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Gefährlicher Rettungseinsatz: "Pippilotta" in Seenot

Foto: DGzRS - Die Seenotretter

Seenotretter erzählen Klassenfahrt mit Havarie

Mitten in einem schweren Sturm trieb das Segelschiff "Pippilotta" 1995 durch die Wellen der Ostsee - mit Loch im Rumpf. An Bord: 18 Schulkinder. Seenotretter Rolf Detlefsen erzählt vom heiklen Einsatz.

Der folgende Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch "Mayday. Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze", das im Mai 2017 im Ankerherz-Verlag erschienen ist.

Als wir anfahren, geht ein Ruck durch das Schiff. Die Schleppleine ist gebrochen und saust in die dunkle, tobende See. Wir stehen an Deck unseres Rettungskreuzers, der in den Wellen bockt, dass man sich kaum auf den Beinen halten kann, und sehen, wie der Großsegler "Pippilotta" 50 Meter hinter uns wieder hilflos ins Rollen gerät. Seine Masten neigen sich gefährlich zur Seite. Unser erster Versuch, das havarierte Schiff im Orkan abzuschleppen, ist gescheitert.

In dieser Nacht, im September 1995, erlebe ich einen der schwersten Stürme meines Lebens. Der Wind bläst mit mehr als zwölf Windstärken, 150 Kilometer pro Stunde verzeichnen die Messgeräte. Der Horizont gleicht einer Wand aus Wasser.

Und wir stehen vor einer großen Herausforderung, denn an Bord der "Pippilotta" sind 18 Jugendliche und fürchten um ihr Leben. Wie bringen wir die sicher an Land? Sollen wir das Tochterboot zu Wasser lassen und sie einzeln abbergen? Viel zu gefährlich, immer wieder so nah an den wild rollenden Segler heranzufahren.

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Gefährlicher Rettungseinsatz: "Pippilotta" in Seenot

Foto: DGzRS - Die Seenotretter

Wir haben keine Wahl - wir müssen die gebrochene Trosse, die mit einem Ende noch immer am Seenotkreuzer hängt, Meter für Meter einholen und das Manöver von vorn beginnen. Wir haben zu diesem Zeitpunkt bereits jedes Zeitgefühl verloren, so lange sind wir schon auf See.

Ein Einsatz jagt den nächsten

Noch vor Sonnenaufgang haben wir unsere Station in Maasholm verlassen, um mit unserem Kreuzer "Nis Randers" an einer Übung teilzunehmen. An Bord sind außer mir Vormann Jens Laß, Peter Thomssen, Reinhold Schulz und mein jüngerer Bruder Sven, es ist eine seiner ersten Fahrten als Seenotretter.

Das Wetter ist lausig und wird immer schlechter. Als wir nach einem anstrengenden Tag zurück in den Hafen steuern, türmen sich schon meterhohe Wellen an der Mündung der Schlei. Die Stimmung an Bord ist trübe, wir sind froh, wenn wir im Hafen sind.

Doch bevor wir festmachen, geht der Notruf ein: Unweit der Küste treibt eine kleine Segeljacht mit Motorschaden im Sturm. Sofort gehen wir auf Gegenkurs. Der Seenotkreuzer kämpft sich durch die Wellen wieder raus auf die Ostsee.

An der gemeldeten Position ist die Sicht bereits so schlecht, dass mit bloßem Auge nichts auszumachen ist. Es braucht eine Leuchtrakete und eine gehörige Portion Glück, um die Jacht in den hohen Wellen zu sichten. Schließlich können wir nach mehreren Versuchen endlich eine Leine übergeben.

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Stefan Krücken, Jochen Pioch

Mayday!: Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze

Verlag: Ankerherz Verlag
Seitenzahl: 216
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27.03.2023 04.04 Uhr

Keine Gewähr

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Als wir sie noch im Schlepp haben, knistert das Funkgerät abermals: Der Dreimaster "Pippilotta" treibt manövrierunfähig auf offener See. Der Traditionssegler, der für Ausflüge vermietet wird, hat seinen Ankerplatz nahe unserer Station. Auf dem Schiff befindet sich eine Schülergruppe aus Süddeutschland, die ihre Klassenreise auf dem Meer verbringt. Alle sind seekrank. Ein Seenotrettungsboot läuft uns entgegen. Wir übergeben unseren Schleppanhang und laufen wieder auf See raus.

Der Sturm hat inzwischen seine volle Kraft entfaltet. Der Horizont ist verschwunden, man sieht nur noch fliegendes Wasser. Zu allem Überfluss steht der Wind gegen die Strömung, sodass sich eine gewaltige See aufbaut.

