
Pop-Sängerin Veronika Fischer "Ich war Eigentum der DDR"

Veronika Fischer, geboren 1951 im thüringischen Wölfis, studierte Lied, Chanson und Musical in Dresden und feierte erste Erfolge mit der Stern-Combo Meißen und den Bluesrockern von Panta Rhei. In den Siebzigerjahren avancierte sie mit Balladen und deutschsprachigem Blues zum größten Popstar der DDR. 1981 siedelte sie in den Westen über und veröffentlichte 2018 ihr 22. Soloalbum "Woher, wohin". Ab 3. Januar 2020 ist Fischer auf Tour, alle Termine gibt es hier.
einestages: Frau Fischer, mit Pop hatten Sie Riesenerfolg in der DDR - dabei wären Sie um ein Haar Oratoriensängerin geworden.
Fischer: Stimmt nicht ganz. Ich habe mit 16 die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Carl Maria von Weber in Dresden gemacht. Weil ich Contra-Altistin bin, also eine für eine Frau recht tiefe Stimme habe, wollte meine erste Lehrerin in der Tat eine Oratoriensängerin aus mir machen. Damit hätte ich immer einen Job, meinte sie. Im Studium entdeckte ich dann aber Rhythm & Blues, Soul und Jazz. Meine Idole waren die Beatles, Aretha Franklin, Janis Joplin, Blood, Sweat & Tears.
einestages: Nebenher sind Sie bei einer Tanzkapelle eingestiegen. Rockstar war ja in der DDR eine Art Lehrberuf, politische Institutionen hatten mitzureden, wer auf Bühnen auftreten durfte.
Fischer: Bei der Fred-Herfter-Combo habe ich mir nur ein bisschen Geld dazuverdient. Aber es stimmt, Autodidakten mussten Prüfungen ablegen, wurden in die Kategorien A, B, C eingestuft und erhielten dann einen Ausweis, mit dem sie auftreten durften. Weil ich Musik studierte, brauchte ich das aber nicht.
einestages: Ihre Combo bekam das Angebot einer Tour durch die sozialistischen Bruderstaaten - um "Präsent 20" vorzustellen, einen kratzigen Polyesterstoff...
Fischer: Babelsberg drehte damals drei Dokumentarfilme über die Reise nach Yerewan. Zugleich wurde ein Film über die Mode der DDR gedreht. In einer Kolonne von 30 Wartburgs fuhren wir mit Filmcrews und Kameras gen Osten. "Präsent 20" war ein Kunststoff, der am Körper klebte, man roch. Aber er war knitterfrei! Damit musste ich für ein Fotoshooting auf den Elbrus und habe oben im Schnee posiert, allein in "Präsent 20" gehüllt. Für mich war die Reise unheimlich spannend.
einestages: 1973 erschien Ihr erstes Album mit den Jazzrockern von Panta Rhei. In Rückblicken wirken die Siebzigerjahre in der DDR wie eine freudlose Zeit. Zu Recht?
Fischer: Für mich war es überhaupt nicht trist. Die Siebziger waren ein kreativer Höhepunkt in der DDR. Panta Rhei hatten eine sehr eigenwillige Stilistik aus Blues, Jazz, Klassik und Lyrik entwickelt. Heute würde man das vielleicht Crossover nennen. Wir waren sehr beliebt, hatten volle Säle.
einestages: Gab es auch Drogen?
Fischer: Die gab es auch, aber weniger. Hier und da haben mir Kollegen, vor allem Jazzer, welche angeboten, zum Beispiel Gras oder LSD. Im Westen war das viel geläufiger.
einestages: Instrumente und Ausrüstung besorgten Musiker sich teils abenteuerlich im kapitalistischen Ausland.
Fischer: Ja, in der DDR waren die technischen Möglichkeiten ziemlich bescheiden. Mein Mann durfte als Ungar aber europaweit reisen. So konnten wir vieles im westlichen Ausland besorgen. Allerdings lag der Wechselkurs Westmark/Ostmark bei 1:5. So haben wir für ein Mischpult aus London auch mal 30.000 Mark Ost bezahlt.
einestages: Die erste Platte von Veronika Fischer & Band 1975 verkaufte sich aus dem Stand eine halbe Million Mal. Plötzlich waren Sie berühmt - auch reich?
