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Oscar-Verleihungen: Von Boxern, Schweinchen und Pinguinen

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Oscar-Fehlentscheidungen Der Preis ist dreist

Angelina Jolie bekommt einen Oscar, Alfred Hitchcock nicht? "Rocky" siegt, "Taxi Driver" geht leer aus? Eigentlich sollen bei den Academy Awards die besten Filme des Jahres geehrt werden - aber warum irrt die Jury so oft? einestages zeigt die krassesten Fehlentscheidungen in der Geschichte der Oscars.

Für den durchschnittlichen Filmfreak bedeutet die jährliche Oscar-Verleihung vor allem Stress. Man kann sich noch so oft vornehmen, früh ins Bett zu gehen, um die Ergebnisse entspannt am nächsten Morgen aus dem Radio zu erfahren - am Ende klebt man doch wieder die ganze Sonntagnacht vor dem Fernseher. Und natürlich wird man sich wieder einreden, die ganze Geschichte diesmal nicht so ernst zu nehmen - um dann einmal mehr den Glauben an die Menschheit zu verlieren, weil der Lieblingsfilm mal wieder verloren hat. Höchstwahrscheinlich gegen die schlimmste Gurke von allen Nominierten.

Jetzt nur nicht wütend werden. Auftritt kleiner Engel mit Harfe, linke Schulter: "Respektiere die Entscheidung der Academy, das sind mehr als 6000 Kinoexperten, die haben schon viele großartige Filme ausgezeichnet. Dein Geschmack ist auch nicht das Maß aller Dinge." Stimmt. Durchatmen.

Teufel mit Dreizack, rechte Schulter: "Academy? Ein Haufen alter, weißer Männer, mit mehr Sinn für Kommerz als Kunst. Die schachern die Preise doch eh nur ihren besten Kumpels zu." Hm.

Letzte Rettung Ehrenoscar

Gut möglich, dass der kleine Teufel verdächtig so aussieht wie Orson Welles. Denn der legendäre Regisseur und Schauspieler war 1942 Opfer dessen, was heute als eine der größten Fehlentscheidungen der ehrwürdigen Academy of Motion Picture Arts and Sciences gilt: Denn Welles' brillantes Großwerk "Citizen Kane", auf vielen Kritiker- und Fanlisten immer noch der beste Film aller Zeiten, verlor den Oscar damals an John Fords episches, aber ziemlich sentimentales Familiendrama "How Green Was My Valley". Neunmal nominiert gewann "Citizen Kane" nur in einer Kategorie. Er erhielt den Oscar für das beste Originaldrehbuch. Als Welles den Preis entgegennahm, empfing ihn die Menge im Biltmore Hotel in Los Angeles auch noch mit einem Buh-Konzert, um ihn wissen zu lassen, dass schon ein einziger Preis eigentlich zu viel für ihn war.

Warum so wenig Liebe für ein Meisterwerk?

Das dürfte an William Randolph Hearst gelegen haben, dem damals mächtigsten aller Verleger und Medien-Tycoons, an dessen Leben "Citizen Kane" nicht gerade subtil und noch weniger schmeichelhaft angelehnt war. Nachdem es Hearst vorher nicht gelungen war, den Kinostart zu verhindern, dürfte er zumindest seinen Einfluss auf die wegen schlechter Presse besorgte Academy geltend gemacht haben. Welles wurde nie wieder für einen Oscar nominiert. Erst 1971 bekam die Academy ein schlechtes Gewissen und Welles wenigstens einen Ehrenoscar.

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Ehrenoscars sind überhaupt ein beliebtes Mittel der Academy, um sich für frühere Fehler oder blanke Ignoranz zu entschuldigen. 1970 bekam ihn etwa Cary Grant, nachdem er in seiner langen Schauspielkarriere gerade zweimal nominiert worden war und beide Male leer ausging. Der große Alfred Hitchcock durfte 1968 einen Ehrenpreis mit nach Hause nehmen, ausdrücklich allerdings für seine Lebensleistung als Produzent, nicht als Regisseur. Vorher war er fünfmal für die beste Regie vorgeschlagen, ohne ein einziges Mal zu gewinnen. Der vielleicht großartigste Hitchcock-Film "Vertigo" war 1959 für den besten Film nicht einmal nominiert. Stattdessen gewann das klebrige Musical "Gigi".

