Nebel wabert um die griechischen Säulen, wallt an Statuen empor, an Göttern und Athleten. Raffinierte Schatten ziehen durch das Bild. Die Skulptur eines Diskuswerfers wird von der Kamera umrundet, überblendet und zum Leben erweckt - Stein wird zu Fleisch. Stählerne Körper recken sich gen Himmel und wachsen über sich hinaus, ein Speer wird geworfen, Muskeln glänzen im Licht. Die olympische Flamme flackert auf, wird durch Europa nach Berlin in das voll besetzte Stadion getragen. Ein blonder Läufer sprintet Stufen hoch - hält einen Moment inne und entzündet dann das Feuer mit seiner Fackel. Mannschaften aus aller Welt ziehen in das Stadion ein, aus Österreich und Großbritannien, aus Frankreich, der Schweiz oder aus Österreich. Manche erbieten den Hitlergruß, manche nicht. Dazwischen der Schnitt auf den "Führer", huldvoll ins rechte Licht gerückt. Dann ist es soweit: "Ich verkünde die Spiele von Berlin zur Feier der 11. Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet." Adolf Hitler tritt einen Schritt zurück, die Masse jubelt.
Der Prolog zum "Fest der Völker" flimmert am 20. April 1938 durch den Berliner Ufa-Palast. Es ist Hitlers 49. Geburtstag, und die Olympia-Filme seiner Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl feiern ihm zu Ehren Premiere. Die Fassade des Kinos ist mit zwei Türmen verkleidet und mit den olympischen Ringen geschmückt, die gesamte Elite aus Kunst, Wirtschaft und Politik ist anwesend.
Bilder, die man nie zuvor gesehen hatte
Mehr als vier Stunden dauern die Dokumentationen "Fest der Völker" und der zweite Teil "Fest der Schönheit" zusammen. Bis heute variieren die Angaben darüber, wie hoch die Produktionskosten waren, wie groß die Zahl der Kameramänner, wie umfangreich das Filmmaterial und welches die Quellen der Finanzierung. Sicher ist nur eins: Riefenstahl setzt filmische Maßstäbe für Aufnahme und Schnitt, erfindet neue Kameratechniken. Sie bugsiert die Kamera auf Schienen, in Aufzüge und Gräben.
Solche Bilder hat man zuvor noch nicht gesehen: Die Anstrengung in den Gesichtern der Sportler, Schweißperlen und Tränen, Entschlossenheit, Jubel bei Kämpfern und Publikum. Riefenstahl filmt die Ornamentik der Menge, schneidet den perfekten Körper dagegen, montiert Masse gegen Muskel. Schon beim Drehen der Olympischen Sommerspiele vom 1. bis 16. August 1936 in Berlin äußert Riefenstahl ihre Freude an den durchtrainierten Körpern: "Das werden Bilder."
Auf den Prolog folgen Leichtathletik-Wettkämpfe mit den legendären Siegen des schwarzen Leichtathleten Jesse Owens und der bei Cineasten bis heute berühmte Marathonlauf mit dem Sieg des Japaners Kitei Son. Riefenstahl beschreibt den Lauf später so: "Die Dramatik dieses Laufes, den die Kameraleute mit einem Auto begleiteten, habe ich erst am Schneidetisch erlebt. Das Material war so hervorragend gelungen, dass der Marathonlauf einer der Höhepunkte des Olympiafilms wurde."
Die Marathonläufer sind zu Tode erschöpft, manche brechen auf der Strecke zusammen, der Zuschauer leidet mit. Die Kamera lässt ihn mitlaufen, leiden - und siegen. Die Botschaft ist klar, hier zählt das Leistungsprinzip. Genauso gut hätten die Filme auch "'Sieg des Willens' oder 'Sieg des Glaubens'" heißen können, schreibt Autor Daniel Wildmann später. Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm "Triumph des Willens" hatte erst drei Jahre zuvor Premiere gefeiert - auch im Berliner Ufa-Palast.
Verblendete Künstlerin?
