
Skandalfilme Chaos im Kinosaal

"Ich habe eine Bombe gelegt, um 'Baby Doll' in die Luft zu jagen", schrie der Anrufer in den Telefonhörer. Dann legte er auf. Die Polizei von Hartford, Connecticut, evakuierte an diesem Abend im Januar 1957 umgehend 1500 Menschen aus dem örtlichen Kino und begann mit der Suche nach dem Sprengsatz. Sie fanden jedoch "nichts Explosives außer dem Film selbst", wie das "Time Magazine" später schrieb.
"Baby Doll" war das neueste Werk von Elia Kazan. Zuvor hatte der Regisseur mit "Endstation Sehnsucht" und "Jenseits von Eden" Marlon Brando und James Dean zu Kino-Ikonen gemacht. Nun war er für den bis heute vermutlich größten Skandal der US-Filmgeschichte verantwortlich.
Auch in anderen Städten mussten in den nächsten Wochen Kinosäle wegen Bombendrohungen geräumt werden. Demonstranten belagerten Lichtspielhäuser, die "Baby Doll" zeigten. Katholiken legten in Gottesdiensten gemeinschaftlich Gelübde ab, sich den "Sündenqualen dieses Films nicht auszusetzen". Und in Providence, Rhode Island, griff die Polizei selbst zur Schere und erlaubte nur eine von den Ordnungshütern persönlich geschnittene Fassung. Insgesamt sollen rund 20 Millionen Amerikaner den Film boykottiert oder sogar aktiv gegen seine Aufführung protestiert haben. "Es ist gut möglich", goss das "Time Magazine" Öl ins Feuer, "dass 'Baby Doll' der schmutzigste amerikanische Film ist, der je vorgeführt wurde."
Der Skandalfilm in den Köpfen der Zuschauer
Kazan erzählt in seinem Werk die Geschichte eines erfolglosen Baumwollfarmers, der mit einer blonden Lolita verheiratet ist. Ihrem Vater musste er bei der Hochzeit versprechen, nicht vor dem 20. Geburtstag des Mädchens mit ihr zu schlafen. Dann wirft sich die ebenso dümmliche wie verschlagene Kindfrau einem anderen Mann an den Hals. Kazan macht aus dieser Dreieckskonstellation eine bittere Südstaaten-Sozialstudie voller schlüpfriger Anspielungen. Doch was daran erzürnte die Menschen? Schockierte der Film mit einer freizügigen Sexszene? Eskaliert das Ehedesaster in einer brutalen Vergewaltigung? Endet die tragische Geschichte in einem blutigen Racheakt? Nichts dergleichen. Niemand stirbt, Baby Doll behält ihre Unschuld, nicht einmal eine Nacktszene gibt es.
Stattdessen verurteilte die Öffentlichkeit "Baby Doll", weil er sich "fast ausschließlich mit fleischlichen Anzüglichkeiten" beschäftige und die Untreue einer minderjährigen Frau nahelege. Nicht dem Film auf der Leinwand wurde der Prozess gemacht, sondern dem, der in den Köpfen der Zuschauer womöglich ablaufen könnte.
Solche Aktionen der Empörung sind in der Filmgeschichte keine Seltenheit. Immer wieder wurden Werke verteufelt, Kinos demoliert, Verbote gefordert. Der Filmwissenschaftler Stefan Volk hat nun eine Historie der Bewegtbild-Provokation vorgelegt. In seinem Buch "Skandalfilme - Cineastische Aufreger gestern und heute" versammelt er eine Auswahl von Filmen, die heftige Proteste auslösten.
"Hurerei und Selbstmord" - die Ideale eines Volkes?
Nicht immer ist sofort nachvollziehbar, warum ein Werk die Zuschauer zu seiner Zeit derart in Aufregung versetzte. Detailliert untersucht Stefan Volk daher die Geschehnisse, zitiert Quellen und zeichnet so Film für Film und Jahrzehnt für Jahrzehnt ein Bild von den Umständen, in denen sich Missmut von Zuschauern zum Skandal auswachsen konnte. Dabei zeigt sich, dass der Wirbel um die Werke oft mehr über die Gesellschaft erzählt als die Filme selbst.
