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Regielegende Akira Kurosawa: Spielbergs Lehrmeister

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Regielegende Akira Kurosawa Der Kaiser und das Chaos

200 Pferde, 1000 Statisten, 12.000.000 Dollar: Mit "Ran" schuf Akira Kurosawa 1985 den teuersten Film, der je in Japan gedreht worden war. Für das Meisterwerk ließ er sogar ein Schloss bauen - und brannte es wieder ab.

Tag um Tag haben sie sich bekämpft. Ströme von Blut vergossen. Am Fuß des Fuji und vor der Burg Himeji. In der Shizuoka-Provinz und in der Präfektur Shonai. Bei Sonnenschein und Taifun. Mehr als tausend Krieger in Rüstungen, geschwungene Klingen an der Seite, neben ihnen die Bannerträger und die gepanzerten Reiter auf ihren Schlachtrössern. Ein Meer aus Lanzen und Fahnen, die in der Sonne glänzten und im Wind flatterten. Unerbittlich waren die Kämpfe, bis die Erde übersät war mit Leichen.

Nur heute geht das Schlachten nicht weiter. Denn der ältere Herr mit dem feinen Lächeln, der ihnen immer mit dem Megafon zuruft, wann sie losmarschieren sollen, ist nicht gekommen. Kein weißer Mercedes, der in ihr Lager fährt, wie jeden Morgen. Kein Feldherr mit Sonnenbrille und Seemannsmützchen, mit Sportjacke und weißen Handschuhen. Am Set von "Ran" hat der Krieg Pause. "Wenn die Sonne rauskommt, lasst alles stehen und liegen und filmt", hat er gesagt. Nun lässt er alles stehen und liegen. Am 1. Februar 1985. Als Yoko Yaguchi stirbt.

Akira Kurosawa, Regisseur und Vorbild von Generationen junger Filmemacher, trauert um seine Frau. Nur einen Tag hält er inne. Morgen wird er wieder aus seinem weißen Mercedes steigen. Und sie werden wieder marschieren und schreien und mit ihren Schwertern schlagen - für ihn und sein größtes Unternehmen.

Dunkle Wolken

"Ich habe von ihm mehr gelernt als von irgendeinem Regisseur dieser Welt", sagt Steven Spielberg. Francis Ford Coppola stellt ihn mit Fellini, Bergman und Kubrick an die Spitze der Filmemacher. "Er war mein Meister", sagt Martin Scorsese über den Japaner. John Woo nennt ihn einfach nur "Akira, den Kaiser".

Akira Kurosawa, der Schöpfer von Meisterwerken wie "Die sieben Samurai" und "Rashomon - Das Lustwäldchen", war schon in jüngeren Jahren eine Legende des Kinos. Doch im Dezember 1983 machte er sich, 73 Jahre alt, daran, seinen ambitioniertesten Film zu drehen. Mehr als zehn Jahre hatte Kurosawa zu diesem Zeitpunkt schon an dem Skript zu "Ran" gearbeitet. Es erzählt die Geschichte eines gealterten Fürsten, der sein Reich unter seinen drei Söhnen aufteilt, die es daraufhin mit Krieg überziehen. Statt einfacher Storyboards hatte Kurosawa zu den verschiedenen Szenen seines Mammutprojekts ganze Gemälde angefertigt, damit seine Vorstellungen nicht verblassten.

Denn trotz seiner Bekanntheit in Japan und auch im Westen wollte niemand den Film finanzieren. In den Siebzigern war der Stern des Starregisseurs im Sinken begriffen. Dem Publikum wurden seine Filme zu experimentell. Die Veröffentlichung von "Dodes'ka-den" 1970 geriet zum Fiasko. Kaum jemand wollte den Film sehen, und Kurosawa verfiel in eine tiefe Depression. Ein Jahr nach dem Release hatte er sich mehrfach in die Pulsadern und in den Hals geschnitten und doch überlebt.

Goldenes Gras und brennende Burgen

Nach dem Zusammenbruch hatten seine Verehrer George Lucas und Francis Ford Coppola ihm zwar geholfen, 1980 seinen Film "Kagemusha" zu finanzieren. Doch der Film sollte für Kurosawa nur Zwischenstation auf dem Weg zu seinem Mammutprojekt werden. Schon während der Dreharbeiten zu "Kagemusha" hatte er immer wieder nach neuen Drehorten gesucht, die "Ran" gerecht werden würden - seiner Verquickung von Shakespeares "King Lear" und japanischem Historienfilm. Von dem Heldentum seiner früheren Samurai-Filme war in "Kagemusha" nur noch wenig zu spüren. "Ran" sollte einen Schritt weitergehen - und eine Vision der menschgemachten Hölle auf Erden werden.