Fischer: Insgesamt habe ich mehrere Millionen Platten verkauft, aber nie eine Abrechnung gesehen. Mein Texter, mit 10 Prozent an den Verkäufen beteiligt, erzählte mir später einmal, damit sei er zum Millionär geworden. Mich hat man pauschal mit 500 Mark pro eingesungenem Titel abgefunden. Die DDR hat ihre Sänger betrogen, vor allem die Rocker. Wer politisch konform war, dem haben Bautrupps ein Haus hingestellt. Mich dagegen hat man, wie die Sänger von Karat oder Silly, mit Pauschalbeträgen abgespeist, international absolut unüblich. Also haben wir viel live gespielt, um das Equipment zu finanzieren und davon leben zu können. Doch auch bei Auftritten erhielten wir eine festgelegte Gage und waren nicht am Ticketerlös beteiligt.
einestages: Andererseits schreiben Sie in Ihrer Autobiografie "Das Lügenlied vom Glück", dass künstlerischer Anspruch - im Gegensatz zum Westen - gefordert und gefördert wurde.
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Fischer: Ja, die DDR hatte ein Interesse daran, möglichst viel eigene Musik zu produzieren, schon um Tantiemen zu sparen. Es galt die 60/40-Regel: Im Repertoire mussten mindestens 60 Prozent eigene Titel stehen, 40 Prozent durften international sein. Musiker wurden gebraucht - auch um die Menschen, die im Land eingeschlossen waren, bei der Stange zu halten. Es gab viele Auftrittsmöglichkeiten, ich habe damals rund 250 Konzerte pro Jahr gegeben. Heute ist das nicht mehr üblich. Ab einer gewissen Größe war es allerdings schwierig, weiter zu wachsen. Das Goethe-Institut lud uns zum Beispiel nach Lateinamerika ein - aber die DDR sagte Nein. Sie hatten wohl kein Vertrauen in uns.
einestages: Wie hat man versucht, Sie politisch zu vereinnahmen?
Fischer: Politischer Druck war immer da. Anfang der Siebziger hatte die SED damit begonnen, Musiker politisch zu "führen". Dafür gab es die "Generaldirektion für Unterhaltungskunst". Auch die Stasi hat immer wieder versucht anzuwerben. Ich wollte aber keine "Genossin" sein und bin nie in die Partei eingetreten. Durch meine Bekanntheit konnte ich mir das zum Glück leisten - für andere hätte das berufliche Konsequenzen gehabt. Wir haben uns arrangiert, indem wir etwa für Bauarbeiter, die eine Erdgasleitung ausbauten, an "der Trasse" aufgetreten sind. Dafür durften wir dann auch mal ein paar Konzerte im Westteil geben. Es war eine Gängelei, ich war Eigentum der DDR.
einestages: 1981 sind Sie in den Westen übergesiedelt.
Fischer: Mein Komponist Franz Bartzsch war von einem Konzert in West-Berlin nicht zurückgekommen. Ab da waren seine Werke von der Aufführung gesperrt. Auf einmal fand ich mich ohne einen Großteil meines Repertoires wieder. Die Bezirke luden mich nicht mehr zu Konzerten ein, wir waren praktisch arbeitslos. Dann ist mein Mann mit unserem Sohn über Österreich nach West-Berlin übergesiedelt. Das Kulturministerium der DDR hat mir ein Zweijahresvisum besorgt, um mich mit meiner Familie zusammenzuführen. Allerdings unter der Auflage, Konzerte nur über die Agentur der DDR zu buchen. Im Osten arbeiten, im Westen leben - das konnte auf Dauer nicht funktionieren.
einestages: Im Westen stellte sich bald Ernüchterung ein.
Fischer: Durch meine DDR-Erfolge bekam ich in der BRD schnell einen guten Vertrag und sollte möglichst schnell weiterproduzieren. Aber in meiner Identität hatte es einen Bruch gegeben. Ein Künstler definiert sich ja auch über das Umfeld, aus dem er hervorgeht. Und das war nun ein komplett anderes.
einestages: Inwiefern?
Fischer: Im Osten erwartete man von Künstlern, dass sie den Sozialismus unterstützen. Im Westen ging es um Geld, um Verkaufszahlen. Ich bekam nun Dinge zu hören wie: "Deine Musik aus der DDR, das ist doch Schnee von gestern. Probier lieber mal was Neues." So wurde ich in mehrere Richtungen geschoben. Es dauerte eine Weile, bis ich mich neu orientiert hatte. Aber dann lief es wieder. Ich konnte mit tollen Leuten arbeiten, etwa der Band Passport, die mich für ein Album begleitete.
einestages: Sie haben auch mit Schriftsteller Jörg Fauser zusammengearbeitet.
