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Filmpsychopathen: "Man kann nicht die ganze Welt umbringen"

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Filmpsychopathen Die Irren von der Leinwand

Sie zersägen emotionslos ihre Opfer, sie verspeisen Menschenleber mit einem Lächeln: Filmpsychopathen quälen im Kino ihre Opfer fast ohne jede Regung und wirken, als sei die Welt ihnen egal. Das war nicht immer so.

Die Kamera fährt gemächlich durch ein New Yorker Luxusapartment, eine wunderschön entrückte Klaviermusik erklingt. Ein Mann duscht, er stellt sich dem Publikum als Patrick Bateman vor, setzt eine Gesichtsmaske auf und erledigt sein Morgentraining, 1000 Sit-ups. Währenddessen erzählt er nüchtern, wie es ihm so geht:

"Es gibt eine Vorstellung von einem Patrick Bateman, aber es gibt kein wahres Ich, nur eine Entität, etwas Illusorisches. Und obgleich ich meinen kalten Blick verbergen kann, wenn Sie meine Hand schütteln und Fleisch fühlen können, das Ihres ergreift, und Sie vielleicht sogar spüren können, dass unsere Lebensstile vergleichbar sind: Ich bin ganz einfach nicht da."

Patrick Bateman

Patrick Bateman

Foto: ddp images/ Concorde

Die völlige emotionale Leere ist der eine hervorstechende Wesenszug des Titelhelden aus Mary Harrons Film "American Psycho". Der andere ist eine eruptiv hervorbrechende Gewaltneigung. Konkurrenten des Investment-Bankers werden mit der Axt zerstückelt, Prostituierte mit der Kettensäge durchs Treppenhaus gejagt.

Mit dieser Verbindung von Gefühlskälte und Sadismus ist Patrick Bateman im Jahr 2000 in die Filmgeschichte eingegangen als einer der unheimlichsten Filmpsychopathen, die je auf der Leinwand zu sehen waren. Und ist damit in illustrer Gesellschaft.

Mitleidlose Mörder statt Horrorclowns

Im klassischen Hollywood-Kino waren die bösen Verrückten meist theatralisch gestikulierende Figuren, erkennbar am irren Blick und am diabolischen Lachen. Meist wollten sie die Welt beherrschen oder in entlegenen Labors irgendwelche abstrusen Experimente durchführten.

Dem modernen Filmpsychopathen hingegen ist die Welt eher gleichgültig. Es genügt ihm, sein direktes Umfeld mit Verheerungen zu überziehen.

Spätestens seit Alfred Hitchcocks "Psycho" von 1960 hat dieser Filmpsychopath Hochkonjunktur - denkwürdige Vorläufer wie den Auftragskiller Tommy Udo aus "Kiss of Death" (1947) oder den Menschenjäger aus "The Most Dangerous Game" (1932) nicht zu vergessen.

Der Ur-Psycho

Anthony Perkins etablierte als Norman Bates in "Psycho" den auf den ersten Blick emotional unterkühlten Serienmörder, der seine Krankheit mitleidslos an Mitmenschen - duschenden Frauen in diesem Fall - ausagiert. Von Bates führt eine direkte Linie zu Bateman: Die Filmgeschichte ist voll mit Figuren, unter deren bürgerlichen Fassade Wahnsinn und Mordlust gären.

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Filmpsychopathen: "Man kann nicht die ganze Welt umbringen"

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Zahllose populärwissenschaftliche Bestseller wie etwa Robert D. Hares "Gewissenlos. Die Psychopathen sind unter uns" haben dazu beigetragen, dass der im klinischen Diskurs sehr umstrittene Begriff "Psychopath" heute allgegenwärtig ist. Hare war es auch, der in den Siebzigern eine Checkliste zur Erkennung von Psychopathen erstellte, die auch unter Drehbuchautoren geläufig sein dürfte. Ausschlaggebend sind demnach unter anderem: krankhaftes Lügen, Manipulationsvermögen, Mitleidlosigkeit, Unfähigkeit zu tiefen Gefühlen. Und vor allem: fehlende Empathie.

Außerdem betonte Hare das sozial abweichende Verhalten. Psychopathen seien schnell gelangweilt und immer auf der Suche nach der nächsten Sensation. Sie seien typischerweise unbeherrscht, promiskuitiv, verantwortungslos und oft bereits früh straffällig geworden.

