

Karl-Heinz Fischer vom Mobilen Sondereinsatzkommando reichte es. Es war viertel vor sechs Uhr morgens, seit bald zwölf Stunden saß der Kriminalpolizist mit einem Kollegen in seinem BMW 2000 und observierte die Garage in Frankfurt am Main. Nichts war passiert. Das "Objekt" unweit des Hauptfriedhofs sei seiner Meinung nach "tot", sagte Fischer zu seinem Kollegen.
Wenige Minuten später rasten drei jüngere Männer in einem auberginefarbenen Porsche Targa in falscher Fahrtrichtung durch eine Einbahnstraße zu der Garage. Zwei von ihnen gingen hinein, ein dritter blieb zur Absicherung draußen stehen. Wer auch immer die drei Männer waren, die Kripobeamten wussten, dass sie in der Garage Chemikalien gelagert hatten, die sich zum Bau von Bomben eigneten.
Einer der Polizisten gab "Festnahmealarm". Um viertel nach sechs, so hat der Dokumentarfilmer Klaus Stern es detailliert recherchiert, traf ein TV-Kameramann des Hessischen Rundfunks bei der Garage ein. Ein Polizist wies ihn an, hinter einer Mauer Deckung zu suchen: "Gehen se hier hinter die Ecke", sagte er. "Gleich wird scharf geschossen."
Was wenig später an diesem 1. Juni 1972 vor der Frankfurter Garage passierte, hielt die gesamte Bundesrepublik in Atem: Denn die drei Männer, die sich dort ein Feuergefecht mit Dutzenden Polizisten liefern sollten, waren führende Köpfe der Baader-Meinhof-Gruppe, die die Westdeutschen zuvor mit einer Serie von Bombenanschlägen in Angst und Schrecken versetzt hatte. Das Duell in der Bankenstadt war deshalb auch ein Showdown zwischen dem Staat und den Terroristen, die ihn herausforderten. Es sollte Stunden dauern.
Zunächst näherten sich zwei Polizisten dem dritten Mann. Der flüchtete, schoss dreimal, traf aber niemanden und rannte weiter. Auf seiner Flucht versteckte er sich unter einem Holunderbusch, doch eine Anwohnerin beobachtete ihn und rief die Polizei. Zwei Beamte nahmen den hageren Mann wenig später fest. Welchen Fang sie da gemacht hatten, ahnten sie jedoch noch nicht: Der Verhaftete war Jan-Carl Raspe, der fähigste Techniker der Roten Armee Fraktion (RAF).
Die zwei Männer in der Garage hatten, nachdem sie die Schüsse gehört hatten, die Türen hinter sich verschlossen. Der eine war Holger Meins, ein hochaufgeschossener Kameramann und RAF-Mitglied der ersten Stunde. Der andere war Andreas Baader - der prominenteste Feind der Bundesrepublik.
Seit zwei Jahren hatte der 29-Jährige im Untergrund gelebt, nachdem Genossinnen den Anarcho-Bohemian im April 1970 in West-Berlin bei einer Ausführung aus dem Gefängnis befreit hatten. Mit seiner Freundin Gudrun Ensslin bildete Baader die Doppelspitze der RAF, die zunächst nur Banken überfallen, Autos gestohlen und theoretische Abhandlungen verfasst hatte.
Groteske Fehleinschätzung
Doch im Frühjahr 1972 startete die RAF ihre "Mai-Offensive", vor allem gegen die U.S.-Army. Bei den Anschlägen mit selbstgebauten Bomben starben vier Menschen, 74 wurden verletzt. Ulrike Meinhof fabulierte in einer Kommando-Erklärung: "Die Menschen in der Bundesrepublik unterstützen die Sicherheitskräfte bei der Fahndung nach den Bombenattentätern nicht, weil sie mit den Verbrechen des amerikanischen Imperialismus und ihrer Billigung durch die herrschende Klasse hier nichts zu tun haben wollen."
