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Erster Weltkrieg: Schlachtfelder: "Im Morgengrauen waren alle Soldaten gleich"

Foto: Michael St Maur Sheil/ Edition Lammerhuber

Fotos von Weltkrieg-Schlachtfeldern Vernarbtes Land

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg besuchte Michael St Maur Sheil die einstigen Schlachtfelder. Viel Gras ist darüber gewachsen, seine Fotos wirken überwältigend idyllisch - fast zu schön.

Wenn es ein Sinnbild für den Horror des Krieges gibt, dann dies: In der Schlacht von Verdun starben mehr als 300.000 Soldaten. 100 Jahre später ist der Ort zum Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung geworden. Am Sonntag gedenken Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Premier François Hollande in Douaumont der Opfer des Ersten Weltkriegs.

Der englische Fotograf Michael St Maur Sheil schuf eine ganz eigene Hommage an die Toten, den Frieden und die Natur: Er fotografierte einstige Schlachtfelder. Jetzt erscheinen seine Bilder im Fotobuch "Fields of Battle - Lands of Peace".

Wo einst Menschen zu Hunderttausenden ihr Leben in Schützengräben ließen, wo Bomben und Minen ganze Landstriche zerfetzten, dort hat die Natur Gras wachsen lassen. Grüne Narben bleiben sichtbar, doch das Grauen des Ersten Weltkriegs lässt sich nur noch vage erahnen.

Seit elf Jahren schon dokumentiert Michael St Maur Sheil die Weltkriegs-Schlachtfelder. So entstand eine Topografie des Todes. Doch sie wirkt verblüffend friedlich. Die Bilder zeigen Landschaften von beinahe surrealer Schönheit, voller Ruhe und Harmonie - fast zu schön, um wahr zu sein. "Ich finde es keineswegs absurd, diese Geschichte ganz sachlich, aber auch aus menschlicher Sicht zu betrachten, während ich inmitten der oftmals wunderschönen Landschaften stehe", sagt Sheil.

"Im Morgengrauen waren alle Soldaten gleich"

Seine Fotos stehen im krassen Gegensatz zu den Graustufen der Kriegsfotografien aus dieser Zeit: Morgennebel über sanften Hügeln, glühende Sonnenaufgänge, lichte Wälder im Herbst, schneebedeckte Winter-Bergwipfel.

"Die kollektive, imaginäre Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist monochrom, wie ein flimmernder Schwarz-Weiß-Film", sagt der britische Militärhistoriker Hew Strachan. "Sheils wunderbare Fotografien erfassen diese Unterschiede, und zwar in Farbe. Sie überbrücken die Kluft zwischen Erinnerung und Geschichte."

Sheil bewegte sich auf den Schlachtfeldern beinah selbst wie ein Soldat. Er trug Knieschoner, um tief auf dem Boden liegen zu können. Er blickte durch den Sucher seiner Kamera, wie einst die Kämpfer ihre Feinde anvisierten.

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Schlacht um Verdun: Apokalypse des Stellungskriegs

"Das war die Perspektive der Soldaten. Manchmal habe ich alte Schriftstücke von Soldaten mit Beschreibungen der Gegend gelesen. Als ich tatsächlich an diesem Ort stand, war es fast, als blickte ich durch ihre Augen und wandelte in ihren Fußstapfen. Das war unheimlich bewegend", erinnert sich der 69-Jährige.

Ein Fußball kehrt zurück

Nebelschwaden durchziehen viele Landschaften. Sheil fotografierte meist früh am Morgen, weil die Soldaten oft Attacken vor der Dämmerung erwarteten: "Im Morgengrauen waren alle Soldaten gleich. Die Angst vor einem Überraschungsangriff einte sie. Sie waren in Alarmbereitschaft."

Für seine Bilder war Sheil immer auf der Suche nach einer Geschichte. "Nur sehr selten hatte ich die typische Kulisse für Landschaftsfotografie vor mir - Seen, Berge, das Meer. Also versuchte ich, bestimmte Ereignisse oder Geschichten von Soldaten in meine Fotos einzubinden."

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Foto: Michael St Maur Sheil/ Edition Lammerhuber

Michael St Maur Sheil:
Fields of Battle - Lands of Peace

1914-1918.

Edition Lammerhuber; Englisch, Französisch, Spanisch; 264 Seiten; 65 Euro.

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Zum Beispiel die der London Irish Rifles. Das Regiment kämpfte im französischen Loos gegen deutsche Truppen und ging später in die Geschichte ein: Während die Soldaten den feindlichen Schützengraben angriffen, schossen sie auf dem Schlachtfeld einen Fußball vor sich her. Der blieb vom Kugelhagel zerrissen zurück und wurde später wieder nach Großbritannien gebracht.

Sheils Vater war im Zweiten Weltkrieg Teil dieses Regiments; so hörte er schon als Kind von der Geschichte. Für sein Projekt trug Sheil das platte Leder zurück aufs "Spielfeld", um es dort ein Jahrhundert später zu fotografieren.

Noch nach 100 Jahre viele Relikte

Immer wieder stieß der Brite unverhofft auf Spuren der Schlachten: Gebeine, Blindgänger, Beobachtungsposten, Bunker. "Es ist unglaublich, wie viele Überbleibsel man dort nach all den Jahren noch findet. Besonders an abgelegenen Stellen. Manche Orte waren wirklich gespenstisch."

So entdeckte Sheil in der Champagne das Grab des Soldaten Edouard Ivaldi, der am 30. April 1917 starb. Sein Helm hängt noch heute auf dem Holzkreuz, die Ausrüstung liegt davor - "das letzte ursprüngliche Schlachtfeld-Grab. An der Westfront gab es während des Krieges Tausende davon". Wo dieses Grab liegt? Sheil: "Das ist und bleibt ein gut behütetes Geheimnis."

Der Soldat Ivaldi war einer von zu vielen Gefallenen. Doch einzelne Schicksale helfen, das große Ganze zu begreifen, meint Sheil. "Zahlen sind manchmal bedeutungslos. Ein toter Mann oder eine Million - der beste Weg ist sich vorzustellen, dass ein Mann eine Million Male starb."

Tausende Kreuze erinnern vor dem Beinhaus von Douaumont an die Schlacht um Verdun. Merkel und Hollande werden die Grabstätte bei ihrem Besuch passieren. Auch Michael Sheil fotografierte diesen Ort. "Vor 100 Jahren lagen wir uns hier noch in Schützengräben gegenüber und wollten einander töten." Mit seinen Bildern möchte er zeigen, "dass die Zeit und die Natur die Wunden des Krieges heilen".

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