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RAF-Terrorismus: Mord an Jürgen Ponto - die tödliche "Aktion Daisy"

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RAF-Terrorismus Der Tag, als Jürgen Ponto starb

Sie kamen mit Rosen und Pistolen. Am 30. Juli 1977 wollte die RAF den Bankier Jürgen Ponto entführen - und erschoss ihn. Peter-Jürgen Boock plante die "Aktion Daisy" mit. Hier spricht er über das schlimmste deutsche Terrorjahr.
Zur Person
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Peter-Jürgen Boock (Jahrgang 1951) zählte in den Siebzigerjahren zu den meistgesuchten deutschen Terroristen. Nach seinem Realschulabschluss 1968 brach er eine Lehre als Maschinenschlosser ab, lief 1969 aus einem Jugendheim fort und bewegte sich im Umfeld der linksextremistischen Rote Armee Fraktion (RAF). Boock war an mehreren Anschlägen beteiligt, darunter 1977 die Schleyer-Entführung. 1981 setzte er sich von der RAF ab, erhielt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe und kam 1998 aus der Haft. Heute lebt er mit seiner Frau in Italien.

einestages: Herr Boock, vor 40 Jahren versuchte die RAF, Jürgen Ponto, den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, in Oberursel zu entführen. Sie waren Fahrer des Fluchtwagens. Was sah der Plan vor?

Boock: Ich wartete in einem Fahrzeug nahe der Grundstückseinfahrt der Pontos. Wir wollten ihn entführen, schnell in einen anderen Wagen wechseln und Ponto "umtopfen", wie wir das genannt haben, um dann mit diesem Wagen zur konspirativen Wohnung zu fahren, die wir im Frankfurter Vorort Hattersheim angemietet hatten. In der Tiefgarage des Hochhauses stand noch ein Auto für den Fall, dass man schnell verschwinden muss. Weil wir davon ausgingen, dass diese Wohnung nicht lange haltbar sein würde, war auch eine zweite bereits vorbereitet. Aber dann ging die Entführung schief.

In Pontos Villa waren die RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Susanne Albrecht. Sie erhielten Zutritt, weil Susanne Albrecht sich mit dem Ehepaar Ponto verabredet hatte - ihr Vater war ein Jugendfreund von Jürgen Ponto, ihre Schwester Pontos Patenkind. Die Terroristen erschienen zu dritt und "sehr ordentlich" gekleidet, wie Pontos Fahrer dem Ehepaar beim Öffnen per Gegensprechanlage mitteilte. Susanne Albrecht hatte einen Strauß Rosen für "Onkel Jürgen" dabei. Ihrer späteren Aussage zufolge kam es im Haus zu keinem Kampf, keinem Handgemenge, als Christian Klar seine Waffe zog, Ponto bedrohte und ihm sagte, er werde entführt. Ponto sagte etwas wie "Ihr seid wohl verrückt", machte eine abwehrende Armbewegung und einen Schritt nach vorn. Dann schossen Klar und Mohnhaupt.Vier Kugeln trafen Jürgen Ponto, zwei davon in den Kopf. Er starb etwa eine Stunde später in der Frankfurter Uniklinik.

einestages: Was geschah in den Minuten, nachdem Ihre drei Komplizen aus dem Haus kamen?

Boock: Sie rannten zum Wagen, Christian war relativ schweigsam und niedergeschlagen. Brigitte war wütend und stieß halb im Selbstgespräch immer wieder "So eine Scheiße" aus. Susanne brach gleich im Auto unter Tränen zusammen. Brigitte sagte, Ponto habe sich gewehrt und sie in den Griff genommen, Christian habe erst zu zerren versucht und dann geschossen. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, ich war ja nicht im Haus.

einestages: War vor der "Aktion Daisy", wie die RAF den Entführungsplan nannte, vereinbart, auf Schusswaffengebrauch zu verzichten?

Boock: Jedenfalls waren wir uns in der Gruppe einig, dass es immer besser ist, wenn man nicht schießen muss. Aber alle hatten mindestens eine Kurzausbildung an ihrer Waffe, alle haben die Aktion gewollt. Und es war völlig klar, was das bedeutet: Bei einer Entführung ist unsicher, ob wir da heil rauskommen und ob der Entführte heil rauskommt.

einestages: Wie konnte es Sie überraschen, dass Jürgen Ponto nicht einfach mitkam?

Boock: Davon sind wir in der Planung nicht ausgegangen. Wir haben schon überlegt, wie damit umzugehen ist, wenn Herr Ponto sich sträubt - dann sollte es an Christian Klar sein, sich körperlich durchzusetzen. Anschließend gab es heftige Diskussionen. Die übrigen Gruppenmitglieder haben gefragt: Was sollte das, es war doch klar, dass nicht geschossen wird?

