Roma in Osteuropa Unbegreifliche Fremde

Bei seinen Urlauben in Bulgarien erlebte Karl Wilhelm Meier vor der Wende 1989, wie Roma zum Alltag der Touristenorte dazugehörte. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren sie fast überall plötzlich verschwunden.
Urlaub in Bulgarien: Ende der siebziger Jahre war Bulgarien für DDR-Bürger ein Traumziel, aber auch Westeuropäer genossen hier Sonne, Strände und unschlagbare Preise.

Urlaub in Bulgarien: Ende der siebziger Jahre war Bulgarien für DDR-Bürger ein Traumziel, aber auch Westeuropäer genossen hier Sonne, Strände und unschlagbare Preise.

Foto: Georg Keim

Zigeuner ist für mich kein Schimpfwort. Eher eine Bezeichnung für Menschen, die in meinen Augen ein ruheloses Leben führen, für Menschen, von denen ich wenig bis gar nichts weiß. Vor Jahrhunderten zogen sie von Indien aus in alle Welt. Während der Herrschaft der Nazis wurden sie in Deutschland verfolgt und ermordet. Nach dem Krieg duldete man sie, aber man begegnete ihnen mit Misstrauen. Wenn sie zu uns in den Ort kamen, dann mussten wir Kinder ins Haus, und meine Mutter nahm die Wäsche von der Leine. Natürlich öffnete ihnen niemand die Tür, wenn sie ihre Teppiche feilboten.

In der Nähe meines Wohnortes hatte es während des Krieges ein Lager für Zwangsarbeiter gegeben, kleine Baracken mit kleinen Gärten, von der Straße durch eine hohe Hecke getrennt. Nach dem Krieg hat man sie einer großen städtischen Baugesellschaft anvertraut. Die Roma wohnten dort, und ihre großen Autos und ihre Wohnwagen standen in den kleinen Gärten. Aber das war einmal. Mittlerweile scheinen sie weitergezogen und von anderen Außenseitern abgelöst worden zu sein: Die Punks sind genauso friedlich wie ihre Vorgänger. Sie tun niemanden etwas zuleide, trotzdem hält man sich von ihnen fern.

Während meiner Reisen nach Bulgarien vor der Wende von 1989/90 fiel mir auf, dass Roma in den Urlaubsorten dort sehr präsent waren. Die Frauen pflegten die Rabatten der Promenaden, die Männer machten Musik in den Lokalen oder zogen mit einem Tanzbären los, der sich dann zu Geigenklängen bewegte. Die Roma schienen ein Teil der Tourismusindustrie zu sein und sich in ihr eingerichtet zu haben. Mit den Bulgaren kamen sie allerdings offenbar kaum in Berührung. Außer als Musiker und Tierdompteure verdienten sie sich in den Urlaubsorten etwas dazu, indem sie Geld umtauschten.

Gettoisierung und Mordanschläge

Dann kam auch in Bulgarien das Ende der kommunistischen Herrschaft. Die Tourismusindustrie passte sich zunehmend den vermeintlichen Erwartungen westlicher Besucher an. Die Folge war, dass viele einheimische Lokale schlossen oder auf mitteleuropäische Küche umsattelten. Plötzlich war kein Platz mehr für die Kapellen der Roma. Sie waren die ersten, die nach Hause geschickt wurden. Die Rabatten in den Kurorten wurden auch nicht mehr regelmäßig von den vielen Roma-Frauen gejätet und gegossen. Nur noch zwei Frauen waren für den ganzen Ort zuständig. Sie waren so überlastet, dass sie es nicht einmal schafften, jeden Tag alle Pflanzen zu gießen.

Heutzutage sind Zigeuner in den bulgarischen Urlaubsorten kaum noch zu sehen. Die Wenigen, die noch anzutreffen sind, versuchen sich an der Strandpromenade mit dem Verkauf von Kirschen durchzuschlagen. Manche gehen dabei nicht ganz fair vor: Den überhöhten Preis nennen sie erst, wenn der Kunde die Kirschen schon in die Hand gedrückt bekommen hat. Einige Touristen bezahlen, weil sie Ärger fürchten. Aber nicht alle - wenn dann die Miliz kommt, müssen die Roma in aller Eile das Feld räumen.

Die Zeiten sind hart geworden für die Minderheit. Zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich an dem geringen Ansehen und den zahlreichen Vorurteilen, die dieser Bevölkerungsgruppe entgegengebracht werden, wenig geändert. Eher im Gegenteil: Die Konflikte eskalieren unkontrollierter, die Stimmungsmache der nach 1989 erstarkenden Rechten in Mittel- und Osteuropa tut ihr Übriges: Segregation, Gettoisierung und Mordanschläge haben in den letzten Jahren ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Vielleicht sind es nicht die Roma, die ruhelos sind, sondern wir, in unserer bedauerlichen Angst vor dem, was uns unbegreiflich und fremd ist.

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