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Von "Horten" bis "Spirit": Die Geisterbomber

Nurflügler Hitlers Traum vom Tarnbomber

Kein Rumpf, kein Leitwerk - trotzdem hebt er ab: Für Hitler entwickelten zwei deutsche Brüder den ersten Nurflügel-Kampfjet. Die absurde Konstruktion war der Beginn der Stealth-Technologie: Eine Kohlestaubbeschichtung machte die Horten IX für das Radar unsichtbar.
Von Ulrich Jaeger

Beim Anflug auf einen Flugplatz nahe Oranienburg kam es zur Katastrophe. Am 18. Februar 1945 quittierte eines der beiden Triebwerke des zweistrahligen Jägers "Horten IX" den Dienst. Noch ehe Testpilot Erwin Ziller die rettende Piste erreichen konnte, prallte der Jet auf den Boden und überschlug sich; Ziller starb in den Trümmern.

Mit dem Crash nahe Oranienburg zerschellten knapp drei Monate vor der Kapitulation des Hitler-Reiches die geflügelten Höhenträume der Brüder Reimar und Walter Horten. Von Segelflugmodellen, die sie 1928 als Schüler in Bonn fertigten, bis zu den Entwürfen, welche sie als Luftwaffenoffiziere gegen Ende des "Dritten Reiches" verwirklichten, arbeiteten die beiden besessenen Flugzeugkonstrukteure an dem nach ihrer Einschätzung perfekten Flugzeug: dem rumpf- und leitwerklosen Nurflüger.

Die Brüder erprobten erfolgreiche Segel- und Motorflugzeuge - und bauten mit der Horten IX den ersten und einzigen Nurflügel-Kampfjet der Luftfahrtgeschichte. Sie träumten von rumpflosen Passagiermaschinen für den Transatlantikdienst und entwarfen einen überschallschnellen Tragflächen-Jet. Dessen Piloten sollten, um sie vor den Belastungen durch Beschleunigung im Kurvenflug und Flughöhen von mehr als 12.000 Metern zu schützen, in einem mit Wasser gefüllten Cockpit sitzen.

Nurflügel-Bomber mit Kurs New York

Für Hitlers Luftwaffenchef, Reichsmarschall Hermann Göring, entwickelten die Horten-Brüder das Konzept für einen sechsstrahligen Nurflügel-Fernbomber. Der sollte mit seiner Bombenlast New York terrorisieren und den verlorenen Krieg vielleicht doch noch wenden. Am 1. April 1945, fünf Wochen vor Kriegsende, so Görings aberwitzige Vorgabe, sollte der Bau des Bombers in Kahla bei Weimar beginnen.

Kein Luftfahrtpionier des vergangenen Jahrhunderts, so urteilen Experten, trug so viel zur Entwicklung von Nurflüglern bei wie die unermüdlich werkelnden Brüder aus Bonn. Überzeugt, dass die Aerodynamik von Tragflügelkonstruktionen konventionellen Flugzeugen mit ihren Bauelementen Rumpf, Tragflächen und Leitwerk weit überlegen sei, entwarfen und entwickelten sie mehr als zwei Dutzend Nurflügler.

Tatsächlich bietet dieses Konzept erhebliche Vorteile. Während bei herkömmlichen Flugzeugen bestenfalls 50 Prozent der Oberfläche zum Auftrieb beitragen, können es bei Nurflüglern über 90 Prozent sein. Die Treibstoffersparnisse der Nurflügelkonstruktionen gegenüber Rumpfflugzeugen liegen nach Schätzungen von Aerodynamikern zwischen 10 und 25 Prozent.

Trouble beim Trudeln

Doch diese erwünschten Effekte haben eine weniger schöne Kehrseite. Denn je nach Entwurf neigen Nurflügler zu instabilem Flugverhalten. Verliert ein herkömmliches Flugzeug etwa in Turbulenzen an Höhe, so nimmt das sinkende Flugzeug höhere Geschwindigkeit auf. Die Tragflächen erzeugen mehr Auftrieb. Im aerodynamischen Wechselspiel mit dem Leitwerk findet das Flugzeug eigenständig in einen stabilen Horizontalflug zurück.

