
Falsche Moscheen: Die sind doch nicht ganz echt
Orientalische Prachtbauten Deutschlands schönste Moschee-Attrappen
Deutschlands schönste Moschee steht nicht in Köln oder Berlin, sondern im badischen Schwetzingen. 37 Meter ragen die beiden Minarette des Kuppelbaus in den Himmel. Gemeißelte Koransuren an den Fassaden künden von der Unität Allahs, ein von Arkaden umrahmter Innenhof erinnert an berühmte Vorbilder wie in Córdoba oder Kairo.
Nur einen winzigen Haken hat der orientalische Traum in Zartrosa: Die Rote Moschee im Schlossgarten, sie ist gar keine.
Das gilt nicht allein für Schwetzingen. Deutschlands erste echte Moschee für echte Muslime wurde 1915 in Wünsdorf bei Berlin gebaut - einer der deutschen Versuche, einen Dschihad gegen England und Frankreich zu entfesseln. Schon lange davor gab es viele andere orientalisch anmutende Bauten in Deutschland und Europa. Blickt man hinter die Fassaden, wird schnell klar: Ausgerechnet die prächtigsten haben nie einen betenden Muslim erlebt. Während heute die wenigen repräsentativen Moscheen vielerorts aus allen Nähten platzen, bauten Könige, Fürsten und Industrielle zwischen dem ausgehenden 18. und beginnenden 20. Jahrhundert nur scheinbar islamische Gebäude, ohne dass irgendein Muslim je danach gefragt hätte.
In Wien und Dresden entstanden Fabriken im Orient-Look. In Düsseldorf und Wiesbaden tranken Kaffeehausgänger ihren Mokka stilecht unter Minarett-Imitationen. In Prag, Budapest und Berlin errichteten Juden ihre Synagogen im maurischen Stil. In Bayern, der Pfalz und London verschönerten Herrscher ihre Anwesen mit "Gartenmoscheen".
Waren da arabische Erstklässler am Werk?
Einer von ihnen: Karl Philipp Theodor, Kurfürst von Pfalz-Bayern. Eines seiner Hobbys: multikulturelle Schlossparkgestaltung. 1778 wies er seinen Hofarchitekten Nicolas de Pigage an, den Schwetzinger Schlosspark um einen "türkischen Garten" und eine "Moschee" zu erweitern. Von authentischer islamischer Architektur hatte der Architekt allerdings kaum Ahnung und holte sich seine Inspiration lieber in London, in den königlichen Parkanlagen. Dort hatte man wenige Jahre zuvor das erste pseudoislamische Bauwerk Westeuropas errichtet: The Alhambra at Kew Gardens, mittlerweile abgerissen.
Um zu erkennen, dass mit der Roten Moschee etwas nicht stimmen kann, braucht es keine Promotion in Architekturgeschichte. Arabische Muttersprachler oder Muslime sehen sofort: Viele Inschriften wirken, als hätte sie ein arabischer Erstklässler in den Stein gemeißelt. Es fehlt ein für die rituelle Waschung der Gläubigen nötiger Brunnen - und sogar die in jeder Hinterhofmoschee obligatorische Gebetsnische.

Falsche Moscheen: Die sind doch nicht ganz echt
Für echte Muslime war die Moschee ohnehin nie vorgesehen, wie auch viele andere europäische Gebäude im "türkischen" oder "maurischen" Stil. Mit den Begriffen nahm man es damals nicht so genau: Als "türkisch" ging im Zweifel alles durch, was ein Minarett hatte - selbst wenn das Vorbild in Indien oder Marokko stand. Die realen architektonischen Inspirationen waren so unterschiedlich wie die spätere Nutzung der Fake-Moscheen. Eines aber hatten all die Gebäude gemeinsam: die Begeisterung ihrer Erbauer für den "Orient".
Als Steinmetze 1795 die letzten arabischen Rechtschreibfehler in die Wände der Schwetzinger Moschee meißelten, wartete man an Europas Höfen gespannt auf Neuigkeiten von Napoleons Ägypten-Expedition. In Wien dröhnten türkische Militärtrommeln zu Mozarts "Entführung aus dem Serail", in Berlin lieferte Lessings "Nathan der Weise" den Soundtrack zum Toleranzgedanken der Aufklärung.
Steingewordene Ringparabel in Zartrosa
In dieser Zeit verblasste die Erinnerung an die Bedrohungen durch das Osmanische Reich ("Die Türken vor Wien!"); populär waren Geschichten aus Tausendundeiner Nacht und Gedichte aus Goethes "West-östlichem Divan". Der "Orient" wurde vom Symbol des Schreckens zum Sehnsuchtsort. Das eigene Bekenntnis zum "türkischen" Lifestyle, es war Ausdruck von Weltgewandtheit, Sinnlichkeit, Toleranz. Davon zeugen imposante Gebäude:
1867 war eine Moschee nicht nur Preußens Beitrag zur Pariser Weltausstellung. Der Maurische Kiosk gefiel Ludwig II. so gut, dass er den Bau kurzerhand kaufte; im Sultansgewand ließ der Bayernkönig sich von als Muslimen verkleideten Dienern Wasserpfeife und Datteltörtchen reichen.
