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Pioniertage des Tunesien-Tourismus: Rommels Nachhut

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Pioniertage des Tunesien-Tourismus Rommels Nachhut

Teutonen in Tunesien: In den sechziger Jahren entdeckte der Deutsche die junge nordafrikanische Republik als Reiseland - und sah sich mit lausigen Musikern und fehlenden Liebschaften konfrontiert. Und mit Wissenschaftlern, die, zunächst als Spione verdächtigt, die neue Urlauberspezies ausforschten.

Den französischen Grenzbeamten in Marseille waren die reisenden Soziologen höchst verdächtig: Sie hatten ihren Pkw mit vier Zentnern Papier in Gestalt von Fragebögen überladen und sich vehement geweigert, den Wagen und die Fracht getrennt voneinander auf der Fähre nach Tunesien einzuschiffen. Nach langwierigen Kontrollen durften sie schließlich an Bord. Die Behörden in Tunis machten es ihnen nicht eben leichter: Sie wollten die Ladung gar nicht erst an Land lassen. Der Grund: Spionageverdacht.

Ausgiebig hatten die Kontrolleure das mitgeführte Material der Deutschen in Augenschein genommen. Den Forschern dämmerte, dass nach dem Studium ihrer Fragebögen "selbst dem wohlmeinendsten Tunesier klarwerden" müsste, "dass als Resultat dieser Befragungsaktion nicht die üblichen und erwünschten Lobeshymnen zu erwarten wären." Dabei legte Tunesien größten Wert auf sein Image.

Nachdem die Franzosen das nordafrikanische Land 1956 in die Unabhängigkeit entlassen hatten, interessierten sich in den sechziger Jahren immer mehr Deutsche für die junge nordafrikanische Republik - als Reiseland. Der Tunesien-Urlauber, so hatten die Forscher bald erkannt, war ein Tourist neuen Typs: Er liebte die "unverbrauchte" Natur - und wollte seine Eindrücke zugleich mit möglichst vielen Menschen teilen. Die Sehnsucht nach fremden Ländern trieb ihn an - vor allem nach solchen, die ihm das Gefühl gaben, doch zu Hause zu sein. Gelegentlich unternahm er Ausflüge, die meiste Zeit aber weilte er am Hotel. Tunesien-Urlauber waren Pioniere. Massentouristische Pioniere. Und das Kölner Soziologenteam um Tourismusforscher Lothar Nettekoven war im Sommer 1969 aufgebrochen, um in einem groß angelegten Feldforschungsprojekt das kollektive Strandverhalten deutscher, französischer und britischer Badegäste zu erkunden. Ihr Ziel: die Entschlüsselung des Phänomens Tunesien-Urlaub.

15.000 Kilometer durchs Land

In Erwartung diverser Schwierigkeiten hatten sich die Wissenschaftler vorab mit einer Sammlung offizieller Empfehlungsschreiben und gewichtiger Stempel eingedeckt - die ihnen allerdings nicht half. Denn für die Befragung benötigten sie die Genehmigung von mehreren tunesischen Ministern.

Der Aufbau der Tourismusindustrie gehörte zu jener Zeit in Tunesien zu den vordringlichsten Staatszielen. Das Ergebnis war bemerkenswert: In nur wenigen Jahren war etwa der kleine Fischerort Hammamet zu einem Urlaubszentrum mit mehr als 7000 Hotelbetten angewachsen. Am neun Kilometer langen Strand reihte sich Neubau an Neubau, umgeben von Orangen- und Zitronenhainen, üppigen Blumengärten, Swimmingpools und weitläufigen Rasenflächen. Penibel hatten die staatlichen Tourismuslenker darauf geachtet, eine Betonklotz-Ästhetik, wie man sie aus Spanien kannte, zu vermeiden.

In Hammamet fühlten sich deutsche Urlauber offenbar wohl - und hier wollten die Forscher auch mit ihrer Befragung beginnen. 14 Tage nach der Einreise und unzählige Kaffee später hatten sie es tatsächlich geschafft: Mitte August 1969 erteilte der Hauptverantwortliche der tunesischen Fremdenverkehrsindustrie die Erlaubnis zur Untersuchung.

Doch obwohl gerade Hochsaison herrschte, fanden die Kölner viele Hotels in Hammamet verwaist. Eine Typhus-Epidemie hatte mögliche Probanden vergrault. Von ihrem Vorhaben ließen sich die Forscher dennoch nicht abbringen - auch nicht, als im Monat darauf eine Unwetterkatastrophe weite Landstriche überschwemmte und die Straßenverbindungen unterbrach. Auf ihrer Suche nach 600 Touristen deutscher, britischer und französischer Nationalität reisten die Forscher letztendlich 15.000 Kilometer durchs Land.

Willkommene Abwechslung

Ungewiss blieb dabei zunächst die Frage, ob eine hinreichende Zahl an Gesprächspartnern überhaupt erschöpfend Auskunft über ihre persönlichen, teils intimen Urlaubsvorlieben geben würde. Doch es lief überraschend gut: Ein "unschätzbarer Hilfsfaktor", so notierten die Kölner später in ihrer Studie, sei "die sich ausbreitende Langeweile" am Strand gewesen. Mit höflichen Worten habe man Touristen ermuntern können, "den unverschämt umfangreichen Fragebogen mit der gleichen Begeisterung" auszufüllen, "mit der sie am Strand in veralteten Illustrierten blättern oder Kreuzworträtsel lösen."

