
Zensierte Filme: Andere Länder, andere Schnitte
Politische Filmzensur Verkürzt, verfremdet, verfälscht
Lässig steht der US-Korrespondent Huntley Haverstock am Mikrofon. Eine Hand im Sakko, in der anderen die vorbereitete Rede. Der Moderator im Londoner Rundfunkstudio kündigt ihn als unerschrockenen Pressesoldaten an, der sich hineinwage ins Schlachtengetümmel des Zweiten Weltkriegs. Und Haverstock, der eigentlich Jones heißt, schießt los: "Hallo Amerika!"
Wenn in einem Hollywoodfilm diese beiden Worte fallen, ahnt man: Jetzt kommt ein pathetischer Weckruf. In Alfred Hitchcocks "Foreign Correspondent" (1940) heulen draußen die Sirenen, Radiomitarbeiter springen auf, drängen in den Luftschutzkeller.
"Dieser Lärm, den Sie hören, ist der Tod, der über London kommt", verkündet Haverstock im patriotischen Crescendo: "Es ist, als wären die Lichter überall aus, außer in Amerika. Sorgt dafür, dass das Licht immer weiter brennt. Schützt es mit Stahl, umringt es mit Waffen, Kriegsschiffen und Bomben. Hallo Amerika, verteidigt euer Licht. Es ist das einzige, das noch brennt." Gleich danach läuft der Abspann, ein Chor schmettert "Star-Spangled Banner", die US-Hymne.
Vor allem diese Schlussszene war es, die Hitchcocks zweiter US-Produktion den Ruf eines Propagandafilms eintrug. Joseph Goebbels war angeblich ganz angetan, obwohl der Thriller in Nazideutschland natürlich nicht zu sehen war. Auch nach Kriegsende dauerte es mehr als 15 Jahre, ehe er in der Bundesrepublik gezeigt wurde. Aber der Epilog im Radiostudio, die historisch bedeutsamste Szene: Sie fehlte.
Ins Kino kam nur eine kastrierte Version. Das ist keine Ausnahme. Und beileibe kein spezifisch deutsches Phänomen. Politisch korrigierte Alternativfassungen existieren weltweit - teils bis heute. Aber gerade im Nachkriegsdeutschland wurden Filme im Schneideraum und Synchronstudio auf bizarrste Weise zurechtgestutzt, von Zensoren oder eilfertigen Verleihern und Produzenten.
Nazi? Welche Nazis?
Ursprünglich war die Schlüsselstelle aus "Der Auslandskorrespondent", die dem deutschen Publikum vorenthalten wurde, auch in der Originalfassung nicht geplant. Die Dreharbeiten waren bereits abgeschlossen, als Hitchcock zum Heimatbesuch nach London reiste. Die Stadt war in Aufruhr, mit deutschen Luftangriffen war zu rechnen. Als Hitchcock am 3. Juli 1940 nach Hollywood zurückkehrte, hielt er den politisch milden Ton seiner Spionagegeschichte nicht länger für angebracht.
Praktisch über Nacht verfasste Drehbuchautor Ben Hecht die Radio-Szene; schon am 5. Juli wurde das neue Ende gedreht. Mitte August 1940 lief der Film in US-Kinos an und bezog jetzt unmissverständlich Position in der Debatte um einen möglichen amerikanischen Kriegseintritt. Und am 24. August 1940 fielen die ersten Bomben auf London.
Erst 21 Jahre später erreichte die bundesdeutschen Kinos eine Synchronfassung, 17 Minuten kürzer, ganz ohne die Radioansprache, seiner historischen Bezüge beraubt. Der Film war mit moderner Jazzmusik unterlegt und zum unpolitischen Krimi zurechtgestutzt worden. Der Zweite Weltkrieg - man hatte ihn fortzuretuschieren versucht.
Unters Messer kamen in der noch jungen Bundesrepublik auch etliche andere ausländische Filme. Szenen mit bösen Nazis? Weg damit. Vermeintlich antideutsche Untertöne? Streichen oder raussynchronisieren. Diese unschöne Praxis hallte bis weit in die Achtzigerjahre nach, wenn etwa die deutschen Bösewichte in "Stirb langsam" (1988) zu internationalen Terroristen wurden.