Fischer: Genau! Mit den Schlagertexten, die mir meine Plattenfirma vorlegte, konnte ich nicht viel anfangen. Auf der Suche nach einem Texter stieß ich auf Jörg Fauser, der bereits für Achim Reichel geschrieben hatte. Jörg besuchte mich in West-Berlin und meinte gleich: "Ich schreib dir den Blues." Dann sind wir zusammen durch Kreuzberg getigert und haben Bier getrunken. Als ich am nächsten Morgen meine Wohnung verließ, lugte ein Päckchen aus meinem Briefkasten: ein ganzer Stapel von Texten, die Jörg mir in aller Früh in den Briefkasten gesteckt hatte. Daraus wurden die Stücke "Die Fremde" und "Der letzte Sommer".
einestages: Als Sie 38 waren, fiel die Mauer. Sie kehrten mit großem Erfolg in die Musikwelt des Ostens zurück und läuteten Ihr Ost-Comeback gleich mit einem Paukenschlag ein.
Fischer: In diesen Tagen überschlugen sich die Ereignisse. Am Abend des Mauerfalls besuchte mich gleich meine Schwester aus dem Osten - unvorstellbar! Wir stießen gerade mit einem Glas Wein an, da rief die Managerin von Reinhard Mey an: ob ich sofort nach Dresden kommen könne. Mey sollte am 11. November mit der Tochter von Harry Belafonte in der Ost-Fernsehsendung "Schowkolade" auftreten. Die wurde in der Semperoper aufgezeichnet. Frau Belafonte hatte aber ihren Flug verpasst. Also schlug Reinhard Mey vor, mich einzuladen. Nur: Als "Gegangene" durfte ich eigentlich nicht einreisen. Und ob ich aus der DDR wieder ausreisen durfte, konnte mir auch keiner garantieren. Am nächsten Tag fuhr ich nach Dresden zur Generalprobe.
einestages: Wie hat man Sie dort empfangen?
Fischer: Es war chaotisch. Man schob mich auf die Bühne - da sah ich, dass die Generalprobe bereits voll besetzt war. Die Menschen sind aufgestanden, haben applaudiert und getobt. Sie sahen in mir wohl einen Boten, der die Tür geöffnet hatte. Ich wusste gar nicht, wie mir geschieht, und spürte nur, wie mich die Glückshormone überfluteten. Wir haben gleich damit begonnen, eine Tour durch den Osten zu planen. 30 Städte, ausverkauft.
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einestages: Heute leben Sie im West-Berliner Stadtteil Steglitz, spielen Konzerte aber vor allem im Osten.
Fischer: Für mich gibt es da keine Trennung mehr, die Mauer ist gefallen, ich spiele mit Ost- und West-Künstlern zusammen. Im Osten habe ich aber nach wie vor mein größtes Publikum. Musikalisch hat das Niveau in Deutschland nachgelassen. Es gibt heute weniger Vielfalt, man zielt vor allem auf ein junges Publikum.
einestages: In welcher Phase Ihres Lebens waren Sie am glücklichsten?
Fischer: Ach, ich habe tolle Zeiten erlebt in all den Jahrzehnten. Heute fühle ich mich sehr wohl. Ich habe das Glück, schöne Konzerte zu machen, habe einen tollen Partner, einen wunderbaren Sohn und zwei süße Enkelchen. Am spannendsten waren sicher die Siebzigerjahre. Damals hatten wir das Gefühl: Wir können die Welt einreißen.
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Grande Dame des DDR-Rock: Veronika Fischer, inzwischen 68, war Ende der Siebzigerjahre die erfolgreichste Sängerin der DDR. Zu ihren Markenzeichen gehörten die kraftvolle Soulstimme und ihr langes, blondes Haar. Ihre Erinnerungen sind gemischt: Die DDR habe künstlerischen Anspruch gefördert,
Aufgehender Stern: Ihr Handwerk lernte die gebürtige Thüringerin an der angesehenen Musikhochschule Carl Maria von Weber in Dresden. Dort studierte sie zunächst Lied und Chanson - eine Chiffre für populäre Musik - und stieg wenig später bei der Rockband Stern-Combo Meißen als Sängerin ein (Foto von 1971).
Aufnahme läuft: Bald absolvierte sie neben dem Studium bis zu sechs Auftritte in der Woche, dazu folgten erste Tonaufnahmen wie hier 1974 im Studio des DDR-Rundfunks in Ost-Berlin.