Brigitte Mohnhaupt war 1972 verhaftet worden und saß ein halbes Jahr zusammen mit Andreas Baader, Gudrun Ensslinund Jan-Carl Raspe im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim, bevor sie am 8. Februar 1977 freikam. Ausgestattet mit präzisen Aufträgen wurde Mohnhaupt sofort zum Kopf der zweiten RAF-Generation.

einestages: Klar war noch neu bei der RAF, Mohnhaupt hat ebenfalls geschossen. War damit ihre Autorität als inoffizielle Chefin nicht ramponiert?

Boock: Aus Sicht der Gruppe ging der Fehlschlag voll zulasten von "Dago", wie wir Christian Klar nannten. Er stand mehr in der Kritik als Brigitte. Davon war Susanne Albrecht ausgenommen - sie war nur mehr ein Häufchen Elend, hat wochenlang mit der Fassung gerungen, war immer nah am Zusammenbruch. Der Spruch aus der Gruppe dazu, natürlich hinter ihrem Rücken: Die kann man nicht mal mehr Brötchen holen schicken.

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RAF-Terrorismus: Mord an Jürgen Ponto - die tödliche "Aktion Daisy"

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einestages: Trotzdem veröffentlichte die RAF zwei Wochen später ihre einzige Erklärung, die namentlich unterzeichnet war - und zwar handschriftlich von Susanne Albrecht. Der Ton war schneidend: "Uns war nicht klar genug, daß diese Typen, die in der Dritten Welt Kriege auslösen und Völker ausrotten, vor der Gewalt, wenn sie ihnen im eigenen Haus gegenübertritt, fassungslos stehen."

Boock: Unterschreiben konnte Susanne das noch. Aber der Text war natürlich nicht von ihr, sondern wie alle Erklärungen 1977 von Brigitte Mohnhaupt im Duktus der Stammheimer Vorgaben verfasst. Brigitte entschied: Aus Propagandagründen muss man jetzt die gescheiterte Entführung so darstellen, als sei alles genau so geplant gewesen - als erfolgreiche Exekution.

einestages: Um nach außen vorzugeben, dass die RAF nie Fehler macht?

Boock: Man war ja von einem gewissen Größenwahn beseelt, der sich hier ausdrückt, in dieser messianischen Haltung: Wir machen gezielte Aktionen, dann erreichen sie auch ihr Ziel - und keiner von euch ist sicher. Das war die Botschaft.

Bereits im Mai 1976 hatte Ulrike Meinhof sich in ihrer Stammheimer Zelle erhängt. Ab Frühjahr 1975 hatten etwa zehn RAF-Mitglieder im sozialistischen Südjemen eine militärische Ausbildung bei militanten Palästinensern erhalten. Nach ihrer Rückkehr planten sie zusammen mit den Stammheimer Häftlingen die "Offensive 77" und kommunizierten über Kassiber. RAF-Anwälte übermittelten diese knappen, oft im Befehlston gehaltenen Botschaften aus dem Gefängnis.

einestages: Waren die Entführungspläne von Beginn an Teil der "Offensive 77"?

Boock: Was wir als Allererstes machen sollten, war klar: Siegfried Buback töten, wie es am 7. April geschah. Er war als Generalbundesanwalt ein rotes Tuch für die Stammheimer, most hated. "Der General muss weg" war dazu Gudrun Ensslins Stichwort in einem Kassiber. Ansonsten war es das große, übergeordnete Ziel, die gefangenen Genossinnen und Genossen der RAF rauszuholen. Um sie freizupressen, mussten unsere Aktionen schon einiges an Gewicht haben. Also haben wir mehrere Möglichkeiten ausgecheckt und uns schnell festgelegt, Druck durch zwei Entführungen aufzubauen. Ein Banker sollte es sein, außerdem wahlweise ein Politiker oder Wirtschaftsboss.

einestages: Spielte bei der Entscheidung, einen Banker zu entführen, auch die Aussicht auf hohes Lösegeld eine Rolle?

Boock: Nicht mal am Rande. Für die Geldbeschaffung hatten wir ungefähr ein, zwei Tage alle drei Monate vorgesehen - einen Banküberfall: Rein in die Bank, möglichst nicht unter 200.000 Mark wieder raus. Das ging schnell, und man hatte, was man brauchte. Eine Entführung ist logistisch viel komplizierter und auch riskanter.

einestages: Ein Risiko besteht auch, wenn man eine Kreissparkasse ausnimmt...