In Willi Forsts "Die Sünderin" von 1951 zumindest war es nicht, wie heute oft angenommen, der Busenblitzer der jungen Hildegard Knef, der Kirche und Staat auf den Plan rief und Tausende Bundesbürger zu Demonstrationen auf die Straße trieb. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) kritisierte damals, dass die Protagonistin "die Prostituierung als einen selbstverständlichen Ausweg aus ihrer menschlichen und wirtschaftlichen Notlage wählt". Zudem sorgte man sich darum, dass die Sterbehilfe und der Selbstmord am Ende der Geschichte als normal dargestellt würden und Anreiz zur Nachahmung geben könnten.
Die Polizei verhängte Vorführverbote, Priester stürmten Kinosäle mit Stinkbomben. "Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?", fragte ein von Politikern verteiltes Flugblatt und brachte die Ängste im Nachkriegsdeutschland auf den Punkt: Forsts leidlich gelungener Streifen verunsicherte eine Gesellschaft, die wenige Jahre nach Weltkrieg, Holocaust und Faschismus auf der Suche nach einer neuen moralischen Identität war.
"Der schweinischste Film aller Zeiten"
Wenn sich aber die Zeiten ändern, ändert sich auch der Blick auf den Skandalfilm von einst. Dies erlebte der spanische Regisseur Luis Buñuel. 1930 hatte er mit seinem surrealistischen Film "Das goldene Zeitalter", einer Kampfansage an bürgerliche und christliche Werte, für Aufruhr gesorgt. Bei einer Vorstellung etwa bewarf eine Gruppe von Protestlern die Leinwand mit Tintenfässern, riss Sitze aus der Verankerung und ging schließlich mit Knüppeln auf die anderen Zuschauer los. Als nächstes nahmen sie sich die surrealistischen Kunstwerke vor, die im Foyer ausgestellt waren. Sie zerstörten dabei Bilder von Dalí, Miró, Max Ernst und Man Ray.
1966 wurde der Film im Rahmen einer Retrospektive erneut vorgeführt. Buñuel fast ein bisschen enttäuscht über die Reaktion des Publikums auf den Film, dessen letzte Einstellung ein Kreuz zeigt, an das die Skalps von Mädchen genagelt sind, die während einer Orgie von Adligen und Jesus persönlich geschändet wurden: "Kein einziger Protest, kein einziges Zeichen des Unbehagens. Die Leute fanden den Film sehr erheiternd." Aus dem revolutionären Aufschrei von einst war ein Filmklassiker geworden - was den Regisseur dazu veranlasste, in einem Interview das Ende des Skandalfilms zu verkünden.
Natürlich war das vorschnell. Andererseits setzte der bekannteste Skandalfilm der vergangenen Dekaden seinen Aufreger wohl lediglich zu Marketingzwecken ein. Eher amüsiert erinnert sich Stefan Volk daran, dass für die "Bild"-Zeitung "Basic Instinct" von 1992 der "schweinischste Film aller Zeiten" gewesen sei. Dabei wirkt die Verhörszene, in der Sharon Stone ihre Beine übereinanderschlägt und der Kinobesucher für einen Sekundenbruchteil sieht, dass sie unter ihrem Rock keinen Slip trägt, heute im Vergleich mit vielen anderen Werken nur noch wie ein platter Werbegag.
Das Skandalfilmrezept
Warum aber führt ein kurzer Blick unter die Gürtellinie eines Hollywood-Stars schon zum Eklat, Porno- oder Horrorstreifen aber bleiben ohne Medienecho? Volk stellt für die Zutaten eines Skandalfilm eins simple Formel auf: "Je höher der soziale Status eines Films, je prominenter seine Besetzung, sein Regisseur, je höher sein Kunstwert gehandelt wird, desto tiefer kann er fallen." Und: "Je bekannter ein Film ist, desto schneller wird er zum Skandal."
Preisabfragezeitpunkt
16.01.2021 10.05 Uhr
Keine Gewähr
Deshalb wurde Pasolinis höllische Faschismus-Parabel "Salò oder Die 120 Tage von Sodom" von 1975 zeitweilig von der italienischen Regierung verboten, in Frankreich in Pornokinos abgeschoben und in Deutschland von vielen Kritikern auf das schärfste verurteilt. Der provokante US-Nischenstreifen "Ilsa - She Wolf Of The SS", der mit KZ-Sex und Erotik-Folterszenen durchaus das Potential zu einem weltweiten Skandal gehabt hätte, blieb dagegen unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung.
