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Nofretete - eine berühmte Ägypterin in Berlin

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Raubkunst-Debatte "Die Nofretete gehört nach Ägypten"

Die Büste der Nofretete ist ein Meisterwerk - und seit gut hundert Jahren in Berlin ausgestellt. Historiker Jürgen Zimmerer sagt: Ägyptische Schätze in deutschen Museen sind zumeist Diebesgut aus der Kolonialzeit.
Ein Interview von Eva-Maria Schnurr

SPIEGEL: Deutsche Ausgräber fanden die Nofretete 1912 und brachten sie nach Berlin. Schon 1924 forderte Ägypten die Büste erstmals zurück, 2011 vor dem Umsturz am Nil zum bisher letzten Mal. Muss das Ägyptische Museum Berlin seine Hauptattraktion zurückgeben?

Zimmerer: Historisch betrachtet ist der Erwerb der Nofretete-Büste höchst problematisch. Ägypten war ab 1882 de facto ein britisches Protektorat. Die Nofretete gelangte somit unter den Bedingungen der europäischen Fremdherrschaft nach Deutschland, die Ägypter hat niemand gefragt. Nach ethischen Maßstäben kann die Antwort deshalb nur lauten: Die Nofretete gehört nach Ägypten.

SPIEGEL: Damals galt die Regelung der "Fundteilung": Eine Hälfte blieb vor Ort, die andere Hälfte der Fundstücke ging in das Land, das die Ausgrabung finanzierte - in diesem Fall Deutschland. Kam nicht somit der fast 3400 alte Nofretete-Kopf legal nach Berlin?

Zimmerer: Diese Regelung erfanden die Protektoratsmacht England und die Franzosen, denen die Antikenverwaltung unterstand. Die Fundteilung ist ein koloniales Recht, die Diebe gaben es sich untereinander. Der wissenschaftliche Befund ist eindeutig: Die Nofretete wurde geraubt. Niemand sollte sich auf das Recht der Kolonialmächte von damals berufen. Wir halten ja auch die Enteignungen durch die Nationalsozialisten nicht für legal, obwohl das einst geltendes Recht war.

SPIEGEL: Ägyptens Vizekönig Said Pascha rief 1858 die Antikenverwaltung gerade deshalb ins Leben, um zu verhindern, dass antike Fundstücke außer Landes geschafft werden. War es sein Fehler, die Leitung sofort einem Franzosen zu übertragen?

Zimmerer: Ägypten war Provinz des Osmanischen Reichs, und es ist sehr fraglich, wie frei selbst das Osmanische Reich gegenüber den europäischen Großmächten zu dieser Zeit überhaupt noch agierte. Durch den Bau des Suezkanals verschuldete sich Ägypten dann dermaßen, dass Frankreich und England 1878 die Verwaltung formal übernahmen: England die Finanzverwaltung, Frankreich die Infrastruktur und auch die Antikenverwaltung. Bis 1953 spielte somit eine europäische Macht die Rolle der Ägypter bei der Fundteilung.

SPIEGEL: In der Debatte um koloniale Raubkunst geht es mehr um Bronzefiguren aus Benin oder andere afrikanische Kunst als um Objekte aus Ägypten. Warum?

Zimmerer: Die Europäer gingen lange davon aus, dass es gar keine Kunst in Afrika geben könne. Das änderte sich erst, als britische Soldaten 1897 in Benin spektakuläre Bronzetafeln und -köpfe entdeckten. Anfangs behaupteten einige Forscher sogar, die Portugiesen oder Spanier hätten diese Kunst geschaffen. Für sie war unvorstellbar, dass Afrikaner so etwas können. Nur bei den ägyptischen Objekten war das von Anfang an anders.

Mehr dazu in SPIEGEL GESCHICHTE 2/2020
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cgs

Das alte Ägypten: Eine versunkene Zivilisation wird neu entschlüsselt

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SPIEGEL: Weil sie als Hochkultur galten?

Zimmerer: Ja, man betrachtete die ägyptische Tradition als Vorläuferin der europäischen Kultur. Die Idee war immer: Das ist eigentlich unsere Kultur. Daraus wurde das Anrecht abgeleitet, Objekte aus Ägypten ausstellen oder sogar besitzen zu dürfen. Auch bestimmte Bilder gehen mit dieser Sichtweise einher: Wir denken uns Kleopatra immer als Weiße. Wir reden kaum über den Sudan ...

SPIEGEL: ... wo europäische Ausgräber im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ebenfalls tätig waren ...

