
"Abwaschen musste ich trotzdem" - Marianne Rosenbergs Karrierestart im Familienbetrieb
Schlager-Queen Marianne Rosenberg "Sing mit dem Herzen"
SPIEGEL: Frau Rosenberg, Sie sind jetzt 65 und zählen zu den bekanntesten und erfolgreichsten Sängerinnen Deutschlands. Aber Sie haben sich auch mal vom Schlager distanziert. Gilt das noch?
Rosenberg: Diese Abgrenzung war so sicher Unsinn. Heute sage ich: Es gibt gute und schlechte Musik, wie in jedem Genre. Über die Bewertung durch andere zerbreche ich mir schon lange nicht mehr den Kopf und empfinde mich wie ein Maler, der ein Bild gemalt hat: Ich möchte nicht immer erklären müssen, was ein Song bedeutet und wovon er handelt. Jedem ist so frei überlassen, ob er einen Zugang zu meiner Musik findet oder nicht.
SPIEGEL: Stimmt es, dass Sie auch wegen Soul-Legende Barry White Ihren Frieden mit Ihren größten Hits gemacht haben?
Rosenberg: Indirekt war das so. In meinen mittleren Jahren wollte ich bei Konzerten nur neue Musik spielen, nicht mehr das alte Zeug. Aber auch die Rolling Stones kommen bei Konzerten nicht ohne "Satisfaction" aus. Das begriff ich, als ich bei einem Barry-White-Konzert in Berlin auf "You Are The First, My Last, My Everything" wartete. Der Song begleitete damals mein Leben und kam erst als dritte Zugabe. Ich fragte mich schon, ob ihm denn nicht bewusst ist, wie wichtig dieser Song ist. Als er den endlich sang, bin ich auf den Stuhl geklettert und habe die Arme hochgereckt. Und dann hat White den Song auch noch abgewandelt, was mir überhaupt nicht gefallen hat. Ich stand da und dachte: Bitte, sing jeden Ton, so wie ich ihn kenne.
SPIEGEL: Haben Sie Ihre Hits nicht auch zeitweilig variiert?
Rosenberg: Genau - und das war so vielleicht nicht immer eine gute Idee. Natürlich verstand ich White, weil es langweilig ist, als Interpret die immer gleichen Versionen aufzuführen. Man verändert dann die alten Hits, um selbst wieder Spaß daran zu haben, vielleicht auch um zu zeigen, wie so ein alter Song in der Gegenwart klingen könnte. Aber um all das geht es nicht! Bei solchen Konzerten wollen viele Menschen, wie ich bei Barry White, die Hits so hören, wie sie die kennen, denn diese Songs haben Menschenleben begleitet. Dennoch kann ich mir als Musikerin nicht vorstellen, ausschließlich retrogewandt zu arbeiten.
SPIEGEL: Was bedeutet?
Rosenberg: Ich möchte aktuelle Musik machen und die Hörgewohnheiten aufgreifen, die andere Menschen heute haben. Mein Schlagzeug soll so klingen, wie heute ein Schlagzeuger eben klingt, also mit modernen Grooves, die mir selbst heute gefallen. Dazu kommen bei mir Elemente aus den Siebzigern, zum Beispiel Streichinstrumente - alles verschmilzt dann miteinander, wie auf meinem neuen Album.
SPIEGEL: "Rosenberg singt wieder Rosenberg", steht dazu auf Ihrer Website. Wann ist Rosenberg denn Rosenberg?
Rosenberg: Nach der ersten Single zum Album "Wann (Mr 100 %)" haben viele Leute das gesagt. Und das ist auch etwas Schönes. Außerdem erinnert mich das an einen Satz meines Vaters: "Sing mit dem Herzen." Es gab eben Jahre, wo ich das nicht mehr getan habe. Also in den Achtzigern...
SPIEGEL: ...als Sie auch zu Berliner Hausbesetzern gute Kontakte hatten. Gehörten Sie selbst zur linksautonomen Szene?
Rosenberg: Ich habe nie zu irgendeiner Szene gehört, bin aber trotzdem eine politische denkende Frau, die mit Tausenden anderen Berlinern und Berlinerinnen auf die Straße gegangen ist, um für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum zu demonstrieren.
SPIEGEL: Kann man die Achtziger als Ihr wildes Jahrzehnt bezeichnen?
Rosenberg: Das kommt wohl hin. Diese Zeit war für mich eine Phase des Abnabelns von zu Hause und von der Musikindustrie. Damals fühlte sich "Marianne Rosenberg" zeitweilig an wie eine Firma, an der sehr viele Menschen hingen - Plattenfirma, Produzenten, Texter und Management. Und die wollten alle nicht loslassen, als mir klar wurde, dass mir das altbekannte musikalische Kleid nicht mehr passte. Ich bin ja sehr jung in diese Branche gekommen. Viele Leute haben für mich Ideen entworfen und mich durch meine Karriere geführt. Lange war das auch toll, aber von all dem musste ich mich befreien.

"Abwaschen musste ich trotzdem" - Marianne Rosenbergs Karrierestart im Familienbetrieb
SPIEGEL: Sie waren fünf Jahre alt, als Ihr Vater Sie in Berliner Kneipen mitnahm und dort auf Tischen stehend singen ließ. War Ihnen das nie unheimlich?