Und deshalb wurde die Kopie von Nagisa Oshimas "Im Reich der Sinne", der 1976, erstmals echten Sex außerhalb eines Pornofilms zeigte, damals auf der Berlinale beschlagnahmt. Dass die deutschen Kinos zeitgleich mit pseudoaufklärerischen Sexfilmchen à la "Schulmädchenreport" überschwemmt wurden, in denen unter anderem mehrfach minutenlang Vergewaltigungen von minderjährigen Mädchen nachgestellt wurden, schien hingegen vollkommen okay.
Am Ende von Stefan Volks Exkurs steht dennoch die Einsicht, dass es für einen Skandalfilm keine Blaupause gibt. Manche Werke schockieren scheinbar grundlos, während andere beim gezielten Versuch, einen Aufreger zu inszenieren, kläglich scheitern.
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Kunst oder Porno? Der Besitzer eines Geisha-Hauses verliebt sich in eine seiner Prostituierten, verlässt für sie seine Familie und verfällt ihr immer mehr. Gemeinsam geraten sie in einen Strudel immer leidenschaftlicherer sexueller Begierden, an dessen Ende der Tod steht.
"Im Reich der Sinne" (1976) zählt zu den Filmen des 20. Jahrhunderts, die große Turbulenzen auslösten -
echte Skandalfilme.
Der Regisseur Nagisa Oshima zeigte als Erster...
...echten Sex in einem Film, der kein Porno ist. Aus diesem Grund musste "Im Reich der Sinne" in Frankreich entwickelt werden - kein japanisches Labor wollte etwas mit dem Werk zu tun haben. Bei seiner Aufführung auf der Berlinale 1976 dann wurde der Film prompt als "harte Pornografie" beschlagnahmt - nur um ein Jahr später von der FSK ungekürzt mit dem Prädikat "besonders wertvoll" freigegeben zu werden.
Behindert spielen: Was passiert, wenn normale Erwachsene sich auf die Suche nach ihrem "inneren Idioten" begeben? In Lars von Triers Dogma-Film "Idioten" (1998) tut eine Gruppe junger Erwachsener so, als sei sie geistig behindert. Sie lassen sich von Bikern beim Urinieren helfen, verkaufen Adventsgestecke an Haustüren und bleiben sogar beim Gruppensex in ihrer Rolle. Diese Darstellung von Behinderten, empfanden viele Kritiker...
...als würdelos und diskriminierend. Das "Rudelbumsen", das Trier mit Hilfe einiger Pornodarsteller inklusive Close-ups auf die Geschlechtsteile inszenierte, bezeichnen Kritiker als geschmacklos. Während der "Idioten"-Vorführung bei den Filmfestspielen in Cannes fühlte sich ein Rezensent sogar so sehr von dem Film beleidigt, dass er aufsprang, begann "Il est merde!" ("Das ist scheiße!") zu rufen und erst damit aufhörte, als er rausgeworfen wurde.
Christen gegen Kindfraukino: Eigentlich schien "Baby Doll" (1956) ganz harmlos. Das schwarzhumorige Südstaatendrama erzählt die Geschichte eines erfolglosen Baumwollfarmers, der mit einer blonden Lolita verheiratet ist. Ihrem Vater musste er bei der Hochzeit versprechen, nicht vor dem 20. Geburtstag des Mädchens mit ihr zu schlafen. Dann wirft sich die ebenso dümmliche wie verschlagene Kindfrau einem anderen Mann an den Hals. In den...
...prüden Fünfzigerjahren war dies eine Todsünde - auch wenn der Film nichts dergleichen zeigt. Doch obwohl das Mädchen "Baby Doll" ihre Unschuld behält, wurde der Film zum wohl größten Skandal der US-Filmgeschichte aufgebauscht.
