
Vor laufender Kamera: Tote Fische, zerquetschte Streifenhörnchen
Tierquälereien beim Filmdreh Tod vor laufender Kamera
Hm, lecker, heut gibt's Kakerlake! In der US-Horrorkomödie "Vampire's Kiss" krallt sich Nicolas Cage 1988 eine Küchenschabe vom verdreckten Gasherd, um sie vor laufenden Kameras gierig zu verschlingen. Das Krabbelvieh zappelt noch zwischen den Fingern, als er es sich in den Mund schiebt. Jeder Muskel in seinem Kauapparat, sagt der Hollywoodstar hinterher, habe sich dagegen gesträubt, das Insekt herunterzuwürgen. Dafür, dass er es dennoch tat, wurde Cage von seinen Fans gefeiert - lange bevor sich abgetakelte Promis auf den Weg zu Dschungelprüfungen machten. Die Szene erlangte Kultstatus und bewahrte den nicht eben erfolgreichen Film vor dem Vergessen. Tierschützer freilich waren von Cages kulinarischer Mutprobe weniger begeistert.
Die American Humane Association (AHA) hatte die Dreharbeiten zu "Vampire's Kiss" zwar nicht begleitet. Nachdem Nicolas Cage sich allerdings in den Medien damit rühmte, für die Aufnahmen gleich mehrere Kakerlaken verdrückt zu haben, bewertete sie den Film mit dem Prädikat "unacceptable", also als "inakzeptabel". Die AHA, ursprünglich als wohltätige Organisation zum Schutz von Kindern und Tieren gegründet, überwacht bereits seit den Vierzigerjahren sämtliche Filmproduktionen, um zu verhindern, dass dabei Tiere zu Schaden kommen. Auslöser war damals ein öffentlicher Aufschrei nach dem tödlichen Sturz eines Pferdes bei den Dreharbeiten zu Henry Kings Western "Jesse James - Mann ohne Gesetz": Das Tier war für einen besonders spektakulären Stunt mit verbundenen Augen über eine Klippe getrieben worden.
Um so etwas in Zukunft zu verhindern, sollten ehrenamtliche AHA-Mitarbeiter fortan die Dreharbeiten von US-Produktionen begleiten. Dies verhinderte allerdings nicht, dass es in der Folge trotzdem zu skandalträchtigen Vorfällen kam. Zumal Filmproduzenten nicht verpflichtet waren, AHA-Kontrolleure am Set zuzulassen.
Pferd gesprengt, Hühner geköpft
1980 war es abermals ein Western, der die US-Öffentlichkeit in Aufruhr versetzte. Bei den Dreharbeiten zu Michael Ciminos "Heaven's Gate" wurde ein Pferd versehentlich in die Luft gesprengt, mehrere Hühner wurden geköpft, Hahnenkämpfe inszeniert. Auch die berüchtigten Stolpervorrichtungen, mit denen Pferde vor laufenden Kameras zum Stürzen gebracht wurden, kamen zum Einsatz. Crewmitglieder berichteten, dass Rindern Wunden zugefügt wurden, damit ihr Blut für Filmaufnahmen verwendet werden konnte.

Vor laufender Kamera: Tote Fische, zerquetschte Streifenhörnchen
Die AHA war bei den Dreharbeiten nicht zugelassen worden, bewertete den Film aufgrund dieser Schilderungen aber als "unacceptable" und rief zum Boykott auf. Mit Erfolg, wie sich rasch zeigte. Trotz einer imposanten Starbesetzung mit Kris Kristofferson, Christopher Walken, Isabelle Huppert, Jeff Bridges und John Hurt geriet das Westernepos zum finanziellen Desaster.
Für die AHA markierte die Kontroverse um "Heaven's Gate" den entscheidenden Durchbruch. Als Reaktion auf die horrenden Tierschutzverletzungen autorisierten die US-Schauspielergewerkschaft und der Dachverband der US-Filmproduzenten die AHA vertraglich dazu, ihre Filmproduktionen zu überwachen. Alle Produzenten, die mit der Screen Actors Guild oder der Alliance of Motion Picture & Television Producers zusammenarbeiten, müssen seit Beginn der Achtzigerjahre auch mit der AHA kooperieren. Ausgenommen unabhängig produzierte Filme wie Robert Biermans "Vampire's Kiss" - oder solche, die außerhalb der USA entstanden. Für internationale Produktionen blieb die Zusammenarbeit freiwillig.
