
Satire und Politik: Schluss mit lustig
Mediensatire und Politik Lästern bis zur Staatskrise
Acht Jahre war der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini an der Macht, da flogen ihm endlich die Herzen der Menschen zu. Verschleierte Iranerinnen bewarfen ihren Führer mit Slips und Büstenhaltern, Chomeini wühlte sich hingerissen durch einen Berg an Dessous - so zu sehen in einer Videomontage von Rudi Carrells "Tagesshow", im Februar 1987 in der ARD.
Ein sittenstrenger Religionsführer wird mit bunten Schlüpfern beworfen. Höhö. Selbst in den zahmen Achtzigern war das ein eher plumper Gag, den man getrost auf dem Friedhof schlechter Polit-Comedy endlagern könnte - würde er nicht einen Mechanismus aufzeigen, der nach Recep Tayyip Erdogans wütender Reaktion auf eine NDR-Satire brandaktuell ist.
Damals bei Carrell reichten 14 Sekunden für ein mittleres politisches Erdbeben. Der "extra 3"-Einspieler "Erdowie, Erdowo, Erdogan" (zur Melodie von Nenas "Irgendwie, irgendwo, irgendwann") brauchte nur 99 Sekunden mehr. Die diplomatischen Beißreflexe aber greifen: Wieder einmal hat Satire eine politische Krise ausgelöst.
Satire darf das, sie soll das sogar, sind die wütenden Reaktionen doch oft entlarvend und geben Einblicke in das Politik- und Medienverständnis selbstgerechter Machtmenschen wie Erdogan. Also lohnt der Blick zurück in die Achtziger, zum "Schlüpfer-Skandal".
"Rudis Tagesshow" war gerade ein paar Minuten gesendet, als im Auswärtigen Amt das Telefon klingelte. Reinhard Schlagintweit, Beauftragter für den Nahen Osten, hatte die Sendung gar nicht gesehen, doch sogleich klagte Mohammad Djavad Salari, iranischer Botschafter in Bonn, "das geistliche Oberhaupt aller Muslime" sei zutiefst beleidigt; die Gefühle "des iranischen Volkes" und von Muslimen in aller Welt seien verletzt.
Entertainer unter Polizeischutz
Salari verlangte ähnlich wie nun die türkische Regierung eine Entschuldigung der Bundesrepublik - als entscheide die Bundesregierung über jede 14-Sekunden-Satire. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes wiegelte ab: "Wenn Dritte etwas machen, können wir es nur bedauern." Tags darauf schlossen die Iraner ihre Generalkonsulate in Hamburg und Frankfurt und strichen Flüge der staatlichen Linie Iran-Air, deutsche Geschäftsreisende saßen fest. Kurz danach wurden zwei Bonner Diplomaten in Teheran zu unerwünschten Personen erklärt. Selbst das Goethe-Institut musste schließen.
Rudi Carrell fand seinen Spaß nicht mehr so witzig, obwohl er Glückwunschtelegramme aus aller Welt erhielt - selbst aus der muslimischen Welt: So freute sich der Irak diebisch darüber, dass Erzfeind Iran durch den Kakao gezogen wurde. Doch der holländische Entertainer bekam auch Morddrohungen. Der niedersächsische Anti-Terrortrupp MEK musste sein Domizil nahe Bremen rund um die Uhr bewachen, auch beim WDR gingen Bombendrohungen ein - obwohl Radio Bremen die Sendung produziert hatte.
"Wenn mein Gag mit dem Ajatollah Chomeini im Iran Verärgerung verursacht hat", schrieb Carrell bald reumütig an Botschafter Salari, "bedauere ich das sehr und möchte mich beim iranischen Volk entschuldigen." Die Sache betrübte ihn zutiefst: "Wenn es weiter eskaliert, könnte es das Ende meiner Karriere sein", soll er einmal gesagt haben.