Boock: ... das haben wir eigentlich nie gemacht. Und Banküberfälle habe ich auch nie als bedrohlich empfunden. Wir sind bei der Hauptfiliale rein, die Kreissparkasse blieb verschont (lacht). Gut, als ich am Anfang noch in der Frankfurter Gruppe war, haben wir uns eine Weile darauf kapriziert, die Frankfurter Sparkasse von 1822 heimzusuchen. Aber das hatte eine lokalpolitische Komponente: Diese Bank war damals einer der Hauptfinanziers der Westend-Umgestaltung durch Abriss von Wohnhäusern zugunsten von Bankenpalästen. Wir haben ihnen auch mitgeteilt, dass es richtig Spaß bringt, sie zu erleichtern (lacht).

einestages: An wie vielen Banküberfällen waren Sie beteiligt?

Boock: Die Bundesanwaltschaft hat später über 40 in ihre Anklageschriften geschrieben. Das darf man nicht ganz ernst nehmen, die konnten einige Banküberfälle nicht richtig zuordnen, auch im Nachhinein nicht. Ab einem bestimmten Punkt zählt man nicht mehr mit.

Einer der Banküberfälle unter Beteiligung von Boock endete tödlich: Im November 1979 flüchteten Boock, Klar, Henning Beer und Rolf Clemens Wagner mit 548.000 Franken aus der Schweizerischen Volksbank in Zürich. Beim Schusswechsel mit der Polizei starb eine Passantin. Christian Klar schoss zudem einer Frau in die Brust und verletzte sie schwer; ebenso wurden zwei Polizisten getroffen. Wagner wurde noch in der Schweiz gefasst, die drei anderen konnten fliehen.

einestages: Also Bankraub als Beschaffungskriminalität, Entführungen wegen des erpresserischen Potenzials. Wie wurde festgelegt, wen es treffen sollte?

Boock: Hanns Martin Schleyer stand schnell fest. Als Arbeitgeberpräsident und früherer SS-Offizier stellte er für uns das wichtigste Bindeglied zwischen Nazizeit und bundesrepublikanischer Gegenwart dar. Bei den Bankiers waren mehrere auf der Liste. Herr Ponto stand drauf, aber zunächst nicht als Primärperson. Er war Boss der mächtigen Dresdner Bank und bestimmte außerdem in einem Rat zu internationalen Finanzen mit, wer welches Geld bekommt in der Dritten Welt. Das kam unserem ideologischen Anspruch auf Internationalismus sehr entgegen. Den Ausschlag gab jedoch, dass Susanne Albrecht eine familiäre Verbindung zu den Pontos hatte.

einestages: Wie hat die RAF diese Information erhalten?

Boock: Susanne gehörte damals zum Umfeld, aber nicht zur RAF. Aus der Hausbesetzerszene kam sie zu den Anti-Impis und zu einem der Anti-Folter-Komitees, auf die wir immer ein Auge hatten und aus denen wir Zuwachs erhielten. Sie gehörte einer Gruppe von Frauen aus Hamburg an...

einestages: ... den sogenannten Hamburger Tanten.

Boock: Exakt. Als Legale, als Unterstützerin, hat Susanne für uns Arbeiten erledigt wie Pässe, Meldeadressen oder Werkzeuge besorgen. Mit Volker Speitel, einem anderen Unterstützer, kam sie wohl auf Banker zu sprechen und sagte: Da kenne ich ja auch einen. Sofort die interessierte Nachfrage: Ja, wen denn? Wir erfuhren davon, und schnell war klar: Wenn wir da einen Türöffner haben, ist das der beste Zugang - dann muss es kein Überfall sein mit allen Gefahren.

einestages: Susanne Albrecht erzählte also arglos von der Bekanntschaft mit Ponto. War sie sofort bereit, bei der Entführung mitzumachen?

Boock: Im Gegenteil, sie hat nicht nur gezögert, sie hat sich spürbar gewehrt gegen diese Türöffner-Rolle. Die entscheidende Diskussion führten wir in einer konspirativen Wohnung im Frankfurter Norden, wie meistens nachts, bis zum Morgengrauen. Es setzte diese Art von Befragung ein, die keinen Ausweg zuließ: Willst du, dass die Revolution stattfindet, dass der bewaffnete Kampf eine Chance hat, dass die Gefangenen freikommen - zualleroberst und dick unterstrichen? Oder willst du uns diese Möglichkeit nehmen? Susanne wurde sehr in die Ecke gedrängt, das grenzte an Gehirnwäsche.

einestages: Die Rolle der Heiligen Inquisition kam bei der RAF sonst oft Brigitte Mohnhaupt zu. War sie auch hier die Wortführerin?

