
Schneekatastrophe 1978 Blizzard an der Waterkant

Meterhohe Schneewehen machten jedes Durchkommen auf den Straßen unmöglich, Züge blieben ohne Strom und Heizung auf vereister Strecke liegen. Helikopter mussten Kranke und Schwangere evakuieren - und Panzer halfen beim Schneeräumdienst: Im Winter 1978/79 verwandelte sich Norddeutschland unter ungewöhnlich heftigen Schneefällen über Nacht in weißes Chaos. Vielen Norddeutschen sind ihre Erlebnisse in der Schneekatastrophe bis heute unvergessen geblieben.
Nebel, Matsch und Nieselregen: Gewöhnlich herrscht in Norddeutschland um Silvester das berühmt-berüchtigte "Schietwetter". So sah es auch Ende Dezember 1978 zunächst aus. Die Weihnachtsfeiertage waren gerade vorbei, es herrschte das typische Tauwetter um die zehn Grad im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein.
Doch ab dem Vormittag des 28. Dezember veränderte das Wetter sich rasant: Vom Golfstrom erwärmte feuchtwarme Luft und von Nordosten heranströmende arktisch kalte Luftmassen mit Temperaturen von bis zu 47 Grad unter Null schoben sich übereinander.
Gegen Mittag begann es, an den ersten Orten zu schneien, dann kam der Temperatursturz. Um bis zu 30 Grad Celsius fiel das Thermometer mancherorts, wie aus Eimern stürzten riesige weiße Flocken herab. Wie der plötzliche Wintereinbruch vor 40 Jahren das Leben der Menschen in Norddeutschland veränderte, zeigt eine Fernsehdokumentation, die der NDR am 9. Januar 2019 ausstrahlen wird: "Eingeschneit und festgefroren - Als der Norden im Schnee versank" (21.00 bis 21.45 Uhr).
Winterparadies wird zur Hölle
Zunächst waren viele Bewohner begeistert über die plötzliche weiße Pracht - doch schnell wurde klar, welch ernste Folgen der extreme Wetterumschwung brachte. Für einige verwandelte sich das Winterparadies in eine weiße Hölle: Da Oberleitungen und Gleise blitzartig vereisten, blieben Züge auf freier Strecke liegen, ungeheizt, stundenlang.
Sturmwinde fegten über das Land und schoben meterhohe Schneewehen über Straßen und Häuser. Hunderte Pkw blieben auf den Straßen liegen, auf der A7 steckten sogar ganze Lkw im Schnee fest.
An der Ostsee riss Hochwasser Teile der Steilküste ein, es kam zu ersten Deichbrüchen, in der Nähe von Damp kenterte ein Ausflugsdampfer. Blitzartig gefrierende Gischt, vom Sturm herübergeweht, überzog in Küstennähe Häuser und Autos mit einem dicken Eispanzer. Viele Menschen mussten in improvisierten Notunterkünften untergebracht werden.
80 Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten
Die Belastung brachte Helfer an ihre Grenzen, doch schien es innerhalb der kommenden Woche zu gelingen, die Lage einigermaßen zu ordnen. Ein trügerischer Eindruck: Denn nur rund sechs Wochen später kehrte der arktische Winter erneut mit voller Wucht nach Norddeutschland zurück und begrub die gerade geräumten Verkehrswege erneut unter Eis und Schnee. Auf rund 100 Millionen D-Mark sollte sich der Schaden allein im am schwersten betroffenen Bundesland Schleswig-Holstein belaufen.
Allerdings waren Geldsorgen für die meisten in dieser Zeit sekundär. Viele waren auf einmal völlig auf sich allein gestellt und mussten um ihr Leben bangen: Insgesamt 80 Dörfer im ländlichen Schleswig-Holstein waren von der Außenwelt abgeschnitten, zudem zahlreiche isolierte Einzelgehöfte.
26 Menschen fanden sich etwa nach einer großen Familienfeier auf dem Bauernhof von Dirk Iversen bei Flensburg zwischen acht Meter hohen Schneewehen gefangen. Ohne Strom, Wasser, Heizung und Telefonverbindung, mit fast aufgebrauchten Vorräten.
Extremwinter forderte 17 Todesopfer
"Keiner konnte raus", erinnerte Iversen sich 2008 im "Hamburger Abendblatt": "Die Kälte war starrend, der Frost kroch sofort ins Haus." Schließlich hätten sie in ihrer Not Diesel in eine Wanne gepumpt und angezündet, um stundenlang darüber Schnee zu Trinkwasser zu schmelzen.