Alles fließt: Von 1971 bis 1973 sang Veronika Fischer bei den experimentellen Jazzrockern von Panta Rhei, benannt nach dem Ausspruch des griechischen Philosophen Heraklit ("Alles fließt"). Mit anspruchsvollen Arrangements, Hammond-Orgel und einer Bläser-Sektion zählte die Gruppe zu den besten Bands des Ostens.
Inspirationsquelle: Veredelt wurden die Songs von der Stimme Veronika Fischers. Eines ihre größten Idole war Janis Joplin (Foto), die außergewöhnliche US-Sängerin, die bereits 1970 im Alter von 27 Jahren starb.
La Diva: Auch die amerikanische Soul-Sängerin Aretha Franklin beeinflusste Veronika Fischer.
Goldkehlchen: Nach dem Ausstieg bei Panta Rhei gründete sie Veronika Fischer & Band. Das gleichnamige Debütalbum von 1974 verkaufte sich aus dem Stand eine halbe Million Mal. Am Ende des Jahres belegte die Band die Plätze 1, 3 und 10 der DDR-Hitparade des Rundfunks, gewann den ersten Preis beim Schlagerfestival in Dresden und erhielt die Erlaubnis, im Ausland aufzutreten.
Veronika Fischer Archiv
Auf dem Boden geblieben: Das wirkliche Rockstarleben wollte sich trotz aller Erfolge nicht wirklich einstellen. Veronika Fischer bescherte den Plattenfirmen Riesengewinne, wurde aber mit 500 Mark pro eingesungenem Song abgefunden und wohnte in einer kleinen Wohnung mit Ofenheizung und ohne Bad. Das DDR-Satiremagazin "Eulenspiegel" frotzelte 1975: "Den schönsten Erfolg verbuchte Vroni jedoch kurz vor Jahresende. Ein Elektriker hielt Wort und verlegte eine Leitung in ihrer Berliner Altbauwohnung."
Zwischen Schlaghose und Sozialismus: "Vroni" Fischer weigerte sich stets, die Werbetrommel für die SED zu rühren, wie es die Generaldirektion für Unterhaltungskunst wünschte. Die Behörde diente seit Anfang der Siebziger dazu, Künstler ideologisch zu "unterstützen", also zu führen. "Auch die Stasi hat immer wieder versucht anzuwerben. Ich wollte aber keine 'Genossin' sein und bin nie in die Partei eingetreten", sagt Fischer. Durch meine Bekanntheit konnte ich mir das zum Glück leisten - für andere hätte das berufliche Konsequenzen gehabt."
Glanz und Schein: "Die DDR hat ihre Sänger betrogen, vor allem die Rocker", erinnert sich Veronika Fischer, hier mit ihrer Band 1979 im Palast der Republik in Ost-Berlin. "Wer politisch konform war, dem haben Bautrupps ein Haus hingestellt."
Neue Ufer: 1981 verließ Veronika Fischer die DDR und begann im Westen eine Karriere als Solokünstlerin, bei der sie zeitweise die deutsch-britische Rockband Lake unterstützte. Nach einer Phase der Neuorientierung hatte sie Achtungserfolge, aber keinen Starstatus mehr.
Rohstoff fürs Plattenalbum: Auch der Schriftsteller Jörg Fauser lieferte Input und schrieb Songtexte für einige ihrer Lieder. "Wir sind zusammen durch Kreuzberg getigert und haben Bier getrunken", erinnert sich Veronika Fischer, Fauser steckte ihr dann neue Texte in den Briefkasten.
Im Kreppeisen der Geschichte: 1989 war Veronika Fischer 38 Jahre alt und hatte keine richtige Bindung an das West-Publikum gefunden. So war der Mauerfall nicht nur ein Segen für 16 Millionen DDR-Bürger, sondern auch für die Sängerin, die nun wieder vor ihrem Stammpublikum auftreten konnte.
Paukenschlag: Bereits zwei Tage nach der Maueröffnung stand Veronika Fischer wieder im Osten auf der Bühne - gemeinsam mit Reinhard Mey in der Semperoper in Dresden für eine Aufzeichnung der DDR-Sendung "Showkolade".
Ein halbes Jahrhundert Popgeschichte: Seitdem hat Veronika Fischer mehr als ein Dutzend Alben veröffentlicht und tourt regelmäßig, vor allem durch die neuen Bundesländer. Am 3. Januar 2020 beginnt die Konzerttournee zu ihrem 50. Bühnenjubiläum.
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