Der zweite Teil von Leni Riefenstahls Dokumentation "Fest der Schönheit" beginnt mit dem Morgentraining der Athleten im olympischen Dorf. Es folgen verschiedene Disziplinen: Turnen der Männer, Segeln, Säbelfechten, Boxen, moderner Fünfkampf mit Reiten, Schießen und Geländelauf. Dann der Zehnkampf mit dem Amerikaner Glenn Morris als Sieger, Hockey- und Fußballendspiel, Radrennen, Military und Rudern. Der absolute Höhepunkt: Das Turmspringen. Schwerelos schweben die Sportler durch den Himmel, keine physikalischen Gesetze gelten mehr, die Erdanziehungskraft ist dahin. Riefenstahl lässt das Filmmaterial zwischendurch rückwärts laufen, verändert Geschwindigkeiten, komponiert eine Hymne an den Körper - und setzt damit den Maßstab für moderne Werbeästhetik.
Keine Parfumwerbung kommt mehr ohne ihren Stil aus, kein Dokumentarfilm mehr ohne ihre Technik, keine Sportfotografie ohne ihren Einfluss. Bis heute wird Leni Riefenstahl in der Presse behandelt, als habe sie den Körperkult erfunden, wird in den neunziger Jahren im Tagesspiegel als "Mutter aller Sportschuhtester" und als "Schönheitsfanatikerin" bezeichnet. Sie bildet nationalsozialistische Körper ab - in Idealform. "Schlank und rank, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl," beschreibt ihn Hitler in einer Rede vor der HJ.
Laufen am 20. April also die rassistischen Machwerke einer verblendeten Künstlerin? Nicht ganz. In Fragen der Schönheit ist Riefenstahl keine Rassistin - Muskeln haben keinen Stammbaum, Ästhetik kennt keine Grenzen. Was ihr jedoch an Rassismus für eine totale nationalsozialistische Gesinnung 'mangelt', gleicht sie durch den vollkommenen Leistungsgedanken aus. Der schöne Körper ist überhöht, effizient, völlig losgelöst von Vergänglichkeit und Verfall. Für Riefenstahl stellt Olympia einen ästhetischen Glücksfall dar: Während der Spiele treffen Realität und fiktive Vollkommenheit perfekt aufeinander.
Von der Realität eingeholt
So sieht zumindest die Realität im Stadion aus. Außerhalb der Tribünen weht ein anderer Wind. In der ganzen Stadt flattern Girlanden und Wimpel, das Stadtbild wurde "gereinigt". Schilder mit der Aufschrift "Für Juden verboten" wurden für die Zeit der Spiele entfernt, und das Hetzblatt "Der Stürmer" darf nicht verkauft werden. Innenminister Wilhelm Frick hatte alle Sinti und Roma in ein Lager im Berliner Außenbezirk Marzahn internieren lassen, und vor den Toren der Stadt wird das Konzentrationslager Sachsenhausen errichtet. Im Juni 1936 hält Heinrich Mann auf der Konferenz zur Verteidigung der Olympischen Idee in Paris eine Rede: "Glauben Sie mir, diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen, werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt fühlt."
Aufrufe zum Boykott der Olympischen Spiele in Berlin verhallen 1936 ergebnislos, die Wettkämpfe werden abgehalten, die Filme gedreht - und gefeiert. Joseph Goebbels ist begeistert vom "einzigartigen Eindruck", er ist "hingerissen von der Wucht, der Tiefe und Schönheit". Leni Riefenstahl unternimmt eine große Europa-Tournee, reist nach Österreich, in die Schweiz, nach Belgien und Frankreich. In Paris wird sie begeistert gefeiert. Schon der Werkfilm über die Arbeit zu den Olympia-Filmen hatte 1937 bei der Pariser Weltausstellung eine Goldmedaille erhalten. Für die Olympia-Filme heimst sie den Deutschen Filmpreis 1937/38 ein, den schwedischen Polar-Preis 1938 und den Coppa Mussolini für den besten ausländischen Film bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig.
Einen Monat später, im November 1938, bricht Riefenstahl auf, um in den USA für ihre Olympia-Filme zu werben. Drei Tage nach ihrer Ankunft in New York wird sie mit der Nachricht von den Judenpogromen am 9. November konfrontiert. Die Reise wird zum Misserfolg. Kein Studio lädt sie ein, kein Vertrag wird unterzeichnet. Die Realität hat die Kunst eingeholt.
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Dem Wasser entgegen: Eine Turmspringerin in Leni Riefenstahls "Olympia"-Dokumentation. Schwerelos schweben die Sportler durch den Himmel, für sie scheinen keine physikalischen Gesetze mehr zu gelten.