Alles wegballern

Wie hilfreich diese groben Kriterien bei der Diagnose auch sein mögen - auf den Leinwänden verbreiten solche Charaktere Angst und Schrecken. Der moderne Filmpsychopath erscheint dabei in zwei Varianten: als rabiater Triebmensch, der nur seinen eigenen Interessen nachgeht. Ihn verkörpert etwa der Mafioso Tony Montana in Brian De Palmas "Scarface"-Remake. Montana, angetrieben von einem pathologischen Narzissmus, ballert alles weg, was seinen Interessen im Weg steht.

Der zweite Typus ist der eines kühl berechnenden Charismatikers, der unaufhaltsam und rücksichtslos seinem Ziel entgegenstrebt. Ein Hannibal Lecter etwa in "Das Schweigen der Lämmer". Der kannibalische Psychoanalytiker Lecter hat wahrscheinlich mehr zur Überhöhung und Dämonisierung der Psychopathie beigetragen als jede andere Filmfigur.

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Der Filmpsychopath ist somit eine tendenziell mythische Leinwandfigur geworden. Mit der Wirklichkeit hat er nicht zwangsläufig viel zu tun. Anders als in der Realität tragen Filmpsychopathen seit Norman Bates häufig psychotische Züge und leiden unter temporärem Realitätsverlust. Der größte Unterschied aber: Nur die allerwenigsten Menschen mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung werden tatsächlich zu Mördern.

Psychopathen als erfolgreiche Firmenlenker

Stattdessen gehen überdurchschnittlich viele in die Wirtschaft, und sind dort oft sehr erfolgreich. In den Chefetagen soll, so legen es Forscher nahe, der Anteil an Menschen mit einer psychopathischen Persönlichkeit signifikant höher sein als im Bevölkerungsdurchschnitt.

Die britische Psychologin Belinda Board nennt diese Menschen die "erfolgreichen Psychopathen". Zusammen mit einer Kollegin hat Board 2005 die Wesenszüge von 39 britischen Firmenchefs mit denen von mehr als tausend Insassen der berühmten Hochsicherheitsklinik Broadmoor verglichen. Demnach übertrafen die Firmenlenker die verhaltensgestörten Kriminellen sogar in einigen der Eigenschaften, die Psychopathen zugeschrieben werden: So würden sie etwa noch mitleidsloser, manipulativer und herrischer auftreten.

"Attraktive, intelligente, gebildete Psychopathen, die in einer wohlhabenden Familie groß geworden sind, rauben keine Bank aus, sie werden Bankenvorstand", behauptete schon Robert B. Hare. Und doch ist der Zusammenhang zwischen beruflichem Erfolg und einer psychischen Erkrankung stark umstritten. Psychopathen in Chefetagen, so sagte etwa der Neurobiologe Niels Birbaumer, seien zwar "nicht gewalttätig" - richteten aber dennoch einen "immensen Schaden" für die Gesellschaft an.

Böses Zerrbild

Richard S. Fuld etwa leitete einst Lehman Brothers, jene Pleitebank, die 2008 spektakulär die Finanzkrise mitverantwortete. Für manche Forscher ist der Manager, Spitzname Gorilla, der Prototyp eines Psychopathen. Widersachern drohte er in internen Firmenvideos, er werde ihnen das Herz herausreißen und es dann verspeisen.

Die Psychopathen aus der Wirklichkeit sind also nicht zwangsläufig erfolgreich - aber entsprechen eben auch nur selten dem Zerrbild aus dem Kino. Das haben die Psychologen Samuel J. Leistedt und Paul Linkowski belegt, die 127 Filme gesichtet haben, in denen die Bösewichte psychopathische Züge aufweisen.

Die Forscher fanden nur wenige Filmfiguren, die sie aus psychologischer Sicht als wirklichkeitsnah einschätzten. Der stoische Serienmörder Anton Chigurh aus "No Country for Old Men" gehörte dazu, der eine Münze über das Schicksal seiner Opfer entscheiden lässt. Realistisch seien vor allem jene Filme, in denen die psychopathischen Figuren verletzbar sind, urteilten die Experten. Fritz Langs "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" etwa sei so ein Film: ein frühes Beispiel für die Darstellung eines Kindermörders, die wenig Karikaturhaftes habe.

Ungeachtet aller Bedenken hat der Filmpsychopath nichts von seiner Faszination eingebüßt. einestages erinnert daher an die 30 denkwürdigsten Psychopathen der Filmgeschichte - vom mordenden Mädchen aus "Böse Saat" über die maskierte Killermaschine aus "Halloween" bis hin zu Dexter Morgan, dem vielleicht sympathischsten unter all den Bösewichten.

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