Brecher schütteln das Schiff

Nach einer halben Stunde können wir das Segelschiff vor uns erkennen. Auch jetzt im Sturm ist es eine imposante Erscheinung: Die Masten ragen 36 Meter in die Höhe, der grüne Rumpf hebt sich gespenstisch von der schwarzen See ab. An Bord hat sich die Lage drastisch verschlimmert.

Um das Schiff zu stabilisieren, hat die Mannschaft versucht, den Anker zu werfen, doch das Manöver misslang. Die Ankerkette verkantete sich, der Anker lief gerade mal aus der Klüse und blieb dann hängen. Im Seegang schlug er ein Loch in die Bordwand, nun läuft Wasser hinein, und das Schiff liegt quer zu den Wellen. Die Schülerinnen und Schüler haben Zuflucht in der Messe gesucht - ich mag mir kaum vorstellen, wie es dort gerade zugeht.

Unser Vormann Jens Laß versucht, unser Heck an den Bug des Seglers zu setzen, damit wir eine Schleppleine übergeben können. Normalerweise eine leichte Übung. Doch bei diesem Seegang wird daraus ein gefährliches Unterfangen. Die "Pippilotta" ist zu langsam, um einen Kurs zu halten, und wird von den Brechern nach rechts und links geworfen. Plötzlich neigt sich das Ungetüm zur Seite, der Bug hebt sich aus den Fluten und schiebt auf uns zu. Im letzten Moment schafft es Jens, den Kreuzer zurückzusetzen.

Schließlich gelingt es uns, eine dünne Wurfleine zu übergeben, an deren Ende eine schwere Schleppleine befestigt ist. Drüben wird sie festgemacht, und ich gebe Jens das Signal zum Losfahren. Der Segler befindet sich nun genau achteraus.

Tapfere Crew an Bord

Als der Kreuzer zu ziehen beginnt, spannt sich die Leine, bricht nahe dem Segelschiff und verschwindet in den Fluten - bis auf das Ende, das bei uns am Schlepphaken hängt. Anscheinend hat eine Kette am Vorschiff der "Pippilotta" die Schleppverbindung gekappt.

50 Meter Trosse zu bergen, ist eine quälend lange Arbeit. Der Kreuzer bewegt sich so stark, dass es kaum möglich ist, an Deck zu stehen. Ständig müssen wir uns mit einem Bein irgendwo festkeilen.

Für den zweiten Versuch gehen wir auf Nummer sicher und befestigen einen Drahtvorläufer am Ende der Trosse. Er soll am Bug des Seglers befestigt werden, damit die Verbindung nicht noch einmal reißt. Als wir abermals eine Wurfleine übergeben und die Mannschaft der "Pippilotta" daran zieht, geht der schwere Drahtvorläufer sofort auf Tiefe.

Nun zeigt sich, dass an Bord des Havaristen eine tapfere Crew ihren Dienst tut. Durch die Dunkelheit kann ich eine zierliche Person erkennen, die sich daranmacht, das Schleppgeschirr aus dem 30 Meter tiefen Wasser zu bergen. Jedes Mal, wenn das Schiff sich absenkt, holt sie die Leine ein wenig weiter durch, bis sie Draht und Trosse endlich an Bord wuchten und belegen kann.

18 kleine Geister

Auf beiden Schiffen schauen ängstliche Augen zu, wie sich die Leine langsam spannt - und sie hält. Doch in diesem Moment drückt ein riesiger Wellenberg die beiden Schiffe aufeinander zu. Bislang war es Jens gelungen, rechtzeitig Fahrt ins Schiff zu bekommen, wenn wir der manövrierunfähigen "Pippilotta" mit dem Heck gefährlich nahe kamen. Doch als er den Fahrhebel auf "Voll voraus" schiebt, sieht es nicht so aus, als ob wir entkommen. Erst kurz bevor sich die Masten der Schiffe berühren, kommt die "Nis Randers" frei. Mit langsamster Fahrt schleppen wir die "Pippilotta" durch den Sturm.

Es wird schon Morgen, als wir den Marinestützpunkt Olpenitz nahe der Schlei erreichen. Auf unserem Kreuzer sieht es aus, als wären zwei Granaten eingeschlagen. Die Schränke sind leer geräumt, die Verriegelung des Kühlschranks ist aufgebrochen, der Matjes klebt an der Decke. Im Außenfahrstand hängt Seegras.

Wir schleppen unsere Fracht durch die aufgewühlte Hafeneinfahrt bis zur Pier. Dann ist der Segler in Sicherheit. Als wir die "Pippilotta" näher begutachten, bemerken wir, wie groß das Loch ist, das der Anker geschlagen hat. Doch hinter der Öffnung ist ein wasserdichtes Schott. Es hat den Menschen an Bord das Leben gerettet.

Auf der Pier warten bereits Sanitäter und Rettungswagen auf die Schülergruppe. 18 kleine Geister tapsen von Bord, dehydriert und erledigt.

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