
RAF-Opfer Ernst Zimmermann: Mordkommando in der Vorortsiedlung
RAF-Anschlag auf Ernst Zimmermann Tödliche Post
"Hier ist die RAF", sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Der Mann, der am 1. Februar 1985 beim "Gautinger Anzeiger" anrief, zog es vor, seinen Namen nicht zu nennen. "Das Kommando Patrick O'Hara übernimmt die Verantwortung für den Anschlag auf den BDLI-Präsidenten und Chef von MTU Ernst Zimmermann. Die westeuropäische Guerilla erschüttert das imperialistische System."
Für die Polizei war die Erklärung keine wirkliche Überraschung mehr. In der Morgendämmerung hatte zuvor in Gauting, südwestlich von München, eine junge Frau in der Wessobrunner Straße 3 geklingelt. In dem Einfamilienhaus wohnte der 55 Jahre alte Ernst Zimmermann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) und Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Ausrüstungsindustrie (BDLI).
Zimmermanns Gattin öffnete der jungen Frau die Tür und diese erklärte ihr, dass sie ihrem Mann einen Brief zu überbringen habe, dessen Empfang er persönlich bestätigen müsse. Als Zimmermann ebenfalls vor die Haustür trat, sprang ein junger Mann hinzu, auf dem Kopf eine Wollmütze, in den Händen eine Maschinenpistole.
Die Eindringlinge schoben das Ehepaar in den Flur. Die falsche Briefbotin fesselte die beiden und ließ Frau Zimmermann mit einem Klebeband geknebelt im Flur liegen. Den Manager schleifte sie mit ihrem Komplizen ins Schlafzimmer, wo sie ihn an einen Stuhl fesselte. Dann richtete der Mann mit der Maschinenpistole die Waffe aus kurzer Entfernung auf den Hinterkopf Zimmermanns und drückte ab - eine kaltblütige Hinrichtung.
Versehentlich durch den Boden geschossen
Als sie geschah, war die Rote Armee Fraktion schon knapp 15 Jahre alt. Horst Mahler, Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und andere hatten im Frühjahr 1970 in West-Berlin den "bewaffneten Kampf" gegen den US-Imperialismus aufgenommen, aber waren schon zwei Jahre später vollzählig verhaftet worden. Die zweite Generation der RAF um Peter-Jürgen Boock und Brigitte Mohnhaupt hatte während ihrer "Offensive 77" versucht, die in Stuttgart-Stammheim inhaftierte Führungscrew der Gruppe freizupressen - mit der Entführung Hanns Martin Schleyers und dem Hijacking des Lufthansa-Jets Landshut durch verbündete Palästinenser. Bundeskanzler Helmut Schmidt blieb hart und brachte der RAF die entscheidende Niederlage bei.
Elf kampfesmüde RAF-Mitglieder hatten sich dann klammheimlich in die DDR abgesetzt, andere waren verhaftet worden, zwei von der Polizei erschossen. Mit der Festnahme von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar im November 1982 war die zweite Generation der RAF endgültig gescheitert.
Mühsam versuchte die dritte Generation, den aussichtslosen Kampf weiterzuführen - zunächst mit einem grotesken Fehlstart: Gut ein halbes Jahr vor dem Zimmermann-Mord, am 2. Juli 1984, hatten sich sechs RAF-Kader in einer konspirativen Wohnung in Frankfurt am Main versammelt - als einem von ihnen versehentlich eine Pistole losging. Das Projektil durchschlug den Fußboden und landete in der darunter liegenden Wohnung eines Elektromeisters, der mit einem Bier vor dem Fernseher saß.
"Mit solchen Amateuren wollen wir nichts zu tun haben"
Als eine ihm unbekannte Frau klingelte und erzählte, ihr sei in der Wohnung über ihm Wasser ausgelaufen, ob etwas durchsickere, sah der Mann sich um. Jetzt fand er ein Loch in der Decke, das Projektil im Fußboden stecken und rief die Polizei. Sieben Streifenbeamte marschierten in die Wohnung und fanden in einer Kammer sechs RAF-Mitglieder, die sich widerstandslos festnehmen ließen: Helmut Pohl, Christa Eckes, Stefan Frey, Ingrid Jakobsmeier, Barbara Ernst und Ernst-Volker Staub.