Boock: Nein, das war meiner Erinnerung nach Sieglinde Hofmann. Sie konnte gut argumentieren, sehr straight, und duldete schon von der Gestik und der Stimmlage her kaum Widerspruch. Sieglinde war sozusagen die Böse. Es hatte sicher auch was zu tun mit Frau gegen Frau. Die RAF bestand ja mehrheitlich aus Frauen, zum Teil sehr straighten Frauen, straighter als die Typen. War so. Susanne war allein gegen vier oder fünf, der Druck kam von uns allen - wie die Katz die Maus jagt. Dass sie am Ende unterliegen würde, war klar. Es war nur die Frage, wie lange es dauert. Susanne hat dann aufgegeben. Zugleich waren die Konsequenzen klar: dass sie endgültig im Untergrund bleiben muss, dass mit Sicherheit sehr nachhaltig nach ihr gefahndet wird, dass sie zum Beispiel eine Weile in den Nahen Osten muss.

einestages: Eine persönliche Freundschaft derart auszunutzen, mit Rosen zu "Onkel Jürgen" zu gehen - das ist auf besondere Weise hinterhältig, ein infamer Zivilisationsbruch. War das der Gruppe gleichgültig, auch die fatale öffentliche Wirkung?

Boock: Die moralische Frage, ob man sich so den Zugang erschleichen darf, hat so niemand aufgeworfen. Das in der Gruppe auszusprechen, hätte den Ausschluss bedeuten können. Für mich selbst ordnete sich damals alles der einen, der wichtigsten Sache unter: Trägt es dazu bei, dass die Gefangenen befreit werden oder nicht? So war meine eigene Haltung dazu, bei den meisten anderen wohl auch.

einestages: Sollten es in jedem Fall zwei Entführungen sein? Wäre es ohne das tödliche Desaster von Oberursel bei der von Schleyer geblieben?

Boock: Die Entführungen hatten wir zweistufig geplant, weil wir nur so ein ausreichendes Potenzial zur Freipressung der Gefangenen sahen.

einestages: Susanne Albrecht hatte die Mörder ins Haus gebracht. Wie ging es mit ihr weiter?

Boock: Sie war nahezu willenlos, in einer Phase innerer Aufgabe. Sozusagen unter Aufsicht wurde sie aus der Wohnung bei Frankfurt nach Köln gebracht. Es gab die Befürchtung, dass Susanne, wenn ein Polizist auf sie zukommt, gleich "Hier" schreit. Sie hat auch keine Aufgaben mehr übernommen, höchstens eine Art Beschäftigungstherapie, aber das sollte sich bitte schön alles wohnungsintern abspielen.

SPIEGEL TV Magazin (2010): Terroristin Albrecht und die DDR

SPIEGEL TV

einestages: Also war ihre aktive Zeit bei der RAF kurz?

Boock: Ultrakurz. Wenige Wochen. Schon vor der Schleyer-Entführung war sie in Holland, dann in Bagdad und ging später in die DDR.

einestages: Keine vier Wochen nach Jürgen Pontos Tod versuchte die RAF, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit einem Raketenwerfer anzugreifen, den Sie gebaut hatten. Diese "Stalinorgel" ging aber nicht los. Dazu gibt es drei Versionen: dass es eine Panne war. Dass Sie den Raketenwerfer sabotiert haben. Und, drittens, die offizielle RAF-Version: dass es lediglich eine große Warnung sein sollte.

Boock (lacht): Ja, die typische RAF-Haltung wie auch bei Ponto - wenn etwas schiefgeht, darf es keiner wissen, machen wir das Beste draus. Ich kann nur meine Sicht schildern: Ich habe das Ding gebaut und in einem Waldstück ausprobiert. In 30 Meter Entfernung stand ein vielleicht 15 Meter hoher Baum. Den hat's halbiert. Dann aber saßen wir im Gebäude gegenüber der Bundesanwaltschaft. Bundesanwälte habe ich keine gesehen, nur Sekretärinnen. Und dazu die Vorstellung, was Raketen aus 42 Rohren dort anrichten - nee, das wollte ich nicht.

einestages: Warum versagte die Zeitschaltuhr?