Die National Legion of Decency, eine christliche Organisation, die sich auf die Fahnen geschrieben hatte, die Ansichten der katholischen Kirche über Filme zu vertreten, brandmarkte das Werk als "verdammt". Es war nur der Anfang des Skandals. Insgesamt sollen rund 20 Millionen Amerikaner den Film boykottiert oder sogar aktiv gegen seine Aufführung protestiert haben. Kinos mussten wegen Bombendrohungen geräumt werden, Katholiken legten in Gottesdiensten gemeinschaftlich Gelübde ab, sich den "den Sündenqualen dieses Films nicht auszusetzen". Und in Providence, Rhode Island, zensierte die Polizei eigenhändig und erlaubte nur eine von den Ordnungshütern persönlich geschnittene Fassung.
Zwei Münder, ein Eklat: Der erste Skandalfilm der Geschichte dauert nicht einmal 20 Sekunden. Es ist die Schlussszene des Musicals "The Widow Jones". William Heise drehte sie 1896 in Thomas Edisons Filmstudio Black Maria nach. Schon der Titel verrät den Aufreger. Der Film hieß schlicht...
..."Der Kuss". Stumm - Ton gab es ja noch nicht - wechseln die Schauspieler John C. Rice und May Irwin ein paar Worte, dann zwirbelt Rice seinen Schnurrbart und drückt seine zusammengepressten Lippen auf den fest geschlossenen Mund seiner Filmpartnerin. Zügellosigkeit ist was anderes. Aber immerhin war es der erste Kuss der Filmgeschichte - und der erste Skandal. Vereinzelt wurden Rufe nach Zensur laut. "Bei so etwas müsste die Polizei einschreiten", erboste sich der Herausgeber einer Literaturzeitschrift, verstieg sich dann aber in einer flammenden Kritik über die ästhetischen Aspekte des Spektakels: "Keiner der beiden ist körperlich attraktiv", stänkerte er, "und der Anblick, wie sie sich gegenseitig ausgiebig an ihren Lippen weideten, war kaum auszuhalten."
"Das Leben des Brian" gilt heute als eine der Kultkomödien der Filmgeschichte. Kaum zu glauben, dass die Geschichte Brian Cohen, der am Anfang des Films versehentlich mit dem Messias verwechselt wird,...
...bei ihrer Premiere 1979 für eine heftige Kontroverse unter Christen sorgte. Bei "Das Leben des Brian" handele es sich um "einen Akt der Blasphemie" und um einen "abscheulichen und widerlichen Angriff auf religiöse Gefühle". Die Komödie schwanke ständig zwischen "Sadismus und völliger Blödheit", äußerten sich verschiedene christliche Verbände, besonders in England und den USA, - und bewiesen damit wenig Humor. Der Präsident der Rabbinical Alliance of America befürchtete sogar, der Film sei "so tief beleidigend", dass weitere Aufführungen "zu Gewalt führen könnten".
Am Ende wurde "Das Leben des Brian" zwar in einigen Gemeinden der USA und Großbritannien verboten - der Streit über die gotteslästerliche Aussage des Films machte ihn aber erst zum Kassenschlager.
"Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!" 1971 drehte Rosa von Praunheim für den Westdeutschen Rundfunk einen Fernsehfilm mit dem Titel "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt". Das Werk zeigte offen das Leben Schwuler in Deutschland. Dabei ließ er auch Praktiken wie etwa das Cruising, die Suche nach Sexualpartnern, in Parks und auf öffentlichen Toiletten, nicht aus. Der Film endete mit dem Aufruf: "Werdet stolz auf eure Homosexualität! Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen! Freiheit für die Schwulen!"
Für seine Darstellung der Homosexuellen...
...wurde Rosa von Praunheim nach der Veröffentlichung des Films von beiden Seiten angefeindet. Die TV-Ausstrahlung von "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" wurde zum Skandal. Bei der Premiere im WDR meldeten sich Hunderte Zuschauer, von denen rund 95 Prozent sich über den Film empörten. Die ARD weigerte sich anfangs sogar, das Werk auszustrahlen. Der Film könne geeignet sein, "Vorurteile, die ohne Zweifel in der Öffentlichkeit gegen Homosexuelle trotz der liberalisierten Gesetzgebung zur Zeit noch bestehen, zu bestätigen oder zu verstärken anstatt sie abzubauen".