Fliegender Körper: Ein Stabhochspringer in der 1938 uraufgeführten Dokumentation. Die Aufnahmen entstanden während der Olympischen Spiele 1936. Schwebend leicht scheint der Körper, der sich vor dem Himmel von Berlin abzeichnet.
Reifen-Gymnastik: Das Motiv aus der "Olympia"-Dokumentation von Regisseurin Leni Riefenstahl deutet an, wie die Nationalsozialisten aus der Nacktkultur eine Heroifizierung arischer Körper machten.
Gymnastik: Der Nationalsozialismus feierte den perfekten Körper. Nackte Leiber recken sich gen Himmel, Muskeln glänzen im Licht - eine typische Darstellung in Riefenstahls Olympiafilmen "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit".
Stählerner Körper: Den Statuen griechischer Götter gleich zeigt die Kamera einen perfekten Körper. Die geschickte Ausleuchtung lässt jeden Muskel erkennen.
Arme hoch: Sportler bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Gefilmt wurden sie damals von Hitlers Lieblingsregisseurin. Das Ergebnis der Dokumentation erschien 1938: "Fest der Völker", "Fest der Schönheit", wie der Zweiteiler hieß, begeisterte auch Propagandaminister Joseph Goebbels. Er sei "hingerissen von der Wucht, der Tiefe und Schönheit", sagte er nach der Uraufführung.
Olympia-Expedition: Für ihren Film über die Spiele 1936 reiste die deutsche Regisseurin Leni Riefenstahl (im Bild) auch nach Griechenland. Gedreht wurde auf der Akropolis.
Ungewöhnliche Perspektiven: Riefenstahl, auf dem Bild mit einem Techniker, hat die Werbe- und Sportfotografie nachhaltig beeinflusst.
Dreharbeiten in Griechenland: Carl Friedrich Fischer leitete die Expedition. Zum Abschied reichte ihm Leni Riefenstahl die Hand.
Unter Griechen: Leni Riefenstahl umgeben von Griechen in Nationaltracht.
Fackelträgerin: Mit der Deutschen Olympia-Film-Expedition 1936 in Griechenland führte Leni Riefenstahl Regie. Den Griechinnen gab sie dazu Anweisung, wie die Fackel zu tragen ist.
Fackelläufer: Alles wurde perfekt inszeniert - Regisseurin Riefenstahl gab den Darstellern genaue Anweisungen - wie diesem Fackelläufer.
Unter Wasser: So etwas hatte noch niemand gesehen. Die Unterwasser-Aufnahmen vom Turmspringen waren der absolute Höhepunkt.
Abgetaucht: Über die Kosten der Filmproduktion und die Zahl der Kameramänner ist nichts bekannt. Klar ist aber: Leni Riefenstahl setzte mit ihrer Dokumentation über die Olympischen Spiele filmische Maßstäbe. Die Regisseurin bewegte die Kamera auf Schienen, in Aufzügen und Gräben - und ließ sie abtauchen.
Dynamik: Leistungsbereitschaft, Zielstrebigkeit, Entschlossenheit - das waren Eigenschaften, die die Sportler in Riefenstahls "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" symbolisierten. Der Schatten illustriert die Dynamik des Körpers eines Läufers.
Bad in der Menge: Menschenmassen verfolgt die Wettkämpfe im Schwimmbad des Olympiastations in Berlin 1936.
Schatten und Licht: Die Aufnahme stammt aus dem zweiten Teil der Olympia-Dokumentation. Die Lichterkuppel des Berliner Olympiastadions - inszenierte Schönheit.
"Fest der Schönheit": Deutlich zeichnet sich die Silhouette des Turmspringers vor dem dramatischen Himmel ab. Solche Bilder hatte zuvor kaum jemand gesehen.
Leni Riefenstahl: Die deutsche Regisseurin und Fotografin bei der Arbeit. Ihr Film-Zweiteiler hatte am 20. April 1938 in Berlin Premiere. Es war Hitlers 49. Geburtstag.
Stolz auf ihre Arbeit: Das Bild vom 19. Juli 2002 zeigt die deutsche Regisseurin und Fotografin Leni Riefenstahl (1902 bis 2003) kurz vor ihrem 100. Geburtstag, aufgenommen in Pöcking vor einem Plakat zu einem ihrer Filme.
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