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Nurflüglern fehlt diese Eigenstabilität gewöhnlich. Prinzipiell sei es möglich, sie durch geschickte Konstruktion stabil zu machen, so der Hamburger Aerodynamiker Hartmut Zingel. Praktisch aber sind jetgetriebene Nurflügler von den Ausmaßen moderner Passagierjets nur mit dem Computer als Copiloten zu fliegen. So wie moderne Militärjets, deren Bordrechner die Fluglage fortwährend korrigieren und sie damit für Piloten erst beherrschbar machen.

So brachte es bis heute nur ein einziger Nurflügel-Jet zur Einsatzreife. Das ebenfalls mit Computerhilfe gelenkte amerikanische Tarnkappenflugzeug B-2 "Spirit". Der Langstreckenbomber der U.S. AirForce absolvierte 1989 seinen Erstflug. Seine Besonderheit, für Radargeräte nahezu unsichtbar zu sein, verdankt der fliegende "Geist" auch seiner Nurflügelform - eine Eigenschaft, deren militärischer Nutzen bereits die Brüder Horten umtrieb.

Cockpit mit Flügeln

Als die Anfang der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts im elterlichen Schlafzimmer an ihrem ersten Segelflugzeug werkelten, hatten die Schüler allerdings nur die Aerodynamik des ungewöhnlichen Fliegers im Sinn. Der bestand aus nicht mehr als zwei Flügeln und einer kleinen Kabine, die den Piloten bäuchlings liegend aufnehmen sollte.

Im Juli 1933 hob ihre "Horten I" auf dem Flugplatz von Bonn/Hangelar zum Erstflug ab. Beschleunigt wurde das ungewöhnlichste Segelflugzeug seiner Zeit von einem Gummiseil, das es hinreichend antrieb, um eben zwei bis drei Meter über dem Boden zwischen 50 Metern und 100 Metern weit zu schweben.

Im Schlepp von Autos erreichten die Hortens in ihrem Segler Höhen von 30 Meter, sie flogen erstmals leichte Kurven und vermochten dabei das gesamte Flugfeld zu überqueren. Die Flüge, notierte Reimar, dienten ihm und dem Bruder "zur Schulung" auf dem ungewöhnlichen Fluggerät. Sie absolvierten auch erste Starts im Schlepp von Flugzeugen und arbeiteten an der Optimierung ihrer Steuerhilfen.

Hanna Reitsch war zu leicht

Die Entwicklung schritt so rasch voran, dass die H I bereits im Juni 1934 eine amtliche Zulassung erlangte und damit an einem Großflugtag in Bonn/Hangelar teilnehmen durfte. Im Wettbewerb mit herkömmlichen Segelflugzeugen bewies der Nurflüger seine ausgezeichneten Flugeigenschaften und gewann einen Konstruktionspreis von 600 Reichsmark.

Der H I folgte 1935 die H II. Für den Selbststart mit einem 20-PS-Motor ausgestattet, trieb eine am Heck installierte Luftschraube den "Habicht" getauften Flieger an. Damit brachten die Brüder den ersten motorgetriebenen Nurflügler in die Luft und schufen zugleich eine Klasse von Flugzeugen, die später als Motorsegler bezeichnet wurden.

Als die deutsche Flugpionierin Hanna Reitsch 1938 einen mit 60-PS-Motor versehenen Habicht flog, übte sie Kritik. Ihre Arme seien zu kurz, um an den Fahrwerkhebel zu gelangen. Vor allem aber, monierte die Pilotin, reagiere "die H II übertrieben und unfreundlich, wenn die Steuerbewegungen unkoordiniert vorgenommen werden". Das überraschte Konstrukteur Reimar Horten nicht, denn die Pilotin sei einfach zu leicht gewesen: "H. Reitsch", nannte er die Gründe für das unfreundliche Flugverhalten, "unterschritt das Pilotengewicht erheblich, so dass sie stark rücklastig flog."

