
Privatisierung in Ostdeutschland: Jahre der fetten Beute
Privatisierung in Ostdeutschland Jahre der fetten Beute
Nach der Wende rieben sich viele westdeutsche Unternehmer die Hände: Ein neuer Markt wartete nur darauf, erschlossen zu werden und versprach ordentliche Gewinne. Wie, lautete die Frage der Stunde, würde man vom zukünftigen Bedarf in den neuen Ländern profitieren können? Kontakte, soviel war klar, waren Gold wert, wenn man ein großzügiges Stück abbekommen wollte vom fetten Privatisierungskuchen. Noch hilfreicher aber war offenbar kriminelle Energie. Zahlreiche Veruntreuungsfälle erschütterten damals das Land. Es war Hochstaplersaison. Einer der Abzocker war mein Chef.
Ich arbeitete damals als angestellter Jurist in einer Unternehmensberatungs-gesellschaft. Mein Chef wollte mehr als einzelne lukrative Beratungsverträge abschließen, obgleich diese allein schon üppig honoriert wurden. Effektive Sanierung, nachhaltige Investition und die Bewahrung von Arbeitsplätzen interessierten ihn nicht, so war mein Eindruck. Unternehmerisches Ethos war ihm vermutlich fremd. Er witterte ausschließlich das große Geschäft.
Das Kapital mehrerer ostdeutscher Unternehmen wollte er massiv aufstocken, um sie anschließend miteinander zu einem ostdeutschen Baukonzern zu fusionieren. Zu gegebenem Zeitpunkt wollte er diesen an der Börse gewinnbringend verkaufen. So jedenfalls lautete sein offizieller Plan für eine Privatisierungserfolgsgeschichte.
"Du tust ja auch nur deine Pflicht"
Die Treuhandanstalt, deren Aufgabe darin bestand, die volkseigenen Betriebe der DDR zu privatisieren bzw. stillzulegen, hatte meinem umtriebigen Chef entsprechende Optionen bereits eingeräumt. Während der Verhandlungen erklärte er, niemanden entlassen zu wollen. Insgesamt 11.000 Arbeiter, so seine Aussage, sollten in dem Großunternehmen Beschäftigung finden. Denn ökonomisches Potenzial gebe es in den betroffenen Betrieben schließlich mehr als genug. Am Ende kam natürlich alles ganz anders, und einer der größten Veruntreuungsfälle erschütterte das Land.
Die für die propagierten Pläne händeringend benötigten Investoren konnte mein Chef nicht auftreiben. Keine der angefragten Banken und Versicherungsgesellschaften zeigte Interesse an der Geschäftsidee. Sie zweifelten an der Sanierbarkeit und der langfristigen Wirtschaftlichkeit der Unternehmen. In Ermangelung von Geldgebern bemühte sich mein Chef um Kredite. Aber auch die bekam er nicht. Obwohl sein Eigenkapital nicht ausreichte, um den Kauf des Unternehmens zu bewerkstelligen und die Investitionen selber zu tätigen, fragte er bei der Treuhand um den Kauf der angeschlagenen Unternehmensgruppe an. Wie er sich glaubhaft als möglicher Käufer präsentierte, ist unklar. Vielleicht wollte er auf diese Weise auch bloß Zeit gewinnen, um seine Tätigkeit als Unternehmensberater innerhalb der Ex-DDR-Unternehmen zu verlängern und Zugriff auf die Liquiditätshilfen der Treuhand in Millionenhöhe zu haben.
Wir als Mitarbeiter ahnten, dass der Plan unseres Chefs auf wackeligen Füßen stand, wenn uns auch das ganze Ausmaß des Betrugs nicht bewusst war. Soviel aber war klar: Unsere berufliche Existenz war ernsthaft gefährdet, wenn das riskante Lottospiel nicht aufging. Wir verschlossen die Augen vor der dräuenden Gefahr und kamen pflichtschuldig unseren Aufgaben nach: Entgegen der Zusage meines Chefs wurde in den Unternehmen ein massiver Stellenabbau betrieben. Die Verfahren vor den Arbeitsgerichten mehrten sich. Meine Aufgabe als Jurist war es dabei, die Interessen meines Chefs zu vertreten. So mancher Juristenkollege, der damals die klagenden Arbeiter vertrat, versicherte mir: "Du tust ja auch nur deine Pflicht." Damals beruhigte diese Haltung mein schlechtes Gewissen.
Verlorene Milliarden
Als die Treuhand schließlich dem Verkauf an meinen Chef nicht zustimmte, waren schon viele Gelder in die Unternehmensgruppe geflossen, die er betreute. Mein Chef hatte sich längst genommen, was er wollte. Von den über 100 Millionen Mark, die die Treuhand in die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs investiert hatte, war bei einer späteren Überprüfung fast nichts mehr übrig. Einen nicht unwesentlichen Anteil hatte die Unternehmensberaterfirma meines Chefs kassiert. Den Rest hatte er sich offenbar von den Betriebsleitern auf das Konto eines Notars überweisen lassen, vorgeblich für die Zeit nach der abgeschlossenen und erfolgreichen Privatisierung, von der noch immer, wider jede Vernunft und Wahrscheinlichkeit, die Rede war. Der Notar wiederum leitete das Geld auf die Konten meines Chefs weiter.
Die Abermillionen präsentierte mein Chef der Treuhand und gab sie als die Investitionsgelder aus, die gefehlt hatten, um seine Geschäftsidee umzusetzen. Damit flog alles auf. Und was wäre geschehen, wenn nicht? Hätte mein Chef die Unternehmen eiskalt zusammenbrechen lassen in der Hoffnung, von dem Grund und Boden zu profitieren, auf dem sie sich befanden? Der Gesamtwert der Grundstücke betrug nach Schätzungen womöglich nahezu zwei Milliarden DM, ein Mehrfaches der investierten Gelder also.
Bevor mein Chef zur Rechenschaft gezogen werden konnte, verstarb er im Ausland. Noch heute wird gemunkelt, er sei möglicherweise untergetaucht, um vor der Justiz zu fliehen. Die Treuhand konnte einen geringen Anteil des veruntreuten Geldes über eine Lebensversicherung in Millionenhöhe, die mein Chef abgeschlossen hatte, wiedergutmachen. Ein Großteil des Geldes aber war unwiederbringlich verloren. Mit dem Tod meines Chefs gingen die Unternehmen endgültig Pleite.
Die Frage nach der Eigenverantwortung
Als ich im Zuge dieser Ereignisse die Kündigung erhielt, fragte ich mich, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Verlogene Visionen und Versprechen, denen man aufsitzt, bilden die eine Seite der Medaille. Die andere Seite sind Leute wie ich.
Wenn es um unverantwortliches Handeln geht, heißt es häufig: "Ich habe keine Alternative gehabt." Ich halte das mittlerweile für fragwürdig. Die Aufgabe der eigenen Verantwortung, das Umgehen des eigenen Gewissens und berechtigter Zweifel ist und bleibt problematisch. Selbst dann, wenn das richtige Handeln zum eigenen Nachteil wäre.
Wenn es noch andere Meiers gibt wie mich, die funktionieren, die tun, was man ihnen sagt, die weggucken und ihre Skepsis verschweigen, die nicht den Mund aufmachen und ganz einfach ihre Pflicht erfüllen, dann haben Menschen wie mein damaliger Chef - und nicht nur solche - eine Chance.