
Deutsch-deutscher Päckchenverkehr: Von hüben nach drüben
Zeitzeugen gesucht Päckchen nach drüben
"Wir waren ganz überrascht, aber natürlich auch hocherfreut, über all die herrlichen Dinge, die da zum Vorschein kamen." So bedankte sich Familie Wendt 1979 bei ihren Verwandten in Aachen für das eben erhaltene Weihnachtspaket. Gleichzeitig räumte Frau Wendt jedoch ein: "Doch eines muß ich dazu noch bemerken: So teure Sachen wie die Bluse solltet Ihr nicht für mich kaufen; denn wir können uns in unseren DDR-Verhältnissen in keiner Weise revanchieren." Um der Tante die Sorgen zu nehmen, erwiderten die Verwandten aus der Bundesrepublik: "[Du] brauchst dir keinerlei Gedanken zu machen bezüglich 'revanchieren'. Für uns sind das doch nur Kleinigkeiten im Verhältnis zum Einkommen."
So wie Familie Wendt aus Aachen schickten Millionen Bürger Pakete von West nach Ost. Der Slogan "Dein Päckchen nach drüben" rief die Bürger im Westen regelmäßig dazu auf, ihren "armen Brüdern und Schwestern" im Osten Deutschlands Päckchen und Pakete zu schicken. Und das taten sie auch. Wer erinnert sich nicht an die große Freude, die die Westpakete ins Haus brachten? Vor allem die unverwechselbare Duftmischung aus Kaffee und Kakao, aus Seife und Schokolade, aus Orangen und Puddingpulver, die beim Öffnen den ganzen Raum erfüllte, ist vielen Paketempfängern noch präsent. Doch auch die Menschen in der DDR schickten oft und regelmäßig Päckchen und Pakete an ihre Verwandten und Bekannten in der Bundesrepublik.
Die Geschenkpaketverordnung
Bereits kurz nach der Freigabe des Päckchen- und Paketversands im Sommer 1949 nutzten die Menschen hüben wie drüben die Chance zum Verschicken. Drei Jahre nach Kriegsende stand vor allem die gegenseitige Unterstützung im Mittelpunkt. Doch schon bald entwickelte sich bei den Bürgern in der Bundesrepublik das Gefühl, im "besseren Deutschland" zu leben, und damit auch eine Art Verantwortungsbewusstsein für die in der "Zone" Lebenden, waren sie in der Bundesrepublik doch bis vor Kurzem selbst noch Empfänger der sogenannten Care-Pakete gewesen.
Die Konsummöglichkeiten und damit auch der Inhalt der Pakete wurden zu einem Gradmesser der verschiedenen Systeme. Damit die Sogwirkung des "goldenen Westens" nicht allzu groß wurde, erließ die DDR-Führung 1954 die sogenannte Verordnung über den Geschenkpaket- und -päckchenverkehr auf dem Postwege mit Westdeutschland, Westberlin und dem Ausland, kurz Geschenkpaketverordnung (GVO). Sie reglementierte bis ins Detail die Höchstmengen der Waren und Produkte, die in die DDR geschickt werden durften. Aus ihr stammte auch der Vermerk "Geschenksendung, keine Handelsware", der fortan auf die Pakete geschrieben werden musste.
Was man sich allerdings schenkte - dafür gab es keine Regeln. Die konkreten Inhalte, die sich in Ost- und Westpaketen befanden, sind kaum dokumentiert. Ebenso wie die Beweggründe, sich gerade für das eine oder das andere zu entscheiden. Blieben die einmal gewählten Gegenstände in den Geschenksendungen über die Jahre gleich oder veränderte sich die Zusammensetzung, je nachdem worüber sich die Tante im Westen oder der Bruder aus dem Osten freute? Familie Wendt schickte neben Kaffee und Kakao vor allem Konserven mit Mandarinen, Pfirsichen und Champignons gen Osten. Die Freude hierüber war in Dresden besonders groß. Aus dem Osten erhielten sie vor allem Bücher, Kalender und selbstgefertigte Kunstartikel.
Berüchtigter Zoll
Für die Paketversender in der DDR stellte sich oft die Frage nach einem adäquaten Gegengeschenk. Besonders über den Inhalt der sogenannten Ostpakete scheint heute kaum noch jemand Genaueres zu wissen. Die DDR-Führung ihrerseits war nicht nur um die Anziehungskraft, die die Waren des Westens ausstrahlten, besorgt. Sie befürchtete, in den Päckchen, die das Land verließen, könnten sich Produkte befinden, die mit harten Devisen mühevoll eingeführt worden waren.
Doch nicht nur die Frage des Inhalts beschäftigte die Menschen dies- und jenseits der Grenze. Sondern auch die, ob die Sendung den beabsichtigten Empfänger überhaupt erreichte: Der Zoll der DDR war berüchtigt für seine willkürliche Auslegung der Zollbestimmungen, sodass der Akt des Schenkens oftmals mit der Sorge um ebendiese Geschenksendungen verbunden war. Nicht selten wurden aus Westpaketen Kaffee und Kakao entwendet oder Löcher in Fischdosen gestochen. Doch wie gingen Versender und Empfänger konkret mit der Kontrolle durch die Post, den Zoll und die Staatssicherheit um? Unzufriedenheit schien es auf beiden Seiten der Grenze zu geben. Um den Verbleib von Paketen zu erfragen, wandte sich Familie Wendt mehrfach mit Eingaben an die zuständigen Stellen der Bundesrepublik und der DDR.
Obwohl ähnlich wie Familie Wendt viele Menschen den Paketverkehr nutzten, um ihren Verwandten und Bekannten eine Freude zu machen, ist über diesen Teil des Alltags in Ost- und Westdeutschland bisher wenig bekannt. Doch gerade diese Alltäglichkeiten sind es, die uns die Zeit der deutschen Teilung verständlicher erscheinen lassen. Erst die gemeinsame Perspektive der Versender und Empfänger in West- und Ostdeutschland trägt zu einem vollständigen Bild über den Päckchen und Paketverkehr bei.
Die Autorin Konstanze Soch promoviert an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zur Geschichte des deutsch-deutschen Päckchen- und Paketverkehrs und würde sich freuen, wenn Sie als Interviewpartner oder Interviewpartnerin bereit wären, über Ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit Ost- und Westpaketen zu sprechen oder eventuell sogar noch im Besitz von Fotos sind, die die Ankunft oder das Versenden von Päckchen sowie Paketen dokumentieren.
Bitte melden Sie sich unter: Konstanze.Soch@googlemail.com