"taz": Die Sache mit der polnischen Kartoffel
Knapp zehn Jahre später gelang der "taz" mit einem Text auf ihrer Satireseite "Die Wahrheit" ein ähnlicher diplomatischer Aufreger. Nur knickte die Zeitung am Ende nicht ein. Im Juni 2006 erschien eine Glosse von Peter Köhler: "Polens neue Kartoffel - Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Lech 'Katsche' Kaczynski". Dem damaligen polnischen Präsidenten wurde eine nationalistische Außenpolitik vorgeworfen, mit einem "schwarzen Weltbild", demzufolge "seit dem Mittelalter jeder Deutsche auf vollen Pferden gen Osten sprengt". Kaczynski habe sich damit gebrüstet, keinem deutschen Politiker "auch nur den nackten Fingernagel" zu reichen. Selbst der Mond sei ihm näher als Deutschland.
Köhlers Sticheleien sorgten in Polen für Riesenempörung. Kaczynskis Partei "Recht und Gerechtigkeit" wollte zu "Mitteln des internationalen Strafrechts" greifen. Ein deutsch-polnisch-französisches Gipfeltreffen platzte, und Polens Außenministerin Anna Fotyga suchte eine Parallele aus der NS-Zeit - sie verglich ausgerechnet die linksalternative "taz" mit Julius Streichers antisemitischem Hetzblatt "Der Stürmer".
Monate später legte die "taz" feinsinnig mit einem Kaczynski-Kartoffel-Memory nach. Die Bildmontage zeigte zwei aufgedeckte Kartenpaare, zweimal Lech Kaczynski, zweimal eine Kartoffel - und darüber die Preisfrage: "Wer von euch kommt denn jetzt schon wieder?" Der Anlass war ein Dreiertreffen mit Angela Merkel, Jacques Chirac und eben Kaczynski.
Nordkorea: Ein Diktator sieht Rot
Auch außerhalb von Deutschland führten Satiren immer wieder zu ernsten politischen Krisen. So wurde im September 2015 Giulio Hass, Schweizer Botschafter in Iran, einbestellt, weil er während eines Vortrags in Zürich eine Karikatur des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu präsentiert hatte. Sie zeigte eine iranische und eine US-Friedenstaube, die einträchtig auf Netanjahus Kopf sitzen - und ihm beseelt auf den Kopf kacken. Haas wollte mit seinem Vortrag für bessere Geschäftsbeziehungen mit dem Iran werben. Sein Außenministerium pfiff ihn gleich zurück: Die Zeichnung sei "fragwürdig" und "geschmacklos".
Noch höhere Wellen schlug Ende 2014 der Film "The Interview", eine mäßig originelle US-Komödie über Nordkoreas Diktator Kim Jong Un. Sie wurde weltbekannt, als Kim Jong Un so unklug war, sich darüber bei den Vereinten Nationen zu beschweren. Weil Präsident Obama die Produktionsfirma Sony drängte, den Film trotzdem zu zeigen, verunglimpfte ihn die nordkoreanische "Nationale Verteidigungskommission" als "Affen im Urwald" und drohte mit "tödlichen Schlägen". Es folgte ein seltsamer Cyber-Krieg inklusive Hackerangriff auf Sony.
Am bekanntesten aber sind bis heute die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten", die 2005 weltweit zu gewalttätigen Protesten in islamischen Ländern führten und auch in Deutschland eine Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit auslösten. Botschaften wurden geschlossen, Diplomaten einbestellt; einer der Zeichner überlebte 2010 einen Anschlag.
Mit seiner düsteren Vorhersage, sein Chomeini-Gag könne das Ende seiner Karriere einläuten, lag Rudi Carrell 1987 übrigens nicht ganz falsch. Nur drei Sendungen nach der Skandal-Show war mit seiner "Tagesshow" Schluss, obwohl ein Zusammenhang offiziell stets bestritten wurde. Carrell moderierte fortan das unpolitische "Herzblatt" - und das umstrittene TV-Filmchen wurde nie wieder gezeigt. "Radio Bremen" rückte es später nicht einmal für eine Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte heraus ("Was darf Satire? Humor und Politik in Deutschland").
Eine flotte Intervention und diplomatische Turbulenzen, Entschuldigungen und eine Satire für immer im Giftschrank: Das wäre ganz nach dem Geschmack des Autokraten Erdogan.