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Hippies und Rockstars - das Festival auf der Isle of Wight

Foto: Keystone / Getty Images

"Europas Woodstock" 1970 Als der Hippietraum zu Ende ging

Es war das wohl größte Rockfestival aller Zeiten: Auf die Isle of Wight kamen vor 50 Jahren gut 600.000 Menschen. Das Treffen von Superstars wie Jimi Hendrix, The Doors oder Miles Davis markierte das Ende der Utopien.

Matthias Fanck war im Sommer 1970 gerade mal 19 Jahre alt und lebte bei seinen Eltern in Lauf bei Nürnberg. Er erfüllte sich einen Traum, wie ihn damals viele junge Menschen hatten: Für 300 Mark kaufte er sich einen alten VW-Bulli und fuhr mit seiner Freundin und einem Freund gen Süden. 

Die drei jungen Hippies reisten mit ihrem "Magic Bus" durch Südfrankreich. In Spanien erzählten ihnen zwei französische Tramper von einem Musikfestival: Auf der Isle of Wight an der englischen Südküste sollten bald die Doors spielen. Und Jimi Hendrix. Und viele andere coole Bands. Matthias Fanck und seine Freunde sagten sich: Hey, da müssen wir hin. Also steuerten sie ihren Bus Richtung England. 

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Diesem Ruf folgten viele. Schon die Kanalfähre von Calais nach Dover war voll von Hippies vom Kontinent. Auf der Isle of Wight, Schauplatz des Spektakels, schüttelten Fanck und seine Freunde nur ungläubig die Köpfe: ein Meer von Menschen, Hunderttausende. Im Süden des rechteckigen Festivalgeländes ragte ein Hügel empor, eine Art Düne. Dahinter lag der Strand. 

In Spanien hörte auch Adi Schröder vom Festival. Der 17-jährige Schüler aus Erkelenz langweilte sich im Sommer 1970 mit seiner Clique an der Costa Brava, als einer erzählte, er habe im "New Musical Express" von einem Festival gelesen, mit einem sensationellen Programm. Hendrix und die Doors, aber auch Joni Mitchell, Jethro Tull, The Who, Rory Gallagher, Richie Havens...

"Sometimes I feel / like a motherless child" 

Richie Havens, Freedom (Motherless Child)

Schröder trampte mit einem Kumpel nach Paris, von dort weiter zur Kanalinsel. "Die schiere Größe des Festivals war überwältigend. Du hattest den Eindruck, die ganze Welt besteht aus jungen Leuten", erinnert er sich. "Die Hippiejahre, die 1967 mit dem Summer of Love in San Francisco begannen, waren eigentlich schon vorbei, aber es war unheimlich cool. Gechillt würde man heute sagen." 

Das Festival schrieb Geschichte als "Europas Woodstock", noch größer und ähnlich chaotisch wie die Riesenparty der Hippies im US-Bundesstaat New York gut ein Jahr zuvor, die heute dank Film und Platte legendär ist. Auf die Isle of Wight kamen mindestens 600.000, vielleicht auch 700.000 Menschen. So genau weiß das niemand. Der Verkauf der Fährtickets deutet darauf hin, dass es nie ein größeres Rockfestival gab. 

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Die Show eröffnete am Mittwoch, 26. August 1970, eine Gruppe namens Judas Jump. Am zweiten Tag traten Supertramp auf, die gerade ihr erstes Album veröffentlicht hatten, und der Brasilianer Gilberto Gil bezauberte das Publikum mit Bossa nova. Am Freitag nahm die Stardichte zu; es spielten zum Beispiel Chicago und Procol Harum. Am Samstag betraten Joni Mitchell und Miles Davis die einzige Bühne, die einem alten griechischen Tempel nachempfunden war. 

"Das musikalische Schlüsselerlebnis war für mich Miles Davis", erzählt Adi Schröder. "Ich lief in der Abendsonne herum, vertrat mir die Beine, schaute mir die Leute an, da legte Miles Davis los. So etwas hatte ich noch nicht gehört. Die Musik kam irre frei und voller Energie rüber. Es war der Beginn der Fusion von Jazz und Rock." 

Später am Abend spielten die Doors. Sänger Jim Morrison hatte das FBI auf den Fersen und wurde einen Monat später wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zu Zwangsarbeit verurteilt. Beim Festivalauftritt stand er nahezu bewegungslos am Mikrofon, hatte die Augen geschlossen, aber sang so gut wie selten zuvor. "Die Doors waren sehr düster", erinnert sich Matthias Fanck.

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Der Gig von Jimi Hendrix am nächsten und letzten Abend stand unter keinem guten Stern, ein Teil des Daches der Bühne fing Feuer. Nach dem großartigen Gitarristen kam Joan Baez und hellte die Stimmung mit ihren Folksongs auf. Ihr folgte Leonard Cohen mit seinen elegischen Balladen und einer Begleitband, die merkwürdigerweise The Army heiß. Als letzter trat in der Morgendämmerung der Mann auf die Bühne, der das Festival in Woodstock eröffnet hatte - Richie Havens. Und er sang auch wieder: "Freedom, Freedom!"

