
Rollschuh-Revival: Roll, Mädel roll!
Rollschuh-Revival Roll, Mädel roll!
Fürst Metternich und Prinz Hohenzollern, Jack Nicholson und Cher, Madonna und Jessica Simpson: Sie alle haben's getan, vor aller Augen. Leidenschaftlich. Majestätisch. Schnell. Während die beiden Musik-Diven die Rollschuhe jüngst aus dem Keller geholt haben, um in ihren Videoclips ein paar lukrative Runden zu drehen, verlustierten sich Metternich, Nicholson und Co. auf ihrem rollbaren Untersatz einfach so, zum Spaß. Ja, ist der Rollschuh denn gar nicht zu stoppen? Sieht ganz so aus. Mal ist er "in", dann wieder "out" - und jetzt, da wir Mitdreißiger uns nostalgisch zurückbesinnen, erneut angesagter denn je.
Seit knapp 250 Jahren braust das gute Stück nun durch die Weltgeschichte. Zum Inline-Skater verhält sich der Rollschuh in etwa so wie der Tatort zum Polizeiruf, wie Geha zu Pelikan oder Benz zu BMW. Eine Grundsatzentscheidung: Es kann nur eine Spur geben - oder aber zwei. Dabei hat sich der Rollschuh streng genommen aus dem Inliner entwickelt, bei dem die Rollen in einer Reihe, also "in line" montiert werden.
Je zwei Rollen schraubte der Erfinder des Sportgeräts, Joseph Merlin, im Jahr 1770 unter seine Schlittschuhe, um die erlauchte Gesellschaft im Ballsaal des englischen Königshofes zu beeindrucken. In gewagten Pirouetten glitt der Mann auf ihnen daher und spielte gleichzeitig Violine: grandios! Leider vermasselte sich Merlin selbst die Show, da er vergessen hatte, sich ums Bremsen zu scheren: Mit Vollkaracho landete er in einem 500 Pfund teuren Kristallspiegel, der mit viel Getöse zerbarst.
Rollende Kellnerinnen
Pech für Merlin, Glück für den Rollschuh, der nun seinen Siegeszug antrat. Zunächst reüssierte er als Schlittschuh-Ersatz in Meyerbeers Oper "Der Maler und das Wintervergnügen". Da man technisch noch nicht in der Lage war, Eis auf die Bühne zu zaubern, geriet das Schlittschuhballett kurzerhand zur Rollschuh-Nummer, zur großen Freude des Publikums. Noch trauten sich jedoch nur die Mutigsten, die meist aus Holz gefertigten Rollen anzuschnallen. Die Bedienungen in der Bierkneipe "Corse Hall" bei Berlin zum Beispiel. Für Furore sorgte der für das Jahr 1840 überlieferte Gag eines umtriebigen Gastronomen, die Mädels auf Rollen an die Tische fahren zu lassen.
Dass dabei immer mal ein Bier verschüttet wurde, blieb nicht aus. Denn noch hatte der Rollschuh so seine technischen Tücken. Diverse Tüftler machten sich daran, den Rollschuh zu verbessern. Robert John Tyerin aus England war so einer. Seinen Rollschuh, Modell "Volito", beschrieb das britische Patentamt als "Apparat, der zum Reisen, oder zum Spaß an Stiefeln, Schuhen oder an anderen Fußbekleidungen befestigt wird": ein Fahrgestell mit je fünf gerade aneinandergereihte Rädern also - die Briten waren aus dem Häuschen.
Der Durchbruch gelang jedoch erst dem amerikanischen Mechaniker James Leonard Plimpton: Als erster befestigte er 1863 die Rollen an Federn und verpasste den Schuhen zudem je ein Paar Räder unter Ferse und Ballen. Der zweisspurige Rollschuh war geschaffen - und verdrängte den "Inliner" zum ersten Mal in der Geschichte vom Markt.
Heiratsmarkt der Schönen und Reichen
Mit seinen zwei Achsen und zwei Spuren war der Plimpton-Skate so komfortabel wie kein Rollschuh zuvor, ermöglichte elegante Kurvenfahrten und gab den Startschuss für den Beginn eines wahren Roll-Booms. 1867 eröffnete in Cincinatti die erste amerikanische Rollschuhbahn, die man auch Rinks nannte. Im Nu schwappte die Mode über den großen Teich und erreichte zuerst England, wo man just des Krockets überdrüssig war, und von dort aus das übrige Europa. Den ersten deutschen Rink hat eine britische Firma im Jahr 1876 in der Berliner Hasenheide errichtet.
Die "Rinkomanie", wie man die Rollschuh-Begeisterung nannte, ergriff zunächst vor allem die erlauchteren Kreise: Adelige und reiche Bürger. Im Rink im Wiener Prater gaben sich sogar Angehörige des Kaiserhauses auf Rollen die Ehre. Man parlierte, flirtete, führte die neueste Robe aus. Fürs einfache Volk hingegen war der Sport noch uninteressant - viel zu hoch die Eintrittspreise für die prunkvoll gestalteten Bahnen.
Doch so rasant der Rollschuh die Herzen der Schönen und Reichen erobert hatte, so schnell war er auch schon wieder abgeschrieben. Vor allem in England sorgte das Aufkommen eng geschnittener Röcke dafür, dass die Damen den Rinks fernblieben. Das in Mode gekommene Fahrrad stahl dem Rollschuh die Show, reihenweise mussten die Bahnen schließen. Und das, obwohl der Amerikaner Richardson 1884 Rollschuhe mit Kugellagern versah, was eine bequemere und vor allem schnellere Fahrt ermöglichte.
