
Entdeckung des Ozonlochs: Angst vor der Sonne
Entdeckung des Ozonlochs "Loch im Himmel"
Das Ende schien nahe. Den "letzten Akt für das Leben auf diesem Planeten", verkündete 1992 die Greenpeace-Expertin Karen Lohr. "Es ist noch viel schlimmer, als wir angenommen haben", warnte Michael Kurylo von der Nasa etwa zur gleichen Zeit. Horrormeldungen aus dem südlichen Chile schreckten Anfang der Neunzigerjahre die Menschen auf: Schafe erblindeten dort auf ihren Weiden, Lachse verloren gar unter Wasser ihr Augenlicht, Bäume trieben bizarre Knospen.
Eine unsichtbare Gefahr aus dem All bedrohte diese Weltregion: ultraviolette Strahlen, die ungehindert durch eine Öffnung in der schützenden Ozonschicht in der Stratosphäre die Erdoberfläche erreichten. Ozonloch taufte die Wissenschaft das Phänomen, das die Menschheit mit Hautkrebs und Grauem Star gefährdete.
Diese Bedrohung wuchs und wuchs - bald sollte sich das Ozonloch auch auf der nördlichen Halbkugel ausbreiten. "Mit Millionen von zusätzlichen Toten", rechnete bereits das Worldwatch Institute in Washington D.C.
Eilig verteilten die Behörden Sonnenbrillen und Hüte mit breiten Krempen an die Hirten im Süden Südamerikas. In Deutschland ergingen Warnungen an sonnenhungrige Wintersportler, nicht zu lange auf den Hotelterrassen herumzuliegen: "Weg vom sonnengegerbten Luis Trenker, hin zum blassen Japaner", empfahl Ekkehart Ulmrich, Direktor des Deutschen Skiverbandes.
"Loch im Himmel"
Erst am 16. Mai 1985 hatte die Menschheit von der tödlichen Bedrohung erfahren. An diesem Tag veröffentlichten die britischen Wissenschaftler Joe Farman, Brian Gardiner und Jonathan Shanklin in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Nature" eine brisante Studie, in der sie die umstrittene Existenz des Ozonlochs bewiesen. Monatelang hatten die Forscher dafür in der eisigen Kälte der Antarktis ausgeharrt. An der Halley Research Station des "British Antarctic Survey" schwankten die Temperaturen zwischen minus 10 und minus 50 Grad Celsius. Ihre Ausdauer sollte sich allerdings auszahlen: Die Ergebnisse ihrer Forschungsmission bewahrten die Welt vor einer Katastrophe.
Verantwortlich für den bedrohlichen Abbau der Ozonschicht in etwa 30 Kilometer Höhe waren Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Thomas Midgley, dem Erfinder dieser Wundermittel, hätte diese Entdeckung wahrscheinlich das Herz gebrochen. Die von ihm kreierten chemischen Verbindungen mit dem Kürzel FCKW waren weder gesundheitsschädlich noch entflammbar und ermöglichten 1930 eine technische Revolution: billige und sichere Kühlschränke.

Entdeckung des Ozonlochs: Angst vor der Sonne
Dass seine Erfindung, die zunehmend auch als Treibgas für Spraydosen eingesetzt wurde, sämtliches Leben auf der Erde in Gefahr brachte, ahnte niemand - aufgestiegen in die Stratosphäre zerstörte das im FCKW gebundene Chlor die Ozonmoleküle. Bereits 1974 hatten die Forscher Mario J. Molina und Frank Sherwood Rowland auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Weder die Öffentlichkeit noch die Medien nahmen diese Entdeckung damals allerdings ernst. "Abbau der Ozonschicht durch Fluorkohlenstoffe?", rätselte beispielsweise die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" 1975.
Auch als Farman, Gardiner und Shanklin zehn Jahre später den gewaltigen Schaden in der Atmosphäre in Form des Ozonlochs dokumentierten, dauerte es wiederum fast ein Jahr, bis diese Bedrohung in den deutschen Medien angekommen war. 1986 machte schließlich auch die "Bild" in ihrer unnachahmlichen Weise auf das Problem aufmerksam: "Loch im Himmel durch Spraydosen". Plötzlich war Midgleys Erfindung der Inbegriff der Umweltkatastrophe.
Blind in der Landschaft
Einmal in den Medien angekommen, grassierte die Angst vor Missernten, Augenschäden und Hautkrebs. In den Neunzigerjahren warnte das australische Gesundheitsministerium mit einem passenden Slogan: "Between eleven and three, slip under a tree", zu Deutsch: "Verkriech dich zwischen 11 und 15 Uhr unter einem Baum." 1990 machten die Grünen die Ozonschicht zum Thema im Bundestagswahlkampf: "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter. Ozonloch. Smog. Treibhauseffekt. Saurer Regen", lautete der Spruch auf Wahlplakaten.
Währenddessen schockten weitere Horrorgeschichten aus Chile die Welt. Jäger konnten dort rund 300 Hasen einfach in der Landschaft einsammeln - die Tiere saßen orientierungslos im Grasland und litten am Grauen Star, wie der SPIEGEL 1992 berichtete .
Die globale Panik vor dem unsichtbaren Strahlentod aus dem All zeigte Wirkung. 1987 unterzeichneten 46 Staaten das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, bis heute haben 197 Länder das Abkommen ratifiziert. FCKW ist seitdem aus Kühlschränken und Spraydosen verschwunden - das Ozonloch schließt sich langsam, aber sicher wieder.
Einer seiner Entdecker, Jonathan Shanklin, meint, dass die Menschheit eine Lehre ziehen sollte: "Unsere Ergebnisse haben gezeigt, wie schnell wir unserer Atmosphäre schaden können und wie wichtig es ist, die Umwelt über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Unsere Ergebnisse bewiesen auch, wie schnell politische Lösungen parat stehen können."
Doch wie würde die Welt heute aussehen, wenn Shanklin und seine Kollegen das Ozonloch niemals entdeckt hätten? "Dann hätten wir heute wohl eine geschädigte Ozonschicht über dem gesamten Planeten. Viel mehr Menschen würden an Hautkrebs und Grauem Star leiden. Selbst der Klimawandel wäre extremer", erklärte der britische Meteorologe SPIEGEL ONLINE. Er kann diesem Horrorszenario zynisch etwas Positives abgewinnen: "Der Temperaturanstieg wäre dann immerhin so offensichtlich, dass es heute sehr schwer wäre, dagegen zu argumentieren."