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"Pardon"-Erfinder Nikel: Nackte Brüste gegen Arschkriecher

Foto: Bärmeier & Nikel

"Pardon"-Erfinder Nikel "Was für eine unsagbar spießige Zeit!"

Als Teenager kritisierte er den NS-Staat, später geißelte er DDR-Zwang und BRD-Muff: Satiriker Johannes Nikel hat alle Facetten deutscher Politik aufs Korn genommen. Im Februar 2015 wurde er 85 - und noch immer ist er mit dem Teufel im Bund. Besuch bei Deutschlands oberstem Piesacker.

LSD-Junkie war er mal. Und "Bild"-Verkäufer, Tarzan und Arzt, der eine barbusige Schönheit auf den Schultern trug. Verkleidet im Dienste des legendären Satiremagazins "Pardon", das als Markenzeichen den Teufel trug, der freundlich grüßend seine Melone lupft.

Ebenso charmant, aber ohne Melone, grüßt nun Johannes Nikel, "Pardon"-Erfinder, Philosoph und Künstler. Der alte Herr führt durch seine Bad Homburger Wohnung, ein geduckter Flachbau am Rande der Kurstadt mit all ihren hochgeschossigen Villen.

Innen entpuppt sich der unscheinbare Bau als bewohntes Museum. Kaum ein Raum, der nicht vollgestopft wäre mit mystischen Bildern und Bronzeskulpturen voller Widersprüche und Abgründe: Finger sind da zu sehen, die Kanonenrohren ähneln. Sisyphos, der statt eines Felsens seinen riesigen Kopf den Berg hochrollt.

Surrend drehen sich einige Skulpturen motorgetrieben im Kreis, weil ihre Rückseiten das Gegenteil von dem erzählen, was auf der Vorderseite zu sehen ist. Als Adorno- und Horkheimer-Schüler liebt Nikel diese Dialektik. Vielleicht auch, weil seine eigene Biografie von solch einem krassen Bruch geprägt ist: In "zwei Leben" teilt er sie manchmal auf.

Ungekannte Bissigkeit

Im ersten Leben nannte er sich Hans A. Nikel, schrieb mit 19 Jahren Leitartikel für die "Frankfurter Rundschau" und wurde mit 24 jüngster Verlagsgründer der Bundesrepublik. Mit "Pardon" brachte er eine ungekannte Bissigkeit in die muffige Adenauer-Ära. Größen wie Loriot, Erich Kästner, Alice Schwarzer und Martin Walser arbeiteten für das Magazin, frech gegen Springer-Presse und den Atomstaat wetternd.

Sein zweites Leben begann 1980 nach seinem Rückzug von "Pardon". Fortan nannte er sich wieder Johannes Nikel, ging mit 50 ein zweites Mal an die Uni, und promovierte über den Mystiker Meister Eckhart. Eher unbemerkt schuf er mehr als hundert Bilder und Skulpturen. Fast täglich arbeitet er an neuen Werken, zudem plant er, ein Museum zu gründen. "Phantasie-Arche" soll es heißen und "ein Gegenentwurf für unsere übertechnisierten Welt" sein. Ein aktueller Bildband bewirbt das Projekt, ein Grundstück in Bad Homburg ist bereits gefunden - doch derzeit fehlt es noch an zusätzlichen Geldgebern.

Heute wird Johannes Nikel 85. Das mag alt klingen. Aber nachdem er fünf Stunden rastlos aus seinem Leben erzählt hat, stellt sich die Frage: Wie hat der Mann all das in nur acht Jahrzehnten geschafft?

FDJ-Trauermarsch

Politisch engagiert war er schon als Teenager, als er mitten im Krieg eine satirische, nicht linientreue Schülerzeitung gründete - und sie der Zensur der Schulleitung entzog, indem er sie diskret per Post verbreitete. Auch in der nächsten Diktatur machte Nikel sich keine Freunde: 1947 animierte er in Erfurt Mitschüler dazu, einen FDJ-Marsch am 1. Mai als Trauermarsch zu verulken: Mit gesenktem Kopf krochen die Schüler im Schneckentempo über den Appellplatz. "Ich dachte, die FDJ sei eine freie deutsche Jugend", rechtfertigt sich der Aufrührer später. "Wie kann man uns dann befehlen, wie wir zu marschieren haben?"

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Foto: Bärmeier & Nikel

SED-Funktionäre packten den 17-Jährigen am Kragen. "Sie schrien mich an und sagten, dass ich in diesem Staat nichts mehr werden würde." Er packte seine Schultasche und floh heimlich über die Grenze zu Verwandten nach Wiesbaden. Was er dabei mitnahm, war eine tiefe Abneigung gegen jede Autoritätsgläubigkeit.

Jahre später schuf er eine Skulptur, die einen Menschen zeigt, der blind einer Fahne hinterherläuft - ohne zu merken, dass sie völlig unnatürlich in die falsche Richtung weht. Sie steht heute wie ein Mahnmal in seinem Wohnzimmer.

"Das ist mir nicht bösartig genug!"

Auch in der Bundesrepublik blieb Nikel ein politischer Störenfried: Er gründete 1951 mit seinem Journalisten-Kollegen Erich Bärmeier die "Deutsche Verbrauchervereinigung" - lange, bevor es Verbraucherschutzzentralen gab. Er war einer der Mitbegründer der Bewegung der Kriegsdienstverweigerer und half französischen Deserteuren des Algerienkrieges, heimlich in Naturfreundehäusern im Taunus unterzukommen.