Als Preußenkönig Wilhelm IV. Mitte des 19. Jahrhunderts von seinen Potsdamer Schlossterrassen nicht auf ein schnödes Pumpenhaus blicken wollte, forderte auch er ein Gebäude "nach Art der türkischen Moscheen mit einem Minarett als Schornstein". Das Resultat steht bis heute am Potsdamer Havelufer.
1859 suchte Berlins wachsende jüdische Gemeinde für ihre Neue Synagoge nach Formen, um ihrem Selbstbewusstsein architektonisch Ausdruck zu verleihen - und griff auf Elemente der andalusischen Alhambra wie auch der indischen Mogulzeit zurück.
Als Dresdner Baubehörden 1907 befürchteten, dass der Bau einer Tabakfabrik dem Charakter der Innenstadt schaden könnte, wertete Zigarettenfabrikant Hugo Zietz seine Yenidze mit islamischen Elementen auf: Der Schornstein wurde zum Minarett. Aufs Dach kam eine gläserne Kuppel. Auf der Fassade prangte in großen Lettern "Salem Aleikum".
Zur Planung von Karl Theodors Roter Moschee gibt es Gerüchte, dass der Kurfürst auch an den möglichen Einzug einer echten muslimischen Prinzessin dachte. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Schwetzinger Moschee als Symbol von Aufklärung und religiöser Verständigung gedacht war.
Was überall im Schlosspark wie ein wirrer Mix von Architekturstilen anmutet, lässt sich auch als bewusster Dialog der Kulturen lesen: Barocker Kitsch begegnet freimaurerischer Symbolik, deutsche Linden treffen auf japanische Kirschbäume, "römische" Tempel auf eine "türkische" Moschee. Deren Minarette wiederum erinnern an römische Säulen, die Fassade ähnelt der Wiener Karlskirche, und die Wandelhallen im Moscheeinnenhof könnten auch als Kreuzgänge eines mittelalterlichen Klosters durchgehen.
Rückschlüsse auf reale politische Verhältnisse ziehen, wie es mancher Reiseführer bis heute tut, sollte man aus den Bauten nicht. Hinter der rosafarbenen Toleranzfassade verhielt sich Kurfürst Karl Theodor als entschiedener Verbreiter des Katholizismus.
Als die Türkenmode ging, kamen die Bagger
Der Schein trügt nicht allein im Schwetzinger Schlosspark. Vielerorts ging der Trend zur "Türkenmode" so schnell, wie er gekommen war. Anfang des 20. Jahrhunderts gerieten zahlreiche einstige Prachtbauten in Vergessenheit.
Unter Kuppeln und Minaretten servierten 1895 in Düsseldorf als Beduinen verkleidete Bedienungen Mokka zur Wasserpfeife; bald darauf musste das Arabische Café einem Kino weichen. Bis 1964 überlebte in Wiesbaden das Café Orient. Dann kamen die Bagger und zerstörten das einst beliebteste Kaffeehaus der Stadt zugunsten eines Achtgeschossers. Die eindrucksvollen "orientalischen" Kuppeln der Yenidze in Dresden und der Neuen Synagoge in Berlin litten erst unter Weltkriegsbomben, dann unter sozialistischem Renovierungsstau.
In Schwetzingen waren es ausgerechnet echte Muslime und andere Kulturfremde, die halfen, die Lebenszeit der "Moschee" etwas zu verlängern. Während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 sollen dort französische Kriegsgefangene muslimischen Glaubens untergebracht worden sein. Und nach dem Zweiten Weltkrieg verwandelten amerikanische GIs die Moschee für kurze Zeit in einen Jazzklub.
Nach dem Abzug der US-Soldaten ging es mit der Roten Moschee bergab. Eine Broschüre aus den Achtzigerjahren beschreibt den einst so pompösen Bau als "völlig verrottet", die Wandelgänge aus Sandstein als verwittert, die Holzkonstruktion der Kuppel als morsch.
Dann aber erinnerte sich das Land Baden-Württemberg seines "orientalischen" Erbes. Für rund zehn Millionen Euro wurde die Moschee in den Nullerjahren von Grund auf restauriert. Und dann erlebte der Multikulti-Schlosspark doch noch echte betende Muslime - als der Nachfolger von Kurfürst Karl Theodor, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Muslime zum traditionellen Fastenbrechen ins Schwetzinger Schloss einlud.