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Revolutionäre Zellen: "Diese Kleinguerilla war eine große Bedrohung"

Foto: Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen

Revolutionäre Zellen Knockout für die Feierabendterroristen

Im Bundeskriminalamt war Martin Tuffner Chef der Terrorbekämpfung, als bei einer Razzia vor genau 32 Jahren die Revolutionären Zellen aufflogen. Ein Reisewecker, eine List und der Zufall halfen den Ermittlern.
Zur Person

Martin Tuffner (Jahrgang 1947) ist promovierter Volljurist und arbeitete zunächst als Rechtsanwalt, dann von 1980 bis 2007 im Höheren Kriminaldienst beim Bundeskriminalamt. 1987 leitete er das Grundsatzreferat Terrorismusbekämpfung und den Führungsstab für Großeinsätze. 2007 wurde Tuffner pensioniert.

SPIEGEL: Am 18. Dezember 1987 gelang dem Bundeskriminalamt (BKA) der entscheidende Schlag gegen die Revolutionären Zellen (RZ), linke Terroristen, die heute kaum einer mehr kennt. Warum sollte man sich an das Datum erinnern?

Tuffner: Die RZ haben in der Bundesrepublik Schäden in dreistelliger Millionenhöhe angerichtet. Diese Kleinguerilla war eine Zeit lang eine große Bedrohung der öffentlichen Sicherheit. Nach ihrer Gründung 1973 begingen die RZ in 14 Jahren 101 Brand- und 124 Sprengstoffanschläge. Es gab Attentate auf hochrangige Personen, der hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry wurde ermordet. Im Jahr 1987 gab es neun zeitgleiche Brandanschläge auf Filialen der Bekleidungsfirma Adler. Vor allem wegen der unabhängig operierenden Kleingruppen-Kommandos hatte das BKA lange Zeit fast keine Ermittlungsansätze. Der Zugriff kurz vor Weihnachten 1987 war kriminalistisch ein außergewöhnlicher Erfolg durch eine weltweit einmalige Ermittlungsmethode.

SPIEGEL: Inwiefern?

Tuffner: Das Besondere war, dass ein Reisewecker zur entscheidenden Spur wurde. Die RZ waren, anders als die Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF), als Feierabendterroristen aktiv, im Alltag hatten sie ganz normale Jobs. Selbst enge Freunde ahnten nichts von den verbrecherischen Umtrieben. Eine Hierarchie gab es nicht, die einzelnen Zellen planten Anschläge für sich allein. Das BKA kannte anfangs fast keine Namen. Bei etwa 40 Anschlägen wurden aber im Brandschutt als Teile des Zeitzünders Reste des Zifferblatts eines Reiseweckers der Marke Emes gefunden. Da haben die Ermittler angesetzt.

SPIEGEL: Bitte erzählen Sie.

Tuffner: Das BKA hat Ende 1984 die letzte Baureihe der Wecker aufgekauft. Jedem Wecker wurde dann auf der Rückseite des Zifferblatts eine fünfstellige Nummer eingraviert. Sodann kamen die Reisewecker zurück in ausgesuchte Uhrenläden. Dort wurden mit Einverständnis der Inhaber Videokameras installiert, die die Käufer von Emes-Weckern aufnahmen, ebenso wurde die Wecker-Nummer registriert. Damit würde man mit etwas Glück nach einem Anschlag feststellen können, wo der Wecker gekauft wurde. Und hätte ein Videobild des Käufers. So kam es dann auch. Allerdings dauerte das einige Zeit.

SPIEGEL: Warum?

Tuffner: Ende Oktober 1986 ging am Lufthansa-Verwaltungsgebäude in Köln eine Bombe hoch - mit einem Emes-Wecker als Zeitzünder, auf dem Rest des Zifferblatts war die Nummer erkennbar geblieben. Als die Ermittler Nummer und Videobild der Käuferin hatten, kannte man zwar das Gesicht einer verdächtigen Frau. Aber niemand wusste, wer sie war. Bis im Februar 1987 der Zufall zu Hilfe kam. Ein Kollege schaute einen TV-Beitrag über eine Redaktionskonferenz der feministischen Frauenzeitschrift "Emma" an - und erkannte die Frau vom Überwachungsvideo: Es war die Redakteurin Ingrid Strobl.

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SPIEGEL: Wie sehr hat Sie das überrascht?

Tuffner: Ich sage es mal so: Es passte, die Zeitschrift "Emma" hatte immer wieder Selbstbezichtigungsschreiben der RZ veröffentlicht, insbesondere zu feministischen Themen. Aber es gab keinen Tatverdacht gegen eine bestimmte Person. Das war nun anders. Endlich war der Faden gefunden.

SPIEGEL: Wie hat Frau Strobl auf die Entdeckung reagiert?

Tuffner: Gegen sie wurde nicht offen, sondern verdeckt ermittelt, um weitere Komplizen zu finden. Im November 1987 traf sie sich mit einem größeren Personenkreis in einem Ferienhaus bei Münster. Die BKA-Beobachter sahen, wie die Gruppe Texte formulierte und heftig diskutierte. Nach der Abreise durchsuchten die Ermittler das Haus - und fanden in der Sickergrube zerrissene Entwürfe für ein Selbstbezichtigungschreiben. Zu einem Anschlag, der offenbar zeitnah bevorstand. Da konnte die Bundesanwaltschaft nicht mehr zuwarten. So kam es zur Razzia, zur "Aktion Zobel" am 18. Dezember 1987.