Besser nie als spät?

Wenn man noch keinen Ehrenoscar vergeben will, es aber trotzdem langsam peinlich wird, dass ein bestimmter Künstler so lange leer ausgegangen ist? Dann vergibt die Academy auch gern echte Oscars, die eher als späte Wiedergutmachung und nicht für die Leistung in einem besonderen Film zu verstehen sind. Anders ist die Auszeichnung für Al Pacino als bester Hauptdarsteller im Jahr 1993 nicht zu erklären. Nicht dass er als blinder Colonel in Martin Brests "Der Duft der Frauen" irgendetwas falsch gemacht hätte. Nur war Denzel Washington in "Malcolm X" einfach besser. Pacino hatte damals allerdings schon sechs erfolglose Nominierungen hinter sich und Washington immerhin bereits einen Nebendarstellerpreis in der Tasche.

Dass Kate Winslet im vergangenen Jahr für ihre Rolle in "Der Vorleser" ausgezeichnet wurde und nicht der deutlich spannendere Auftritt von Anne Hathaway in "Rachels Hochzeit", dürfte damit zusammenhängen, dass Winslet vorher fünfmal leer ausgegangen war und Hathaway noch als Neuling galt. Manchmal ist man eben einfach dran. Ob jemand besser war, ist dann nicht so wichtig.

Manchmal erweist sich eine Entscheidung auch erst ein bisschen später als ziemlich fragwürdig. Wenn man sich heute vorstellt, dass 1977 tatsächlich die mitreißende, aber eher kitschige Boxer-Story "Rocky" gegen Martin Scorseses "Taxi Driver" oder Howard Gottfrieds "Network" gewonnen hat, überfällt einen natürlich das Kopfschütteln. Damals galt der Film mit Sylvester Stallone aber nahezu uneingeschränkt als Meisterwerk.

Die Oscar-Verschwörungen

In anderen Fällen werden auch mal Verschwörungstheorien bemüht, um das Unfassbare zu erklären. Eine lautet: Weil der größte Block der Academy-Mitglieder aus Schauspielern besteht, werden als beste Regisseure gerne frühere, verdiente Darsteller ausgezeichnet. Wenn jetzt jemand heftig nickt, ist das vielleicht Martin Scorsese. 1981 verlor er mit dem unerreichten "Wie ein wilder Stier" gegen Robert Redfords "Eine ganz normale Familie". 1991 mit "Good Fellas" gegen Kevin Costners "Der mit dem Wolf tanzt". 2005 mit "Aviator" gegen "Million Dollar Baby" von Clint Eastwood.

Auch dass bei den Darstellerinnen in den meisten Fällen eine junge, hübsche und fast immer weiße Interpretin gewinnt, lässt sich so erklären - mit dem Mitglieder-Überschuss an eher betagten, weißen Männern. Was auch ein Hinweis darauf sein könnte, warum bei den Preisen für die Herren stattdessen die älteren Kollegen regelmäßig die jungen Schönlinge schlagen.

Oder sind manchmal noch sinisterere Kräfte im Spiel? Als 2006 der große Favorit "Brokeback Mountain" gegen Paul Haggis' schlicht gestricktes Rassismusdrama "L.A. Crash" verlor, ließ sich "Brokeback"-Autorin Annie Proulx danach in einem wütenden Brandbrief zu der Andeutung hinreißen, dass da vielleicht die Scientology-Sekte ihre Finger im Spiel haben könnte, in der Haggis seinerzeit noch aktiv war.

Doch am Ende bringt alles Lamentieren nichts. Man wird sich doch wieder die Nacht um die Ohren schlagen, um die Verleihung zu sehen. Man wird sich wieder ärgern. Und man wird wieder Verschwörungen wittern. Sonst würde es doch auch keinen Spaß machen.

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