Wie grotesk diese Fehleinschätzung war, zeigte sich im Fall der umzingelten Garage. Der zuständige Hausmeister hatte seinen Verdacht, dass deren Mieter Terroristen sein könnten, umgehend der Polizei mitgeteilt.
Und jetzt saßen sie fest.
Draußen rückten immer mehr Polizisten zur Belagerung an. Sie schoben ein Auto vor die Tür, Tränengrasgranaten flogen durch Fenster in die Garage. Die Belagerten schleuderten die Kartuschen postwendend wieder durch das Tor hinaus. "Die einzige Chance, die Sie haben", rief der Einsatzleiter des Bundeskriminalamts durch ein Megafon, "ist aufzugeben. Werfen Sie die Pistolen in den Hof. Nehmen Sie die Hände hoch, und kommen Sie einzeln raus. Sie sind noch jung."
Die beiden Männer dachten nicht daran, diesem Befehl Folge zu leisten. Stattdessen öffneten Baader und Meins das Tor und schossen auf die Polizisten, ohne jedoch zu treffen. Ein Panzerwagen kam herangefahren, er sollte die Garagentür zudrücken und die mittlerweile 60 Beamten vor den Kugeln der Terroristen schützen. Mit Tränengas sollten die Eingesperrten dann zur Aufgabe gezwungen werden. Doch als der Fahrer des Panzerwagens wieder zurücksetzte, nutzten die RAF-Größen das große Gefährt als Deckung - und stürmten aus der Garage.
"Irgendeiner hat angefangen"
In diesem Moment fielen Schüsse aus Maschinenpistolen. "Irgendeiner hat angefangen, und die anderen haben einfach wild mitgeballert", erinnerte sich ein Beamter später. "Das waren bestimmt über 300 Schuss", sagte ein anderer Polizist. "Wir haben in Kauf genommen, dass wir sie töten. Das war von oben auch so abgesichert." Als den langen Mann ein Streifschuss am Knie traf, zogen die beiden sich wieder in die Garage zurück.
Kriminalhauptmeister Bernhard Honke passte das nicht. Mehr als zwei Stunden waren bereits vergangen, seit Raspe die ersten Schüsse abgefeuert hatte. Und noch immer leisteten die Terroristen Widerstand. Honke ging in den dritten Stock eines Mietshauses, von wo aus er einen guten Blick in die Garage hatte. Ohne Erlaubnis vom Einsatzleiter ließ er sich ein Gewehr mit Zielfernrohr bringen, legte an und schoss. In den Oberschenkel getroffen, fiel Baader zu Boden.
Holger Meins ergab sich daraufhin und kam, wie von der Polizei gefordert, nur in Unterhosen gekleidet, aus der Garage. Auf die Frage, wer noch in der Garage sei, antwortete er: "Nur der Andreas, und der kann nicht mehr."
Mehrere Polizisten zogen Baader schließlich in der Garage unter einem gestohlenen Iso Rivolta IR 300 hervor, einen 55.400 D-Mark teuren italienischen Sportwagen mit 296 PS, von dem in Deutschland nur 50 zugelassen waren. Baader liebte schnelle Autos. Wegen Fahrens ohne Führerschein vorbestraft, war er ein gutes halbes Jahr zuvor am Steuer eines Porsche von der Autobahn abgekommen und hatte sich mehrfach überschlagen.
Bei dem Showdown in der Frankfurter Garage hatte er sich zum Schutz seine Ray-Ban-Sonnenbrille aufgesetzt und schrie "Ihr Schweine" und "Faschisten", als ihn die Polizisten über den Hof schleppten. Die Festnahme des deutschen Terrorpaten war ein großer Erfolg für die Fahnder - und der Anfang des schwärzesten Monats in der noch jungen RAF-Geschichte.
