
Bruce McCandless: Spaziergang in der Schwerelosigkeit
Raumfahrtgeschichte Schleuse auf und ab ins Nichts
Es ist eines der berühmtesten Bilder der Raumfahrt, ein Motiv irgendwo zwischen "2001 - Odyssee im Weltraum" und "Bravo"-Poster-Poesie, fast zu schön, zu kitschig, um wahr zu sein: Ein Astronaut im All, ganz allein, keine Raumfähre in Sicht, kein Kabel, das ihn sichern könnte. Nur ein winziger Fleck Mensch in der schwarzen Unendlichkeit. Unter ihm ein strahlendblaues Rund, 300 Kilometer entfernt: die Erde. Eine Szene wie aus David Bowies Song "Space Oddity" von 1969.
This is Major Tom to ground control
I'm stepping through the door
And I'm floating in a most peculiar way
And the stars look very different today
Doch der Mann auf dem Bild heißt nicht Major Tom, und wir schreiben auch nicht das Jahr 1969. Der Tag, an dem US-Astronaut Bruce McCandless als erster Mensch ohne eine Sicherungsleine durch die Tür in den Weltraum trat, war der 7. Februar 1984, ein Dienstag.
Der Ausflug in die Schwerelosigkeit war ein gefährliches Unternehmen auf einer Mission, die vom Pech verfolgt war. In den Tagen zuvor gingen wegen Triebwerksproblemen gleich zwei Hunderte Millionen Dollar teure Nachrichtensatelliten verloren. Ein Plastikballon, der für wissenschaftliche Versuche ins All schweben sollte, platzte.
Eine eigene EVA
Trotzdem wollte McCandless seinen Weltraumspaziergang, im Fachjargon tatsächlich Spacewalk genannt, unbedingt machen. Er hatte den 140 Kilo schweren Raketenantrieb mitentwickelt, der ihm, auf seinem Rücken festgeschnallt, ermöglichen sollte, im All zu manövrieren - und zurück zur Raumfähre zu gelangen. Der Astronaut hatte monatelang trainiert, "mit 60 oder 70 möglichen Funktionsfehlern oder Kombinationen von Fehlern umzugehen", die bei dem Antrieb auftreten konnten. Nun stand der Spacewalk kurz davor, abgeblasen zu werden. Nach all den bisherigen Problemen konnte es sich die Nasa auf keinen Fall erlauben, auch noch einen ihrer Männer hilflos ins All abtreiben zu lassen.

Bruce McCandless: Spaziergang in der Schwerelosigkeit
Doch McCandless hatte mehr als zwei Jahrzehnte auf diesen Moment gewartet, auf die Chance auf eine eigene EVA. Diese Abkürzung steht für "Extra-Vehicular Activity", einen Aufenthalt im All oder auf dem Mond außerhalb des Raumschiffes, der Traum jedes Astronauten.
Schon 1969, als Bowies "Space Oddity" auf der ganzen Welt zum Soundtrack für die Mondlandung wurde, war McCandless den Stars der Apollo-11-Mission so nah gewesen wie kein Zweiter. Als Neil Armstrong und Edwin Aldrin über die Mondoberfläche stapften, war er der unsichtbare Dritte im Bunde, ihr Capcom, der einzige Mann im Nasa-Hauptquartier, der direkt mit den beiden kommunizieren durfte. Damals hatte sich McCandless dazu entschlossen, Armstrong und Aldrin die Show zu überlassen. Nur zwölfmal meldet er sich während des 151-minütigen Ausflugs zu Wort. Sechsmal davon sagte er lediglich "Roger".
Doch dieses Mal war es seine Show, und er ließ sie sich nicht nehmen. McCandless brachte die Verantwortlichen dazu, den Spacewalk zu genehmigen. Vier Stunden und 55 Minuten schwebte der Astronaut ohne Netz und doppelten Boden im All. Bis zu hundert Meter entfernte er sich dabei vom Raumschiff. Und man kann gar nicht anders, als sich einen solchen Ausflug ins Nichts als unglaublich ruhig, fast meditativ vorzustellen, als eine fundamentale Erfahrung, die einen Menschen für immer verändert.
"Wie es war? Laut"
Weit gefehlt. Ständig musste der Astronaut damit rechnen, dass gefährlicher Weltraummüll seine Bahn kreuzt. Dieser Schrott besteht aus Überresten vorheriger Weltraummissionen, die in der Erdumlaufbahn mehr Durchschlagskraft entwickeln als eine Pistolenkugel. Wäre so ein Teilchen in seinen Anzug oder sein Antriebsaggregat eingeschlagen, McCandless wäre verloren gewesen. Und von Ruhe konnte auch keine Rede sein. "Sie werden es nicht glauben", berichtete der US-Astronaut nach seiner Rückkehr den erstaunten Journalisten, "aber wissen Sie, was die beste Umschreibung meines Spacewalks aus meiner Perspektive ist? Laut."
Warum? Kurz nachdem McCandless aus der Raumschiffschleuse geschwebt war, schloss der Astronaut Bob Stewart sich ihm an. Drei weitere Crewmitglieder im Raumschiff und natürlich das Bodenpersonal in Cape Canaveral waren zumindest indirekt über Funk mit ihm verbunden. "Und es schien, als wollten sie alle zur selben Zeit reden."
Doch auch wenn die Bilder dieses Debüts weit poetischer anmuten als der Spacewalk selbst es war, immerhin kam McCandless sicher und ohne Probleme zurück in das Shuttle - und selbst darüber schien der Astronaut ein wenig enttäuscht. "Es hätten so viele Probleme auftreten können, die es zu einer Herausforderung gemacht hätten, zurück zum Raumschiff zu kommen. Aber nichts ging schief. Der Antrieb funktionierte wunderbar", seufzte er. Und fast klang das so, als wenn er es gar nicht so schlimm gefunden hätte, sich in den unendlichen Weiten des Alls zu verlieren wie einst David Bowies Major Tom.
In einer früheren Fassung dieses Artikels stand, dass das Space Shuttle in 380.000 Kiloemter von der Erde entfernt gewesen sei. Das ist jedoch die Entfernung der Erde vom Mond, nicht die Orbit-Höhe eines Shuttles, sie bei rund 300 Kilometer liegt. Wir danken unseren Lesern für die Korrektur.