"No Animals Were Harmed", es wurden keine Tiere verletzt - der berühmte Satz im Abspann ist seit 2004 ein geschütztes Markenzeichen der US-Organisation. Es darf nur bei Filmproduktionen verwendet werden, die das Zertifikat "Monitored Outstanding" erhalten, weil sie die Tierschutzrichtlinien der AHA vollständig erfüllen. Aber kann man sich darauf auch wirklich verlassen?
Riskanter "Schiffbruch mit Tiger"
Im Fall von Peter Jacksons "Der Hobbit - Eine unerwartete Reise" (Neuseeland 2012) beispielsweise verhielt sich die AHA für den Geschmack vieler Tierschützer zu passiv. Obwohl auf der Farm, auf der die Filmtiere untergebracht waren, derart miserable Bedingungen herrschten, dass mindestens 27 Pferde, Ziegen, Schafe und Hühner ums Leben kamen, vermied es die AHA, die Tolkien-Verfilmung als "inakzeptabel" zu klassifizieren. Nach Rücksprache mit der Produktionsfirma New Line Cinema seien die Zustände verbessert worden, hieß es. Am Set selbst sei der Umgang mit den Tieren vorbildlich gewesen. Der Streifen erhielt das Rating "Monitored: Special Circumstances".
Ein im Dezember 2013 im Branchenmagazin "The Hollywood Reporter" veröffentlichter Artikel warf der AHA gar vor, Missstände zu kaschieren. Hintergrund war eine vertrauliche E-Mail, an die der Journalist Gary Baum gelangt war. Darin berichtet die AHA-Mitarbeiterin Gina Johnson einer Kollegin von einem Vorfall während der Dreharbeiten zu Ang Lee's Oscar-prämiertem Drama "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger". Eine Aufnahme, schreibt Johnson, sei völlig schiefgelaufen. King, der bengalische Tiger, habe im Wasser die Orientierung verloren und sei um ein Haar ertrunken.
Anstatt den Vorfall zu melden, spielte Johnson ihn herunter. Ihrer Kollegin schärfte sie ein, nur ja kein Wort darüber zu verlieren. "Life of Pi" kam mit dem begehrten Siegel "No Animals Were Harmed" in die Kinos. Wie sich später herausstellte, war Gina Johnson mit einem hochrangigen Mitglied des Filmproduktionsteams liiert. Die AHA hat die Zusammenarbeit mit Johnson mittlerweile beendet, die Zweifel an der Wirksamkeit ihrer Kontrollen aber sind geblieben.
Lebendigen Tintenfisch verspeist
Baum zählt im "Hollywood Reporter" eine Reihe von Unglücken auf, die passierten, obwohl AHA-Mitarbeiter vor Ort waren: tote Fische in Disneys "Fluch der Karibik" (2003), tote Pferde in der Fox-Produktion "Flicka" (2006), eine tote Giraffe in Frank Coracis Hollywoodkomödie "Der Zoowärter" (2011), ein zerquetschtes Streifenhörnchen, kranke Hunde.
Die Liste der Vorwürfe ist lang und wirft die Frage auf, inwieweit die AHA vor der Macht der Hollywoodstudios einknickt. Allerdings hatte keiner der genannten Filme das Zertifikat "No Animals Were Harmed" erhalten. Und so verführerisch die Vorstellung vom bösen Kommerzkino sein mag, auch in den Meisterwerken von John Ford ("Stagecoach"), Godard ("Weekend"), Tarkowski ("Andrej Rubljow"), Coppola ("Apocalypse Now") oder Lars von Trier ("Manderlay") erging es den Tieren oft nicht besser.
Einen besonders zynischen Beleg dafür lieferten Regisseur Chan-wook Park und Hauptdarsteller Min-sik Choi bei den Dreharbeiten zum vielfach preisgekrönten südkoreanischen Thriller "Oldboy" (2003), in dem Choi einen lebendigen Tintenfisch verspeist. Wobei "verspeisen" den Vorgang nicht wirklich wiedergibt. Choi, von dem es hieß, er sei gläubiger Buddhist und Vegetarier, zerfleischt den Oktopus, reißt ihn mit Zähnen und Händen in Stücke. Viermal musste die Szene gedreht werden. Bei einer der Aufnahme ist im Making-of zu sehen, wie jemand unter allgemeinem Gelächter Salz über den Tintenfisch streut. Einmal spricht Choi noch schnell ein Gebet, ein andermal entschuldigt er sich mit knappen Worten bei dem Tier, das sich in seiner Hand windet. Dann beißt er zu.