SPIEGEL: Wie viele RZ-Mitglieder konnten Sie überführen?

Tuffner: Die Aktion war ein Großeinsatz, Tausende Polizeibeamte haben 33 Gebäude in 20 Städten durchsucht. Wir hatten Durchsuchungsbeschlüsse gegen 23 mutmaßliche RZ-Mitglieder. Die meisten kamen nach ersten Vernehmungen wieder frei, wurden aber später verurteilt. In zwei Fällen wurde ein Haftbefehl vollstreckt. Und vier Mitglieder konnten flüchten und sich für Jahre in Frankreich verstecken - weil sie gewarnt wurden.

SPIEGEL: Wie konnte das passieren?

Tuffner: Es ist ein deutsch-deutscher Krimi, von dem das BKA erst nach der Wende aus Akten der Stasi-Unterlagen-Behörde erfuhr. Wir hatten vor der Razzia Funkfernschreiben mit den Namen der Verdächtigen verschickt an die beteiligten Polizeidienststellen. Der Funkfernschreibverkehr lief damals über Richtfunk auch nach Berlin und damit über das Gebiet der DDR. Er war zwar codiert, aber der Stasi war es offenbar gelungen, die Signale zu empfangen und zu entschlüsseln. Die wussten also Bescheid, das war eine beachtliche Leistung. In der Nacht vor dem Zugriff hat ein Stasi-Mitarbeiter anonym mehrere RZ-Mitglieder angerufen. "Hier spricht ein Freund", so ging es los.

SPIEGEL: Haben Sie damals etwas bemerkt?

Tuffner: Da die Telefonanschlüsse einiger Verdächtiger überwacht wurden, konnten wir die anonymen Anrufe zwar mithören. Aber auf die Stasi als Urheber ist niemand gekommen.

SPIEGEL: Die RAF pflegte enge Kontakte zur Stasi, einige Terroristen tauchten über Jahre in der DDR ab. Gab es eine ähnliche Verbindung zu den RZ?

Tuffner: Davon ist mir nichts bekannt, und ich gehe auch nicht davon aus. Allerdings hatte die Stasi sehr wohl Erkenntnisse über die RZ. Die Warnungen lassen sich einfach erklären: Es war der generelle Auftrag der Stasi, in der Bundesrepublik Destruktion zu betreiben.

SPIEGEL: Wie haben Sie den Einsatz als Leiter des Führungsstabes erlebt?

Tuffner: In solchen Lagen sind alle Beteiligten Tag und Nacht im Einsatz. Dabei ist es wichtig, einen regelmäßigen Rhythmus beizubehalten, etwa regelmäßig zu schlafen. Beim Kampf gegen die RAF liefen ähnliche Aktionen, da war ich manchmal 14 Tage am Stück im BKA, wo man als Beamter übernachten konnte. Mit meinem Vertreter habe ich mich abgewechselt: Jeder macht zwölf Stunden Schicht, dann macht er Pause.

SPIEGEL: Warum standen die RZ stets im Schatten der RAF - waren sie weniger gefährlich?

Tuffner: Nein. Die RAF war in der - ich sage mal - "Öffentlichkeitsarbeit" besser als die RZ. Die Hungerstreiks der RAF-Gefangenen etwa waren stets ein Politikum, das Umfeld ließ sich dadurch ganz besonders motivieren. Die RZ dagegen haben Papiere geschrieben, die in der linksextremen Szene ohne großes Echo blieben.

SPIEGEL: Wer war schwerer zu bekämpfen, RAF oder RZ?

Tuffner: Da würde ich keinen Unterschied machen. Grundsätzlich ist Linksterrorismus für Ermittler eine der schwierigsten Formen der Kriminalität, weil es sich hier um hochintelligente, stets hochkonspirative Täter handelt. Sie planten genau, was sie tun, und konnten ideologische Begründungen für ihre Taten liefern. Und in jedem Strafverfahren gegen festgenommene Täter musste die Polizei ihre Ermittlungsmethoden darlegen. Daraus erfuhren die Terroristen den jeweiligen Stand der kriminalpolizeilichen Technik und konnten sich entsprechend umstellen.

SPIEGEL: Gilt das auch für rechte Terroristen?

Tuffner: Nein. Das ist etwas völlig anderes. Die meisten Rechtsterroristen waren und sind einfach nur dumm, intellektuell selten in der Lage, etwa ein Selbstbezichtigungsschreiben mit einer substanziellen, ideologischen Erklärung für ihre Taten zu fertigen. In der Regel begehen sie simple Fehler - gut für die Ermittlungsarbeit und den Schutz der Demokratie.

SPIEGEL: Was bleibt von den RZ?

Tuffner: Nichts. Fest steht, dass die RZ nach der "Aktion Zobel" kaum noch aktiv waren, die Zahl der Anschläge sank rapide. Einige Mitglieder konnten sich - wohl in Frankreich - verstecken, bis ihre Taten hier verjährt waren. Dann kamen sie zurück, wurden zwar vor Gericht gestellt, die Strafverfahren aber wegen Verjährung eingestellt. 1999 wurden die letzten Kader in Berlin festgenommen. Heute haben Verurteilte ihre Strafen längst abgesessen, alle Strafverfahren sind beendet. Die Revolutionären Zellen sind ein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Kriminalgeschichte.

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