Zimmerer: ... und auch selten über die schwarzen Pharaonen aus dem einstigen Königreich Kusch, die Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. für ein Jahrhundert die Macht in Ägypten übernahmen. Wir lassen nur einen bestimmten Ausschnitt Ägyptens als Vorläufer des weißen, kulturell gehobenen Europas gelten.

"Man sollte zumindest einmal zugeben, dass diese Kulturgüter geraubt wurden"

SPIEGEL: Forscher Karl Richard Lepsius brachte schon von seiner Ägyptenexpedition 1842 bis 1854 gut 1500 Objekte nach Berlin - der Grundstock für das Ägyptische Museum. Weil der ägyptische Gouverneur Muhammed Ali Pascha nach Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich strebte und Verbündete suchte, gestattete er den Preußen, die antiken Funde mitzunehmen. War das auch unrechtmäßig?

Zimmerer: Handelte der Gouverneur tatsächlich im Interesse der Ägypter? In der Auseinandersetzung um Nofretete wird oft der Ausspruch zitiert, sie sei die beste Botschafterin Ägyptens. Gesagt hat das aber 1989 der autokratische Staatspräsident Hosni Mubarak, bei dem doch sehr zweifelhaft ist, ob er in einem demokratischen Sinne für Ägyptens Zivilgesellschaft sprach. Warum haben die Preußen diese Schätze damals mitgenommen? Das Land stieg ein in die Konkurrenz europäischer Nationen um die wissenschaftliche Führungsrolle. Man wetteiferte, wer das größte Museum hatte - London, Paris oder Berlin. Dahinter steckte purer Nationalismus, der schließlich in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs mündete. Auch dieses Vorgehen halte ich für moralisch sehr fragwürdig.

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SPIEGEL: Die deutschen Kultusminister haben 2019 Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus der Kolonialzeit veröffentlicht: Man wolle die Voraussetzungen für Rückführungen von Objekten schaffen, "deren Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte". Trifft das auf einen Großteil der Stücke aus Ägypten zu?

Zimmerer: Es gibt ja kaum belastbare Zahlen, wie viele Objekte aus Ägypten in deutschen Museen vorhanden sind - sicher mehrere Zehntausend. Von den wenigsten ist bekannt, wie sie in den Besitz der Museen gelangten. Im Moment operieren wir nach dem Grundsatz: Zur Rückgabe kommt es nur, wenn die andere Seite beweisen kann, dass ein Objekt gestohlen wurde. Ich bin für eine Beweislastumkehr: Uns muss klar sein, dass unter bestimmten Umständen der Erwerb in jedem Fall unfair war. Dazu gehört auch ein Erwerb in Ägypten während der europäischen Besetzung.

SPIEGEL: Also müssten alle diese Kulturgüter zurückgegeben werden?

Zimmerer: Das ist am Ende eine politische Entscheidung. Aber man sollte zumindest einmal zugeben, dass sie geraubt wurden. Die Eckpunkte der Kultusminister sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber jetzt müssten wir von Absichtserklärungen zur Praxis kommen. Da sehe ich bisher wenig.

SPIEGEL: Gegen die Rückführung wird oft eingewandt, in Europa könnten die Objekte besser erforscht werden - und vor allem seien sie hier sicherer. So wurde das Ägyptische Museum in Kairo bei den Unruhen 2011 geplündert. Diese Argumente lassen Sie nicht gelten?

Zimmerer: Es ist eine Folge des Kolonialismus, dass bestimmte Infrastrukturen im Norden stärker aufgebaut wurden als im globalen Süden. Und auch das Sicherheits-Argument ist klassisch kolonial. Übertragen Sie das doch mal auf andere Bereiche: Wenn ich Ihr Fahrrad klaue, dann muss ich es Ihnen zurückgeben - selbst wenn Sie es danach auf den Sperrmüll werfen wollen.

SPIEGEL: Schon die Römer brachten Obelisken von Ägypten nach Rom. Ist die Raubkunst-Diskussion ein Versuch, Geschichte rückgängig zu machen?

Zimmerer: Wir haben bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus gute Erfahrungen damit gemacht, zumindest zu versuchen, Unrecht wiedergutzumachen. Warum legt man beim Kolonialismus andere Maßstäbe an? Die Warnungen vor einem Ausradieren der Geschichte oder auch davor, die Rückgabe sei ein paternalistischer Akt, halte ich für Ablenkungsmanöver. Ich bin der Meinung: Man sollte ganz klar sagen, dass diese und jene Stücke geraubt sind. Dann kann man schauen, ob sie jemand zurückverlangt. Oder die Politik entscheidet, dass man sie bewusst dennoch behalten will. Das wäre wenigstens ehrlich.

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