
Kubanische Propaganda: Castro und die Kuh
Sechzigerjahre Das falsche Bild vom schönen Kuba
Alles schien möglich in diesem "neuen Kuba" - und die Fotos wirkten wie ein Beweis: Bewacht von Soldaten und Milizionären löffelt der inhaftierte CIA-Mann seine erste warme Mahlzeit. Die Revolutionäre meinen es gut, ist die Botschaft der Bilder, - selbst mit ihren Feinden. Und auch, dass sie, die Rebellen des kleinen Inselstaates, gesiegt hatten über den mächtigen Gegner USA.
Der Gefangene gehörte zur "Brigade 2506", einer Gruppe von Exilkubanern, die im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes CIA das Regime um Fidel Castro stürzen sollten. Doch der Plan schlug fehl: In nur 72 Stunden hatten Castros Armee und Milizen im April 1961 die akribisch vorbereitete Invasion an der Schweinebucht zerschlagen. Den Angreifern war die Munition ausgegangen; sie hatten kapituliert. Und US-Präsident John F. Kennedy war schon kurz nach seinem Amtsantritt blamiert. Die gescheiterte Operation wurde zum Fundament eines kubanischen Heldenmythos.
Die Aufnahmen von Gefangenen, von abgeschossenen US-Bombern und kubanischen Siegerposen machten Fotografen der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina. 50 Jahre lagen sie im Archiv, 2011 veröffentlicht die staatliche Agentur diese und weitere Fotos aus den Jahren 1959 bis 1969 in einem Bildband. "Das Neue Kuba" lautet der Titel und beschwört noch einmal den Geist der Revolution.
Die Motive strahlen Hoffnung und Begeisterung aus, Euphorie in einer Phase des Aufbruchs. Die Zeit war geprägt von dem Glauben, Kuba wäre der Anfang einer ganzen Kette von Umstürzen, in denen sich die Länder Lateinamerikas, Asiens und Afrikas vom Joch der Armut und dem "Imperialismus der USA" befreiten. Einem Aufbruch, der schließlich in einer Weltrevolution gipfeln sollte. Die Idee machte die karibischen Rebellen zu Helden, ihren Vordenker und Mitstreiter Ernesto "Che" Guevara gar zum Idol. Ende der sechziger Jahre schwappte dessen Vision von der Weltrevolution auf die internationale Studentenschaft über.
Doch die Fotos von Prensa Latina offenbaren eine gewaltige Wahrnehmungslücke.
Die Superkuh
Denn die Bilder illustrieren einen Sieg, der noch keineswegs perfekt war. Sie zeigen nicht die Bedrohung, die weiterhin für Castro bestand - und auch nicht, wie er schließlich mit ihr fertig wurde: Denn Feinde hatte der Mann an der Spitze des "neuen Kuba" auch im eigenen Land. "Bereits Mitte 1959", schreibt der Historiker Michael Zeuske, also nur ein halbes Jahr, nachdem das von den USA unterstützte Regime um Diktator Fulgencio Batista von der Insel getrieben worden war, formierte sich "anticastristischer bewaffneter Widerstand gegen die kubanische Revolution". Castro ließ deshalb kurz nach dem Vorfall in der Schweinebucht landesweit rund 100.000 Oppositionelle verhaftet.
Die Fotos von Prensa Latina allerdings zeigen den Staatschef in ganz anderen Situationen: etwa mit der Machete in der Hand bei einem Freiwilligeneinsatz auf dem Zuckerrohrfeld oder neben einer riesigen Kuh. Sie sollen die Bemühungen um eine rasche Verbesserung der Versorgungslage für die Bevölkerung veranschaulichen. Über die Fehlschläge, die diese zumeist unkonventionellen Ideen zur Folge hatten, verraten sie nichts. Etwa das naive Vertrauen in ein Wirtschaftsmodell, das auf Freiwilligkeit basiert, und den Glauben, dass sich Erträge gigantisch steigern ließen, wenn einfach jeder mit anpackt. Oder die "revolutionäre" Zucht einer tropentauglichen Superkuh mit viel Fleisch und viel Milch durch die Kreuzung von Deutschen Holsteinrindern mit einheimischen Zebus.

Kubanische Propaganda: Castro und die Kuh
1965 kam es zur ersten Hungerkrise, Lebensmittel wurden nur noch gegen Bezugsmarken ausgeben. Den Menschen auf den Fotos von Prensa Latina aber sieht man das Leiden nicht an: Selbst in gebückter Haltung bei der Feldarbeit lächeln sie in die Kamera, verpacken emsig Gemüse in der riesigen Halle einer Konservenfabrik und überwachen in höchster Konzentration die Fließbänder einer Brauerei.
Exportgut Weltrevolution
Haushoch erstrahlt auf einem der Fotos die Neonreklame für die erste Trikontinentale-Konferenz 1966 in Havanna: Kuba als leuchtendes Vorbild. Exportgut Nummer eins: die Revolution selbst. Der Kongress sollte die nationalen Befreiungsbewegungen Lateinamerikas, Asien und Afrikas bündeln, ihnen die organisatorischen und ideologischen Grundlagen liefern - und Havanna als Hauptstadt der Weltrevolution etablieren.
