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Schlager-Geschichte: Trällern für das Vaterland

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Schlager-Geschichte Trällern für das Vaterland

Gute Laune im Vier-Viertel-Takt: Nach dem verlorenen Krieg halfen deutsche Evergreens, die Bundesbürger wieder in Stimmung zu bringen - mit Liedern, die sie auch verstanden. Inzwischen ist der Schlager ein Teil unserer Geschichte. Und eine Fundgrube für bunte Geschichten.
Von Ingo Grabowsky und Martin Lücke

Beim morgendlichen Rasieren fielen dem 32-jährigen Songtexter Hans Bradtke die Liedzeilen ein, die zum Saisonschlager des Sommers 1951 wurden:

"Pack die Badehose ein
nimm dein kleines Schwesterlein
und dann nüscht wie raus nach Wannsee"

In einer Viertelstunde schrieb der gelernte Architekt Bradtke, der sein Brot als Karikaturist für die Zeitschrift "Hör zu" verdiente, den Text nieder.

Dazu ersann der Komponist Gerhard Froboess eine pfiffige Melodie, die Hörer auch bei schlechtem Wetter auf bessere Tage vertrösten konnte. Als Interpretin war schnell Froboess' siebenjährige Tochter Cornelia gefunden. Ihre Karriere hatte mit einer geschenkten Tafel Schokolade begonnen, für die sich der Teenager bei RIAS-Sendeleiter Hans Carste mit einem kleinen Lied bedankt hatte. Der war so begeistert, dass er Conny in die Rundfunksendung "Mach mit" einlud - wodurch die Plattenfirma Electrola auf die echte Berliner Göre aufmerksam wurde. Gemeinsam mit den Schöneberger Sängerknaben Chor nahm Conny Froboess, Deutschlands erster wirklicher Kinderstar, am 26. Juni 1951 in einer West-Berliner Kirche "Pack die Badehose ein" auf.

Nicht alle reagierten mit Humor auf den amüsanten Schlager. In Teilen der DDR verboten die Behörden den Titel, weil er angeblich "von der Erfüllung des Fünfjahresplanes" ablenke. Auch die Anklänge an das amerikanische Lebensgefühl, etwa die Erwähnung des Hollywoodstars Tom Mix, ärgerten die Genossen. Aus einer DDR-Version des Titels, die eine erwachsene Sängerin mit nachgeahmter Kinderstimme sang, wurden Hinweise auf die amerikanische Kultur gestrichen. Noch kurioser mutet eine Propaganda-Parodie an, mit der Textzeile "Schließ die Badehose ein / lass das Baden lieber sein / denn der Ami schießt am Wannsee!"

Beschwingter Schlagersound statt Marschmusik

Conny Froboess' zonenübergreifender Megaerfolg von 1951 war so etwas wie die Geburtsstunde des deutschen Nachkriegsschlagers. Die Lust an dröhnender Marschmusik und Blut-und-Boden-Volksliedern war den meisten Deutschen gründlich vergangen - und mit den noch fremden, bis kurz zuvor als "Negermusik" verfemten Jazz-Klängen aus den USA konnte die Mehrheit wenig anfangen. So traf der leichte, beschwingte Schlagersound, der an deutsche Vorbilder aus den zwanziger und dreißiger Jahren anknüpfte, aber sich auch in den USA bediente, genau den Geist der Zeit.

Schnell entstand eine millionenschwere Industrie - und eine oft unterschätzte, originär deutsche Kunstform, die über die Jahrzehnte viele große Namen hervorbrachte: von Conny Froboess oder Juliane Werding über Udo Jürgens und Rex Gildo bis hin zu Peter Maffay und Udo Lindenberg. "Griechischer Wein", "Über den Wolken" oder "99 Luftballons" - auch wer keine Schlager mag, kann doch irgendeinen mitsingen. Schlager sind ein Teil unserer Kultur und unserer Geschichte - und hinter Schlagern stecken viele Geschichten.

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Für Fans mögen die Interpreten ihrer Lieblingsschlager im Vordergrund stehen - doch genauso wichtig für den Erfolg eines Titels sind die Komponisten, Textdichter, Produzenten und Manager hinter den Kulissen. So war es der bis heute aktive Münchner Manager Hans R. Beierlein, der Udo Jürgens 1966 doch noch zu einer dritten Teilnahme am Grand Prix d'Eurovision überredete, nachdem der Sänger bereits zweimal ohne zu siegen teilgenommen hatte.

"Mercie, Jury"

Doch Beierlein setzte sich durch. Mit Bedacht wählte er den aus zwei französischen Allerweltsvokabeln zusammengesetzten Titel "Merci, Chérie" als Wettbewerbsbeitrag aus - er erwartete, dass "der französische Block, bestehend aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, Monaco und der Schweiz, verstärkt durch die frankophilen Italiener, Spanier und Portugiesen praktisch jeden dieser Wettbewerbe mit seinen Stimmen entscheiden konnte".