Schon vor dem Beginn hatten britische Anarchisten, die sich White Panthers nannten, freien Eintritt für das Festival verlangt. Sie beklagten die Kommerzialisierung der Jugendkultur und der Musik, kritisierten die obszön hohen Gagen der Superstars. Doch die Veranstalter hatten das Gelände mit einem Wellblechzaun einzäunen lassen, Wachmänner mit Schäferhunden liefen Patrouille. Wie ein KZ sei das Gelände eingezäunt, ärgerten sich Anarchisten. 

"There must be some kind of way outta here" 

Jimi Hendrix, All Along The Watchtower

Stress machten auch Rocker der Hells Angels, die keine Jobs als Ordner bekommen hatten. Immer wieder versuchten Gruppen, den Zaun zu durchbrechen, vergeblich. Wer die drei Pfund Eintritt nicht bezahlen wollte, konnte auf dem angrenzenden Hügel kampieren. Dort hatte man einen hervorragenden Blick auf das Festival. 

Begonnen hatte es mit den Isle-of-Wight-Festivals fröhlicher und kleiner. Im Sommer 1968 waren 20.000 Menschen zum ersten Isle of Wight Music Festival angereist. Zu den Top Acts zählten Jefferson Airplane aus San Francisco, The Pretty Things und T. Rex. Ein Jahr später, Ende August 1969, kamen zum zweiten Festival bereits 150.000 Leute. Die Sensation war der Auftritt Bob Dylans, der nach einem Motorradunfall drei Jahre nicht mehr gespielt hatte. Im Publikum befanden sich drei Beatles, Keith Richards, Eric Clapton und andere Londoner Popstars. 

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Hippies und Rockstars - das Festival auf der Isle of Wight

Foto: Keystone / Getty Images

Das dritte Festival im Sommer 1970 sprengte dann alle Dimensionen. Dany Cohn-Bendit, der nach dem Mai '68 aus Frankreich ausgewiesene Anarchist und spätere Grüne, besuchte das Festival mit seiner Frankfurter Freundin, "aber ganz privat", wie er heute betont. Eine "tolle Erinnerung" habe er an diesen "Versuch, Woodstock nach Europa zu holen". Er campte auf dem Hügel, wo man keinen Eintritt bezahlen musste. Die Musik habe im Mittelpunkt gestanden. Und die Musik sei es gewesen, die alle Strömungen der Achtundsechziger-Bewegung verband.

Der Engländer Adam Hart war damals 26 und lebte in Northumberland in einer buddhistischen Landkommune. Er hat das Festival deutlich zwiespältiger in Erinnerung als die jüngeren Besucher aus Deutschland und auch als Dany Cohn-Bendit. "Das Festival markierte das Ende der Sechzigerjahre", sagt Hart, der heute in London lebt. "Es markierte das Ende unserer utopischen Träume. Die Party war vorbei." 

"When the music's over / turn out the lights"

The Doors, When The Music's Over

In seiner Firma produzierte Adam Hart mit zwei Freunden Lightshows; beim Festival hatten sie ihren "Dom" aufgebaut, ein aufblasbares Riesenzelt für bis zu 1000 Menschen. Musiker ergingen sich darin in endlosen Jamsessions, gelegentlich sang ein buddhistischer Chor Mantras. "Als Jimi Hendrix spielte", erinnert sich Hart, "ergriff mich, aber auch andere ein Gefühl des Untergangs - zwei Wochen später war Hendrix tot." 

Der "Horror der Drogen" zeigte sich. Jimi Hendrix, auch bei Auftritten häufig zugedröhnt, starb zwei Wochen nach seinem letzten Konzert beim Fehmarn-Festival an einem tödlichen Mix aus Schlaftabletten und Alkohol, Jim Morrison ein halbes Jahr nach seiner düsteren Performance an einer Überdosis Heroin. Beide wurden nur 27 Jahre alt. 

Für Adam Hart war das Festival auf der Isle of Wight ein Wendepunkt für die Gegenkultur der Hippies. "Die Sechzigerjahre starben. Der utopische Traum einer Welt ohne Geld war ausgeträumt. Unser unwirklicher anarchistischer Traum lief auf Grund." 

Die jüngeren Besucher des Festivals spürten davon nichts. Sie waren begeistert von der friedlichen Atmosphäre, lernten Gleichgesinnte aus anderen Ländern kennen, halfen einander, wenn etwas fehlte oder schlecht organisiert war. So hat Matthias Fanck, heute Grafiker im Fichtelgebirge, den Ausflug auf die Isle of Wight rundum positiv in Erinnerung: "Es war eine irre Erfahrung, die lange nachgewirkt hat. Sehr friedlich. Ich war nicht der Einzige, der das Gefühl hatte: Wir können die Welt verändern. Es muss keine Kriege geben." 

"Das größte Festival jemals", sagt auch Adi Schröder, der heute in der Nähe von Tübingen lebt. "Je weiter es zeitlich wegrückte, umso legendärer wurde es für mich."

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