Die Bereitschaft, auch Intimes auszuplaudern, "war teilweise erstaunlich hoch", konstatierten die Forscher. Häufig hätten die Befragten nach Abgabe des Fragebogens sogar selbst ein vertiefendes Gespräch über Flirts und Sex am Urlaubsort gesucht, "allerdings mussten wir uns auch Beschimpfungen gefallen lassen, oder uns vor einer wütenden Mutter retten, die ihre 18-jährige Tochter dabei überrascht hatte, die Frage nach sexuellen Beziehungen im Heimatland zu bejahen und sich über die in Tunesien mangelnden Gelegenheiten dafür beklagte."

Ernsthafte Ressentiments begegneten den Strandforschern in einem Ferienclub südlich von Tunis, in dem ausschließlich junge Franzosen untergebracht waren. Deren Nationalbewusstsein hatte sich in Gegenwart der Deutschen so aufgeschaukelt, dass sie die Fragesteller schließlich vertrieben. "Als Resultat dieses kumulierenden Prozesses mussten wir den Verlust von 40 Kugelschreibern hinnehmen." Auf der letzten Seite der wenigen erfolgreichen Interviews war vermerkt: "Mort aux cons Nazis!" ("Tod den Nazi-Idioten!")

Spaziergänge und Sex

Im Allgemeinen aber waren Tunesien-Urlauber sehr kontaktfreudig. Besonders die Franzosen. Als ehemalige Kolonialmacht waren sie sprachlich am ehesten in der Lage, sich mit den einheimischen Gastgebern zu verständigen - anders als die Briten, die sich, das hatte die Umfrage ergeben, kaum aus der Hotelanlage wagten, während Deutsche zumindest nach dem Abendessen zu eifrigen Spaziergängern wurden und den nächstgelegenen Ort erkundeten. Prinzipiell wollten drei Viertel aller Befragten ihre Ferien gesellig verbringen - tatsächlich aber verkehrte die überwiegende Zahl der Briten und Deutschen ausschließlich mit Landsleuten.

Anregend hatte sich der Tunesien-Urlaub offenbar auch auf intime Kontakte ausgewirkt: Vor allem deutsche Urlauber-Paare behaupteten, in den Ferien öfter Sex miteinander zu haben als im Alltag. Spektakuläre Bekenntnisse fanden die Forscher allerdings kaum: Die meisten Touristen schliefen nach eigenen Angaben mit dem gewohnten Partner. Abgesehen von den Franzosen. Und auch im Tagesablauf entdeckten die Wissenschaftler nationale Eigenheiten: Es waren mehrheitlich die Deutschen, die im Urlaub als Erste aufstanden, als Erste am Frühstückstisch saßen und als Erste am Strand lagen.

Ungetrübt waren die Urlaubsfreuden aber offenbar bei keiner Feriennation: Vielen Tunesien-Reisenden machte der Anblick von Armut gepaart mit den relativ hohen Hotelpreisen zu schaffen. Zudem empfanden sie es als besonders unangenehm, angebettelt zu werden. Den größten Kulturschock erlitten die Briten - was schon beim Essen begann: Sie verdarben sich den Magen häufiger als andere. Dafür äußerten sie sich über ihre tunesischen Gastgeber überwiegend höflich zurückhaltend, während sich die Deutschen auch schon mal über die "Trägheit" und "Faulheit" tunesischer Arbeiter beschwerten.

Übereinstimmend klagten die Urlaubsnationen über ein Gefühl von Isolation, das sie - umgeben von nichts als Sonne, Sand und Meer - häufig in ihren Hotelanlagen empfanden, ebenso wie über Langeweile und fehlende Abendunterhaltung. Nachtclubs, Bars und Discotheken waren den Tunesiern so gut wie unbekannt. Dabei wollten sie ihre Gäste durchaus auch in dieser Hinsicht glücklich machen - leider vor allem mit italienischen Bands, "die wegen ihrer für Tunesier nicht erkennbaren, miserablen Qualität selbst während der touristischen Hochsaison in Italien mit Sicherheit arbeitslos geblieben wären".

Auf Rommels Spuren

Die kulturellen Missverständnisse zwischen Tunesien-Urlaubern und Einheimischen beruhten auf Gegenseitigkeit - und sie waren auch ein halbes Jahrzehnt später noch nicht überwunden. Nachdem der Touristenstrom wegen des mangelnden Service, erhöhten Getränkepreisen und mehreren Cholerafällen Anfang der siebziger Jahre massiv eingebrochen war und die tunesische Regierung unter Präsident Habib Bourguiba um ihre Deviseneinnahmen fürchtete, startete sie 1975 eine Anzeigen-Kampagne in Deutschland.

Der Dreispalter war mit der Schlagzeile "Warum sich Rommels beste Männer so oft von der Truppe entfernten" überschrieben und mit einer Palmenoase illustriert. "Gerade Rommels Streitmacht war ein Vorbild an Disziplin und Pflichterfüllung" erläuterte der nachfolgende Text in Anspielung auf den Tunesienfeldzug der deutsch-italienischen Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg, und gab ein paar Zeilen weiter die Antwort: "Nur wenige Kilometer lockte schon damals unser Traumstrand: gestreichelt von milder, afrikanischer Sonne, palmenüberrauscht in weißen, maurisch-anheimelnden Häuschen stand unser weltberühmter Rosé bereit, umweht von den köstlichen Düften unserer einheimischen französischen Küche."

Die Provokation verfehlte ihre Wirkung nicht: Bereits im April waren Tunesien-Reisen für die gesamte Saison ausverkauft.

Zum Weiterlesen:

Nettekoven, Lothar: "Massentourismus in Tunesien. Soziologische Untersuchungen an Touristen aus hochindustrialisierten Gesellschaften", Studienkreis für Tourismus e.V., Starnberg 1972.

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