
Pink Floyds "The Wall": Ganz grobes Kino
Pink Floyds "The Wall" Ganz grobes Kino
Ein Mann sitzt in einem Hotelzimmer, ausgelaugt und mit Drogen vollgepumpt. Er heißt Pink, er ist Rockstar und angenehm betäubt. Die Welt da draußen verschwindet hinter einer inneren Mauer, die er selbst gebaut hat. Eine Zigarette versengt ihm die Finger, und im Flackerlicht des Fernsehers zieht sein Leben an ihm vorbei: Sein Vater, der im Krieg gefallen ist, die erdrückende Umarmung der Mutter, die zynischen Lehrer, seine Ehefrau - alles Steine, die zur Mauer wurden, alle "just another brick in the wall". Mit einem Schrei schlägt er mit einer Axt auf den Fernseher ein, dann wirft er ihn aus dem Fenster. Und hört auf, ein Mensch zu sein.
Der Rockstar ist Bob Geldof, und die Szene ist ein Schlüsselmoment im Film "The Wall", in dem der Sänger der "Boomtown Rats" die Hauptrolle spielt - einem Drama um den Jungen Pink, der sich immer mehr von der Außenwelt isoliert und schließlich zum Monster wird, zum Führer einer faschistischen Bewegung gegen alles andere, gegen alle anderen. "The Wall" ist ein Kinofilm, in dem kaum gesprochen wird, ein überlanges Musikvideo zum gleichnamigen Konzeptalbum von Pink Floyd. Und das ist Anfang der achtziger Jahre mehr als nur eine Schallplatte: Die Gefühle einer ganzen Generation finden damals in den Worten und der Musik des Pink-Floyd-Komponisten Roger Waters Ausdruck.
Der Song "We Don't Need No Education" ist die Hymne aller Schüler, die sich durch den Fleischwolf eines Schulsystems gedreht fühlen, das sie klein macht statt groß. Wer in der Pubertät steckt und darum kämpft, nicht mehr Kind sein zu müssen, hört sich im Song "Mother" mit seiner eigenen Mutter reden. Er kennt Pinks Ängste und Aggressionen und den Wunsch, allem den Rücken zu kehren. Das Album zeigt die dunkle Seite der Achtziger und die Wunden der Heranwachsenden, die zur selben Zeit zu "Ich will Spaß" und verschossen in "Sommersprossen" um die Diskokugel tanzen.
"Wenn du nicht lachst, spiele ich mit"
Dass der Film zu "The Wall" überhaupt fertig wurde, ist ein Wunder. Und als er fertig ist, war alles vorbei. Pink Floyd hatten "The Wall" bereits theatralisch als Bühnenshow aufgeführt, der Film soll das Drama in noch eindrücklicheren Bildern auf die Leinwand bringen. Dieses Triptychon hatte Roger Waters von Anfang an geplant, und er hat das Sagen: "The Wall" ist angelehnt an seine Biografie, er gibt in der Band inzwischen den Ton an, Pink Floyd droht zum Soloprojekt mit Begleitmusikern zu werden. Nun also der Film: Ein Konzertfilm mit erzählenden Zwischensequenzen soll es werden, und selbstverständlich geht Waters davon aus, dass er darin die Hauptrolle spielen wird. Er liest Bücher über das Drehbuchschreiben und verfasst mit dem "The Wall"-Zeichner Gerald Scarfe ein 35-seitiges Script - doch die Plattenfirma lehnt es ab.
Ein anderer soll den Film machen: Regisseur Alan Parker, bekannt durch den Musikfilm "Fame" und "Midnight Express". Und ein anderer soll Pink spielen: der Musiker Bob Geldof. Roger Waters ist entsetzt. Und Geldof hasst bereits das Drehbuch. Auf einer Taxifahrt sagt er zu seinem Manager: "Ich schlage jetzt irgendeine Seite auf und lese sie dir vor. Wenn du nicht lachst, spiele ich in dem Film mit." Obwohl beide lachen, lässt er sich dennoch überzeugen, Pink zu spielen. Als er Roger Waters zum ersten Mal begegnet, beschwert sich der als erstes, dass sich Geldof über eine Story lustig gemacht habe. "Woher weißt du das?", fragt Geldof überrascht. "Der Taxifahrer war mein Bruder", sagt Waters. Seitdem hassen sich die beiden mit Wonne - spätestens seit Geldof Waters Texte öffentlich als "linke Schaumschlägereien eines vom sozialen Gewissen geplagten Millionärs" bezeichnet hatte und Waters selbst als "aufgeblasenen alten Hut".
