

Herkko Rosvo-Ronkainen wollte nur die besten Männer. Und dafür brauchte er Frauen. Gerne auch sehr schwere. Oder unhandliche. Oder wild strampelnde.
Rosvo-Ronkainen war Ende des 19. Jahrhunderts ein finnischer Räuberhäuptling, der in seiner Heimat legendär wurde, weil er seine neuen Bandenmitglieder auf Grund eines besonderen Härtetests ausgewählt haben soll: Die Männer, die sich ihm anschließen wollten, mussten dem Räuberboss angeblich ihre Stärke beweisen, indem sie Frauen über ein unwegsames Terrain schleppten.
Was das seltsame Ritual bewirken sollte, darüber streiten sich bis heute die Rosvo-Ronkainen-Legenden-Ausleger. Wollte der Mann nur seine Banditen körperlich stählen? Aber warum ließ er sie dann nicht einfach schwere Steine und Bäume durch die Gegend schleppen? Probte er die Flucht vor russischen Soldaten? Oder ließ der Bandit neben dem üblichen Diebesgut auch systematisch Frauen aus einsamen finnischen Dörfern entführen?
Eines steht jedenfalls fest: Rosvo-Ronkainen wäre heute sicher stolz auf das finnische Dorf Sonkajärvi. Denn dort schleppen bei der offiziellen "Weltmeisterschaften im Frauentragen" jedes Jahr Dutzende Athleten ihre Frauen über eine Kiespiste und durch tiefe Wasserlöcher - Huckepack, über die Schulter geworfen oder mit dem Kopf nach unten hängend. Der vermeintliche Frauenraub von einst ist längst zur beliebten Fun-Sportart geworden, die auch außerhalb Finnlands, etwa in Australien und den USA, immer mehr Anhänger findet.
Spaß statt langweilige Porträts
So wurde auch der Amerikaner Sol Neelman auf das Frauentragen aufmerksam. Neelman ist Fotograf und, wie er sagt, "besessen" von schrägen, schrillen und abseitigen Sportarten. Seit Jahren fährt er durch die Welt, immer auf der Suche nach seltsamen Sportvarianten. Dafür kündigte er sogar seine sichere Festanstellung als Fotograf bei einer auflagestarken Regionalzeitung. 2011 veröffentlichte Neelman seinen ersten Bildband, der gleich ein Verkaufsschlager wurde. Nun ist im Kehrer-Verlag mit "weird sports 2" sein zweites Buch zu seinem Lebensthema erschienen.
"Ich liebe es, Menschen dabei zuzuschauen, wie sie Spaß haben", sagt Neelman auf die Frage, was ihn nach all den Jahren noch antreibt, kein abseitiges Sportevent auszulassen. "Ich habe früher für ernsthafte Nachrichtengeschichten fotografiert und langweilige Porträts von Geschäftsführern gemacht. Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich machen würde, wenn ich nicht seltsame Sportarten fotografieren würde. Am Ende ist mir nichts eingefallen, was mir so viel Spaß machen und mir so leicht ein Lächeln entlocken könnte."
Mit dieser kindlichen Freude porträtiert Neelman in seinem Bildband genau jene Menschen, die sich selber nicht ganz ernst nehmen - ihre Randsportart aber dennoch mit viel Liebe, Ehrgeiz und Kreativität betreiben.
Da gibt es etwa einen Hindernislauf, bei dem die Sportler nicht nur Schlammlöcher oder Zäune überwinden, sondern auch noch vor mit Kunstblut vollgespritzten Zombies fliehen müssen. "Star Wars"-Fans hingegen kreuzen beim "Lightsaber Fencing" rote und grüne Lichtschwerter, Feuerfanatiker dreschen nachts beim "Flaming Theterball" mit Tennisschlägern auf lichterloh brennende Klopapierrollen. Kraftprotze messen sich beim Fahrrad-Weitwurf, Fahrradliebhaber wiederum treffen sich beim "World Naked Bike Ride", während eher traditionsbewusste Amerikaner zur Erntezeit ihre größten Kürbisse aushöhlen, liebevoll zu schwimmfähigen Paddelbooten umbauen - und sich auf dem nächstgelegenen See ein heißes Wettrennen liefern.
Bier als Siegesprämie
Viele dieser Sportarten sind nur regional verankert oder einfach aus einer Schnapslaune heraus entstanden. Über die sozialen Netzwerke haben einige jedoch weltweit Anhänger gefunden. Verbände wurden gegründet, nationale und internationale Wettkämpfe organisiert. Doch mit wachsender Popularität droht den neuen Sportvarianten, dass Ernst und Kommerz das überlagern, was Fotograf Neelman an den Randdisziplinen bisher so faszinierte: Spaß und Leichtigkeit.
