
Punk-Band Ramones: "Sie wollte radikal anders sein"
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Musikproduzent Craig Leon "Ich wollte Patti Smith - und bekam die Ramones"

Craig Leon (geboren 1952) ist ein amerikanischer Produzent, Musiker und Komponist. In den Siebzigerjahren entdeckte er in New York die Ramones. Später produzierte er Künstler wie Blondie, die Talking Heads, Front 242, The Pogues, The Primitives, Phillip Boa und Mark Owen von Take That. Heute lebt er in Oxfordshire (England) und widmet sich ausschließlich klassischer Musik.
einestages: Mister Leon, wie kamen Sie damals an die noch unbekannten Ramones?
Leon: Ich arbeitete in einem Tonstudio in Miami, als Richard Gottehrer vom kleinen Label Sire Records anrief und mir einen Job als Talentscout anbot. In New York formierte sich gerade eine Szene mit neuen, aufregenden Bands wie Suicide mit Alan Vega. Von Patti Smith war ich begeistert. Ich wollte sie - aber ich bekam die Ramones. Denn einen Vertrag bei Sire lehnte Patti ab, dafür gab sie mir den Tipp: "Schau dir die Ramones an, die könnten dir gefallen!" Ich hatte noch nie von ihnen gehört. Meine Neugier war geweckt.
einestages: Die Musiker gaben sich alle den Nachnamen Ramone. Wo trafen Sie die vier zum ersten Mal?
Leon: Ihre ersten Gigs spielten sie im CBGBs Club. Der Backstage-Bereich war etwa so groß wie ein Aschenbecher. Dort begegnete ich Joey, Johnny, Dee Dee und Tommy. Drummer Tommy als Sprachrohr und Manager lud ich zu Sire Records ein. Wir sprachen über einen Plattenvertrag, obwohl die vier noch meilenweit von Studioaufnahmen entfernt waren.
einestages: Wie waren die Ramones drauf?
Leon: Sie hatten keine Kohle und trugen schäbige Klamotten vom Flohmarkt, die "Ramones-Uniform" mit den löchrigen Röhrenjeans und engen schwarzen Lederjacken kam später. Die vier waren grundverschieden, aber sie einte die Liebe zu altem Rock'n'Roll aus den Fünfzigern, zu Elvis, Little Richard, Eddie Cochran, Doo-Wop-Gruppen. Sie mochten auch den Sound der "British Invasion", die Beatles und Stones, The Who und The Animals - und Iggy Pop & the Stooges, Vorreiter der späteren Punk-Bewegung.
einestages: War Sänger Joey Ramone der Anführer?
Leon: Nein. Als Frontmann hatte er ein gewichtiges Wort mitzureden, war aber oft still und wirkte geistesabwesend. Das lag an der Obsessive Compulsive Disorder, einer Zwangsstörung, an der er litt. Aber wenn Joey etwas sagte, war das meist sehr witzig, er hatte einen knochentrockenen Humor.

Punk-Band Ramones: "Sie wollte radikal anders sein"
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einestages: Was war für Sie das Besondere an den Ramones?
Leon: Sie lachten viel und wollten Spaß. Andererseits waren sie sehr ernsthaft und ehrgeizig, wenn es um ihre Musik ging. Für manche waren sie vielleicht nur eine doofe Rockband, die sehr laut und schnell spielte. Die Jungs wurden unterschätzt. Dabei hatten sie als Kinder der New Yorker Kunstszene einiges drauf. Ihre energiegeladenen Konzerte sahen sie als Performance Art.
einestages: Wie lief's im Februar 1976 im Studio?
Leon: Die Jungs hatten 35 Songs vorbereitet, wir wählten die besten aus. Sie probten sich vorher den Arsch ab, damit die Nummern saßen. Ihnen war klar, wie teuer Studiozeit ist und wie klein unser Budget - es waren 600 Dollar. Sehr vernünftig, das gefiel mir. Im Plaza Sound Studio hatten wir vier Tage. Ich verstand, was sie wollten: radikal anders sein. Und einzigartig. Bei der Arbeit waren Joey & Co. professionell, diszipliniert, keineswegs chaotisch.
einestages: Nach Punk klingt das nicht.
Leon: Es ist ein Vorurteil, dass die Ramones wilde Chaoten waren, die sich dauernd die Köpfe einschlagen und nicht bei der Sache sind - im Gegenteil. Okay, manchmal haben sie sich im Studio auch richtig die Fresse poliert, wenn sie sich nicht einigen konnten. War aber die Ausnahme.
einestages: Was hielt die Plattenfirma vom Hochgeschwindigkeits-Sound?
Leon: Die Manager ließen uns gewähren. Experimente waren willkommen. Damals hat man Bands noch über zwei, drei Alben entwickelt. Keiner erwartete einen Hit auf der ersten Platte oder dass man plötzlich TV-Auftritte bekommt. Die Jungs waren felsenfest davon überzeugt, dass "Beat On The Brat" ein Hit würde. Großartig (lacht)! Mir war aber klar, dass wir mit solchen Songs niemals Radio-Airplay kriegen würden. Radio war damals extrem konservativ, da gab's keinen Platz für Innovatives.
einestages: Beeinflusste Joeys Leiden die Studioarbeit?
Leon: Wenn er sang, hatte er's im Griff. Musik hielt ihn am Leben. Joey war in allem sehr schnell und voll konzentriert, viele Songs schaffte er in nur einem Take. Schwierig war es eher, mit ihm über Themen jenseits der Musik zu sprechen. Joey war privat sehr in sich gekehrt. Sein Bruder Mickey Leigh, der auch als Ramones-Roadie jobbte, hat ein tolles Buch über ihn geschrieben. Da lernt man den privaten Joey/Jeffrey kennen.
einestages: War der Ramones-Sound eine Gegenbewegung zum pompösen Rock der Siebziger?