Noch mehr Zwist gibt es mit dem Regisseur Alan Parker. Der will keinen Konzertfilm machen sondern Kino. Mit einem anderen Drehbuch. Der Streit darüber eskaliert so sehr, dass er den Film gefährdet. Für Geldof wird das Projekt zu einem "Minenfeld aus explodierenden Egos". Schließlich zwingt Alan Parker Waters per Gerichtsbeschluss, dem Set während der Dreharbeiten fernzubleiben.
Echte Skins bei der Straßenschlacht
Die beginnen am 7. September 1981, und dort gehen die Probleme weiter: Geldof soll für eine Szene in Schweineblut schwimmen - der Musiker kann aber den Anblick von Blut nicht ertragen und ist Nichtschwimmer. Um den Schauspieler auf der Flüssigkeit zu halten, besorgt ihm Parker eine Körperhülle, die bereits bei den Aufnahmen zu "Superman" verwendet worden war, und Geldof schafft es, seinen Ekel zu überwinden. Für die Aufnahmen für die faschistoiden Szenen des Films (Parkers "Rock'n'Roll Nürnberg") engagiert der Regisseur echte Londoner Skins, die sich mit Polizisten eine Straßenschlacht liefern sollen - wobei es sie wenig interessiert, dass es sich dabei um uniformierte Schauspieler handelt. Sie haben so viel Spaß, dass sie selbst nach dem Dreh nicht aufhören wollen, auf die vermeintlichen Polizisten einzuprügeln. Die Szene wird verworfen. Und Alan Parker pinnt an seine Tür einen Zettel: "Just Another Prick On The Wall", "Noch so ein Spinner bei The Wall". Er wird zum Kettenraucher.
Der Film, der schließlich entsteht, ist eine rund hundert Minuten lange Bilderflut, eine Rockoper aus Blut, Gewalt und Musik, mit entrückend-bedrückenden Trickfilm-Sequenzen des Pink Floyd-Hauszeichners Gerald Scarfe. Ein verwirrendes Stück Kino, das jeder einmal gesehen haben sollte, das jedoch an manchen Stellen selbst den Faden verliert bei dem Versuch, der Abfolge der Songs zu folgen und mit großen Bilden darüber hinweg zu täuschen, wie banal die Aussagen hinter "The Wall" eigentlich sind: Friedenstauben explodieren, und aus den Eingeweiden entsteht ein blutrünstiger Adler, Blumen verwandeln sich in Stacheldraht, riesige Hämmer marschieren in Reih und Glied, Pink zerlegt Hotelzimmer, und ganze Schulklassen werden durch den Fleischwolf gepresst.
Für Roger Waters war die Arbeit an dem Film "die nervenaufreibendste, neurotischste Zeit in meinem Leben, von meiner Scheidung vielleicht abgesehen". Was dabei herausgekommen ist, hat ihm nicht einmal gefallen. Das hätte sein Ego auch nicht zugelassen, die Mauer zwischen ihm und dem Film war zu hoch. Und inzwischen auch die zwischen ihm und dem Rest von Pink Floyd. Am 14. Juli 1982 hat "The Wall" im Empire Theatre in London Weltpremiere - und die Band erscheint nicht komplett: Keyboarder Rick Wright sei im Urlaub, heißt es. Der Film über die Isolation von den Mitmenschen ist das Ende von Pink Floyd. Das letzte Album, das unter dieser Besetzung erscheint, bevor die Band sich schließlich trennt, heißt "The Final Cut" und trägt den Untertitel "by Roger Waters - performed by Pink Floyd".