
Schulen für die künftige Elite: Steingewordener Größenwahnsinn
NS-Ordensburgen Relikte des Wahns
Als die US-amerikanischen Truppen am 4. Februar 1945 die Burg in der Eifel besetzten, bot sich ihnen ein trostloses Bild. Der Eingang: zerstört. Der Kommandantentrakt: zerbombt. Das riesige Haupthaus samt Speisesaal: verwüstet. Die Burg Vogelsang, die die GIs an diesem Tag kampflos übernahmen, lag teilweise in Trümmern und wirkte so gar nicht mehr mythisch. "Kein Supermann stolzierte in der Burg Vogelsang umher", schrieb das "Time"-Magazin später. Es klang nach einer Mischung aus Spott und Überraschung.
Es war ein gigantischer Komplex, der den alliierten Truppen da in die Hände fiel. 50.000 Quadratmeter umfassten allein die Gebäudeflächen: Ein Gemeinschaftshaus mit Speisesaal und einem 42 Meter hohen Turm, dazu Sportanlagen, Turnhalle und Unterkünfte für Tausende Menschen - in Hanglage, direkt an der Urfttalsperre. Die "Ordensburg Vogelsang" war ein in Beton gegossener Ausdruck von Ideologie und Größenwahn, gedacht als Kaderschmiede der NSDAP und "Fundament für die Ewigkeit", wie es Robert Ley, der Initiator, 1934 beim ersten Spatenstich genannt hatte.
Doch im Februar 1945 war die Ewigkeit schon vorbei und das große Prestigeprojekt nationalsozialistischer Architektur dem Untergang geweiht. Nach dem Willen der US-Amerikaner sollte die Festung gesprengt werden. Die Steine, so ein Vorschlag der alliierten Kontrollkommission, könnte man für den Wiederaufbau der Uni Bonn verwenden und die Möbel für Aachener Schulen. Doch weil Vogelsang in der britischen Besatzungszone lag, entschieden nicht die USA - Vogelsang wurde zum Zentrum eines britischen Truppenübungsplatzes. Dort, wo noch wenige Jahre zuvor die zukünftige Nazi-Elite Sport getrieben hatte, übten nun britische Soldaten.
Der Traum - zerstört, bevor er begonnen hatte
Es ist eine von vielen Wendungen in der Geschichte der "Ordensburg Vogelsang", die Anfang der dreißiger Jahre mitten in der Eifel gebaut und jahrzehntelang von der Außenwelt abgeschottet wurde - erst durch die Nationalsozialisten, dann durch die Besatzer. So war sehr lange sehr wenig bekannt über das System der sogenannten "Ordensburgen", von denen es im "Dritten Reich" insgesamt drei gab. Der Autor Franz Albert Heinen hat jetzt in seinem Buch "NS-Ordensburgen" die Historie und die Nachkriegsnutzung der Schulungszentren Vogelsang, Krössinsee in Pommern und Sonthofen im Allgäu umfassend rekonstruiert. Es ist die Geschichte eines gigantischen Scheiterns.

Schulen für die künftige Elite: Steingewordener Größenwahnsinn
Die Burgen wurden nur halb fertig, die meisten der monumentalen Bauten kamen nur auf dem Papier zustande. Der Kriegsbeginn 1939 zerstörte den Traum von den nationalsozialistischen Denkfabriken, noch bevor er richtig begonnen hatte. Heinen zeigt auch, wie hektisch die Protzprojekte aus dem Boden gestampft wurden, die eigentlich 1000 Jahre stehen sollten.
Im März 1934 hatte es in Vogelsang den ersten Spatenstich gegeben, im September wurde der Grundstein gelegt und im Dezember bereits Richtfest gefeiert. Nach neun Monaten standen Hauptgebäude, Unterkünfte - und der Auftrag: "Wir bauen ein Fundament, das ewig sein wird. Für dieses Werk sollen hier Männer erzogen werden, keine Theologen, aber Führer und Prediger und Schwärmer für das deutsche Volk", sagte Robert Ley anlässlich eines Besuches auf der Burgen-Baustelle. Ley, Führer der Deutschen Arbeitsfront und "Reichsorganisationsleiter" der NSDAP, hatte die Schulungszentren initiiert. Das Ziel des obersten Parteilschulungsbeauftragten: "Hier wird der neue Adel Deutschlands gezüchtet."
Eine Mark Taschengeld
Doch der erste, 500 Mann starke Lehrgang, der in Fächern wie "Rassenlehre", "Weltanschauung und Philosophie" oder "Wehrwissenschaft" gebildet werden sollte, rückte 1936 in Vogelsang auf einer Baustelle ein. Die Sporthalle fehlte noch, ebenso das Schwimmbad. So überstürzt hatte die Ordensburg ihren Betrieb aufnehmen müssen, dass selbst das Führungspersonal der Burg in einem Schnellverfahren zusammengecastet worden war. Das Hauptkriterium für die Eignung als Lehrkraft sei denn auch nicht die wissenschaftliche Qualität gewesen, schreibt Franz Albert Heinen. "Sie mussten stramme 'Vorzeige-Nazis' sein. Ihre Arbeitsgebiete waren die Herzen der Lehrgangsteilnehmer, nicht deren Köpfe." Vorzeige-Nazis sollten auch aus den Unterrichteten, den "Ordensjunkern", werden, nachdem sie alle drei Ordensburgen nacheinander durchlaufen hatten.