In der Wohnung konnten die Fahnder zudem 8400 Blatt Dokumente beschlagnahmen: größtenteils Strategiepapiere und Ausspähungsunterlagen. In letzteren fanden sich Hinweise auf spätere RAF-Opfer, nicht nur auf Ernst Zimmermann, sondern auch auf den Siemens-Vorstand Karl-Heinz Beckurts. Als die Stasi-Offiziere, die die RAF-Aussteiger in der DDR betreuten, von den Umständen der Verhaftung erfuhren, sagten sie sich: "Mit solchen Amateuren wollen wir nichts mehr zu tun haben."
Doch offenbar wurde nicht die komplette dritte Generation in Frankfurt verhaftet. Die zentralen Figuren, die weitermachten, waren zwei langjährige RAF-Unterstützer, die Wiesbadener Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, sowie die Schwäbin Eva Haule. Grams habe beim Wiederaufbau, so schrieb Haule später, "als die RAF faktisch zerschlagen war", eine entscheidende Rolle gespielt. "Ohne ihn und seine Zähigkeit, mit der er alle praktischen Probleme angefasst und gelöst hat, wäre das nicht gegangen."
Verbandsspray gegen Fingerabdrücke
Die RAF hatte inzwischen eine Allianz mit einer kleinen französischen Terrorgruppe geschlossen, der Action Directe. Eine Woche vor dem RAF-Mord in Gauting erschoss ein Kommando dieser Truppe unweit von Paris René Audran, einen Direktor des französischen Verteidigungsministeriums. Die Kommandoerklärung war von einem "Kommando Elisabeth von Dyck" unterzeichnet, benannt nach der 1979 in Nürnberg von Polizisten erschossenen RAF-Frau.
Der Mord an Zimmermann war dann die erste Aktion der RAF seit acht Jahren, bei der ein Mensch zu Tode kam. Der öffentlich unbekannte Manager wurde zum Opfer der Terrorgruppe, weil die von ihm geführte Firma Turbinen für den Nato-Kampfbomber Tornado und Motoren für den deutschen Panzer "Leopard" baute. Mit dem kaltblütigen Mord hatte die dritte Generation der RAF zu ihrer Genickschusstaktik gefunden.
Den Fahndern wurde schnell klar, dass diese RAF-Generation handwerklich wesentlich professioneller arbeitete als ihre Vorgänger. Obwohl die Mörder von Gauting keine Handschuhe trugen, hinterließen sie keine Fingerabdrücke. Sie hatten sich offenbar ihre Hände mit einem Verbandsspray spurensicher gemacht.
Ergebnislose Fahndung
Sie schlüpften auch nicht mehr bei Freunden unter wie Ulrike Meinhof oder mieteten mit falschen Papieren Wohnungen. Stattdessen übernahmen sie Studentenbuden, deren Mieter für längere Zeit ins Ausland gingen. Autos wurden höchstens für Anschläge gemietet. Gewöhnlich bewegten sich die Terroristen - ökologisch korrekt - mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Hinsichtlich der inhaltlichen Komplexität aber ließ sich bei der dritten Generation ein deutlicher Abstieg diagnostizieren. "Wir mussten zu jedem Text, jedem Bekennerschreiben der ersten Generation Arbeitsstäbe von mehreren Mann einrichten", beschrieb der BKA-Beamte Günther Scheicher die Vereinfachung der RAF-Erklärungen. "Dagegen waren die Schriftstücke der dritten Generation die reinste Bettlektüre." Für den RAF-Experten bestand der Qualitätsverlust der RAF auch darin, dass nun "ihr Kern nur noch aus konturlosen Figuren ohne Charisma bestand."
"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion
Dies dürfte kaum als Entschuldigung dafür durchgehen, dass die Bundesanwaltschaft und das BKA bei der Aufklärung der Aktionen der dritten RAF-Generation vollkommen gescheitert sind. Die meisten der 22 bekannten Taten der dritten Generation sind nie eindeutig aufgeklärt worden - Verbrechen, bei denen 29 Menschen verletzt und zehn Menschen ermordet wurden. Unter ihnen auch Ernst Zimmermann.
Patrick von Braunmühl, der Sohn des 1985 von der RAF ermordeten Diplomaten, hat gesagt: "Dass der enorme Verfolgungsapparat bislang über die dritte Generation fast nichts herausgefunden hat, ist ein Armutszeugnis." Das ist noch sehr freundlich ausgedrückt.