Auf ganzer Linie gescheitert
Nur sechs Tage später wurde Gudrun Ensslin in einer noblen Boutique am Hamburger Jungfernstieg festgenommen. Sie hatte einen weißen Shetland-Pullover anprobiert und dafür ihre Jacke abgelegt. Der Verkäuferin fiel daraufhin deren hohes Gewicht auf. Als sie die Konturen einer Pistole ertastet hatte, rief ihre Chefin die Polizei.
Zwei Tage, nachdem die wichtigste Organisatorin der RAF ausgeschaltet war, nahm die West-Berliner Polizei auch Brigitte Mohnhaupt zusammen mit ihrem Gefährten Bernhard Braun fest.
Am 15. Juni 1972 wurde Ulrike Meinhof mit dem ebenfalls gesuchten Gerhard Müller in Hannover gefasst. Ein linker Lehrer, bei dem die beiden übernachten wollten, hatte die Polizei informiert. Bei der Verhaftung beschlagnahmte die Polizei eine Maschinenpistole, zwei Pistolen, zwei Handgranaten und eine Bombe.
Nachdem im Juli schließlich auch noch Irmgard Möller und Klaus Jünschke in Offenbach verhaftet worden waren, saß im Sommer 1972 nahezu die gesamte RAF hinter Gittern. "Dass sie uns nicht kriegen", hatte Ulrike Meinhof zwei Jahre zuvor gesagt, "das gehört sozusagen zum Erfolg der Geschichte." Jetzt waren bis auf vier alle der mindestens 33 RAF-Mitglieder tot oder gefangen. Die RAF war zunächst auf ganzer Linie gescheitert.
Die Bundesregierung Willy Brandts konnte nach der Verhaftungswelle erst einmal aufatmen. Walter Scheel, liberaler Außenminister und Vizekanzler, erklärte im Sommer 1972 erleichtert: "Das Problem Baader-Meinhof ist erledigt."
Das war etwas zu optimistisch.
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Das Ende: Angeschossen wird Andreas Baader schließlich nach dem stundenlangen Feuergefecht von vier Polizeibeamten aus der Garage gezogen. Die von den Schüssen geweckten Nachbarn hatten zunächst an Filmaufnahmen geglaubt - auch weil Baader mit Sonnenbrille und Zigarette im Mund auch während der Schießerei cool wie ein Filmstar gewirkt hatte.
Nackter Terrorist: Am Morgen des 1. Juni 1972 wurde auch Holger Meins verhaftet. Nachdem Baader angeschossen worden war, ergab sich Meins und kam aus der Garage. Die Polizisten hatten ihn zuvor aufgefordert, sich bis auf die Unterhose auszuziehen.
Meins starb im November 1974 an den Folgen eines Hungerstreiks in der Justizvollzugsanstalt Wittlich, Rheinland-Pfalz.
Porsche mit Geschichte: Andreas Baader bevorzugte schnelle und teure Autos, zumeist von BMW, die deshalb umgangssprachlich bald als Baader-Meinhof-Wagen bekannt waren. Am Morgen des 1. Juni 1972 rasten Baader und Holger Meins mit diesem auberginefarbenen Porsche 911 Targa in den Frankfurter Hofeckweg, wo sie schließlich festgenommen wurden. Den Wagen, hier nach seiner Sicherstellung im BKA-Depot, hatte Baader zuvor dem Fotografen Rainer Schlegelmilch (Hintergrund) gestohlen.
Baader im Krankenhaus: Verletzt und unter lautem Gebrüll war Baader von Polizeibeamten aus der Garage geschleift worden. Dort hatte die RAF neben einem gestohlenen Auto auch Chemikalien gelagert, die zum Bau einer Bombe geeignet gewesen wären. Auf das Versteck aufmerksam geworden war das BKA, nachdem der zuständige Hausmeister sich mit seinem Verdacht bei der Polizei gemeldet hatte.
Der Techniker: Ebenfalls verhaftet wurde an diesem Morgen der Soziologe Jan-Carl Raspe, ein anderes führendes Mitglied der RAF. Raspe, der technisch sehr begabt war, hatte wahrscheinlich die Bomben gebaut, mit denen die RAF 1972 mehrere Anschläge - vor allem auf Stützpunkte der U.S.-Army - verübt hatte.