"Casablanca": Eine komplett neu erfundene Story
Ungleich radikaler war Hitchcocks "Notorious" (1946) verfälscht worden. "Weißes Gift", so der Verleihtitel, lief 1951 in den deutschen Kinos. Die politisch korrigierte Synchronfassung machte Nazis, die in Brasilien Uran horten, zu Rauschgifthändlern mit südländisch klingenden Namen. Unter dem neuen Titel "Berüchtigt" erschien erst 1969 eine originalgetreuere Synchronfassung.

"Casablanca": Propaganda und ein legendäres Liebespaar in "Rick's Café"
Foto: ddp imagesNoch verblüffender sind die Eingriffe in Michael Curtiz' "Casablanca" (1942). Das US-Original und die BRD-Version wirkten jahrzehntelang wie völlig unterschiedliche Filme.
Der amerikanische Spielfilm erzählt vom tschechischen Widerstandskämpfer Victor László, der im Zweiten Weltkrieg nach Marokko flieht, um mit seiner Frau Ilsa Lund von Casablanca aus nach Amerika zu entkommen. Der deutsche Nazi-Major Strasser und der korrupte französische Polizeichef wollen ihn daran hindern. Nachtklubbesitzer Rick Blaine hilft dem Paar.
In der deutschen Variante indes, erstmals 1952 in den Kinos, taucht Major Strasser nicht einmal mehr auf - weggekürzt. Und der Film verdreht die historischen Bezüge zur puren Science-Fiction: Ein norwegischer Atomphysiker namens Victor Larsen (anstelle von Victor László) entdeckt mysteriöse Delta-Strahlen und wird von Interpol gejagt.
"Casablanca" war in dieser deutschen Version 25 Minuten kürzer, nahezu alle Hinweise auf den Weltkrieg waren getilgt. Was in dieser "entnazifizierten" Fassung ebenfalls keinen Platz hatte: jene legendäre Szene, in der die Nazis "Die Wacht am Rhein" anstimmen, bis die in "Rick's Café Américain" gestrandeten Emigranten sie mit der Marseillaise niedersingen.
"Nicht zur Vorführung in Deutschland geeignet"
Im Kern blieb die Romanze zwischen Rick Blaine (Humphrey Bogart) und Ilsa Lund (Ingrid Bergman) - als melodramatische Lovestory, die auch Wehrmachtsveteranen und ehemalige SS-Schergen mit gutem Gewissen genießen konnten. Eine derart absurde Bearbeitung kann man sich heute kaum noch vorstellen. Aber fast ein Vierteljahrhundert lang glaubte das deutsche Publikum, es hätte den echten, den dreifach Oscar-prämierten Film gesehen. Erst am 5. Oktober 1975 strahlte die ARD "Casablanca" ungekürzt und neu synchronisiert aus.
Verantwortlich für die Verstümmelung des Kinoklassikers war der Filmverleih des Warner Bros. Studios. Die deutsche Niederlassung erklärte, "Casablanca" sei in seiner Ursprungsfassung "nicht mehr zeitgemäß" und "nicht zur Vorführung in Deutschland geeignet". In vorauseilendem Gehorsam erledigte der Filmriese jene Zensur, die sonst durch Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gedroht hätte.
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Denn die FSK verbot beispielsweise 1950 "Rom, offene Stadt"; darin zeichnete Roberto Rosselinis das grausame Schicksal einer römischen Widerstandsgruppe während der deutschen Besatzung nach. Begründung der FSK: Von dem Film sei in der "neuen europäischen Situation" eine "völkerverhetzende Wirkung" zu befürchten, so schildert es der Historiker Philipp von Hugo in einem Buchbeitrag über Filmzensur.
Auch "Casablanca" hätte in seiner Originalfassung wohl keine FSK-Freigabe erhalten. Das legt ein an das Auswärtige Amt gerichtetes Schreiben nahe, in dem sich Dr. von Borries, deutscher Generalkonsul in Basel, im Oktober 1953 darüber empörte, dass dieser "Hetzfilm" trotz seiner "deutsch-feindlichen Tendenzen" in Basel ungekürzt gezeigt worden sei. "Die Wirkung dieses Filmes", polterte von Borries, "findet man als deutscher Zuschauer ausgesprochen verheerend."