Einige Homosexuelle hatten ähnliche Befürchtungen. So wurde nach öffentlichen Aufführungen heftig darüber diskutiert, ob es klug sei, dass der Film die Schwulen nicht in Schutz nehme, sondern alle Klischees zeige. 30 Jahre später erinnert sich der Regisseur daran, dass einige sogar Angst gehabt hätten, "dass die Heteros uns wieder ins KZ stecken". Dennoch gründeten sich nach den öffentlichen Debatten über den Film die ersten schwulen Aktionsgruppen in Deutschland. Der Film wurde zur Initialzündung für die Entstehung der Homosexuellenbewegung in der Bundesrepublik.
Auf den Hund gekommen: 1929 kam ein unverschämter Film in die Kinos. Die Studienfreunde Luis Buñuel und Salvador Dalí hatten, inspiriert von der Arbeit der Surrealisten und finanziert von Buñuels Mutter, einen wahnhaften Bilderreigen erschaffen. In dem 17-minütigen Streifen "Ein andalusischer Hund"...
...wird ein Auge von einer Rasierklinge durchtrennt, Ameisen kriechen aus einem Loch in einer Hand, Geistliche schleppen ein Klavier in dem zwei tote Esel liegen hinter sich her. Den Surrealisten war stets daran gelegen, Skandale zu provozieren. Bei der Premiere von "Ein andalusischer Hund" war Buñuel also auf das alles gefasst, hatte sogar Steine in den Taschen, um sich im Notfall mit den Wurfgeschossen gegen die aufgebrachte Menge zu wehren. Doch das kunstbeflissene Publikum applaudierte enthusiastisch. Ein ungewollter Triumph.
"'Ein Erfolgsfilm' werden die meisten denken, die ihn gesehen haben", empörte sich Buñuel über die Begeisterung der Zuschauer. "Doch was vermag ich gegen diejenigen, die geil sind auf alles Neue, selbst wenn es ihren tiefsten Überzeugungen ins Gesicht schlägt, gegen eine Presse, die unaufrichtig oder käuflich ist, gegen dieses stumpfsinnige Pack, das 'schön' oder 'poetisch' gefunden hat, was im Grunde nur ein verzweifelter, ein leidenschaftlicher Aufruf zum Mord ist."
113 Minuten Kinohölle: Am Ende des Zweiten Weltkriegs treffen sich ein Richter, ein Bischof, ein Bankier und ein Herzog, um eine höllische Orgie zu feiern. Zu diesem Zweck lassen sie von ihren Schergen Mädchen und Jungen aus der Umgebung einfangen. Sie quälen, erniedrigen und vergewaltigen die Teenager, zwingen sie dazu bei einem absurden Festmahl Kot zu essen (Bild), um sie am Ende des Films allesamt zu foltern und zu ermorden.
Pier Paolo Pasolinis grausame Faschismus-Parabel "Salò oder Die 120 Tage von Sodom" (1975)...
...wurde in Italien verboten, in Frankreich in die Pornokinos verbannt und rief in Deutschland - dem einzigen Land, in dem "Salò oder Die 120 Tage von Sodom" überhaupt in den normalen Lichtspielhäusern gezeigt wurde - eine heftige Zensurdebatte hervor. Bis heute ist sein Wert als Kunstwerk heftig umstritten.
Der Regisseur und Dichter Pier Paolo Pasolini selbst erlebte den Skandal nicht mehr. Am 2. November 1975, 20 Tage vor der Uraufführung, wurde der Regisseur auf einem verlassenen Platz in Rom unter bis heute ungeklärten Umständen ermordet.
Filmverbot für eine Freakshow: Der Regisseur Tod Browning wollte seinen Film über eine Kuriositätenshow in einem Zirkus so echt wie möglich erscheinen lassen. Deshalb warb er für seinen Film "Freaks" (1932) Menschen mit echten Missbildungen an, die er auf Rummelplätzen und in Zirkussen rekrutierte. Eigentlich wollte Browning mit diesen Film ein Zeichen für mehr Verständnis für Andersartigkeit setzen, doch...
...es kam völlig anders: Verstört von den echten Freaks im Film verließen die Menschen scharenweise die Vorführungen. Am Ende wurde "Freaks" um ein Drittel gekürzt. Trotzdem wurde er in Großbritannien und in diversen Bundesstaaten der USA verboten. In England galt dieses Verbot 30 Jahre, in einigen US-Staaten gilt es bis heute.