Wenn Nikel heute davon erzählt, lächelt er oft fast schüchtern, um sich im nächsten Moment über politische Missstände zu empören. Zynismus mochte er dennoch nie, sondern eher feinen, hintersinnigen Humor. So hielt er es mit dem Teufel im "Pardon"-Logo, der für die Frechheiten im Heft entschuldigend den Hut hob. Sieht er sich als Gentleman-Satiriker? Nikel schüttelt energisch den Kopf. "Nein, das ist mir nicht bösartig genug!" Keine Altersmilde. "Pfui, schämen Sie sich!" Bloß nicht harmlos wirken.

Sein größtes Talent aber war seine Beharrlichkeit. Nur eine Schreibmaschine und 600 Mark zur Hand? Kein Problem! Nikel gründete mit Erich Bärmeier 1954 trotzdem einen eigenen Verlag. Der junge Verleger trampte aus Geldmangel durch das Land, um Händler von seinen Büchern zu überzeugen. Und er ging fantasievolle Wege, etwa indem er sechs mal sieben Zentimeter kleine "Schmunzelbücher" druckte. Mit einem sicheren Gespür für Talente ließ er hier damals völlig unbekannte Cartoonisten wie Hans Traxler oder Chlodwig Poth ihre ersten Zeichnungen veröffentlichen. Die Minis hingen in Kneipen und Buchläden und verkauften sich bald hunderttausendfach.

Wallraff als Napalm-Fabrikant

Der Erfolg lieferte das Grundkapital zur "Pardon"-Gründung 1962. Und wieder landete Nikel mit seiner Beharrlichkeit einen Coup. Er wollte unbedingt Erich Kästner für das erste Heft gewinnen. Also fuhr er nach München und recherchierte mit der Akribie eines Stalkers, welche Cafés Kästner aufsuchte. Nach ein paar Tagen hatte er ihn. "Er war äußerst unfreundlich", erinnert sich Nikel. "Ich habe dann gesagt: 'Herr Kästner, ich habe mir Sie wirklich anders vorgestellt!'" Sympathischer. "Dann erzählte ich ihm, wie ich im Krieg heimlich einen Band von 'Emil und die Detektive' rettete, den die Nazis eigentlich verbrennen wollten."

Kästner war berührt und sagte zu. Damit hat Nikel einen ersten Prominenten, mit dem es ihm künftig leichter fiel, andere Autoren zu locken. Zudem zündete schon die erste "Pardon"-Ausgabe mit einem harmlosen Cartoon, der Menschen sekttrinkend und feiernd in einer S-Bahn zeigte. Der "Volkswartbund", katholischer Sittenwächter aus Köln, versuchte erfolglos, das Heft verbieten zu lassen. "Was war das nur für eine unsagbar spießige Zeit", sagt Nikel empört. "Die läppischsten Sachen wurden als staatsgefährdend eingestuft!"

Die Aufregung zeigte: Er hatte einen Nerv getroffen. Und seine Autoren wagten immer giftigere Aktionen: Während des Vietnamkriegs buddelten sie in Landsberg heimlich ein Grab für US-Präsident Nixon - inmitten der Gräber hingerichteter NS-Kriegsverbrecher. Günter Wallraff tarnte sich als Napalm-Fabrikant, ging in den Beichtstuhl - und erfuhr, dass er keine Gewissensbisse haben müsse. Nikel stellte sogar seine Ex-Kollegen von der "Frankfurter Rundschau" bloß. Die Zeitung druckte eine Horror-Reportage über vermeintliche LSD-Exzesse, dabei war auf der inszenierten Party nur Zucker konsumiert worden. "Fünf Jahre haben sie nicht mit uns gesprochen", sagt Nikel lachend.

Dem Teufel treu

Derartiges ließ die Auflage von anfangs 5000 auf bis zu 320.000 hochschnellen. 18-mal wurde "Pardon" allein von Franz-Josef Strauß verklagt. Der größte Ärger aber kam aus den eigenen Reihen. Nikel kritisierte die angeblich zunehmenden Eitelkeiten einiger Autoren, warnte vor effekthascherischem Krawall-Humor und forderte mehr Selbstreflexion. Einige Mitarbeiter klagten, ihr Chef sei zu esoterisch geworden und habe als Verleger und Chefredakteur zu viel Macht. 1979 gründeten "Pardon"-Autoren die "Titanic". "Ein schwerer Schlag" gibt Nikel zu, der die "Titanic" bis heute oft "zu derb" findet. Ein Jahr später verließ er "Pardon".

Dem Teufel blieb er trotzdem treu. Gleich sein erstes Werk als Künstler beschäftigte sich mit ihm. "Schattenengel" heißt die janusköpfige Skulptur, vorne die Weisheit der Welt verkörpernd, hinten diabolisch grinsend. Die Vorlage aus Ton geriet zu groß, das Gesicht des Teufels brach zusammen, nach Wochen der Arbeit.

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Mit alter Beharrlichkeit rettete Nikel dem Teufel das Antlitz und fuhr die Skulptur im Schritttempo durch halb Deutschland zu einer Spezial-Gießerei. Nun steht sie im Souterrain, ganz in der Nähe eines gekreuzigten Jesus mit Stierkopf und des kleinen Kellerraums, in dem alle alten "Pardon"-Ausgaben lagern.

"Na, verstehen wir uns?", ruft Nikel dem Teufel zu. Dann klopft er ihm schelmisch lächelnd auf die große, kupferne Nase.

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