Sol Neelman:
Weird Sports
KEHRER Heidelberg; 112 Seiten; 30 Euro.
Buch bei Amazon Sol Neelman: Weird SportsSol Neelman:
Weird Sports 2
KEHRER Heidelberg; 112 Seiten; 29,90 Euro.
Buch bei Amazon: Sol Neelman "Weird Sports 2"Buch bei Thalia Sol Neelman: Weird Sports 2Bei den "Weltmeisterschaften im Frauentragen" besteht diese Gefahr noch nicht. Zwar gibt es penible Regeln, über die ein verwegener Räuberhauptmann wie Rosvo-Ronkainen wohl nur verwundert den Kopf schütteln würde: Die offizielle Rennstrecke ist, warum auch immer, exakt 253,5 Meter lang. Die Frau muss mindestens 49 Kilogramm wiegen (sonst bekommt sie einen Rucksack mit Gewichten umgeschnallt) und über 17 Jahre alt sein - und vor allen Dingen muss sie sich freiwillig wegschleppen lassen.
Großes Geld ist in dieser Disziplin jedoch bisher nicht zu machen. Die Siegesprämie wird nach einer Formel berechnet, die sich im Profisport nicht durchsetzen dürfte: Das Gewicht der getragenen Frau wird in Liter umgerechnet - und der Betrag den neuen Weltmeistern dann in Bier ausgezahlt.
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Spiel mit dem Feuer: Männer in Furcht einflößenden Schutzanzügen prügeln mit Tennisschlägern auf eine in Benzin getränkte brennende Rolle Toilettenpapier ein, die an einer Schnur befestigt ist und um einen Metallstab fliegt. Wer "Flaming Tetherball" spielt, dem geht es weniger um Gewichtsabnahme, als um die Verwirklichung ureigener Kindheitssehnsüchte: Gespielt wird nachts, und das Ganze sieht verboten gefährlich aus. Schwere Verletzungen sind bisher noch nicht öffentlich geworden. Der eine oder andere Vielspieler soll schon mal über einen Tennisarm geklagt haben, berichtet Sol Neelmann, der diese Sportart fotografiert hat. Das wohl Erstaunlichste: Der "Ball" ist langlebiger, als man denken könnte - das WC-Papier brennt etwa sieben Minuten.
Schreckenslauf: Beim "Zombie-Infested 5K Run" hier in der US-Stadt Darlington, Maryland, müssen die Teilnehmer nicht nur die üblichen Hindernisse überwinden, sondern auch noch albtraumhaft verkleideten Horrorgestalten entkommen.
Grübeln, prügeln, grübeln: Schachboxen, hier ein Wettkampf in Berlin, ist die Kombination zweier traditionsreicher Sportarten. Gekämpft wird in elf Runden zu jeweils drei Minuten - fünf Runden Boxen, sechs Runden Schach. Das Spiel kann vorzeitig durch einen Knock-out oder durch Schachmatt entschieden werden. Die Grundidee stammt ursprünglich aus einem Comic des französischen Zeichners Enki Bilal aus dem Jahr 1992, in dem eine WM im Schachboxen ausgetragen wird - eine Fantasie, die inzwischen Wirklichkeit geworden ist.
Bälle, die Fußball spielen: Wer einmal die Karate-Tritte von einstigen Fußball-Ikonen wie Tim Wiese und Oliver Kahn gesehen hat, kann die wachsende Beliebtheit von "Bubble Soccer" noch besser verstehen. Geschützt in einem Plastik-Universum kugeln, stolpern und laufen die Sportler relativ sicher über das Spielfeld. Auch Kopfnuss- oder Bissattacken à la Zinédine Zidane und Luis Suárez haben hier wenig Sinn.
Sauber starten, quietschbunt ankommen: "The Color Run", hier in Seattle, ist eine weltweite Lauf-Serie über eine Distanz von fünf Kilometern, bei der die Läufer bei jedem Kilometer eine weitere Farbe verpast bekommen. Die Farben seien ein völlig unbedenkliches, "hundertprozentiges Naturprodukt", versichern die Veranstalter. Wer nicht laufen wolle, könne das Farbpulver sogar essen.
Fette Ernte: Die dicksten Kürbisse werden für die jährliche "Giant Pumpkin Regatta" an der Westküste der USA ausgehöhlt und zu kleinen Booten umgebaut. Das Bootsrennen, bei denen viele Teilnehmer in ihren Kürbis-Booten kentern oder von Konkurrenten umgestoßen werden, gibt es seit 2004.