"Jumos" für das Sonderkommando IX

Noch im selben Jahr, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, erprobten die Hortens mit der "Horten V" einen zweimotorigen Nachfolger ihrer H II. Die H V war gleichsam der propellergetriebene Vorgänger des einzigen je gebauten Nurflügel-Kampfjets, der "Horten IX". Sowohl Walter als auch Reimar waren zu diesem Zeitpunkt bereits Offiziere der Reichsluftwaffe, beide zu Jagdfliegern ausgebildet.

Ende August 1943 bestellte Reichsmarschall Göring die Brüder ein. Sie sollten mit den von der Firma Junkers zu entwickelnden leistungsstarken Strahltriebwerken Jumo 004 einen "1000-1000-1000"-Jagdbomber entwickeln: Ein Kampfflugzeug, das 1000 Kilogramm Bombenlast bei einer Geschwindigkeit von 1000 Kilometern pro Stunde über eine Strecke von 1000 Kilometern zu tragen vermochte.

Unter der Bezeichnung "Sonderkommando IX" begann in Göttingen die Entwicklung der "Horten IX", die auch als Ho 229 bezeichnet wurde. Dabei dachten die Konstrukteure nach Aussagen von Reimar Horten auch an die Radareigenschaften des Fliegers. Die sind bei Nurflügern schon deshalb günstiger als bei herkömmlichen Flugzeugen, weil besonders das Leitwerk Radarstrahlen eine große Reflexionsfläche bietet - ein Flugzeug, dem die Heckflosse fehlt, ist schlechter zu orten.

Kohlestaub + Leim = Unsichtbar

Doch Reimar wollte nach eigenem Bekunden mehr: Eine mit Kohlenstaub vermischte Leimschicht sollte Radarstrahlen absorbieren und das Kampflugzeug so für das Radar der Briten und Amerikaner nahezu unsichtbar machen. Tatsächlich schafften es die Amerikaner Jahrzehnte später, ihren eigenen Geisterbomber durch besondere Oberflächenbeschichtungen sowie die Anordnung der Triebwerke und ihrer Abgasauslässe, nahezu unsichtbar für Radar zu machen.

Auch an einen Schleudersitz für den Piloten dachten die Horten-Brüder bereits. Auch hier kommt die Form ihrer Konstruktion der Technik entgegen. Während herkömmliche, mit Heckleitwerk bewehrte Kampfjets, Schleudersitze benötigen, die Sitz und Pilot mit Treibladungen in eine Höhe schießen, die Schutz vor dem aufragenden Leitwerk gewährleistet, reichte bei der Ho 229 eine simple Lösung.

Der Sitz wurde mit Stahlfedern aus seiner Verankerung im Cockpit geschleudert, ein Schleppfallschirm sollte sodann den Piloten aus der Luftnot retten. Warum Erwin Ziller es an dem verhängnisvollen Februartag nicht schaffte, den rettenden Sitz zu betätigen, blieb wohl auch Reimar Horten ein Rätsel.

Trotz der missglückten Testflüge hinterließ der Horten IX seine Spuren in der Luftfahrtgeschichte. Auf ihrem Vormarsch nach Berlin entdeckten die US-Soldaten in den letzten Kriegsmonaten an den verschiedenen Produktionsstätten und Testflüggeländen Teile der Ho IX. So wurde in Friedrichsroda ein fertig gestelltes Rumpfmittelteil samt Triebwerken erbeutet, andernorts sollen fast fertige Tragflächen gefunden wurden sein.

Alle Fundstücke wurden von den Amerikanern sofort in die USA zu Untersuchungen verschifft. Denn dort wurde beim Flugzeugbauer Northrop bereits ebenfalls seit den vierziger Jahren am Nurflügelkonzept geforscht. Anfang der fünfziger Jahre konnte der mit seinem XB-35 Nurflügler erfolgreiche Testflüge absolvieren, deren Erkenntnisse letztendlich wohl in der Entwicklung des Northrop B-2-Tarnkappenbomber mündeten. Damit trägt das einzige Nurflügel-Düsenflugzeug, das es je zur Serienreife brachte, auch heute noch das Erbe der Gebrüder Horten.

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