Die Karriere von Tod Browning, der es kurz zuvor mit seiner "Dracula"-Verfilmung mit Bela Lugosi gerade zu einem der gefragtesten Regisseure Hollywoods gebracht hatte, war beendet.
"Sollen das die Ideale eines Volkes sein?" Heute wird oft angenommen, dass Hildegard Knefs Busenblitzer, den Skandal um Willi Forsts Film "Die Sünderin" (1951) auslöste. Doch...
...die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) kritisierte damals, dass "Die Sünderin" - die Protagonistin Hildegard Knef - "die Prostituierung als einen selbstverständlichen Ausweg aus ihrer menschlichen und wirtschaftlichen Notlage wählt". Zudem sorgte sich Moralisten darum, dass die Sterbehilfe und der Selbstmord am Ende der Geschichte als selbstverständlich dargestellt würden und so Anreiz zur Nachahmung geben könnten.
"Die Sünderin" wurde Deutschlands größter Skandalfilm. Tausende Menschen protestierten, die Polizei verhängte Vorführverbote, Priester stürmten Kinosäle mit Stinkbomben, Politiker verteilten Flugblätter mit Parolen wie "Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?"
USA kritisiert, Festival beendet: Auf einer Routine-Patrouille treffen fünf GIs auf eine junge Südvietnamesin. Sie drangsalieren das Mädchen, vergewaltigen es schließlich mehrfach, bevor sie es mit einem Bajonett abstechen. Nur einer der Soldaten weigert sich, an dem Gewaltexzess teilzunehmen und macht danach Meldung beim Captain. Dieser beschließt, das Geschehene nicht weiter zu verfolgen. Seine Begründung: "Der Mord ist außerhalb der Zivilisation geschehen, nämlich auf dem Schlachtfeld. Eine Strafanzeige würde der Sache des Friedens schaden."
Der Regisseur Michael Verhoeven hatte das Drehbuch zu "o.k." (1970)...
...nach einer wahren Begebenheit verfasst. Von dem vertuschten Kriegsverbrechen der US-Soldaten hatte er über die Zeitung erfahren.
"o.k." lief 1970 im offiziellen Wettbewerb der Berlinale. Doch nach der Vorführung wurde der Film von der Festivaljury unter der Leitung des Amerikaners George Stevens noch einmal an die Auswahlkommission zurückgegeben. Es sei nicht sicher, ob er die Verständigung zwischen den Völkern fördere, wie es in den Statuten des Festivals festgelegt war. Eine Debatte über Zensur entbrannte, das Premierenkino Zoo-Palast wurde besetzt, Regisseure zogen ihre Beiträge zurück - und schließlich sorgte das kontroverse Werk für den ersten und einzigen Festivalabbruch in der Geschichte der Berlinale.
Von Kinohit zur "Kulturschande": Bei der Oscar-Verleihung in den USA gewann er zwei Preise (bester Film, beste Regie), in Deutschland wurde die Romanvorlage zum ersten Bestseller der Geschichte. Eigentlich hatte "Im Westen nichts Neues" von 1930 die besten Aussichten hierzulande ein Erfolg zu werden. Dann...
...instrumentalisierten die Nationalsozialisten den Antikriegsfilm für ihre Zwecke. Goebbels kannte "Im Westen nichts Neues" zwar nicht, organisierte allerdings die Proteste, um seine Stellung in der NSDAP zu stärken. Mitglieder der SA störten die Aufführungen mit Zwischenrufen, warfen Rauch- und Stinkbomben, ließen weiße Mäuse los und provozierten Schlägereien mit dem restlichen Publikum. Am 5. Dezember 1930 versammelten sich Tausende Nationalsozialisten und Schaulustige vor einem Berliner Kino, wo Goebbels eine Hetzrede hielt. Der Film sei eine "Kulturschande" und reiße den besten Soldaten aller Zeiten, den deutschen Frontsoldaten, herunter, fasste der "Völkische Beobachter" Goebbels' Tirade später zusammen.