Vom Upper-Class-Sport zum Jedermann-Vergnügen
Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch grassierte in Europa erneut die Rinkomanie, angefacht durch geschicktes Rollschuh-Marketing der Amerikaner. Wieder schossen die Rollschuhpaläste wie Pilze aus dem Boden, nicht mehr ganz so splendid, dafür aber erschwinglich auch für nicht ganz so Betuchte. Das Rollschuhfieber sprang auf alle über, ganz Berlin schwelgte zu Beginn des neuen Jahrhunderts zu den Rhythmen des Paul-Lincke-Schlagers "Roll, Mädel roll". 1911 organisierte der Bund Deutscher Rollschuhvereine die erste Kunstlauf-Meisterschaft im Land, auf der die Sportler nicht nur schön und schnell um die Wette rollten, sondern auch Rollhockey spielten.
Der Erste Weltkrieg setzte dem Spaß nur vorläufig ein Ende, bereits in den 1920ern flammte das Rollschuhfieber erneut auf. Auf internationalen Turnieren heimsten die deutschen Rollsport-Profis in den fünfziger, sechziger und seibziger Jahren besonders viele Medaillen ein, 1959 und 1961 stellte die Bundesrepublik mit Rita und Peter Kwiet sogar die Weltmeister im Rollschuhtanzen.
In den 1970ern revolutionierten die neuen Kunststoffräder das Rollschuhvergnügen. Statt auf holprigem, lärmenden Metall surrten die Skater nun auf Gummirollen daher. Wer von dem Amerikanern genau auf die Idee kam, seine Rollschuhe als erster in die Disco mitzunehmen, ist nicht überliefert. Fakt ist: Plötzlich waren sie da, die Skater. Und eroberten im Handumdrehen die Musikpaläste der Nation. B-Filme wie "Xanadu" oder "Skatetown" zeugen von einer nie dagewesenen Rollschuh-Euphorie.
Netzhemd auf zwei Achsen
Anfang der Achtziger, als das Rollerdisco-Fieber in den USA seinen Zenith längst überschritten hatte und die Inliner aufkamen, schwappte der Trend nach Europa. Plötzlich düsten auch hier die Teenies auf Rollen unter den Glitzerkugeln umher. Nur dass sie, im Gegensatz zu den Pionieren in den USA, keine Pril-Blumen mehr auf den Shirts trugen, sondern Föhnfrisuren und Nietengürtel, Leggins und Netzhemden, vorzugsweise in Pastell oder Neon.
Während sie vor sich hinrollten, träumten die Mädels von Don Johnson und ihre Lover von "La Boum"-Sternchen Sophie Marceau. Kurz: Die Rollschuh-Euphorie gehörten zu den Achtzigern wie Zauberwürfel, "Tears for Fears" und Vokuhila. Passend zum Trend schlug das auf Skates getanzte Musical "Starlight Express" 1988 in Bochum sein Quartier auf - und feiert als Welterfolg auf Rollen mittlerweile an die zwölf Millionen Besucher.
Genau ein Jahrzehnt lang währte die Rollerdisco-Manie, dann brausten die Inline-Skates aus den USA heran und verbannten die Rollschuhe in den Keller. Geschwindigkeit statt Ästhetik, lautete die Devise; die harten Schalenschuhe stützten die Gelenke und ermöglichten rasantes Fahren ohne einzuknicken. Im Jahr 1979 entwickelte der Eishockey-Spieler Scott Olson den modernen Inline-Skate, um auch im Sommer fit zu bleiben. Keine blöde Idee: Besaßen 1992 rund 100.000 Deutsche Inline-Skates, waren dies drei Jahre später bereits eine Million und 2002 fast 17 Millionen Deutsche - sehr zur Freude der von Olson gegründeten Firma Rollerblades, die mit den Straßengleitern Millionenumsätze eingefahren hat.
Inliner raus!
Just als wir Deutschen uns richtig toll vorkamen auf unseren Inlinern, zeigten uns die Amerikaner abermals die lange Nase - und holten die guten, alten Rollschuhe aus dem Keller. Seit der Jahrtausendwende feiert der Zwei-Achser in den USA ein spektakuläres Revival. Wer auf Inlinern durch den Central Park saust, gilt plötzlich als peinlich - wirklich hippe New Yorker schnallen die Roller Skates an, setzen den Walkman auf und schwelgen in Erinnerungen an ihre Rollerdisco-Jugendzeit. Glücklich, wieder auf mehr als nur einer Achse zu fahren: Rollschuhlaufen konnte in den Achtzigern jedes Kind - verlernt hat's keiner. 2004 nahm sich die Doku "8 wheels and some soul brotha music" des Roller-Skate-Phänomens an, im Jahr darauf kam der Retrofilm "Roll Bounce" in die Kinos.
Da es ein Grundgesetz ist, dass die US-Trends mit leichter Verspätung in Europa Furore machen, ist auch hierzulande wieder das Rollschuhfieber ausgebrochen. "Inliner verboten!", schallte es 2005 denen entgegen, die es wagten, die Rollschuh-Nacht im Hamburger In-Schuppen "Mandarin Casino" mit seinen Rollen-Einreihern zu betreten, und in Berlin lieferten sich bei den angesagten "Boogie-Battles" die Rollerskater einen schweißtreibenden Wettkampf.
Abseits des Inline-Mainstreams hat sich eine kleine, aber feine Fan-Gemeinde etabliert, die sich auf Rollschuhbahnen, in Discos und auf Plätzen trifft. Und "Rollergirl" Nicci Juice hat in ihren Musikclips vorgemacht, dass sich mit dem Retro-Trend sogar gutes Geld verdienen lässt - sofern man gleichzeitig Rollschuh fährt, wenig an hat, ein Liedchen trällert und dabei gut aussieht. Bleibt abzuwarten, ob der Rollschuh den Inliner in Zukunft verdrängt - es wäre nicht das erste Mal.