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Mit den Ramones auf Tour: 33 Hits in 70 Minuten ungebremst

Foto: Sammlung Ramones Museum Berlin

Rock-Legenden Auf Du und Du mit der Punkrock-Crew

Hey! Ho! Let's Go! Die Ramones waren die Gallionsfiguren des US-Punk. Zwei Jahrzehnte tourten die Rock'n'Roll-Rabauken um den Globus und spielten mehr als 2200 Konzerte. Florian Hayler reiste Johnny, Joey, Dee Dee und CJ jahrelang hinterher - und brachte es zum Dauergast im Ramones-Tourbus.
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Florian Hayler, 35, ist stellvertretender Chefredakteur des Musikmagazins unclesally*s und Moderator bei Radio Fritz. Im September 2005 eröffnete er in Berlin-Kreuzberg das erste Ramones-Museum der Welt. 

Seinen letzten Applaus bekam Johnny Ramone per Handy übermittelt: Als am 12. September 2004 die rund 5000 zum "Ramones Birthday Bash" nach Los Angeles angereisten Fans den Schlachtruf "Hey! Ho! Let's Go!" ins Mobiltelefon von Gastgeber Rob Zombie anstimmen, war seine Zeit allerdings schon abgelaufen. Drei Tage später verlor der Gitarrist der legendären New Yorker Punkband Ramones seinen langjährigen Kampf gegen den Krebs. Johnny Ramone wurde 55 Jahre alt.

Fast zehn Jahre zuvor hatte der wütende Mann mit der Beatles-Frisur an genau diesem Ort, dem seinerzeit noch "Palace" benannten Club "Avalon" sein letztes Konzert mit den Ramones gespielt. Hinter ihm lagen 22 ereignisreiche Jahre und mehr als 2200 Konzerte mit der Band, die er 1974 gemeinsam mit seinen Band-Brüdern Joey Ramone, Dee Dee Ramone und Tommy Ramone in Forest Hills im New Yorker Stadtteil Queens ins Leben rief.

Johnny war es auch, der das Abschiedskonzert der Ramones ins "Palace" nach L.A. verlegen ließ, statt in New York zu spielen, wie es sich laut Meinung der Fans eigentlich gehört hätte. Der Grund dafür war genauso pragmatisch wie das Naturell des bandintern gefürchteten "Führers", des "drill instructors": Johnny Ramone war kurz vor der letzten Tour nach Los Angeles übergesiedelt, hatte sich ein pinkfarbenes Haus am Fuße der Hollywood Hills geleistet und wollte nach dieser letzten Show möglichst schnell das machen, was er am liebsten tat: Die Beine hochlegen und Baseball schauen, ganze Nachmittage lang.

Von der Bühne direkt auf die Couch

Das ideale Leben für einen, dessen einziges Ziel es stets war, "endlich einmal nichts zu tun". Vergönnt war Ramone das Rentnerdasein allerdings nur acht Jahre lang. In dieser Zeit fuhr er seine Frau Linda morgens zur Arbeit, holte sie abends wieder ab und fand erstmals im Leben so etwas wie Freunde: Den Schauspieler Nicholas Cage, Lisa-Marie Presley, Pearl-Jam-Sänger Eddie Vedder oder eben Rob Zombie, den bärtigen Sänger von White Zombie, für die die Ramones 1995 die Konzerte eröffnen durften. Verkehrte Welt, wie wir es damals nannten.

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Mit den Ramones auf Tour: 33 Hits in 70 Minuten ungebremst

Foto: Sammlung Ramones Museum Berlin

"Wir", das waren Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger eine junge, touraktive Generation von Ramones-Fans aus ganz Europa: Bleiche Mädchen aus England, eine Handvoll Taugenichtse aus Nordrhein-Westfalen, diese hübsche Italienerin aus Mailand und ich, ein Landei aus Helmstedt, diesem Grenzort, nach dem Ärzte-Schlagzeuger Bela B. seine ganze Band benannte. Aus Mitleid.

Helmstedt war im Grunde gar nicht so schlecht. Man konnte als Ramones-Fan von dort relativ problemlos zunächst in deutsche Großstädte, später ins europäische und US-amerikanische Ausland zu Ramones-Konzerten flüchten, gemeinsam mit den anderen Freaks aus Düsseldorf oder dem Sauerland. Es gab sie überall, aber selten im Rudel: die langhaarigen Jungs mit den toten Blicken, den Lederjacken, den kaputten Hosen und den ausgelatschten Converse-Tretern. Wenn sich Ramones-Fans zufällig begegneten, dann gab es konspirative Signale, so ein Gefühl, als sei man Teil eines Geheimbundes oder einer belächelten Minderheit.

Partnerwechsel innerhalb der Band

Was wir Fans damals nicht wussten: In der Band selbst ging es weniger harmonisch zu. Das "Johnny and Joey thing", wie es uns Ramones-Crew-Mitglied Jeff "Truckie" Golden eines Abends offenbarte, teilte sowohl Band als auch Umfeld zwischen etwa 1980 und 1996 in zwei Fraktionen. Das "thing" hieß mit bürgerlichem Namen Linda Danielle. Anders gesagt: Johnny Ramone spannte seinem Sänger Joey einst die Braut aus, um sie 1995 schließlich zu ehelichen. "No big deal", wie Schlagzeuger Marky Ramone es im Ramones-Film "End Of The Century" bezeichnete, schließlich passiere so ein Partnerwechsel im Bekanntenkreis "fast allen Männern einmal im Leben".

