?
Verdientermaßen gehenkt, behauptet Niklas Frank, obwohl er sonst immer lärmt, er sei gegen die Todesstrafe. Aber seinem Vater würde er sie gönnen. Was für ein krauses Hirn!
Diese private Seite des Nürnberger Prozesses indes ist höchst interessant, zeigt sich doch in vielen Briefen, Dokumenten und Gesprächsprotokollen, dass weder bei Hans Frank noch seinen Kindern, weder bei seiner Mutter, seinem Vater noch den sonstigen Verwandten auch nur ein kleiner Funken betroffener Einsicht oder – bei Hans Frank und Ehefrau Brigitte – gar Reue aufscheinen will, entgegen allen Beweisen, die dem Internationalen Gerichtshof über die viehischen Verbrechen von Deutschen während der Nazizeit vorgelegt werden.
Eine Decke der Unehrlichkeit
Soweit Niklas Frank weiß, sei er der erste Nachkomme einer dieser Massenmörder, der diese private Seite schonungslos der Öffentlichkeit preisgibt. Bis jetzt hat er nur seine Eltern entlarvt, nun zieht er auch rücksichtslos die eigenen Geschwister und Großeltern vor sein Femegericht und verteidigt sich mit dem Hinweis: »Die sind doch alle längst tot!«
In manchmal bösartiger und höhnischer Weise zeigt er, dass schon damals, sozusagen im engsten Kreis rings um einen Massenmörder, jene deutsche Verdrängung begann, die uns heute Neonaziparteien beschert, uns wieder Juden auf offener Straße verprügeln lässt, uns aber vor allem daran hindert, Empathie zu empfinden und entsprechend zu handeln.
Zum Schluss unseres intimen Zusammenseins stülpt er mit seinen greisen Falten Betrübnis ins Gesicht und lässt zwischen schiefen Zähnen noch diesen Satz raus: »Über Deutschland hat sich seit 1933 eine Decke der Unehrlichkeit gelegt. Inzwischen ist sie bleiern schwer und erstickt das zarte Pflänzchen Demokratie.«