Liebhaberstück: Seine letzten Minuten in Freiheit verbringt der Sportwagen-Fan Andreas Baader neben diesem 296 PS starken, silbernen Iso Rivolta IR 300 mit gefälschtem Offenbacher Kennzeichen. Von dem 55.400 DM teuren Wagen (hier im BKA-Depot) waren zu dieser Zeit bundesweit etwa 50 Stück zugelassen. Um bei Kontrollen in derart teuren Autos nicht aufzufallen, fuhr Baader gern mit einem Tennisschläger auf dem Beifahrersitz.
Vom Autodieb zum Staatsfeind: Baader wurde zunächst als Autoknacker und "gewöhnlicher" Krimineller eingestuft. Erst nach der Kaufhaus-Brandstiftung und seiner Festnahme im April 1968 (hier das Polizeifoto), wurde er als Chef der militanten RAF zum Schrecken der Bundesrepublik.
Fatale Fehleinschätzung: Am 15. Juni 1972 wird auch Ulrike Meinhof in Hannover verhaftet. Zuvor hatte die RAF-Vordenkerin in einer Erklärung verlauten lassen, dass die Bevölkerung die Fahndung nach der RAF nicht unterstützen würde.
Prominenter Anwalt: Otto Schily (hier im Juni 1975 am Gefängnistor von Stammheim) vertrat die RAF-Spitze als Rechtsanwalt. Nach der Verhaftung von Ulrike Meinhof wurde er beschuldigt, Briefe seiner Mandantin Gudrun Ensslin aus dem Gefängnis geschmuggelt zu haben. Die Vorwürfe konnten allerdings nie bewiesen werden.
Fahndung: Bereits ab 1970 wurden die Mitglieder der "Ersten Generation" der RAF per Haftbefehl von den deutschen Justizbehörden gesucht. Nachdem Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe bereits im Gefängnis saßen, wurden im Juli 1972 auch Klaus Jünschke und Irmgard Möller verhaftet. Ilse Stachowiak folgte im Februar 1974 und mit der Verhaftung von Ronald Augustin waren im Mai 1974 alle der Gesuchten auf diesem Plakat inhaftiert.
In Stammheim: Andreas Baader (hier mit Gudrun Ensslin und Brigitte Mohnhaupt am 5. Juli 1976 in Stuttgart-Stammheim) gab sich gern cool mit offenem Hemd und Sonnenbrille.
Auf der Anklagebank: Am 21. März 1975 begann im eigens dafür errichteten Gerichtssaal in der JVA Stammheim der Prozess gegen Jan-Carl Raspe, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof (v.l.). Am 28. April 1977 wurden die Terroristen wegen vier Morden und 34 versuchten Morden aus dem Jahr 1972 zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.
Das Ende der RAF-Führung: Mit erhobener Faust nimmt am 27.10.1977 einer der zahlreichen Trauergäste am gemeinsamen Grab von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe Abschied von den Toten. Links am Grab steht Pfarrer Helmut Ensslin, der Vater von Gudrun Ensslin. Die führenden Köpfe der RAF hatten am 18. Oktober 1977 im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim Selbstmord verübt und wurden unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen auf dem Stuttgarter Dornhalden-Friedhof beigesetzt.
Problem gelöst: Nachdem im Sommer 1972 nahezu die gesamte RAF tot oder im Gefängnis war, atmete die Regierung erst einmal auf. Brandts Außenminister Walter Scheel erklärte das "Problem Baader-Meinhof" für erledigt - eine fatale Fehleinschätzung.
Auf dem Bild sind Scheel (l.), Bundeskanzler Willy Brandt und der damalige Staatssekretär Egon Bahr (M.) im Februar 1972 vor einer Sitzung über die Billigung der Ostverträge im Bundesrat in Bonn zu sehen.
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