Der sensible Joey Ramone aber verzieh Johnny diesen Angriff auf sein privates Glück zeitlebens nicht. Bis zu Joey Ramones Tod im April 2001 - ebenfalls durch Krebs - wechselten er und sein Punk-Partner kaum mehr Worte als nötig - wovon wir als Fans zumindest anfangs allerdings nichts mitbekamen. Für uns zählte nur das Konzert: Licht aus, Nebelmaschine an, ein kurzes "one-two-three-four" und dann 33 Hits in 70 Minuten ungebremst vor die Stirn.

Tatsächlich konnte die interne Eiszeit den Mythos der Ramones als Gang, als "Happy Family", niemals in Gefahr bringen. Die Ramones zogen weiter stoisch ihre Runden durch die Clubs der Welt und veröffentlichte in schöner Regelmäßigkeit ihre traditionell erfolglosen Alben, die wir, die Fans, trotzdem liebten: Endlich neue Fotos, endlich neue Songs, endlich eine neue Tour und damit neue Verabredungen per Fax oder Festnetz. Termine, für die manch einer die eigene Hochzeit verschoben hat.

Dicke Luft im Tourbus

Doch je länger wir den Ramones hinterher reisten und je näher wir ihnen kamen, desto weniger blieb uns die Stimmung innerhalb der Band verborgen. Denn irgendwann durften wir sogar im Van der Ramones mitreisen, wenn wir mal wieder im amerikanischen Niemandsland gestrandet waren und kein Greyhound-Bus mehr in Richtung Zivilisation oder wenigstens Manhattan fuhr.

Johnny Ramone, der einstige Kadett einer Militärakademie und blühende Reagan- und Bush-Verehrer, war uns bemitleidenswerten Pfeifen dann immer ein fast fürsorglicher, um unser Wohl bemühter "Tourvater". Er fragte oft, ob unsere Eltern denn wüssten, wo wir seien (wussten sie oft nicht), oder ob wir genug Geld hätten für Essen und das Zugticket zum nächsten Auftrittsort (hatten wir oft, meist von unseren Eltern). Aber hier, im Tour-Van der Ramones, konnten wir unsere Augen nicht mehr vor der bitteren Wahrheit verschließen. Nie wieder hat totales Schweigen so sehr in den Ohren geschmerzt wie das zwischen dem "Shotgun"-Sitz (Johnny) und dem in sich zusammengefalteten Schweiger in der letzten Reihe (Joey).

Nach dem letzten Konzert der Ramones am 6. August 1996 sahen sich die Bandmitglieder nur noch zweimal bei Autogrammstunden in New York. In der sicheren Gewissheit, für immer in den Tiefen der Anonymität verschwunden zu sein, frönte Johnny Ramone seinem Sammelwahn: Er komplettiert seine Filmposter-Kollektion aus Splatter- und Horrorklassikern, widmet ein Zimmer seines Anwesens komplett seinem Idol Elvis Presley und veranstaltet gesellige Filmabende für seine neuen Kumpels wie John Frusciante, den Gitarrist der Red Hot Chili Peppers oder Hollywood-Star Nicholas Cage.

"Hey! Ho! Let's Go!"

Dass die Ramones parallel von unzähligen Bands als maßgeblicher Einfluss zitiert werden, schneiden die Mitglieder der letzten Ramones-Ära - Johnny in L.A., Joey, Marky und CJ in New York - nur am Rande mit. Auch die Fans von einst widmeten sich nach dem letzten Konzert der Ramones ihrem neuen Leben, beendeten Schule, Zivildienst oder Uni und treffen sich nur noch sporadisch, um Erinnerungen an diese magische Zeit aus Aufbruch und Abenteuer aufleben zu lassen. Für mich, die ins mauerlose Berlin umgesiedelte Helmstedt-Fraktion, blieben die Ramones aber nicht zuletzt auf Grund meines Jobs als Musikredakteur immer ein Thema. Dank der nicht enden wollenden Flut an Wiederveröffentlichungen, Tribute-Samplern oder Soloalben gibt es ausreichend Gelegenheit, weiter mit der Band und ihren Mitgliedern Kontakt zu halten, Besuche zu verabreden und Aktuelles auszutauschen. In Kombination mit dem neuen Phänomen Internet ist man plötzlich wieder mittendrin, in der noch immer faszinierenden Welt der Ramones.

Am 8. Oktober 2008 wäre Johnny Ramone 60 Jahre alt geworden. Ziemlich wahrscheinlich hätte er eine Party geschmissen, all seine Freunde eingeladen - womöglich per Post und mit diesen typisch amerikanischen Kitschkärtchen, wie er sie Jahr für Jahr zu Weihnachten verschickte - vielleicht aber auch nicht. Fest steht, dass sich am 8. Oktober Hunderte Ramones-Veteranen aus der ganzen Welt an Johnnys Grab auf dem "Hollywood Forever"-Friedhof am Sunset Boulevard einfinden werden, um an seinem in Bronze gegossenen Denkmal in Erinnerungen zu schwelgen oder wahlweise in ein kollektives und lautstarkes "Hey! Ho! Let's Go!" auszubrechen. So wie damals, drei Tage vor seinem Tod in diesem Club namens "Avalon". Auf dass er uns auch diesmal wieder hört.

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