Das Thriller-Experiment: Eine Ferienhausidylle am See. Anna, Georg und ihr Sohn Schorschi richten sich gerade ein, als zwei junge Männer in weißen Kleidern vor der Tür stehen, um sich Eier zu leihen. Als sie im Haus sind, nehmen sie die Familie als Geiseln, terrorisieren sie - und quälen sie langsam zu Tode.
Michael Hanekes "Funny Games" (1997)...
...ist ein Versuchsaufbau, in dem der Regisseur die Gewalt, mit der uns das Kino ständig konfrontiert, bis auf ein unerträgliches Maß steigert. Der Zuschauer wird in die Rolle des perversen Voyeurs gedrängt - allein, weil er sich "Funny Games" bis zum Ende ansieht. Haneke erklärte sein Experiment so: "Der Witz beim Thriller ist, dass der Zuschauer bereit ist, sich wirklich alles anzusehen, wenn er nur nachher beruhigt aus dem Kino gehen darf. Im Actionfilm wird das Entsetzen ja durch Ästhetik und Humor immer wieder entschärft. Und das findet bei mir eben nicht statt."
Bei seiner Premiere auf dem Filmfest in Cannes fand sich auf den Eintrittskarten ein roter Warnhinweis: "Bitte beachten Sie: Der Film enthält Szenen, die einige Zuschauer als schockierend empfinden könnten." Der Film wurde von vielen Kritikern vor dem Ende der Vorstellung verlassen und heftig in den Feuilletons diskutiert - der große öffentliche Skandal blieb allerdings aus.
Anders als gedacht: Eigentlich hatte Veit Harlan der Freiwilligen Selbstkontrolle 1957 mit "Das dritte Geschlecht" ein Plädoyer für die Rechte der Homosexuellen eingereicht. Doch nach den Schnittvorgaben der FSK für die Freigabe...
...wurde der Film zu "Anders als du und ich", einem Werk, das allgemein als schwulenfeindlich wahrgenommen wurde. Die FSK begründete ihre Entscheidung damit, dass das sittliche Empfinden des Volkes Homosexualität verurteile und deren Gefahren deutlich zu machen seien, während der vorliegende Film geradezu um Verständnis für die Homosexuellen werbe.
Eine zusätzliche Brisanz erhielt das quasi von der FSK kreierte Werk, weil Veit Harlan im "Dritten Reich" einer der führenden Regisseure war und Nazipropaganda wie den antisemitische Hetzstreifen "Jud Süß" oder den Durchhaltefilm "Kolberg" gedreht hatte.
"Verzerrtes Bild der sozialistischen Wirklichkeit": Arbeiter auf einer Großbaustelle besorgen sich ihr Arbeitsmaterial lieber mit Gewalt, statt sich mit der Mittelknappheit der DDR-Planwirtschaft zu arrangieren. Die Bauleitung sieht aufgrund der hohen Produktivität der Truppe über deren illegale Aktivitäten hinweg. Und ein verheirateter SED-Funktionär schwängert seine Geliebte.
Rückblickend wundert es kaum, dass der Defa-Film "Die Spur der Steine" (1966) nur drei Tage regulär in den Kinos der DDR lief und danach verboten wurde. Die Berichterstattung in den Medien wurde untersagt. Nur im Staatsorgan "Neues Deutschland" erschien eine Kritik: Der Film gebe "ein verzerrtes Bild von unserer sozialistischen Wirklichkeit, dem Kampf der Arbeiterklasse, ihrer ruhmreichen Partei und dem aufopferungsvollen Wirken ihrer Mitglieder".
"Die Spur der Steine" verschwand für 23 Jahre in den Archiven der Defa, der Regisseur Frank Beyer wurde an das Theater in Dresden verbannt und durfte jahrelang keine Filme mehr drehen.
Werbeclip für den Ku-Klux-Klan: 187 Minuten dauert das Stummfilm-Epos "Die Geburt einer Nation", mit dem D.W. Griffith 1915 der Filmgeschichte seinen Stempel aufdrückte. In ihr erzählt der Regisseur von der Entzweiung, dem Bürgerkrieg und der Wiedervereinigung der Nord- und Südstaaten Amerikas. Dabei behauptet der Film, dass der Ku-Klux-Klan einen wichtigen Beitrag geleistet habe, den Süden vor dem verderblichen Einfluss der Schwarzen zu schützen. Ursprünglich sollte das Werk sogar "The Clansmen" heißen. "Die Geburt einer Nation" geriet...