Rosenberg: Nein, als Kind nimmt man solche Dinge unbefangen wahr. Ich habe auch auf Geburtstagsfeiern gesungen. Mein Vater hatte als Erster entdeckt, dass ich diese Stimme habe. Einige meiner Geschwister hatten auch gute Stimmen, sind aber nicht im Showgeschäft gelandet. Stattdessen unterstützte die ganze Familie mich, deshalb bezeichne ich die ersten Jahre immer als "unsere Karriere". Mit meinen Eltern waren wir zu neunt und haben daran alle gemeinsam gearbeitet: Wir waren nicht reich, aber es war wunderbar, was wir uns dann dank meines Erfolges leisten konnten.
SPIEGEL: Bis wann lief das so?
Rosenberg: Die Ära der "Rosenberg-Familie" ging etwa von 1970 bis Mitte der Achtzigerjahre. Der Postbote kam damals, wie der Weihnachtsmann, mit bis zu zwei großen Säcken bei uns an. Dann saßen alle in der Wohnung, von der Ältesten bis zum Kleinsten, am Tisch, haben die Briefe aufgeschlitzt und vorgelesen. Und ich schrieb die Autogramme.
SPIEGEL: Mussten Sie trotzdem im Haushalt helfen?
Rosenberg: Ja, mit abwaschen musste ich trotzdem, durfte aber manchmal länger ausschlafen.
SPIEGEL: Damals hatten Sie eine unangenehme Erfahrung mit Paul Simon. Was war da los?
Rosenberg: Mit 15 war ich bei einem Musikfestival in Rio de Janeiro. In der Jury saß der große Paul Simon - er hatte mir vorab null Punkte gegeben, weil ich Deutsche war. Die Frau von meiner Plattenfirma meinte, man solle ihm erklären, dass Rosenberg doch ein jüdischer Name sei und er dann seine Meinung ändern könne. Aber ich war jung, introvertiert, überhaupt zu schüchtern. Hätte ich dem sagen sollen: "Ich bin nur ein ganz kleines bisschen deutsch"? Ich war einfach ein junger Mensch, der mit Faschismus nichts zu tun hatte. Ich konnte ihn zwar auch verstehen, aber es war einfach nicht richtig, dass Simon sagte: Deutschland bekommt keinen einzigen Punkt von mir. Das war mir trotz meiner Jugend bewusst. Durch meinen Vater wusste ich allerdings sehr genau, was in jenen Jahren passiert war.
Preisabfragezeitpunkt
28.05.2023 18.38 Uhr
Keine Gewähr
SPIEGEL: Ihr Vater Otto Rosenberg, Jahrgang 1927, war lange Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg. Er hatte die Verschleppung in Konzentrationslager überlebt, ein Großteil der Familie wurde ermordet.
Rosenberg: Genau, und später erzählte er, dass er mit Paul Simon gesprochen hätte. Aber ich war eben zu jung dafür. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, mit diesem Mann auf Augenhöhe zu reden.
SPIEGEL: Was hätte Ihr Vater zum neuerlichen Aufstieg von Rechtsextremen gesagt?
Rosenberg: Mein Vater ist nicht mehr da, also ist das schwer zu sagen. Aber die Arbeit, die er gemacht hat, war wichtig. Mein Vater hatte die Verbrechen der NS-Zeit als Inhaftierter in Konzentrationslagern wie Auschwitz selbst erfahren und erzählte seine Geschichte in Schulen im ganzen Land. Als Zeitzeuge hat er den jungen Menschen immer wieder gesagt: "Ihr seid nicht schuldig, aber ihr müsst um die Geschichte wissen, damit sie sich nicht wiederholt." Mein Vater hatte Sorge, dass dieser auf Rasse begründete Wahn bei einigen Menschen in Deutschland nicht ausgestorben ist. Deshalb hielt er es für so wichtig, gerade junge Leute aufzuklären.
SPIEGEL: Die Texte zu Ihrem neuen Album "Im Namen der Liebe" sind von Ihnen. Hat wirklich Rio Reiser Sie einst motiviert, eigene Texte zu schreiben?
Rosenberg: Rio Reiser lernte ich in den Achtzigern kennen. Ich liebte seine wunderbaren Texte und wollte, dass er auch für mich schreibt. Das hat er gemacht, wir wurden Freunde. Eines Tages sagte Rio zu mir: Das kannst du auch! Notiere dir einfach alles, was dir begegnet und in dir etwas auslöst. Mach das zwei Jahre, und du wirst sehen, dass du deine eigenen Songtexte schreiben wirst. Jetzt schreibe ich schon seit vielen Jahren.
SPIEGEL: In der Schwulenbewegung haben Sie viele Fans. Liegt's allein am Titel "Er gehört zu mir", oder steckt mehr dahinter?
Rosenberg: Erst mal finde ich das toll, es macht mich auch ein wenig stolz. Ich empfinde es eine Ehre, in dieser Szene neben den anderen großen Frauen genannt zu werden. Sicher ist, dass man das nicht konstruieren oder beeinflussen kann, man wird auserwählt. Und das ganz bestimmt nicht wegen eines einzigen Songs.
SPIEGEL: Was ist die seltsamste unwahre Geschichte, die Sie über sich gelesen haben?
Rosenberg: "Die Diva lässt zwei Stunden vor dem Konzert ihre Garderobe umstreichen, weil ihr die Wandfarbe nicht gefällt." Das ist natürlich totaler Quatsch. Aber wenn ich heutzutage mit Leuten erstmals zusammenarbeite und merke, dass die übermäßigen Respekt vor mir haben, sage ich immer: "Übrigens, ich lasse wirklich nie meine Garderoben umstreichen!" Dann lachen alle, und die Stimmung ist immer super.