Leon: Ja, der Rock'n'Roll der frühen Tage hatte sich zu einem riesigen, aufgeblasenen Ding entwickelt. Mega-Bands wie Pink Floyd, Led Zeppelin oder Emerson, Lake & Palmer wetteiferten, wer mit dem größeren Flieger auf Tour ist. Die Zeit war reif für frischen Wind...
einestages: ...also für Punkrock.
Leon: Genau. In Amerika gab es bereits harte Bands wie The Stooges, Blue Cheer oder MC5. In England hatte sich Anfang der Siebzigerjahre der Glamrock entwickelt. Bands wie Roxy Music, Slade, The Sweet beeinflussten die Ramones, sogar die Bay City Rollers mit ihren minimalistischen Pop-Hits. Jeffrey, sorry, ich meine natürlich Joey - ich nenne ihn noch immer bei seinem richtigen Vornamen - sang früher bei einer Roxy-Music-Coverband namens Sniper. Die machten Glitterrock. Er hatte gefärbte Haare und trug silberne Plateaustiefel.
einestages: In England wurden Bands wie die Sex Pistols und The Clash von den New Yorker Ramones beeinflusst. Sind sie sich oft begegnet?
Leon: Selten, die britischen Punkbands spielten kaum in den USA. Aber als die Ramones im Sommer '76 zwei Konzerte in England gaben, mit The Stranglers im Vorprogramm, kamen alle Punkkollegen. Das Spektakel wollte keiner verpassen. Die Jungs haben mir danach von ihrem Triumphzug berichtet. Sie waren begeistert.
einestages: Warum haben Sie nur dieses eine Album mit den Ramones gemacht?
Leon: Weil Tommy Ramone unbedingt mit Tony Bongiovi arbeiten wollte. Der Cousin von Jon Bon Jovi war bereits ein renommierter Produzent, von ihm versprach er sich den ersehnten großen Hit. Ich hatte mittlerweile andere Verpflichtungen, zum Beispiel mit Blondie.
einestages: Waren Blondie und die Ramones befreundet?
Leon: Absolut. Die hingen oft miteinander ab. Es gab zwischen den New Yorker Bands Konkurrenzkämpfe, aber nicht zwischen Blondie und den Ramones. Blondie waren supercool, sie hatten die besten Künstlerkontakte, etwa zu Schriftstellern der Beat-Generation wie Williams S. Burroughs. Zeitweise gehörten sie zu Andy Warhols Clique. Außer Blondie verkehrten Patti Smith, die Talking Heads und Tom Verlaine von der Band Television mit den Ramones.
einestages: War Blondie-Sängerin Debbie Harry schon mit ihrem Gitarristen Chris Stein zusammen, oder lief auch was mit Joey?
Leon: Sie war mit Chris zusammen, aber ohne jetzt Gerüchte in die Welt zu setzen, jeder hatte damals was mit jedem. Die schreckliche Krankheit mit den vier Buchstaben gab es noch nicht, wir lebten in einer romantischen, wilden Zeit. Die sexuelle Befreiung wurde ausgiebig ausgelebt (lacht).
einestages: Waren Sie selbst Punk?
Leon: Nein. In meinen Augen waren die Ramones übrigens auch keine Punks. Sie alle hatten Intellekt, waren belesen und kamen aus Forest Hills, einer gutbürgerlichen Gegend im New Yorker Stadtteil Queens. Blondie waren mehr Punk. Während sich die Ramones viele Gedanken über ihr eigenes Image machten, gaben Blondie darauf einen Scheiß. Sie taten, was sie wollten. Und dann waren da die Punks aus England, die meinten, sich "punk-gerecht" verhalten zu müssen, und Sachen demolierten. Eines Tages verdrosch Sid Vicious grundlos den Bruder von Patti Smith. Da ging's mit Punk schon abwärts. Diese Form von Aggression war mir zuwider.
einestages: Später haben die Ramones das Album "End of the Century" mit Phil Spector produziert, dem Erfinder des "Wall of Sound".
Leon: Diese Idee hat ihnen jemand eingeflüstert. Phil lebte nur noch von seinem Namen, seine große Zeit als Hitmaker war längst vorbei. Die Jungs versprachen sich dennoch einen Hit von ihm, sie wollten kommerzieller werden. Sie sind auf ihn reingefallen.
einestages: Hatten Sie mit den Ramones später noch Kontakt?
Leon: Bis zu ihrem Tod. Vor allem mit Tommy Ramone war ich befreundet. Er starb 2014, als letzter der legendären Originalbesetzung. Joey ging bereits 2001, Dee Dee 2002, Johnny 2004. Jetzt sind sie alle unter der Erde. Die vier hatten gegen Ende ihrer Karriere auch nicht mehr viel Spaß. Der ganz große Hit, von dem sie immer träumten, blieb ihnen verwehrt. Aber kulturell haben sie unglaublich viel bewegt. Kurz vor seinem Tod sinnierte ich mit Tommy bei einer Party über die Bands, die von den Ramones beeinflusst wurden. Es waren viele. Ich bin stolz, Teil der großartigen Ramones-Geschichte zu sein.
einestages: Legen Sie zu Hause manchmal die erste Ramones-Scheibe auf?
Leon: Na klar, besonders als ich das Album zum 40. Jubiläum remastert habe. Da dröhnten Songs wie "Blitzkrieg Bop", "Let's Dance" oder "Today Your Love, Tomorrow The World" durchs Haus. Den Nachbarkindern hat's gefallen. Ich schwöre, ein Vierjähriger fängt an zu tanzen, wenn er die Ramones hört!