...zum Werbefilm für den eigentlich bereits 1870 aufgelösten Ku-Klux-Klan. Als Reklame für sein Werk hatte der naive Griffith sogar Männer in Klansroben durch Los Angeles reiten lassen. Der grandiose Erfolg von "Die Geburt einer Nation" sorgte gar dafür, dass der Klan sich neu formierte.
Die schwarze Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People bezeichnete Griffiths merkwürdige Geschichtsstunde dagegen als "drei Meilen Filmschmutz", die "New York Post" als "absichtlichen Versuch, Millionen Amerikaner zu demütigen, indem man sie als völlige Tiere darstellt".
Griffith selbst hatte sich offenbar mehr für die filmische Umsetzung interessiert als für die politische Aussage seines Epos. 1920 reagierte er auf die Vorwürfe, indem er den Klan nachträglich komplett aus seinem Film schnitt und sein zweites Mammutprojekt "Intolerance" drehte, ein Werk über die schädliche Wirkung von Vorurteilen. Der Film floppte - die Originalversion von "Die Geburt einer Nation" hingegen wird angeblich noch heute zur Rekrutierung neuer Ku-Klux-Klan-Mitglieder gezeigt.
Kann Kopulation Kunst sein? Anna, ihre schwer lungenkranke Schwester Ester und ihr junger Sohn sind auf der Heimreise nach Schweden. Sie machen in einer Stadt halt, in der sie die Sprache der Einwohner nicht verstehen. Die Einsamkeit und Kälte an dem fremden Ort versucht Anna mit körperlicher Liebe erträglich zu machen. Ingmar Bergmans "Das Schweigen" von 1963...
...wurde gespalten aufgenommen. Die einen feierten das stille Drama als großes Kunstwerk, die anderen zählten die zwei Sexszenen und die Selbstbefriedigungsszene in "Das Schweigen" zusammen und sahen unter dem Strich nicht mehr als einen Porno. Ingmar Bergman bekam ein Päckchen mit benutztem Toilettenpapier mit der Post geschickt und Morddrohungen per Telefon.
Auch in Deutschland wurde der Film kontrovers diskutiert. Während die FSK die Sexszenen als "von höchster künstlerischer Intensität und treffender Symbolkraft" verteidigte und den Film nicht nur ungeschnitten ab 18 Jahren freigab, sondern ihm auch noch das Prädikat "Besonders wertvoll" gab, formierten sich seine Gegner zu der Vereinigung "Aktion saubere Leinwand". Diese Gruppe sammelte fast 1,3 Millionen Unterschriften, um eine Änderung des Grundgesetzes zu erwirken, welche die Kunstfreiheit einschränken und so der "Unmoral unter dem Deckmantel der Kunst" einen Riegel vorschieben sollte.
Im Bild: Schauspieler Ingrid Thulin, Gunnel Lindblom und Hakan Jahnberg.
Als Karlheinz zum Killer wurde: Die Deutschen liebten ihren Karlheinz Böhm als herzensguten Kaiser Franz Joseph in den "Sissi"-Filmen - und nun spielte er in "Peeping Tom" (1960) plötzlich einen geisteskranken Serienkiller, der Frauen erstach, während er die Todesangst in ihren Augen mit der Kamera filmte. Nicht nur...
...in Deutschland erhielt "Peeping Tom" (deutscher Titel: "Augen der Angst") vernichtende Kritiken. Auch die britischen Rezensenten ließen kein gutes Haar an dem Werk, das den Zuschauer durch die Kameraperspektive auf perfide Art zum Verbündeten des Mörders machte. "Das ist ein kranker Film - krank und ekelhaft", kanzelte etwa der "Sunday Express" das Werk ab. Die erbosten Kritiken beendeten die Karriere des Regisseurs Michael Powell und versetzten der Karriere des einstigen Schwiegermutterlieblings Böhm einen heftigen Schlag. Erst 20 Jahre nach der Premiere wurde der Film rehabilitiert, als Martin Scorsese sich als großer Fan des Films outete.
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