Vier Tage harrten sie bei winzigen Rationen aus, bis Männer aus dem nächsten Dorf sich durch die Schneemassen zu ihnen vorgekämpft hatten und ihnen zumindest etwas Brot vorbeibrachten. Die Tiere hatten jedoch weniger Glück: 150 von Iversens Mastferkeln starben in der Eiseskälte.
Auch für einige Menschen kam jede Hilfe zu spät: So entdeckte am 3. Januar eine Frau auf Fehmarn, als sie ihr Haus morgens zum Hühnerfüttern verließ, die Leiche eines jungen Mannes in einer Schneewehe. Es war ein 18-Jähriger aus dem nahen Burg, der sich offenbar bereits zwei Nächte zuvor im Schneetreiben verirrt hatte und erfroren war.
Und auch die Helfer begaben sich in Lebensgefahr: Bei Reparaturarbeiten an einer freigespülten Ferngasleitung zwischen Kiel und Schleswig wurde ein Baggerfahrer von seiner umgekippten Maschine erdrückt. Insgesamt forderte der Extremwinter in Norddeutschland 17 Todesopfer.
Legendäre Silvesterparty auf der A7
Doch ausgerechnet in dieser Zeit der Not entdeckten viele Menschen auch ungeahnten Zusammenhalt: "Es war ein unheimlich freundliches Miteinander", erinnerte sich der ostfriesische Feuerwehrmann Johann Müller 2010 im NDR-Interview, "Die Leute haben wieder mehr miteinander gesprochen." Alle hätten gemeinsam die Wege von den Schneemassen befreit: "Es gab einen Gemeinschaftssinn, an den ich mich gerne erinnere".
Ganz besonders spürbar wurde dieser Gemeinschaftssinn für rund 200 Menschen, die am 29. Dezember auf der A7 bei Rendsburg in der Nähe der Autobahnraststätte Hüttener Berge eingeschneit wurden.
Sie betankten die Heizanlagen kurzerhand mit dem Diesel aus der örtlichen Zapfsäule, rollten die Biervorräte einer steckengebliebenen dänischen Reisegesellschaft herein, wärmten Würstchen auf und feierten eine ausgelassene Silvesterparty. Vier Tage lang.
Die NDR-Doku "Eingeschneit und festgefroren - Als der Norden im Schnee versank" wird am Mittwoch, 09. Januar 2019 (21:00 bis 21:45 Uhr) ausgestrahlt.
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Anpacken: Zwei Männer graben in Schleswig-Holstein mit einer Schaufel ein Auto aus den Schneemassen frei. Vielen Zeitzeugen blieb der Katastrophenwinter auch durch die besondere Hilfsbereitschaft und Gemeinschaftlichkeit unter den Betroffenen im Gedächtnis.
Verkehrschaos: Der Straßenverkehr kam auf dem freien Land weitestgehend zum Erliegen. Die Aufnahme zeigt eingeschneite Pkw und Lkw auf der A7 zwischen Schleswig und Flensburg am Neujahrstag 1979.
Mühsame Arbeit: Ein Räumfahrzeug bahnt sich im Januar 1979 im Kreis Rendsburg-Eckernförde einen Weg durch die Schneemassen. Meterhohe Schneeberge türmten sich in Schleswig-Holstein und Ostfriesland auf. Die Behörden gaben Katastrophenalarm und erließen Fahrverbote.
Plötzlich Arktis: Eigentlich hatten nach dem Weihnachtsfest 1978 in Norddeutschland um die 10 Grad plus geherrscht. Doch plötzlich aus Nordosten hereindrängende Luftmassen ließen die Temperaturen mancherorts binnen Stunden um 30 Grad fallen. Der folgende Schneesturm isolierte viele Dörfer und Einzelhöfe völlig von der Außenwelt.
Panzer in Ost und West: Wie auch in Schleswig-Holstein wurden in Mecklenburg-Vorpommern Armeefahrzeuge - hier ein sowjetischer T-62-Panzer - zur Räumung unpassierbarer Straßen eingesetzt.
Isoliert: Verkehrsprobleme waren nur eine nachrangige Folge des plötzlichen Extremwintereinbruchs in Norddeutschland. Weit bedrohlicher waren für viele Bürger ausfallende Stromversorgung und ausgefallene Heizung - sowie ausbleibende Nahrungsversorgung. Mit Hilfe von Helikoptern und Militärfahrzeugen wurden Hunderte Menschen evakuiert und in Notlagern untergebracht.
Weiß ohne Ende: Ein Räumfahrzeug bahnt sich zwischen Eckernförde und Kappeln am 2. Januar 1979 seinen Weg. Die katastrophalen Schneefälle hinterließen Schäden in Millionenhöhe.