Der Tagesablauf für die Männer sah in allen drei Burgen etwa gleich aus. In einem Brief an den Historiker Hartmut Happel schilderte der "Ordensjunker" Günter T. stellvertretend einen Tag in Krössinsee.
6 Uhr Wecken und Frühsport, Morgentoilette, Stubendienst. 7 Uhr: Flaggenparade. 7.15 Uhr: Frühstück im Speisesaal. Ab 8 Uhr sei die Tagespresse zusammengefasst und über das Weltgeschehen diskutiert worden. 10 Uhr: Vorlesung im Hörsaal. 12.15 Uhr Tagesbefehlsausgabe. 13 Uhr: Mittagessen. 14.30 bis 17 Uhr: Sport. 17.30 Uhr: Arbeitszeit im Kameradenkreis. Nacharbeiten und Pflege der Uniform. 22 Uhr: Nachtruhe. Das Taschengeld betrug eine Mark täglich, es wurde alle zehn Tage ausgezahlt.
"Ordensjunker" als Kriegsverbrecher
Das Konzept sah vor allem eine geistige Formung der Lehrgangsteilnehmer vor, "lebendige Werkzeuge des Führers" wolle man schaffen, so Ley. Doch in Vogelsang stellte der Burgkommandant Richard Mandelbach vor allem den militärisch-sportlichen körperlichen Drill in den Mittelpunkt - so sehr, dass es 1939 zu einer Revolte kam. Die "Junker" beschwerten sich direkt bei Ley über das Brutalo-Regiment Mandelbachs. Dieser wurde umgehend durch Hans Dietel ersetzt.
Die Junker, die bei ihrer Bewerbung einen "arischen Abstammungsnachweis" erbringen mussten, stammten zumeist aus einfachen Verhältnissen. Durch ihren Aufenthalt in einer der Ordensburgen erhofften sich die Männer Aufstiegschancen in der Partei. Und genau diese wurden ihnen auch durch Ley versprochen. Bei der Sichtung der ersten Lehrgangskandidaten für Vogelsang sagte er: "Tatsache ist, dass wir Ihnen die Tore zu den höchsten Stellungen in Partei und im Staate öffnen. Der einfachste Mann aus dem Volke [...] hat die Möglichkeit, innerhalb der Partei, im Staate [...] die wichtigsten Posten zu erringen."
Die Praxis, so schreibt Heinen, habe allerdings anders ausgesehen: Offenbar keiner der Lehrgangsteilnehmer habe es "zu mehr als einer Festanstellung in der unteren Parteihierarchie" gebracht. Gleichwohl: Viele der "Junker", die laut Heinen "zu den skrupellosesten und fanatischsten" Führern gerechnet wurden, kamen in den Reichskommissariaten "Ukraine" und "Ostland" in der Zivilverwaltung zum Einsatz und beteiligten sich an Kriegsverbrechen. Insofern lasse sich, so schreibt Professor Hans-Ulrich Thaler vom Historischen Seminar der Wilhelms-Universität Münster, "Vogelsang, ebenso wie die beiden anderen Ordensburgen, als Täter-Ort identifizieren". Nach Kriegsbeginn wurden die "Junker" entlassen und Vogelsang bis 1945 von der Wehrmacht als Truppenquartier genutzt.
Panzerketten auf Äckern
In der Eifel hatte die Ordensburg Vogelsang während der Nazizeit immer die Aura des Geheimnisvollen umgeben. Das änderte sich auch nach Kriegsende nicht. Das Gelände wurde von den Briten umgehend zu militärischem Sperrgebiet erklärt, insgesamt wurde ein 42 Quadratkilometer großes Gebiet rund um die Ordensburg beschlagnahmt. In Wollseifen erfuhren die 500 Einwohner Mitte August, dass ihr Dorf ab dem 1. September 1945 Teil des Truppenübungsplatz sein würde - und dass sie ihre Heimat sofort verlassen mussten.

Franz Albert Heinen:
NS-Ordensburgen
Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee.
Ch. Links Verlag; 368 Seiten.
Buch bei Amazon Franz Albert Heinen: "NS-Ordensburgen"1950 wurde Vogelsang von den Briten an die belgische Armee übergeben. Diese nutzten die Anlage 55 Jahre lang, rekonstruierten einen Teil, bauten ein Kino und benannten die Kaserne nach dem Kriegshelden André van Dooren. Das Verhältnis zwischen Anwohnern und neuen Burgherren sei jedoch jahrzehntelang gespannt gewesen, schreibt Franz Albert Heinen. Die Belgier beschlagnahmten weitere Gebiete und verwüsteten auch mal Äcker mit ihren Panzerketten. Für die Öffentlichkeit blieb Vogelsang verbotenes Gebiet.
Ganz ähnlich erging es nach dem Krieg den beiden anderen sogenannten "Ordensburgen". In der Anlage Krössinsee wurden zunächst russische Offiziere geschult, bevor sie später jahrzehntelang die Heimat polnischer Panzertruppen wurde - und auch von den Armeen des Warschauer Paktes genutzt wurde. In Sonthofen im Allgäu schließlich richtete die US-Armee zunächst eine Schule für Hilfspolizisten ein. 1955 übernahm der Bund das Gelände. 1956 fand in der ehemaligen Schulungsstätte für die Nazi-Eliten der allererste Lehrgang der Bundeswehr statt.