Vor dem Auftritt in Luxemburg war die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt. Teile der deutschen Presse platzten vor Neid, dass die größte Schlagerhoffnung für Österreich antrat. "Udo Jürgens nach Generalprobe ohne Chancen", meldete etwa die "Bild"-Zeitung. Der mit Jürgens und Beierlein befreundete Fotograf Hansi Hoffmann hetzte daraufhin von Kiosk zu Kiosk und kaufte alle verfügbaren "Bild"-Exemplare auf. Tatsächlich gelang es, die Schlagzeile vor Jürgens zu verheimlichen - zum Glück, denn der Sänger war auch so schon ein Nervenbündel.

Auf der Bühne der Luxemburger Villa Louvigny war Udo Jürgens zwar die Ruhe selbst und lieferte eine Glanzvorstellung ab. Doch als die Wertung begann, hielt es der Sänger nicht mehr aus, hetzte aus dem Saal und lief vor der Tür auf und ab. Fotograf Hoffmann steckte Jürgens alle paar Minuten Zwischenstände: "Udo, jetzt hast du wieder Punkte. Du kannst nicht mehr verlieren." Und tatsächlich entschieden sich die Jurymitglieder diesmal für den Song aus Österreich. Bevor er den Siegertitel ein zweites Mal sang, hauchte Jürgens ein leises "Merci, Jury" ins Mikrofon.

Keine Panik in der DDR

Seit den siebziger Jahren griffen Schlager regelmäßig und erfolgreich auch gesellschaftspolitische Themen auf - so etwa Jürgens mit seinem "Ehrenwerten Haus". In den Achtzigern behandelte dann ein erfolgreicher Hit nach dem anderen die Zeitsituation. Nenas NDW-Hit "99 Luftballons" und Nicoles Grand-Prix-Erfolg "Ein bisschen Frieden" schwammen 1982 auf der Welle der Angst vor einem Atomkrieg. Ein Jahr später brachte Panik-Rocker Udo Lindenberg mit seinem "Sonderzug nach Pankow" fast schon die Mauer zum Wackeln. Für den Titel hatte Lindenberg Glenn Millers Klassiker "Chattanooga Choo Choo" einen politisch brisanten deutschen Text verpasst:

"Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Pankow?
Ich will mal eben dahin, mal eben nach Ost-Berlin
Ich muss da was klär'n mit Eurem Oberindianer
Ich bin ein Jodeltalent und will da spiel'n mit 'ner Band."

Nahezu pausenlos spielten die bundesdeutschen Radiosender den "Sonderzug", im Osten dagegen konnten die Fans den Schlager nur heimlich hören. Kein Wunder, bei diesen Zeilen, die den spröden SED-Chef Honecker direkt angingen: "Honey, ich glaub', du bist doch eigentlich auch ganz locker / Ich weiß, tief in dir drin bist du doch eigentlich auch ein Rocker / Du ziehst dir doch heimlich auch mal die Lederjacke an / und schließt dich ein auf dem Klo und hörst West-Radio."

Der erträumten DDR-Tournee brachte der "Sonderzug" Udo Lindenberg so erst einmal nicht näher. Mit einem persönlichen Brief versuchte der Sänger im August 1983, den wenig amüsierten SED-Generalsekretär etwas zu beruhigen: "Auf jeden Fall lag es mir fern, Herr Staatsratsvorsitzender, Sie mit diesem Liedchen zu diskreditieren. Im Gegenteil." Lindenberg behielt sein Ziel, eine Panik-Tournee durch die DDR, weiter fest im Blick.

Ideologischer Spagat

Als sich Lindenberg schließlich die Möglichkeit zu einem Gastspiel beim Festival "Rock für den Frieden" im Palast der Republik bot, griff Lindenberg zu - und kam dafür den Bedingungen der SED-Machthaber hinsichtlich Liedauswahl weit entgegen. In einem Interview mit der "Jungen Welt", der Zeitschrift der SED-Jugendorganisation FDJ, distanzierte er sich zudem vorsichtig von seinem Superhit: "Ein Lied für die Kalten Krieger gegen die DDR habe ich nie gemacht." Auch für die SED bedeutete das Konzert des Panik-Rockers einen Spagat, denn der "Sonderzug"-Song war im SED-Staat nach wie vor verboten.

Trotz alledem: Am 25. Oktober 1983 sang Lindenberg in Ost-Berlin auf der Bühne des Palastes der Republik vor mehr als 4000 handverlesenen Nachwuchskadern. Seine eigentlichen Fans im Osten Deutschlands mussten draußen bleiben.

Anfang Januar 1990, keine acht Wochen nach dem Fall der Mauer, ging Lindenberg doch noch auf DDR-Tournee - diesmal ohne Kompromisse.


Die Autoren Dr. Ingo Grabowsky und Dr. Martin Lücke arbeiteten an mehreren großen popmusikalischen Ausstellungen mit. Sie sind die Verfasser des Buches "Die 100 Schlager des Jahrhunderts", 320 Seiten, ca. 200 Abbildungen, auf dem dieser Beitrag basiert. Das Buch ist im SPIEGEL-Shop erhältlich.

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