Mit einem strahlenden Botschafter: Aufnahmen wie die von Prensa Latina prägten das Bild von Kubas Industrieminister Che Guevara als visionärem Internationalisten. Sie zeigen ihn bejubelt und beklatscht bei Besuchen in China, Osteuropa oder bei Studenten in der DDR. Gegen Ende der sechziger Jahre verkörperte er so auch für die Linksintellektuellen im Westen die Weltrevolution.
Dabei war diese aus kubanischer Sicht zu diesem Zeitpunkt längst abgesagt: Zwar unterstützte der Inselstaat noch bis 1969 etwa die Guerilla in Venezuela. Doch die hatte schon 1964 gegenüber Guevara klargemacht, dass man einen "Ausländer" wie den gebürtigen Argentinier als Anführer nicht akzeptieren werde. 1965 hatte Che seinen Ministerposten hingeschmissen, die Mühlen der Bürokratie, Staatsdienst und Planwirtschaft waren auf Dauer offenbar nichts für ihn. Doch auch im Kongo, wohin er nach Aufgabe seiner Ämter gegangen war, scheiterte der Versuch, das Land dauerhaft dem Einfluss der USA zu entreißen.
Che for ever
Mit dem Tod Guevaras 1967 in Bolivien hätte die Vision von einer durch Kuba initiierten Weltrevolution deshalb eigentlich begraben sein können.
Doch das Gegenteil war der Fall: Schließlich besaß die Revolution nun eine Ikone von globaler Geltung. "Che Guevara wurde zum Symbol des ewigen Revolutionärs gegen den US-Imperialismus", konstatiert Historiker Zeuske. Die Ideologie hatte sich verlagert - vor allem auf die Studentenbewegungen nach Westeuropa und Nordamerika. Und sie hatte prominente Unterstützer: Ein Foto von Prensa Latina zeigt Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre beim Besuch auf Kuba.
Mehr als fünfhundert Intellektuelle aus mehr als sechzig Staaten, darunter viele Linke und Linksliberale aus Europa, folgten im Januar 1968 der Einladung der kubanischen Regierung zu einem Kulturkongress zum Thema Kolonialismus. Was Prensa Latina nicht zeigt: Es ist das gleiche Jahr, in dem auf Kuba neben Lebensmitteln nun auch andere Konsumgüter und Benzin rationiert werden; die Regierung Ladenbesitzer enteignet und Dienstleistungen verstaatlicht - und das Land durch die Beseitigung des Privateigentums an den Rand des Ruins bringt. Wer keinen Arbeitsplatz nachweisen konnte, beschreibt Zeuske, wurde von der Polizei aufs Land transportiert und zur Arbeit gezwungen. Kampagnen richteten sich gegen "arbeitsscheue" Künstler, Anhänger von Rockmusik und Homosexuelle.
Klarer Auftrag
Das alles zeigen die staatlichen Agenturbilder nicht; dafür etwas anderes, eine Aufnahme aus dem Jahr 1960: Ein lässig wirkender jungen Mann mit Vollbart und zerknittertem Hemd steht in einem Halbkreis mit Anzugträgern um einen Fernschreiber, aus dem eine endlose Papierschlange quillt: Che Guevara zu Besuch in den Redaktionsräumen der Nachrichtenagentur Prensa Latina. Direktor Jorge Ricardo Masetti führt den Gast durch die Räume, zeigt und erklärt ihm die neuen Gerätschaften.
Die Redaktion, so lässt sich vermuten, fühlte sich geehrt durch den Besuch. Schließlich war es Che Guevara, der im Januar 1959, kurz nach dem Sturz des alten Regimes, die "Operación Verdad" ("Operation Wahrheit") ausgerufen hatte. Auf einem zu diesem Zweck anberaumten Journalistenkongress war er es, der den Anstoß gegeben hatte für die Gründung einer eigene "Lateinamerikanischen Presse", die das Informationsmonopol der US-Nachrichtenagenturen AP und UPI brechen sollte.

Harald Neuber (Hrsg.):
Das neue Kuba
In Bildern der Nachrichtenagentur Prensa Latina 1959/1969.
Rotbuch Verlag; 192 Seiten; 19,95 Euro.
Buch bei Amazon Harald Neuber (Hrsg.):"Das neue Kuba"Der Auftrag war von Anfang an klar: "Wir sind objektiv, aber nicht unparteiisch", formulierte es 1959 der Argentinier Masetti, "nicht Partei zu ergreifen kommt für uns der Feigheit gleich, denn man kann nicht neutral sein zwischen dem Guten und dem Schlechten. Die Guerilleros hatten so von Anfang an mitgewebt an ihrer eigenen Verklärung.
In einem Interview mit dem US-Sender ABC sagte Regierungschef Fidel Castro 1977: "Unsere Auffassung von Pressefreiheit ist anders als Ihre. ( ...) Wenn Sie uns fragten, ob in unserem Lande eine antisozialistische Zeitung erscheinen dürfte, kann ich nur ehrlich antworten: Nein, sie darf nicht erscheinen. (... ) Unsere Massenmedien dienen der Revolution."
Ausgewogenheit war die Sache von Prensa Lantina nie; und über Jahrzehnte sollte sich daran wohl auch wenig ändern.