Zauberer-Sport: "Quidditch" ist die beliebteste Sportart in der Welt Harry Potters - und inzwischen auch eine realer Wettbewerb, hier eine Aufnahme von der sechsten Weltmeisterschaft in Kissimmee, Florida. Sausen in J. K. Rowlings Büchern die Athleten auf Besen durch die Luft, müssen die sieben irdischen Sportler einer Mannschaft allerdings auf vergleichsweise banalem Rasen dem Gegner die Bälle abluchsen.
Hart und dreckig: Gleich in mehreren Städten in den USA (hier eine Aufnahme aus Midway, Utah) gibt es den Hindernislauf "The Dirty Dash", bei dem die durch den Schlamm robbenden Teilnehmer ihren inneren Schweinehund besiegen müssen. "Militärisches Ausbildungslager trifft auf Ihre Kindheitsfantasien", wirbt der Veranstalter etwas kryptisch.
Mit langen Schritten: Von wegen Kopf in den Sand stecken! Beim Straußenrennen (hier in Virginia City, Nevada) wollen die nicht gerade als intelligent geltenden Tiere und ihre hoffentlich etwas clevereren Reiter offenbar dasselbe - nämlich bloß nicht auf den letzten Metern eingeholt werden.
Weniger ist mehr: Es ist natürlich eine relativ plumpe Methode, einer Sportart neue Attraktivität zu verleihen, indem man die Athletinnen und Athleten einfach in Unterwäsche auflaufen lässt. Aber gut, Lingerie Basketball funktioniert! Zumindest in den USA.
Bloß nicht fallen lassen: "Frauentragen" kann die beste Beziehung auf eine harte Probe stellen. Möglichst schnell müssen die Männer die Frauen - das Mindestgewicht beträgt 49 Kilogramm - über einen Hindernisparcours von 253,5 Metern schleppen und dabei auch ein Wasserloch durchqueren, das, so die offiziellen Regeln, mindestens einen Meter tief sein soll. Ihren Ursprung hat die Sportart in Finnland; dort findet seit 1992 auch jährlich die WM im Frauentragen statt. Zu ernst nimmt man sich jedoch nicht - die Weltmeister-Prämie wird in Bier ausgezahlt.
Krieg auf dem Wasser: "Stand Up Paddling", von den Anhängern kurz SUP genannt, ist in den letzten Jahren immer beliebter geworden, so dass es inzwischen richtige Massenwettrennen gibt. Hier duellieren sich in einem "Battle of the Paddle"-Wettbewerb Hunderte Stehend-Paddler im kalifornischen Dana Point. Die Ursprünge der Trendsportart sollen auf polynesische Fischer zurückgehen.
Flieg!: Mit so viel Einsatz beim Anfeuern kann man diesen Froschspringen-Wettbewerb in Kalifornien so gerade noch als Sport durchgehen lassen.
Männer, die durch Schlamm rasen: Bei "Swamp Buggy"- Rennen werden uramerikanischer Pioniergeist und Abenteurerfantasien bedient. Sümpfe und Wasser wollen mit teilweise eigens konstruierten Gefährten bezwungen werden, und zwar möglichst schnell - hier ein Wettkampf in Florida, 1999.
Ungeschützt: Beim "World Naked Bike Ride", hier eine Aufnahme von 2012 aus Madrid, protestieren nackte Radfahrer immer wieder medienwirksam gegen fahrradunfreundliche und gefährliche Straßenführungen in Großstädten - und fordern von den Autofahrern mehr Rücksicht und Respekt ein.
Gewollter Absturz: Es ist eine Art Karnevalsumzug in der Luft - beim Wettbewerb "Flugtag", seit Jahren geschickt vermarktet von Red Bull, versuchen die Teilnehmer in ihren möglichst absurden, selbst konstruierten Fluggeräten richtig abzuheben. Die meisten schaffen es nur ein paar Meter. Dass fette Burger nicht unbedingt Flügel verleihen, sollten zumindest die Amerikaner inzwischen wissen - dieser Versuch wurde im Mai 2014 in Hongkong unternommen.
Gas geben und werfen: Whirly Ball, das in den USA schon seit den Sechzigerjahren gespielt wird, wirkt wie eine bizarre Mischung aus Handball und Autoscooter-Fahren. Jede Mannschaft besteht aus fünf Fahrern, die sich mit einer Art Kescher einen speziellen Ball zupassen und versuchen, damit ein Tor (eine runde Zielfläche) zu treffen. Rechts-vor-links-Verkehrsregeln sind aufgehoben, das Rammen des Gegners von hinten ist allerdings verboten - und aussteigen darf auch niemand während des Spiels.
Nur für Männer: Lang, wuschelig, spitz - bei internationalen Bartträger-Meisterschaften (hier ein Wettkampf in New Orleans, Louisiana) kämpfen die Teilnehmer um den besten Bart und halten das für eine Art sportliche Betätigung - immerhin muss zwischendurch ja auch ein Bier getrunken werden.
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