Mit einem Budget von zwölf Millionen Dollar war "Ran" der bis dahin teuerste Film Japans. Und seine Opulenz kannte kaum Grenzen. Die Vorlage für die knapp 1400 Kostüme? Lieferte Kurosawa. Noch während der Dreharbeiten erstellte er neue Gemälde für zusätzliche Szenen. Und am Fuß des Fuji ließ er eine Burg errichten - für 1,6 Millionen Dollar. Am Ende ging das Bauwerk in Flammen auf. Nur für eine Szene. Einen Ersatzplan hatte Kurosawa nicht, keine Modelle, nichts. Nur immer wieder genaueste Proben, bevor die drei Kameras liefen, mit denen Kurosawa seit "Die sieben Samurai" die wichtigsten Szenen immer parallel drehte. Damit sich seine Darsteller ja nicht auf eine Kameralinse fokussieren konnten.

In der Dokumentation "A.K." begleitete der französische Regisseur Chris Marker die Dreharbeiten zu "Ran". Darin zeigt er, wie Kurosawa für eine Szene meterhohes Gras mit Goldlack besprühen lässt. In der Nacht soll der Hauptdarsteller durch das Gras reiten, in dem sich dann das Licht der Scheinwerfer reflektiert. Einen ganzen Tag dauerten die Vorbereitungen für die Szene. Im Film ist sie nicht zu sehen.

Koordiniertes Chaos

"Sprich etwas lauter." Stundenlang probt der Regisseur die wichtigen Szenen mit seinen Schauspielern. Er steht neben Tatsuya Nakadai, seinem Hauptdarsteller. Ahmt seine Mimik, seine Körperhaltung nach, während der seine Szene durchspielt. Dann nickt er zufrieden. "Genau, streck dich!" Am Ende gibt es keinen zweiten Take, er braucht nur einen. Dafür haben sie ja alles einstudiert.

Bei "Ran" ist dieser beinahe schon schmerzhafte Wille zur Perfektion in jeder Einstellung greifbar. Das japanische Wort "Ran" steht für Aufruhr, Chaos und Unruhe. Die Massenszenen mit einem Heer von Statisten haben auch heute noch eine unvergleichliche Wucht. Menschen sind Wegwerfmaterial im Spiel der Mächtigen. Und sie prallen aufeinander, bis nur noch Leichen zurückbleiben.

Diesen Anblick musste der Regisseur schon als Kind ertragen. 13 Jahre alt war er, als sein Bruder Heigo ihn zwang, sich die Opfer des Großen Kanto-Erdbebens anzuschauen, das halb Tokio in Schutt und Asche gelegt hatte. Bei dem Beben und einem darauffolgenden Massaker an koreanischen Einwanderern waren fast 150.000 Menschen gestorben, und in den Straßen türmten sich die Toten. "Wenn du die Augen davor verschließt, wirst du Angst haben", hatte der große Bruder damals zu ihm gesagt. "Wenn du dir alles genau ansiehst, brauchst du keine Angst zu haben." Mehr als 60 Jahre später häufte Kurosawa diese Leichenberge wieder auf. Am Set.

Blumen für den Kaiser

Er habe mit "Ran" eine tiefe Trauer ausdrücken wollen, die ein göttliches Wesen empfinde, "darüber, wie die Menschen sich gegenseitig zerstören, und über die Machtlosigkeit, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen". Nach "Ran" sollte Akira Kurosawa noch drei weitere Filme drehen. Auf die Frage, ob er jemals in den Ruhestand gehen würde, antwortete der Regisseur: "Ich werde der glücklichste Mensch sein, wenn ich genau in dem Moment sterbe, in dem ich sage: 'fertig… los'."

Dieses Glück war Kurosawa nicht vergönnt. 1995 verletzte er sich bei einem Sturz das Rückgrat und saß fortan im Rollstuhl. Die Machtlosigkeit seines gealterten Protagonisten, die er dem Zuschauer in "Ran" vor Augen führen wollte, ereilte ihn selbst.

Drei Jahre später erleidet er einen Hirnschlag. Der Mann, der während der finalen Schlacht von "Die Sieben Samurai" so lange im Schneematsch gestanden hatte, dass seine Zehen erfroren, während das Team schlotternd mit ihm ausharrte, ist tot.

Noch im Sarg trägt Kurosawa das Hütchen, ohne das ihn kaum jemand kennt. Seine Füße sind bloß. Als Yoshio Tsuchiya, einer der Schauspieler aus Kurosawas "sieben Samurai", die schwarzen Zehen sieht, deckt er sie mit Blumen zu.

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