Eispanzer: In den Küstenregionen Norddeutschlands bildeten sich an vielen Orten dicke Eisschichten über Häusern, Autos oder anderen Gegenständen in Küstennähe. Auf ihnen war die vom Sturm aufgepeitschte Gischt blitzschnell gefroren. Die Aufnahme zeigt den Strand von Warnemünde am 9. Januar 1979.
Bahnchaos: Die Eisenbahn-Transitstrecke nach Sassnitz auf der Insel Rügen musste nach den katastrophalen Schneefällen durch Schneefräsen und teilweise sogar Sprengungen freigelegt werden, bevor sie wieder passierbar war. Die Schneekatastrophe hatte auch in der damaligen DDR für verheerende Folgen gesorgt, deren Auswirkungen noch wochenlang spürbar waren.
Hilfe aus der Höhe: Ein Hubschrauber der Interflug half am 2. Januar 1979 dabei, die Glasdächer der Neubrandenburger industriellen Gewächshausanlagen von ihrer tonnenschweren Schneelast zu befreien. Es drohte der Einsturz.
Schaulustige: Nachdem sich der Schneesturm gelegt hatte und die Verkehrswege befreit waren, lockten die zurückgebliebenen Schneemassen vielerorts Spaziergänger an, die die seltene weiße Pracht bewunderten. Hier klettern Kinder am 10. Januar 1979 über Eisschollen, die der Sturm an der Küste von Warnemünde aufgetürmt hat.
Sondereinsatz: Nach den heftigen Schneefällen über Silvester kehrte das Extremwetter nur wenige Wochen später im Februar 1979 nach Norddeutschland zurück. In Mecklenburg-Vorpommern halfen Angehörige der NVA und Grenztruppen bei der Räumung der Verkehrswege - hier am 18. Februar auf der Autobahn Berlin-Rostock.
Stau: Fahrzeuge stecken auf einer Autobahn im Kreis Rendsburg-Eckernförde am 15. Februar 1979 fest.
Stillstand: Vollkommen von Schnee bedeckt war dieser Zug in Richtung Puttgarden auf der Ostseeinsel Fehmarn stecken geblieben. Soldaten der Bundeswehr versuchen am 20. Februar 1979, den seit Tagen festsitzenden Zug wieder von den Schneemassen zu befreien.
Rettungseinsatz: NVA-Piloten helfen im Februar 1979 mit ihren Hubschraubern dabei, Verletzte zu bergen. Hier wird ein Schwerverletzter in Demmin für den Transport in die Universitätsklinik Greifswald vorbereitet.
Im Schnee versunken: Diese Diesellok musste auf einer Strecke bei Lübeck angesichts der Schneemassen kapitulieren. Aufnahme vom 20. Februar 1979.
Bürgernah: Hamburgs damaliger Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD, im Vordergrund) bei einer öffentlichen Räumungsaktion, bei der Bürger mit anpackten, um das Hamburger Rathaus vom Schnee freizuschaufeln. Die öffentlichkeitswirksame Aktion verlief nach Zeitzeugenaussagen allerdings mäßig erfolgreich - da sie nicht besonders gut organisiert war. So hatte man etwa nicht genau überlegt, wohin der ganze weggeschippte Schnee denn umgelagert werden sollte.
Frostschaden: Selbst großes Gerät war nicht gefeit gegen Beschädigung durch den Blitzwinter. Hier wird ein Schaufelradbagger im Braunkohletagebau Welzow-Süd inspiziert. Vielfach kam der Braunkohleabbau zum Erliegen, wodurch es zu Energieengpässen kam und viele Ortschaften zeitweise auf Strom verzichten mussten.
Im Schnee gefangen: Luftaufnahme eines durch Schneemassen von der Außenwelt abgeschnittenen Gehöfts im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Aufnahme vom 16. Februar 1979.
Mit zwei Schneefräsen räumen Angehörige der NVA am 16. Februar 1979 die F 96 zwischen Neubrandenburg und Altentreptow Meter um Meter von hohen Schneeverwehungen frei.
Schnee-Logistik: Die eine Herausforderung war es im Winter 1978/79 in Norddeutschland, die ungeheuren Schneemassen wegzuschaufeln. Die nächste war die Frage, wo man nun bei den arktischen Temperaturen damit hin sollte. Hier wird am 18. Februar 1979 am Bahnhof von Demmin Schnee in Waggons verladen und abtransportiert.
Kollision: Dieser Triebwagen prallte im Dezember 1978 auf der eingleisigen Strecke Flensburg-Kiel gegen eine Diesellok mit Schneeschieber.
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