Boock: Sie hatte Minutenraster und zwei Kontakte, einen auf einer drehbaren Platte und einen auf der Zielzeit. Wenn diese Kontakte sich berühren, kracht es. Eigentlich nicht zu verhindern, es sei denn, ein winziger Draht ist nicht angeschlossen. Was keiner sehen konnte außer mir. Aber ich will auch nichts beschönigen: Wir wollten die Bundesanwälte treffen. Wenn das möglich gewesen wäre, wenn sie alle in einem Konferenzraum gesessen hätten, dann wäre das Gerät mit voller Breitseite losgegangen. Das hätte ich gemacht, ja.

einestages: Hat die RAF ernsthaft geglaubt, dass die Bundesregierung einer Gefangenenfreilassung nach einem so verheerenden Anschlag mit womöglich Dutzenden Toten noch zugestimmt hätte? Bundeskanzler Helmut Schmidt und seinen Leuten blieb doch nur eine Option: mit aller Härte vorgehen, keinen Fußbreit der RAF.

Boock: Im Nachhinein sehe ich das auch so. Nur muss man unsere und meine damalige Verblendung mit in Rechnung stellen. Zu der Zeit war für mich ausschlaggebend der ja praktisch unbedingte Befehl der Stammheimer, die diesen Anschlag, diese Machtdemonstration gegen den verhassten Gegner wollten.

Im "Deutschen Herbst" 1977 kam es noch schlimmer. In sechs furchtbaren Wochen entführte und ermordete die RAF Hanns Martin Schleyer; vier Palästinenser entführten das Lufthansa-Flugzeug "Landshut" bis nach Mogadischu, wo die Spezialeinheit GSG-9 die Passagiere befreite; die RAF-Köpfe Baader, Ensslin und Raspe begingen Selbstmord in Stammheim.

Boock sah nun keinen Sinn mehr im bewaffneten Kampf. Nach zwischenzeitlicher Verhaftung und Freilassung in Jugoslawien blieb er im Nahen Osten bis kurz vor dem Zürcher Banküberfall 1979. Von der RAF setzte er sich im Februar 1980 in Paris ab und wurde knapp ein Jahr später in Hamburg verhaftet. Er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, redete seine Tatbeteiligung jedoch klein und beteuerte, nie selbst geschossen zu haben. "An meinen Händen klebt kein Blut", schrieb Boock dem Bundespräsidenten 1988 in einem (abgelehnten) Gnadengesuch.

Es war eine Lüge. Nicht die einzige. Ermittler spotteten über den "Karl May der RAF"; aus den Reihen der RAF wurde Boock als Verräter geschmäht. Als zehn in die DDR geflohene Terroristen 1990 verhaftet wurden und aussagten, stand er bald erneut vor Gericht und gestand seine Beteiligung an der Schleyer-Entführung. Nach insgesamt 17 Jahren Haft wurde Boock 1998 entlassen.

Indes trugen nur wenige RAF-Terroristen überhaupt zur Aufklärung der Morde bei. Für Peter-Jürgen Boock spricht auch: Früh hat er seine einstigen Kampfgenossen zur Umkehr aufgefordert - und sich Gesprächen mit Angehörigen der Opfer nicht verweigert, sie sogar mehrfach selbst angeboten.

einestages: 2007 haben Sie Michael Buback angerufen, der bis heute Gewissheit sucht über die Mörder seines Vaters. Haben Sie auch zur Familie Ponto Kontakt aufgenommen?

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Dritte RAF-Generation: Die Spuren des Terrors

Boock: Einmal habe ich das über einen Anwalt angeboten, gegen Ende meiner Haftzeit. Ein Bekannter der Pontos sollte ihnen signalisieren: Falls sie Bedarf sehen, jemanden zum Tod von Herrn Ponto zur Rede zu stellen, dann wäre ich dazu bereit. Die Reaktion von Frau Ponto und ihrer Tochter war aber, dass das nicht erwünscht ist.

einestages: Was verbindet Sie noch mit anderen früheren RAF-Terroristen?

Boock: Im Umfeld von Prozessen habe ich Susanne Albrecht wenige Male kurz gesehen und ein paar Worte gewechselt, das war's. Zu Christof Wackernagel und zu ein, zwei anderen gab es mal Kontakt. Aber letztlich ging es, als die RAF sich 1998 aufgelöst hat, für alle sternförmig auseinander. Bei der dritten Generation war ohnehin niemand dabei, den ich auch nur kannte. Und das Rentnertrio, das in den letzten Jahren noch durch Überfälle aufgefallen ist, kann man nicht ernsthaft zur RAF zählen. Inzwischen sind auch alle Ermittlungsverfahren eingestellt - die RAF ist jetzt Geschichte. Erst unterm grünen Rasen treffen wir uns alle wieder, so wird's wohl sein.

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