100. Geburtstag von Sophie Scholl »So ein schöner Tag, und ich soll gehen«
Für ihren Mut, gegen Krieg und Barbarei zu protestieren, bezahlte Sophie Scholl mit ihrem Leben. Eine weiße Rose ist das Symbol der Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl und einige ihrer Freunde. Kurz vor ihrer Hinrichtung im Februar 1943 sagte Sophie Scholl:
Sophie Scholl am Tag ihrer Hinrichtung, 22. Februar 1943
»So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln.«
Die jungen Leute sind Anfang 20 und studieren an der Universität in München. Sophie Scholl stieß als letztes Mitglied erst im Winter 1942 zur Weißen Rose, weil ihr Bruder Hans sie zuvor von der Gruppe ferngehalten hatte, um ihr Leben zu schützen.
Ende Juni 1942 tauchen in München etwa 100 Exemplare eines Flugblattes auf. Zahlreiche Adressaten im Umkreis der Universität finden in ihren Postkästen dicht getippte DIN-A4-Seiten. Unter dem Titel »Flugblätter der Weißen Rose« heißt es dort:
Flugblatt I der Weißen Rose
»Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ›regieren‹ zu lassen.«
Maren Gottschalk / Sophie Scholl Biografin
»Sophie Scholl hat ja zwei ganz verschiedene Seiten in ihrer Persönlichkeit. Sie hatte auf der einen Seite dieses ganz Lebenshungrige, Fröhliche, Alberne, Sportliche, das sehr Empathische. Sie war sehr warmherzig und auf der anderen Seite hatte sie so eine ganz grüblerische, ernste Seite. Sehr selbstkritisch, fast schon selbstquälerisch hat sie sich auch selber hinterfragt und immer wieder die hohen Erwartungen, die sie an sich selber hatte, überprüft. Und aus dieser Kombination vielleicht heraus entstand dann dieser unbedingte Wille zur Konsequenz, zum kompromisslosen Handeln. Und dieser Mut auch.«
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, erreicht Diskriminierung eine neue Dimension: Die Nationalsozialisten glauben an die Überlegenheit der arischen Rasse und wollen alles, was deren Reinheit angeblich gefährdet, eliminieren. Mit pseudowissenschaftlichen Experimenten versuchen sie, ihre Lehre zu untermauern. Hier wird der Kopf eines Mädchens vermessen. Menschen mit Behinderung wurden als lebensunwert stigmatisiert und in Propagandafilme verhöhnt. Sie fielen der nationalsozialistischen Diktatur zu Hunderttausenden zum Opfer. Die Verbrechen der Wehrmacht gegenüber Juden erreichen die Familie Scholl, sodass dann, als Sophie Scholl nach München kommt, sie sehr bereit ist, sich gegen das System zu stellen.
Maren Gottschalk / Biografin
»Als junges Mädchen war sie ja ein zackiges Hitler-Jugend Mädchen wie alle in diesem Alter das waren oder fast alle. Und es war ein Prozess, der sie sozusagen langsam von diesem Hitler-Jugend-Mädchen zur Gegnerin des Systems gemacht hat. Aber damit ist man ja noch keine Widerstandskämpferin. Ich denke, dass sich in ihr sozusagen sehr viel Wut und sehr viel Kritik angesammelt haben im Laufe der Jahre seit Kriegsbeginn eigentlich. Sie war eine sehr, sehr harte Kritikerin des Krieges. Es kam dann noch hinzu, dass ein naher Freund starb an der Front. Das war der erste, sozusagen Front-Tote für die Scholl-Geschwister. Es kam hinzu, dass der Vater verhaftet wurde, weil er Hitler eine Gottes-Geißel genannt hatte. Und es kam hinzu, dass die Predigten des Bischofs von Galen im Briefkasten der Scholz in Ulm landeten Weihnachten 1941, so dass die Idee, dass man Texte vervielfältigen kann und damit Menschen erreichen, Menschen aufrütteln, die war also in den Köpfen der Geschwister auch schon da. Und insofern waren die verschiedenen Zutaten da, die sie brauchte, um aktiv zu werden.«
Am 18. Februar 1943 verteilen Hans und Sophie Scholl am helllichten Tage Flugblätter gegen den Krieg und den Nationalsozialismus an der Universität München. Der Hausmeister, ein SA-Mann, beobachte sie, hält sie fest und übergibt sie dem Uni-Rektor. Kurz darauf holt die Gestapo die beiden ab.
Vernehmungsprotokoll Sophie Scholl, 18. Februar 1943
»Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist.«
Maren Gottschalk / Biografin
»Sie wollte sich engagieren gegen dieses System. Sie hat einfach nicht mehr zuschauen können, wie dieses Land sozusagen den Krieg wieder Krieg immer weitergeht wie immer weiter Menschen sterben, das fand sie ganz furchtbar und sie wollte Menschen aufrütteln. Mit dieser Flugblattaktion konnte man ja nicht mehr tun als Menschen andere Menschen aufrütteln.«
Bereits drei Tage nach der Festnahme, wird Hans und Sophie Scholl und ihrem Freund und dreifachen Familienvater Christoph Probst der Prozess gemacht. Richter Roland Freisler übernahm die Aburteilung. Als Teilnehmer der Wannseekonferenz gehörte er zu den Verantwortlichen für die Organisation des Holocaust. Er fällte etwa 2600 Todesurteile in seinen Verhandlungen, darunter viele Schauprozesse, in denen die Urteile schon vorher feststanden. Den Eltern der Geschwister Scholl verweigerte Freisler den Zutritt zum Gerichtssaal.
Auch vor ihm sprach die 21-Jährige im Gerichtssaal unbeirrt aus, was sie dachte:
Sophie Scholl im Prozess am 22. Februar 1943
»Was wir schrieben und sagten, das denken Sie alle ja auch, nur haben Sie nicht den Mut, es auszusprechen.«
Richter Freisler lehnte sämtliche Gnadengesuche ab. Sophie, ihr Bruder Hans und Christoph Probst wurden wenige Stunden nach dem Urteil enthauptet. Wäre es nach Bayerns Gauleiter gegangen, wären sie öffentlich hingerichtet worden.
Vernehmungsprotokoll von Sophie Scholl
»Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben. Dazu brauchen wir einen harten Geist und ein weiches Herz. Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur suchen wir sie zu wenig.«
Zum eigentlichen Ziel, Hitler zu stürzen, führten die sechs Flugblätter nicht, die die Weiße Rose zwischen 1942 und 1943 verbreitete. Der Krieg ging weiter, sie lösten keinen Aufstand gegen die Diktatur der Nationalsozialisten aus. Es sollte noch Jahre dauern, bis ihre Mitglieder in den Augen der deutschen Mehrheit nicht mehr als Verräter galten.
Maren Gottschalk / Historikerin
»Wenn wir wirklich etwas von Sophie Scholl lernen wollen, wenn wir ihr Erbe wirklich bewahren wollen, dann ist das etwas ganz anderes. Dann müssen wir sehen, dass wir diese Demokratie schützen, denn sie konnte eben nicht ihre Meinung sagen. Sie konnte nicht einfach nach draußen gehen und Kritik üben an der Gesellschaft. Und genau das ist das, was wir können. Und das müssen wir deswegen auch tun. Wir müssen unsere, unsere demokratische Freiheit schützen, denn wir haben ja die, die Feinde der Demokratie schon in unseren Parlamenten sitzen.«